Cash auf die Kralle

Der Berliner Comic-Zeichner Reinhard Kleist gehört seit Jahren zu den wichtigsten deutschen Comic-Autoren der Gegenwart. Seinen Durchbruch schaffte er 2006 mit „Cash – I see a darkness“, einer Comic-Biografie der verstorbenen Country-Legende Johnny Cash. Pünktlich zum 20. Todestag des wahrscheinlich bekanntesten Country-Sängers am 12. September 2023 hat der Carlsen-Verlag nun eine überarbeitete und zum ersten Mal kolorierte Hardcover-Neuauflage des Comic-Klassikers auf den Markt gebracht. War diese Musik-Biographie schon 2006 umwerfend konzipiert, gezeichnet und erzählt, ist sie nun in würdiger Pracht (neu) zu entdecken.

„Hello, I’m Johnny Cash.“ So hieß nicht nur Cashs 33. Album, das 1970 bei Columbia Records erschien, sondern so eröffnete Cash buchstäblich schlicht und ergreifend seine Konzerte. „Hello, I’m Johnny Cash.“ Und dann ging’s los.

Wer bis Ende 2005 noch kein Cash-Fan war, konnte dem ambivalenten Zauber spätestens zu dem Zeitpunkt erliegen, als der autobiographische Film „Walk the Line“ in die Kinos kam, in Deutschland im Februar 2006. Da war Johnny Cash bereits zweieinhalb Jahre tot. Körperlich tot, denn Bob Dylan prophezeite im Musik-Magazin Rolling Stone im Oktober 2003: „Er wird niemals sterben oder vergessen werden, nicht einmal von Menschen, die heute noch gar nicht geboren sind, und das für immer.“ Er könnte recht behalten.

Neuer, poetischer Blick

Im September 2006 erschien schließlich Kleists umfangreicher Comic-Roman „Cash – I see a darkness“ und verschaffte selbst jenen Fans, die den Sänger und seinen Lebensweg bestens zu kennen glaubten, einen neuen, poetischen Blick auf das ungestüme Leben des Johnny Cash.

Von dieser Faszination hat der Comic auch 17 Jahre später nichts verloren, denn Kleist geht die Sache anders an als der Kinofilm, dessen Bilder und Musik vielen im Gedächtnis geblieben sind, der aber Cashs Biographie nur bis Anfang der 1970er Jahre erzählt. Kleist geht darüber hinaus und zeigt auch die späte Zusammenarbeit mit dem US-amerikanischen Musikproduzenten Rick Rubin, aus der die inzwischen auch schon Musikgeschichte gewordenen „American Recordings“ (1994-2010) entstanden sind, die auch außerhalb der Country-Szene große Anerkennung fanden.

Reinhard Kleist gelingt es, aus den bekannten Eckpunkten eine Lebensgeschichte zu zeichnen, die dem Weltstar gerecht wird, ihn aber auch nicht zu sehr heroisiert, sondern die schonungslos die harten Schnitte offenbart, die für romantisierende Filmbiographien eher ungeeignet sind. Johnny Cash war nun mal kein Heiliger. Wo der Kinofilm „Walk the Line“ vor allem die Liebesgeschichte zwischen Johnny Cash und June Carter thematisiert, konzentriert sich Kleist auf den Musiker.

„Ich wollte dasselbe in eine Bildebene übersetzen“

Als er mit der Arbeit an dem Comic begann, war Kleist schon lange ein Fan von Johnny Cash. „Seine düstere Weltsicht, sein Erscheinungsbild und, ja, auch seine Sexyness“ hatten Kleist immer schon fasziniert, erzählt er in einem kurzen Interview, das sein Verlag kürzlich mit ihm führte. Cash habe es immer verstanden, Musik und das Erzählen von Geschichten zusammenzubringen. „In vielen Songs benutzte er seine Musik, um die Handlungen zu illustrieren – ich wollte dasselbe in eine Bildebene übersetzen“, erklärt er weiter.

Und so setzt Kleist einige der Cash-Hits wie „Folsom Prison Blues“, „A Boy Named Sue“ oder „Cocaine Blues“ raffiniert grafisch um und lässt die Liedtexte zu kleinen Comic-Sequenzen werden. Boom-chicka-boom!

Stark sind außerdem die Panels, als Cash zunehmend tablettensüchtig wird, sich zum Sterben in eine Höhle zurückzieht und schließlich im Herbst 1967 einen schwierigen Entzug durchlebt. Den inneren Kampf mit der Sucht hat Kleist so beeindruckend eingefangen, dass man beim Lesen stark mitleidet. Das geht an die Substanz, und es zeugt von der Brillanz des Comic-Zeichners.

Neuauflage behutsam koloriert

Die Bilder sind ausdrucksstark, lebendig und realistisch, vor allem die Gesichtszüge des „Man in Black“ werden gekonnt in Szene gesetzt. War die Ausgabe von 2006 noch durchgängig schwarz-weiß, hat Kleist die Neuauflage behutsam koloriert, ohne den Charme der Ursprungsversion zu zerstören. Für die neue Edition hat der Berliner den „Cash“-Band noch einmal von vorne bis hinten durchgearbeitet und nur an einigen Stellen den Text etwas verändert und angepasst.

„Cash – I see a darkness“ ist immer noch eine lesenswerte, detailreiche Liebeserklärung an einen Künstler, der zwar nie im Knast eine Strafe absitzen musste, aber zwei herausragende Konzert-Alben in Strafanstalten aufnahm – und zeitweise selbst dicke Gefängnismauern um sich herum errichtete. Eine wichtige Stimme in Kleists Comic ist die des Erzählers und Folsom-Prison-Insassen Glen Sherley. Er sagt an einer Stelle: „Am Ende sind es die Geschichten, die bleiben, nicht die Fakten. Und Geschichten müssen erzählt werden.“ Cash war ein Geschichtenerzähler, wie auch Kleist einer ist: immer authentisch. Wie gut, dass die beiden einander gefunden haben!

Reinhard Kleist: Cash – I see a darkness, Carlsen-Verlag, Hamburg, 2023, 224 Seiten, gebunden, 26 Euro, ISBN 978-3551760005, Leseprobe

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