Der Beginn eines baldigen Gotham-Klassikers

Passend zum internationalen Batman-Tag am 16. September tauchte in diesem Jahr die ausgesprochen aufregende erste Ausgabe von Rafael Grampás Comic „Batman: Der Gargoyle von Gotham“ aus den Schatten auf. Der mit dem renommierten Eisner-Award ausgezeichnete brasilianische Comic-Künstler bebilderte zuvor bereits die Episode „Batman: Das goldene Kind“ für den Comic-Star Frank Miller („Sin City“). Jetzt hat Grampá eine neue, eigenständige Geschichte über Batmans Anfangszeit geschrieben und gezeichnet. Sie könnte ein neuer Klassiker der Batman-Comics werden. Wer bisher keinen Zugang zu dem dunklen Ritter hatte – hier wäre der richtige Einstieg ins Batmobil.

Grampás Gotham ist wesentlich düsterer und hoffnungsloser als in anderen Darstellungen. Auf den ersten Seiten sehen wir, wie die Schere zwischen Arm und Reich auseinanderklafft. In den Straßen häufen sich Müllsäcke zwischen den imposanten Bauten, Obdachlose drängen sich in den Hauseingängen, während Passanten nur Augen für ihre Smartphones haben. Gewalt, Korruption und Ausbeutung haben Einzug gehalten, und es gibt nur einen, der die Entwicklung noch aufzuhalten vermag: Batman. Der hatte sich bekanntlich am Grab seiner Eltern geschworen, das Böse zu bekämpfen.

Töte Bruce Wayne – sei Batman

Aber so recht will es nicht gelingen, denn im Hauptjob ist er ja auch noch Bruce Wayne, der Milliardär. Nachdem Batman bei einer Begegnung mit einem unheimlichen Bösewicht beinahe durch eine Explosion in einem TNT-Labor gestorben wäre, offenbart er seinem engsten Vertrauten, dem Butler Alfred Pennyworth, dass er den öffentlichen Tod von Bruce Wayne plant. Ausradieren müsse er sich, um sich ganz seiner Mission zu widmen. „Die Lage wird immer schlimmer, und Gotham muss permanent geschützt werden“, sagt er selbstbewusst.

Unterdessen treibt ein beunruhigender Serienmörder in Gotham sein Unwesen, und die Polizei ist noch völlig ahnungslos. Sie registriert nur immer mehr Todesfälle, bei denen die Opfer seltsam übereinstimmende Stichverletzungen haben und immer nackt zurückgelassen werden. Dann findet der Polizist Jim Gordon eine Verbindung zu Bruce Wayne, und alles dreht sich in eine völlig unerwartete Richtung.

Charakterzeichnung ist brillant

Mit „Der Gargoyle von Gotham“ erleben wir die Stadt nicht nur ungewöhnlich dunkel und abgehalftert, sondern auch Batman zeigt sich in neuen charakterlichen Facetten. Grampás Schachzug, Bruce Wayne abzunabeln und sich vollständig auf Batman zu konzentrieren, ist außerordentlich gelungen. Seine Charakterzeichnung ist brillant. Der junge Batman ist bei Grampá grimmig und zuweilen auch brutal, aber immer auf dem Höhepunkt seiner Fähigkeiten, auch als er seine eigene Identität in Frage stellt.

Als kontrastierender Gegenpol glänzt der neue furchterregende Schurke Crytoon. Er ist ein übler Mörder mit glatter, schwarzer Haut, einem schwarzen Anzug und psychotisch laufenden Tränen. Seine Tränen, erklärt er an einer Stelle, sind die Vorboten der Tränen seiner Opfer. Grampá zeigt ihn als mordendes Wesen, dem seine Taten bewusst sind und die er zuvor bedauert, sie jedoch nicht aufhalten kann. Wie Batman hadert auch Crytoon mit seiner Identität.

In einem Interview, das thepopverse.com mit Rafael Grampá geführt hat, erzählt der Comic-Künstler, dass ihn eine Erinnerung an die eigene Kindheit zu Crytoon inspiriert habe. Grampás Großmutter liebte die klassische italienische Theaterkunst der Commedia dell’arte und bewahrte deshalb eine ganz in weiß gekleidete Porzellanfigur des ikonisch weinenden Clowns Pierrot auf.

