Vom Vögeln statt Lieben

Maria RosenblattSex spielt in dem neuen Roman von Corinna T. Sievers eine wichtige Rolle. Maria Rosenblatt, die herrische Chefin in einem männerdominierten Kommissariat der Stadtpolizei in Zürich, ermittelt in mehreren Fällen von Kinderpornografie, die sie an ihre Belastungsgrenze bringen. Sie selbst ist süchtig nach Sex und Liebe, ihr Ehemann aber hat zum letzten Mal mit ihr geschlafen, als sie vor fünf Jahren die zweite Tochter zeugten. Was also tun? Der Roman ist offen und direkt: Es wird gefickt und gelitten in diesem wirklich lesenswerten, harten Psychogramm einer starken Frauengestalt. Männer sind hier nur Kretins.

Maria Rosenblatt ist 45 Jahre alt und steckt in einer Ehe, bei der Mann und Frau mehr Lebenspartner als Sexualpartner sind. Auch die Kommunikation ist auf der Strecke geblieben. Geäußert wird nur noch ein verwässertes Etwas der Essenz. Maria rackert sich ab, beruflich wie privat, sendet hoffnungsvoll Signale eines noch nicht erkalteten Interesses an ihrem Mann und ihrer Ehe und erntet doch nur Vorwürfe, sie kümmere sich nicht ausreichend um die Kinder.

Auch in ihrem aktuellen Fall geht es um Kinder. Unbekannte Täter fotografieren tote Kinder in pornografischer Art und Weise. Durch Zufall wird ein Handy mit entsprechenden Bildern gefunden, die offenbar per MMS verschickt worden sind, von Prepaidhandy zu Prepaidhandy, nicht nachzuverfolgen. Die Bilder in der Akte, vor Augen und im Kopf belasten nicht nur Maria, sondern gehen auch dem Leser an die Nieren.

Als Frau männlich sein

Die Ermittlungen sind zäh. Dabei ist es nicht hilfreich, dass Maria auch im Kommissariat an verschiedenen Fronten kämpfen muss. Im Grunde muss sie als Frau männlich sein, schroff, herrisch, streng. Um für die Männer nicht nur eine Frau, sondern die Vorgesetzte zu sein.

Sie ist genervt von einem Kollegen, der sich in ihrer Gegenwart ungeniert zwischen die Beine fasst. Ein anderer, Detlef, war einst ihr Liebhaber. Er behauptet, seitdem nur noch blonde Frauen vögeln zu können. Zu vögeln, nicht zu lieben. Sie hatte ihn damals verlassen, weil er nicht fähig war, ihr beim Sex schmutzige Worte ins Gesicht zu sagen. Darauf steht sie: Dirty Talk. Stattdessen war er ihr hörig.

In den Armen des neuen, ihr vorgesetzten Staatsanwalts findet sie einen Zufluchtsort, zwischen seinen Beinen einen Zu-Ficken-Ort. Es ist die Flucht vor der totalen Erschöpfung. Beim Steinmetz am See bestellt sie ihren eigenen Grabstein. Sie zahlt ihn an, doch am nächsten Tag storniert sie den Auftrag. „Abends im Bett hatte sie Hannes gefragt, ob es ihm auch so ginge, dass er die Toten um ihre Ruhe beneide.“ Ruhe. Mitunter findet sie die, wenn sie am See steht, ein wenig abseits der Autostraße in die Stadt. Ansonsten betäubt sie sich mit Alkohol.

Klare, sehr nüchterne Wortwahl

Die Figur der Maria Rosenblatt ist keine Sympathieträgerin. Doch gerade das ist einer der wichtigsten Aspekte des neuen Romans der Ärztin und Autorin Corinna T. Sievers. Einer netten, zuvorkommenden Frau nähme man die Geschichte nicht ab. Sie muss also eine harte, toughe Frau sein, wild und schamlos. Das Buch steht ihr in nichts nach. Es ist ein kurzer, nur rund 140 Seiten umfassender Kanten, der sich mit Wucht ins Gehirn hämmert. Hier wird nichts beschönigt. In klarer, sehr nüchterner Wortwahl beschreibt Sievers den atemlosen Kampf dieser Frau.

In einem Interview mit der in Bielefeld erscheinenden Tageszeitung Neue Westfälische erklärte Sievers eine der Intentionen ihres Buches: „Ich verstehe mein Buch (…) auch als Hilfeschrei einer Ärztin, die in ihrer Profession fast immer nur von Männern umgeben ist, die oftmals nicht trennen können zwischen dem Erotischen und dem Intellektuellen, wenn sie einer Frau begegnen.“

Der Roman ist wahrlich kein freudiges Leseerlebnis. Und dennoch ist es ganz und gar lesenswert. Ein ernsthaftes, wichtiges Buch.

Corinna T. Sievers: Maria Rosenblatt, Verlag Lutz Schulenburg (Edition Nautilus), Hamburg, 2013, 143 Seiten, gebunden, 16 Euro, ISBN 978-3894017798, Leseprobe

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