Es kann nur einen geben

Manche Menschen wünschen sich die perfekte Liebe, den perfekten Partner, der wie beim biologischen Schlüssel-Schloss-Prinzip zu einem anderen Menschen passt. Zeitschriften, Bücher, TV-Serien und Filme nähren diese Sehnsucht nach Vollkommenheit. Auch Singlebörsen leben davon, dass manch einer nie zufrieden ist.

In der nicht ganz so fernen Zukunftsversion von John Marrs Roman „The One“ hat die Suche nach dem perfekten Partner ein Ende. Denn mit dem Online-Angebot „Match your DNA“ ist es möglich, den allereinzigen Partner zu finden, der aufgrund der DNA zu einem anderen Partner passt. Das perfekte Match. Was man dafür tun muss? Einfach nur einen Gentest machen und dann: warten. Millionen von Menschen weltweit haben diesen Test gemacht und „sind glücklich geworden“. Journalisten würden schreiben: „Nach eigenen Angaben des Unternehmens.“ Denn kann wirklich unsere DNA darüber entscheiden, wie glücklich wir mit einem Partner werden? Oder ist es nicht vielmehr die Hoffnung, die ein Mensch darauf setzt, dass das jetzt aber nun wirklich mal der richtige Deckel zum Topf ist?

Nicht  nur diesen Fragen geht der britische Journalist und Autor in seinem Buch nach, sondern entwickelt auch Szenarien, wie sehr es unter dem Deckmäntelchen des DNA-Glücks brodeln kann. Welche kriminelle Energie möglich ist. Und wie Glück dann doch wieder zu Unglück führt. Willkommen in der Spirale der Suche nach dem perfekten Partner! Oder wie Albert Camus formuliert: „Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“

Christopher, der Serienmörder

Das Setting und die Idee sind hervorragend, die Umsetzung allerdings dürfte nur denjenigen gefallen, die seichte Unterhaltung schätzen und in Buchhandlungen zielsicher zu pinkfarbenen Büchern greifen. In kurzen Cliffhanger-Kapiteln folgen wir fünf Hauptpersonen, die ihre teilweise fiesen Erfahrungen mit „Match your DNA“ machen: Es beginnt mit Mandy (ja, der Ohrwurm drängt sich auf), die unter anderem aufgrund mehrerer Fehlgeburten ihre Ehe in den Sand gesetzt hat und jetzt beginnt, die Social-Media-Profile des „schönen Fremden“ zu stalken. Problem: Ihr perfektes Match ist vor kurzem verstorben. Dann hätten wir noch Christopher, den Serienmörder, der allerdings, soviel darf verraten werden, nicht für den Tod von Mandys Match verantwortlich ist. Seine perfekte Partnerin arbeitet bei der Polizei. Das muss man wollen.

Nick wiederum möchte den DNA-Test gar nicht machen, aber seine Verlobte Sally will sicher gehen, dass sie in biologischer Hinsicht füreinander bestimmt sind. Denn ihre Eltern sind mittlerweile zum dritten (Mutter) und vierten Mal (Vater) verheiratet. „Und ich will nicht genauso enden.“ Das Unheil nimmt seinen Lauf, als Nicks perfekter Partner ein Mann ist. Und auch die unsichere Jade hat ein Match, allerdings nicht in England, sondern in Australien. Einigermaßen naiv lässt sie alles stehen und liegen und fliegt zu ihm. Als sie vor seiner Tür steht, ist Kevin nicht allein zu Haus. Am Telefon sagt er: „Tut mir leid, du hättest nicht kommen sollen.“ Und legt auf. Traumtyp!