Grampá: „Ich hatte Angst vor diesem Bild.“

„Als ich ein Kind war, hatte ich große Angst davor“, erzählt Grampá in dem Interview: „Diese Figur, dieses weiße Gesicht, das schwarze Tränen weint; wenn sie das Licht ausschaltete, sah ich das vor mir und hatte Angst vor diesem Bild.“ Aus diesen Kindheitserinnerungen entwickelte Grampá seine eigene Version des Pierrot. Um ihn dann auch noch von den anderen Clown-Schurken im Batman-Universum abzugrenzen, brachte ihn seine Frau auf die Idee, den ursprünglichen Pierrot in ein Foto-Negativ umzukehren. Crytoon ist geboren!

Und schließlich ist da noch der Polizist Jim Gordon, den Grampá als religiösen Mann darstellt. In seiner trostlosen Wohnung hängt ein Jesusbild an der Wand, in seinem Büro im Revier ein ans Holzkreuz genagelter Jesus. Auf einem Schubladenelement steht eine Madonnafigur. Nur auf dem Telefontischchen zu Hause sehen wir ein Foto von Gordons Frau. Daneben liegt die Dienstwaffe. Die Pflicht ruft, und es ist dieselbe, die auch Batman verspürt.

Auch zeichnerisch ist „Der Gargoyle von Gotham“ auf hohem Niveau. Das Comic-Layout besteht zum großen Teil aus senkrechten und waagerechten Linien zwischen den Panels. Nur wenn es richtig zur Sache geht, rutschen die Linien aus der Symmetrie. Man könnte meinen, der Comic sei zu kontrolliert und wenig wagemutig, wenn er seine Geschichte so stark formgebunden präsentiert. Doch das Gegenteil ist der Fall: Nicht die Form gibt dem Comic seine Geschwindigkeit und seinen Drive, sondern die stimmungsvollen Inhalte der einzelnen Panels, die geradezu filmisch anmuten.

Wer versteht die Hinweise?

Grampá zieht aber noch eine zweite Ebene ein: Für besonders aufmerksame Leser*innen hat er in seinen Panels dezente Hinweise und Botschaften versteckt, etwa eine Hommage an David Fincher und Frank Miller. Wer von uns kratzt beim Lesen nur an der Oberfläche und wer versteht die Anzeichen?

Grampás „Gargoyle von Gotham“ soll nach vier großformatigen Bänden abgeschlossen sein. Der zweite Band erscheint in Deutschland am 20. Februar 2024, die Erscheinungstermine für die beiden letzten Bände sind noch nicht bekannt.

Schon der Auftaktband bringt uns wahren Nervenkitzel, viel Action, aber auch wohldurchdachte leise Szenen; und während wir Batman dabei zusehen, wie er die dunkelsten Ränder seines eigenen Herzens abschreitet, werden wir Zeugen von der wahnsinnigen Kunstfertigkeit des Rafael Grampá. Im Interview mit Popverse erklärt er: „Diese Geschichte ist mein Versuch, Batman zu sezieren, weil ich diesen Charakter liebe und ihn auf den heißen Stuhl setzen wollte.“ Davon wollen wir unbedingt noch mehr! Breite deinen Mantel aus, Batman, und leg los!

Rafael Grampá: Batman – der Gargoyle von Gotham, Panini-Verlag, Stuttgart, 2023, 60 Seiten, gebunden, Euro, ISBN 978-3741635335, Leseprobe;

Rafael Grampá: Batman – der Gargoyle von Gotham (Variant-Cover), Panini-Verlag, Stuttgart, 2023, 60 Seiten, gebunden, 20 Euro, ISBN 978-3741635335, limitiert auf 333 Exemplare.

