An den Schreibtischen der Weltliteratur

Jetzt, wo die Tage wieder kürzer werden und wir uns zum Lesen behaglich in unsere Häuser und Wohnungen zurückziehen, fragt sich manch eine*r vielleicht, wie die großen Schriftstellerinnen und Schriftsteller ihre Bestseller schufen. Welche Schreibrituale sie hatten. An welchen Schreibtischen sie saßen. Wohin ihr Blick ging, wenn sie von der Schreibmaschine oder den handschriftlichen Notizen aufblickten. Und was in ihrem Schreibzimmer zu finden war. Antworten auf diese Fragen gibt das wunderschön illustrierte Buch „Schreibwelten“ des britischen Journalisten Alex Johnson, das im Jahr 2023 in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft erschienen ist.

Bereits den Einband ziert eine Zeichnung von Sylvia Plaths Arbeitszimmer in ihrem Landhaus Court Green in North Tawton, Devon. Im Inneren des Buches erfahren wir, dass Plath („Die Glasglocke“) anfangs oft im Wohnzimmer schrieb, manchmal mit einem tragbaren Elektroofen unter dem Tisch, damit ihr nicht kalt wurde. Später dann hatte sie ein eigenes Arbeitszimmer, und ihr Blick fiel von dort auf eine Kirche aus dem 13. Jahrhundert und eine uralte Eibe, die in mehreren ihrer Gedichte vorkommt.

50 lebende und verstorbene Autorinnen und Autoren versammelt Johnson in seinem Buch, und wir erfahren dabei allerlei Erstaunliches: Margaret Atwood („Der Report der Magd“) schreibt auch im Liegen oder Hocken. Jane Austen („Stolz und Vorurteil“) stellte ihre Tinte aus Galläpfeln und Eisensulfat selbst her. Honoré de Balzac („Die menschliche Komödie“) trug beim Schreiben rote Pantoffeln und einen weißen Morgenmantel, und er trank Unmengen an Kaffee, den er selbst aus drei Varietäten zusammenmischte.

„Bitte nicht stören, bin bei der Arbeit“

Arthur Conan Doyle („Sherlock Holmes“) schrieb gerne auf Reisen und bestellte deshalb bei einem Pariser Lederwarenhersteller einen Kofferschreibtisch – groß wie ein Schrankkoffer, geräumig wie ein Schreibtisch. Stephen King („Es“) ist ein Schild wichtig, auf dem steht: „Bitte nicht stören, bin bei der Arbeit.“ Und Haruki Murakami („Mister Aufziehvogel“) schreibt in einem Büro mit 10.000 Schallplatten. Auf seinem Schreibtisch stehen Talismane aus der ganzen Welt, unter anderem ein geschnitzter Fuß mit eingravierter Spinne.

Die einzelnen Kurzporträts sind jeweils eine bis vier Seiten lang, ins Deutsche übertragen hat sie Birgit Lamerz-Beckschäfer. Darüber hinaus erfahren wir in kleinen Einschüben allerlei Wissenswertes über Schreibmaschinen, Sitzmöbel, Tinte, die Inspiration namens Kaffeehaus oder die ungewöhnliche und unbequem klingende Art, im Liegen zu schreiben.

Bedauerlicherweise finden sich in diesem anschaulichen Buch jedoch keine Porträts deutschsprachiger Literaten, dabei gäbe es in Deutschland, Österreich und der Schweiz doch allerlei schriftstellerische Prominenz von Weltrang. Das ist bitter und nicht zu verstehen, heißt es doch im Klappentext, Johnson unternähme eine Reise durch die Weltliteratur. Wo also ist Goethe? Arthur Schnitzler? Max Frisch? Allenfalls werden Johann Wolfgang von Goethe, Franz Kafka und Friedrich von Schiller sowie die Philosophen Walter Benjamin und Friedrich Engels im Register am Ende des Buches erwähnt, weil sie in einem der 50 anderen Porträts in Nebensätzen vorkommen.

Wunderbar farbig illustriert

Der 1969 geborene Alex Johnson ist Journalist, Blogger und Autor. Er studierte am The Queen’s College in Oxford und lebt heute mit seiner Frau, drei Kindern und zahllosen Büchern aus aller Welt, wohl aber nicht aus dem deutschsprachigen Raum, in London. Zuletzt ist von ihm auf Deutsch das Buch „Bücher-Möbel: Über 300 Ideen für das Leben mit Büchern“ (2012) erschienen. Johnsons „Schreibwelten“-Buch ist ganz wundervoll farbig illustriert worden von dem ebenfalls britischen Zeichner und Illustrator James Oses, dessen Werke zahlreiche Buchveröffentlichungen schmücken und auch in britischen Tageszeitungen wie dem Guardian zu sehen waren.

Abgesehen vom Manko der fehlenden deutschsprachigen Literatur ist „Schreibwelten“ ein informatives und unterhaltsames Kleinod, das sich nicht nur als Geschenk für Bücherfreund*innen eignet, sondern auch hervorragend manche Bücherstapel krönt oder auf Couchtischen einen exzellenten Blickfang bietet.

Alex Johnson: Schreibwelten, Wissenschaftliche Buchgesellschaft (wbg Theiss), Darmstadt, 2023, 192 Seiten, gebunden, 28 Euro, ISBN 978-3806245646, Leseprobe

Seitengang dankt der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars.

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