Und zuletzt ist da noch die schwerreiche Ellie, ein „irrer Kontrollfreak“, wie sie ein Exfreund offenbar zurecht bezeichnet hatte, die, aus zu großer Angst vor den Boulevardmedien und deren Interesse, ihr Privatleben nach außen zu kehren, keinen Mann an sich heranlässt. Umso argwöhnischer ist diese klischeehaft gezeichnete Frau mit ihren Miu-Miu-Highheels, der Bettwäsche aus Mako-Baumwolle und dem Kronleuchter aus Swarovski-Kristallen, als auch sie plötzlich ein DNA-Match hat. Ärgerlicherweise entstammt Timothy Hunt (nomen est omen?) nicht ihrer Gesellschaftsriege und entspricht äußerlich nicht ihrem Typ. (Der Mann steht auf Coldplay, die Foo Fighters und die Stereophonics und hat so gut wie alle Filme mit Matt Damon oder Leonardo DiCaprio gesehen.) „Kurz gesagt war Timothy Hunt allem Anschein nach ein unauffälliger Mann, mit dem Ellie jedoch auf ganz besondere Weise verbunden war.“ Es kann nur einen geben – und das zieht sogar bei Ellie.

Kaum raffinierte Cliffhanger

Alle fünf nicht besonders einfallsreich gezeichneten Figuren begegnen sich nie. Die mäßige Spannung entwickelt sich durch die kurzen Kapitel und die kaum raffinierten Cliffhanger. Weil die Abfolge der Figuren immer dieselbe bleibt, muss man also vier andere Kapitel lesen, bevor man weiterlesen kann und weiß, ob Christopher die Frau jetzt wirklich umgebracht hat oder nicht (bei seinem Ziel, 30 Frauen zu töten, kann man sich die Chancen ausrechnen).

Wer sich die äußere Aufmachung anschaut, kann ahnen, dass der Roman nicht in literarischen Höhen schwebt. Wir sind nicht nur auf dem Niveau von Privatsender-Vorabend-Seifenopern, sondern befinden uns zudem auf einem simplen Romantiklevel  von Bella und Edward aus der Twilight-Saga oder Anastasia Steele und Christian Grey aus der „Shades of Grey“-Reihe. Allerdings entsteht beim Lesen von „The One“ kein Schmerz durch Schläge mit der Hand, sondern durch Tiefschläge mit dem literarischen Können. Dem Roman ist noch ein geistreiches Zitat aus Victor Hugos Roman „Die Elenden“ vorangestellt, danach geht’s triefend bergab – das Problem der Fallhöhe von literarischen Mottos. Einige Beispiele:

Fünf Beispiele literarischer Tiefschläge

„‚Oh mein Gott‘, flüsterte sie. Ohne es zu bemerken, hatte sie den Atem angehalten. In ihren Fingerspitzen kribbelte es, und sie spürte, dass sie rot wurde. Wenn sie schon so auf ein Foto reagierte – was würde dann erst in ihrem Körper passieren, wenn er leibhaftig vor ihr stand?“

„Indem sie jedoch zugelassen hatte, dass unter ihrem dicken Fell ihre warme, liebevolle Seite hervorleuchtete, hatte sie sich verwundbar gemacht. Wegen ihrer Entdeckung hatte sie so vieles verloren, doch diese Opfer, so schwor sie sich, sollten nicht vergebens sein.“

„Ein Teil von ihr wollte Mark ohrfeigen, ein anderer dagegen sich nur so fest wie möglich an ihn drücken.“

„Jade hatte sich noch nie so herzlos gefühlt wie in den Moment, als sie, halb nackt und noch immer ganz erhitzt, vor ihrer Schwiegermutter stand, mit deren Sohne sie gerade geschlafen hatte – der allerdings nicht der war, den sie geheiratet hatte.“

„‚Es zerreißt mir das Herz, das so zu sagen, aber wenn ich nicht durchdrehen will, muss ich dich gehen lassen. Wenn es jemand wäre, der nicht dein Match ist, würde ich um dich kämpfen. Aber mich mit den Genen anzulegen, ist aussichtslos.'“

Wer in diesen Zeiten seichte Unterhaltung sucht und den Kopf nicht zu sehr anstrengen mag, kann hier zugreifen. Allen anderen sei geraten: unterstützen Sie Buchhandlungen in Ihrer Stadt und bestellen Sie dort etwas anderes. In der Seitengang-Rubrik „Vortreffliches“ finden Sie Anregungen. „The One“ landet dagegen in der Rubrik „Werke, die das Regal nicht braucht“.

John Marrs: The One – Finde dein perfektes Match, Heyne Verlag, München, 2019, 496 Seiten, broschiert, 15,99 Euro, ISBN 978-3453320611, Leseprobe

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