Es öffnet sich ein neues Lesen

Hilde Domin, Nelly Sachs, Else Lasker-Schüler oder Rose Ausländer – die Namen dieser jüdischen Dichterinnen sagen zumindest manchen Leser*innen etwas. Aber Gertrud Kolmar? Die meisten Werke der deutsch-jüdischen Lyrikerin und Schriftstellerin, die am 10. Dezember 1894 in Berlin geboren und 1943 in Auschwitz ermordet wurde, erreichten erst posthum eine Veröffentlichung. Zu Lebzeiten erschienen nur drei Gedichtbände. Sie gilt zwar als bedeutende Dichterin, dennoch wurde sie nie besonders ausgiebig gewürdigt.

Zu ihrem 80. Todestag im März dieses Jahres erschienen jedoch gleich zwei herausragende Porträts der jüdischen Dichterin. Zum einen „In der Feuerkette der Epoche“ von Friederike Heimann (Jüdischer Verlag), die auch über Gertrud Kolmar promoviert hat; zum anderen „Alles ist seltsam in der Welt“ von Ingeborg Gleichauf (AvivA-Verlag), die über Ingeborg Bachmann dissertierte.

Beide sind überaus lesenswert, doch während Heimann ausführlich auf Leben und Werk eingeht, reichhaltige Interpretationen liefert und ihr Porträt eher essayistisch geprägt ist, bietet Gleichauf den kürzeren Einstieg für alle jene, die einen behutsameren Zugang suchen. Deshalb konzentriert sich die Rezension auf diesen nur 205 Seiten langen Band.

Gleichauf hält sich nicht strikt an den Lebenslauf

Das Inhaltsverzeichnis macht es deutlich: Das Buch wirft Schlaglichter auf verschiedene Lebensstationen und -situationen. Kolmar als Kind, als junge Dichterin, als Briefeschreiberin. Kolmar (aufschlussreich) als Leserin, als Prosaautorin, als Lyrikerin und Dramatikerin. Sie beschaut die Orte, an denen Kolmar lebte und arbeitete, vergleicht ihr Wirken mit ihren „dichtenden Schwestern“, darunter Annette von Droste-Hülshoff, Emily Dickinson und Nelly Sachs. Die Ordnung erlaubt es, ausgewählte Kapitel zuerst zu lesen, weil sich Gleichauf nicht strikt an den Lebenslauf hält.

Das sei auch nicht Ziel des Buches, schreibt die Autorin in der Einleitung: „Gertrud Kolmars Leben und Schreiben sind schwer in der Linearität einer einfachen Geschichte, einer glatten biografischen Erzählung unterzubringen.“ Vielmehr geht es Gleichauf darum, „was es heißt, Kolmar zu lesen, in einen Dialog zu treten mit ihren Texten und über die Texte mit ihrem Leben“. Und so finden Leserinnen und Leser zahlreiche Gedichte, Zitate und Auszüge aus den Prosawerken in diesem Porträt. Was man dagegen vergeblich sucht, sind Fotografien. Es gibt einfach kaum welche, weshalb fast alle Bücher über Kolmar dasselbe Foto ziert, auch die beiden Bücher von Heimann und Gleichauf.

Kolmar als radikale Dichterin

Für die Autorin ist Kolmar eine „Dichterin des Lebens“, obgleich Kolmar als Kind an einem See ein Ertrinken vortäuscht. Gleichauf nennt das „Lust an der abenteuerlichen Inszenierung“. Die Autorin zeichnet Kolmar als eine radikale Dichterin, die nicht einzuordnen ist, in keine Schublade passt. Von ihrer Mutter habe sie die Begeisterung für Tanz, von ihrem Vater, einem Juristen, der gerne schrieb und dessen Erzählungen in Berliner Zeitungen veröffentlicht wurden, den Drang zur Literatur.

„Sie schreibt zart und hart, poetisch, prosaisch, dramatisch, lässt Frauen und Männer, Tiere, Pflanzen und Dinge sprechen.“ Kolmar war eine Literatin, die junge Menschen in der heutigen Zeit noch begeistern kann in ihrem Aufbegehren, in Krieg und Frieden, im Abgestoßenfühlen und Nähesuchen. Fast scheint es, als richte sich die Autorin ganz besonders an die Generation Z und die darauf folgenden.

Die 1953 geborene Ingeborg Gleichauf schreibt poetisch, klar und anschaulich und dennoch mit hohem Anspruch, jedoch ohne sperrig zu sein. Ein Hörbuch wäre eine wundervolle Ergänzung, um die Poesie von Porträtierter und Porträtierender Sprache werden zu lassen. Zuvor hat Gleichauf bereits Bücher über Hannah Arendt, Simone de Beauvoir oder die Liebe zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch geschrieben, aber auch über deutschsprachige Dramatikerinnen sowie „Schriftstellerinnen in der dritten Lebensphase“.

Ihr kurzweiliges und kenntnisreiches Porträt über Gertrud Kolmar ist gelungen, ist ergreifend und vor allem: inspirierend. Denn nach der Lektüre wird sich wohl jede*r auf die Suche machen nach den zahlreichen Veröffentlichungen, die auf dem deutschsprachigen Buchmarkt von Kolmar noch zu bekommen sind. Es öffnet sich ein neues Lesen.

Ingeborg Gleichauf: Alles ist seltsam in der Welt: Gertrud Kolmar. Ein Porträt, AvivA-Verlag, Berlin, 2023, 205 Seiten, gebunden, mit Lesebändchen, 22 Euro, ISBN 978-3949302145

Seitengang dankt dem AvivA-Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars.

Fragen über Phagen

Sylvie ist austherapiert. Was für Laien irgendwie gut klingt, weil das Wort das (gute) Ende der Therapie suggeriert, ist für Betroffene das Schrecklichste, was passieren kann. Man ist schwer krank, und keine gängigen Therapien helfen mehr. In dieser Situation befindet sich die Jugendliche Sylvie Morell, seit ihr Vater ihr unbewusst ein multiresistentes E-coli-Bakterium übertragen hat. Jetzt droht sie, an einem panresistent gewordenen Keim zu sterben.

Der behandelnde Arzt am Klinikum in Berlin kennt eine einzige Rettungsmöglichkeit: Phagen. Das sind Viren, die hochspezifische Stämme einer bestimmten Bakterienart erkennen, befallen und sie schließlich zerstören. Vor allem im osteuropäischen Raum werden Phagen bereits seit Jahrzehnten erfolgreich als Alternative und Ergänzung zur klassischen Antibiotikatherapie eingesetzt, heißt es beim Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin.

In der Europäischen Union sind sie allerdings bisher nicht als Therapie zugelassen. Im Roman muss deshalb Sylvies Vater Tom zu einem früheren Arzt und heutigen Lobbyisten Kontakt aufnehmen. Der wiederum hat, wie der Zufall es will, gerade eine Lieferung Phagen von einem befreundeten Mikrobiologen aus Tiflis bekommen.

Notfalls mit Mord und Totschlag

Der Lobbyist ahnt jedoch nicht, dass der Forscher inzwischen tot und dessen Institut in der Hauptstadt von Georgien bei einem Bombenanschlag in die Luft geflogen ist. Und wer immer dahinter steckt, will nun auch in Berlin die Phagen in seinen Besitz bringen, notfalls mit Mord und Totschlag. Denn die zwölf Superphagen könnten die Medikamente gegen die gefährlichsten multiresistenten Keime der Welt sein.

Das ist das grobe Setting in dem spannenden und realistischen Wissenschaftsthriller „Probe 12“ des Autorinnenduos Kathrin Lange und Susanne Thiele, das 2021 mitten in der Corona-Pandemie im Verlag Bastei-Lübbe erschienen ist. Es erzählt klug und ohne einen erhobenen Zeigefinger von den Gefahren, denen wir weltweit ausgesetzt sind, weil die Resistenzen gegen Antibiotika enorm zugenommen haben.

Von der Astrophysik zur Autorin

Die 1969 in Goslar geborene Kathrin Lange schreibt schon seit Jahren erfolgreich Romane für Erwachsene und Jugendliche. Vor „Probe 12“ veröffentlichte sie unter ihrem Pseudonym Katja Lund mit dem Pellwormer Inselpolizisten Markus Stephan den Krimi „Wattenmeermord“ (Blanvalet-Verlag, 2021). Einst wollte Lange Astrophysik studieren, entschied sich dann aber für ihre Leidenschaft zu Büchern, wurde zunächst Buchhändlerin und dann Schriftstellerin.

Bei einer Autorennetzwerk-Tagung traf sie auf Susanne Thiele. Die 1970 in Bernburg Geborene ist Mikrobiologin und Wissenschaftsautorin. Wenn sie gerade keine Sachbücher schreibt, leitet Thiele die PR-Abteilung des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung in Braunschweig und schreibt für Zeitungen und Journale oder auf ihrem Blog „Mikrobenzirkus“. Als sie Kathrin Lange traf, hatte sie, bedingt durch ihren Beruf, die Idee von antibiotika-resistenten Keimen und der Phagentherapie bereits im Kopf, erklärt sie in einem Interview, das auf der gemeinsamen Autorinnenseite zu lesen ist. Der Rest ist Roman.

Tatsächlich ist es ein spannender Pageturner geworden, der Wissenschaft authentisch mit dem temporeichen Plot verwebt, auch wenn es manchmal ganz schön brutal zur Sache geht. Erzählt wird die kurzweilige Geschichte in mehreren, parallel verlaufenden Handlungssträngen, die sich gut voneinander trennen lassen und dennoch unausweichlich aufeinander zuführen. Die Figurenzeichnung ist überwiegend gut gelungen, nur die Rolle der ermittelnden Kommissarin vom LKA Berlin bleibt seltsam blass.

„Gefahr der Antibiotikaresistenzen gehört zum Alltag“

Dass das alles kein futuristisches Hirngespinst ist, erklären die Autorinnen im Anschluss an ihren Roman in einem aufschlussreichen Nachwort. Beide hätten sich für ein reales Szenario entschieden. „Leider gehört die Gefahr der Antibiotikaresistenzen, die wir im Buch skizzieren, zu unserem Alltag.“ Schon 2014 habe die Weltgesundheitsorganisation festgestellt, dass weltweite Epidemien mit multiresistenten Erregern nicht mehr auszuschließen seien.

„Die Menschen sind mobil, sie reisen, und all das führt dazu, dass wir Keime mit gefährlichen Multiresistenzen, die wir in und an uns tragen, aus Ländern einschleppen, in denen Antibiotika unregulierter verschrieben werden.“ Diese Bakterien können dann zur Gefahr werden, erklären die Autorinnen. „Dass in der Folge pan-resistente Erreger entstehen können, gegen die alle gängigen Antibiotika nicht mehr wirken, ist bisher zwar noch selten, aber leider Wirklichkeit.“

In dem oben erwähnten Interview sagt Thiele, sie halte das Genre der Wissenschaftsthriller als gute Wissenschaftskommunikation für sehr geeignet, um neue Zielgruppen zu erreichen. Das sei ein „Riesenpotenzial, um Elemente der Forschungsrealität mit erschreckenden Entwicklungen in unserer Welt wie zum Beispiel Klimawandel, Seuchen, Biowaffen zu verbinden“.

Tödlicher Erreger aus dem Permafrost

Und so haben die beiden Autorinnen in diesem Jahr bereits den Nachfolge-Roman „Toxin“ auf den Markt gebracht, in dem wir einigen der Figuren aus „Probe 12“ wieder begegnen werden. Diesmal geht es um einen tödlichen Erreger, der vor zehn Jahren durch das Auftauen des Permafrostbodens in Alaska freigesetzt wurde. Möglicherweise ist der Erreger im heutigen Berlin für einige Todesfälle verantwortlich.

„Probe 12“ ist der gut geschriebene, wissenschaftlich fundierte Auftakt dazu. Die Wochenzeitung Die Zeit hat ihn die verlagseigene, siebenteilige Buch-Edition „Wissenschafts-Thriller“ aufgenommen, gleichzeitig war der Roman im Jahr 2022 bei Bild der Wissenschaft als bestes Wissensbuch 2022 in der Kategorie „Unterhaltung“ nominiert (2020/2021 hatte in dieser Kategorie Dominik Eulbergs „Mikroorgasmen überall“ gewonnen). Wer sich für Wissenschaftsthriller begeistert, die intelligent aufgeschrieben sind, sollte hier also definitiv mal einen Blick riskieren.

Kathrin Lange, Susanne Thiele: Probe 12, Bastei-Lübbe-Verlag, Köln, 2021, 493 Seiten, broschiert, 15,90 Euro, ISBN 978-3785727553, Leseprobe

An den Schreibtischen der Weltliteratur

Jetzt, wo die Tage wieder kürzer werden und wir uns zum Lesen behaglich in unsere Häuser und Wohnungen zurückziehen, fragt sich manch eine*r vielleicht, wie die großen Schriftstellerinnen und Schriftsteller ihre Bestseller schufen. Welche Schreibrituale sie hatten. An welchen Schreibtischen sie saßen. Wohin ihr Blick ging, wenn sie von der Schreibmaschine oder den handschriftlichen Notizen aufblickten. Und was in ihrem Schreibzimmer zu finden war. Antworten auf diese Fragen gibt das wunderschön illustrierte Buch „Schreibwelten“ des britischen Journalisten Alex Johnson, das im Jahr 2023 in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft erschienen ist.

Bereits den Einband ziert eine Zeichnung von Sylvia Plaths Arbeitszimmer in ihrem Landhaus Court Green in North Tawton, Devon. Im Inneren des Buches erfahren wir, dass Plath („Die Glasglocke“) anfangs oft im Wohnzimmer schrieb, manchmal mit einem tragbaren Elektroofen unter dem Tisch, damit ihr nicht kalt wurde. Später dann hatte sie ein eigenes Arbeitszimmer, und ihr Blick fiel von dort auf eine Kirche aus dem 13. Jahrhundert und eine uralte Eibe, die in mehreren ihrer Gedichte vorkommt.

50 lebende und verstorbene Autorinnen und Autoren versammelt Johnson in seinem Buch, und wir erfahren dabei allerlei Erstaunliches: Margaret Atwood („Der Report der Magd“) schreibt auch im Liegen oder Hocken. Jane Austen („Stolz und Vorurteil“) stellte ihre Tinte aus Galläpfeln und Eisensulfat selbst her. Honoré de Balzac („Die menschliche Komödie“) trug beim Schreiben rote Pantoffeln und einen weißen Morgenmantel, und er trank Unmengen an Kaffee, den er selbst aus drei Varietäten zusammenmischte.

„Bitte nicht stören, bin bei der Arbeit“

Arthur Conan Doyle („Sherlock Holmes“) schrieb gerne auf Reisen und bestellte deshalb bei einem Pariser Lederwarenhersteller einen Kofferschreibtisch – groß wie ein Schrankkoffer, geräumig wie ein Schreibtisch. Stephen King („Es“) ist ein Schild wichtig, auf dem steht: „Bitte nicht stören, bin bei der Arbeit.“ Und Haruki Murakami („Mister Aufziehvogel“) schreibt in einem Büro mit 10.000 Schallplatten. Auf seinem Schreibtisch stehen Talismane aus der ganzen Welt, unter anderem ein geschnitzter Fuß mit eingravierter Spinne.

Die einzelnen Kurzporträts sind jeweils eine bis vier Seiten lang, ins Deutsche übertragen hat sie Birgit Lamerz-Beckschäfer. Darüber hinaus erfahren wir in kleinen Einschüben allerlei Wissenswertes über Schreibmaschinen, Sitzmöbel, Tinte, die Inspiration namens Kaffeehaus oder die ungewöhnliche und unbequem klingende Art, im Liegen zu schreiben.

Bedauerlicherweise finden sich in diesem anschaulichen Buch jedoch keine Porträts deutschsprachiger Literaten, dabei gäbe es in Deutschland, Österreich und der Schweiz doch allerlei schriftstellerische Prominenz von Weltrang. Das ist bitter und nicht zu verstehen, heißt es doch im Klappentext, Johnson unternähme eine Reise durch die Weltliteratur. Wo also ist Goethe? Arthur Schnitzler? Max Frisch? Allenfalls werden Johann Wolfgang von Goethe, Franz Kafka und Friedrich von Schiller sowie die Philosophen Walter Benjamin und Friedrich Engels im Register am Ende des Buches erwähnt, weil sie in einem der 50 anderen Porträts in Nebensätzen vorkommen.

Wunderbar farbig illustriert

Der 1969 geborene Alex Johnson ist Journalist, Blogger und Autor. Er studierte am The Queen’s College in Oxford und lebt heute mit seiner Frau, drei Kindern und zahllosen Büchern aus aller Welt, wohl aber nicht aus dem deutschsprachigen Raum, in London. Zuletzt ist von ihm auf Deutsch das Buch „Bücher-Möbel: Über 300 Ideen für das Leben mit Büchern“ (2012) erschienen. Johnsons „Schreibwelten“-Buch ist ganz wundervoll farbig illustriert worden von dem ebenfalls britischen Zeichner und Illustrator James Oses, dessen Werke zahlreiche Buchveröffentlichungen schmücken und auch in britischen Tageszeitungen wie dem Guardian zu sehen waren.

Abgesehen vom Manko der fehlenden deutschsprachigen Literatur ist „Schreibwelten“ ein informatives und unterhaltsames Kleinod, das sich nicht nur als Geschenk für Bücherfreund*innen eignet, sondern auch hervorragend manche Bücherstapel krönt oder auf Couchtischen einen exzellenten Blickfang bietet.

Alex Johnson: Schreibwelten, Wissenschaftliche Buchgesellschaft (wbg Theiss), Darmstadt, 2023, 192 Seiten, gebunden, 28 Euro, ISBN 978-3806245646, Leseprobe

Seitengang dankt der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars.

Cash auf die Kralle

Der Berliner Comic-Zeichner Reinhard Kleist gehört seit Jahren zu den wichtigsten deutschen Comic-Autoren der Gegenwart. Seinen Durchbruch schaffte er 2006 mit „Cash – I see a darkness“, einer Comic-Biografie der verstorbenen Country-Legende Johnny Cash. Pünktlich zum 20. Todestag des wahrscheinlich bekanntesten Country-Sängers am 12. September 2023 hat der Carlsen-Verlag nun eine überarbeitete und zum ersten Mal kolorierte Hardcover-Neuauflage des Comic-Klassikers auf den Markt gebracht. War diese Musik-Biographie schon 2006 umwerfend konzipiert, gezeichnet und erzählt, ist sie nun in würdiger Pracht (neu) zu entdecken.

„Hello, I’m Johnny Cash.“ So hieß nicht nur Cashs 33. Album, das 1970 bei Columbia Records erschien, sondern so eröffnete Cash buchstäblich schlicht und ergreifend seine Konzerte. „Hello, I’m Johnny Cash.“ Und dann ging’s los.

Wer bis Ende 2005 noch kein Cash-Fan war, konnte dem ambivalenten Zauber spätestens zu dem Zeitpunkt erliegen, als der autobiographische Film „Walk the Line“ in die Kinos kam, in Deutschland im Februar 2006. Da war Johnny Cash bereits zweieinhalb Jahre tot. Körperlich tot, denn Bob Dylan prophezeite im Musik-Magazin Rolling Stone im Oktober 2003: „Er wird niemals sterben oder vergessen werden, nicht einmal von Menschen, die heute noch gar nicht geboren sind, und das für immer.“ Er könnte recht behalten.

Neuer, poetischer Blick

Im September 2006 erschien schließlich Kleists umfangreicher Comic-Roman „Cash – I see a darkness“ und verschaffte selbst jenen Fans, die den Sänger und seinen Lebensweg bestens zu kennen glaubten, einen neuen, poetischen Blick auf das ungestüme Leben des Johnny Cash.

Von dieser Faszination hat der Comic auch 17 Jahre später nichts verloren, denn Kleist geht die Sache anders an als der Kinofilm, dessen Bilder und Musik vielen im Gedächtnis geblieben sind, der aber Cashs Biographie nur bis Anfang der 1970er Jahre erzählt. Kleist geht darüber hinaus und zeigt auch die späte Zusammenarbeit mit dem US-amerikanischen Musikproduzenten Rick Rubin, aus der die inzwischen auch schon Musikgeschichte gewordenen „American Recordings“ (1994-2010) entstanden sind, die auch außerhalb der Country-Szene große Anerkennung fanden.

Reinhard Kleist gelingt es, aus den bekannten Eckpunkten eine Lebensgeschichte zu zeichnen, die dem Weltstar gerecht wird, ihn aber auch nicht zu sehr heroisiert, sondern die schonungslos die harten Schnitte offenbart, die für romantisierende Filmbiographien eher ungeeignet sind. Johnny Cash war nun mal kein Heiliger. Wo der Kinofilm „Walk the Line“ vor allem die Liebesgeschichte zwischen Johnny Cash und June Carter thematisiert, konzentriert sich Kleist auf den Musiker.

„Ich wollte dasselbe in eine Bildebene übersetzen“

Als er mit der Arbeit an dem Comic begann, war Kleist schon lange ein Fan von Johnny Cash. „Seine düstere Weltsicht, sein Erscheinungsbild und, ja, auch seine Sexyness“ hatten Kleist immer schon fasziniert, erzählt er in einem kurzen Interview, das sein Verlag kürzlich mit ihm führte. Cash habe es immer verstanden, Musik und das Erzählen von Geschichten zusammenzubringen. „In vielen Songs benutzte er seine Musik, um die Handlungen zu illustrieren – ich wollte dasselbe in eine Bildebene übersetzen“, erklärt er weiter.

Und so setzt Kleist einige der Cash-Hits wie „Folsom Prison Blues“, „A Boy Named Sue“ oder „Cocaine Blues“ raffiniert grafisch um und lässt die Liedtexte zu kleinen Comic-Sequenzen werden. Boom-chicka-boom!

Stark sind außerdem die Panels, als Cash zunehmend tablettensüchtig wird, sich zum Sterben in eine Höhle zurückzieht und schließlich im Herbst 1967 einen schwierigen Entzug durchlebt. Den inneren Kampf mit der Sucht hat Kleist so beeindruckend eingefangen, dass man beim Lesen stark mitleidet. Das geht an die Substanz, und es zeugt von der Brillanz des Comic-Zeichners.

Neuauflage behutsam koloriert

Die Bilder sind ausdrucksstark, lebendig und realistisch, vor allem die Gesichtszüge des „Man in Black“ werden gekonnt in Szene gesetzt. War die Ausgabe von 2006 noch durchgängig schwarz-weiß, hat Kleist die Neuauflage behutsam koloriert, ohne den Charme der Ursprungsversion zu zerstören. Für die neue Edition hat der Berliner den „Cash“-Band noch einmal von vorne bis hinten durchgearbeitet und nur an einigen Stellen den Text etwas verändert und angepasst.

„Cash – I see a darkness“ ist immer noch eine lesenswerte, detailreiche Liebeserklärung an einen Künstler, der zwar nie im Knast eine Strafe absitzen musste, aber zwei herausragende Konzert-Alben in Strafanstalten aufnahm – und zeitweise selbst dicke Gefängnismauern um sich herum errichtete. Eine wichtige Stimme in Kleists Comic ist die des Erzählers und Folsom-Prison-Insassen Glen Sherley. Er sagt an einer Stelle: „Am Ende sind es die Geschichten, die bleiben, nicht die Fakten. Und Geschichten müssen erzählt werden.“ Cash war ein Geschichtenerzähler, wie auch Kleist einer ist: immer authentisch. Wie gut, dass die beiden einander gefunden haben!

Reinhard Kleist: Cash – I see a darkness, Carlsen-Verlag, Hamburg, 2023, 224 Seiten, gebunden, 26 Euro, ISBN 978-3551760005, Leseprobe