„Haben Sie Sorgen? Schreiben Sie Miss Lonelyhearts!“ Diesem Angebot der New Yorker „Post-Dispatch“ folgen immer mehr Leserinnen und Leser, und auf dem Schreibtisch der Kummerkastentante stapeln sich die Briefe ratsuchender Menschen. Doch Miss Lonelyhearts ist nicht nur keine Frau, sondern ihre Tipps und Anregungen sind auch noch dreist erlogen. Nathanael West hat daraus einen schwachen Roman gemacht, der erstaunlicherweise von Schriftstellerkollegen und der Presse hoch gelobt wurde.
„Miss Lonelyhearts“ spielt in den Jahren 1930/1931. Viele Zeitungen haben eine regelmäßig erscheinende Ratgeberkolumne, in der mehr oder minder berufene Journalisten die meist banalen Alltagsprobleme der Leserschaft zu lösen vorgeben. Je triefender, trivialer oder anrüchiger die Problematik, desto höher ist die Begeisterung bei der Leserschaft der Boulevardblätter, die sich vornehmlich dieser Kategorie der journalistischen Darstellungsform befleißigen.
Und so hat also auch der „Post-Dispatch“ eine solche Kolumne, doch seine Kummerkastentante zeigt erste Anzeichen der Erschöpfung. Tag für Tag kommen mehr als 30 Briefe, und Miss Lonelyhearts, die ein Mister ist, findet keine Worte mehr, die nach Ehrlichkeit und Hilfsbereitschaft klingen. Miss Lonelyhearts ist am Ende. Der Winter hängt über der Stadt, seine Behausung ist „so voller Schatten wie ein alter Stahlstich“, und selbst der Whisky in seiner Stammkneipe kann ihn nicht erwärmen. „Wenn er nur an Christus glauben könnte, dann wäre Ehebruch eine Sünde, dann wäre alles einfach, und die Briefe wären überaus leicht zu beantworten.“
Dilemma der Moral
Religion spielt eine gewichtige Rolle in diesem Roman, „Christus“ scheint oft die wirkliche und einzige Antwort auf alle brieflichen Fragen – das Christus-Business, wie sein Feuilletonredakteur und Vorgesetzter die Sache nennt. Stattdessen aber lässt Miss Lonelyhearts das Beantworten der Briefe sein, es hat ja doch kein Zweck, und versteift sich in doppeldeutigem Sinne bei Hausbesuchen von hilfesuchenden Damen. Er zerbricht an dem Dilemma der Moral.
Das alles ist schön und gut, aber beileibe keine übertriebenen Lobeshymnen wert. Der US-amerikanische Schriftsteller Samuel Dashiell Hammett („Der dünne Mann“) erklärte nach Angaben des Manesse-Verlags: „‚Miss Lonelyhearts‘ ist aus dem Stoff, aus dem unsere Zeitungen sind – bloß dass West die Wahrheit erzählt.“ Nun, das ist famos. Aber solcherlei Lob lässt sich auf vielerlei Buchrücken drucken, das ist kein Alleinstellungsmerkmal. Ja, West schreibt leichtfüßig, ohne viele Schnörkel und verschachtelte Sätze. Kurz, prägnant, sachlich, fast ein wenig zu sehr distanziert. Das passt zu einem Text, der sich mit dem Zeitungsmilieu beschäftigt. Aber es ist keine Wucht.
Die Geschichte der Kummerkastentante bleibt schwach. Es ist eine zynische Abwärtsspirale, die unweigerlich in die Tragik führt. Am Ende müsste Miss Lonelyhearts wohl einen Brief an sich selbst schreiben, dermaßen trostlos steht es um ihn. Vortrefflich von Dieter E. Zimmer übersetzt – die erste Übersetzung der „Miss Lonelyhearts“ ins Deutsche seit 1961 -, sind es aber vor allem seine Anmerkungen und sein Nachwort, die den Roman schlußendlich erst nachvollziehbar machen.
Nathanael West: Miss Lonelyhearts, Manesse Verlag, Zürich, 2012, 170 Seiten, gebunden, mit Lesebändchen, 19,95 Euro, ISBN 978-3717522744
Ich kann mich der Kritik nur anschließen. Durch den gesamten – wenn auch kurzen – Roman musste ich mich quälen, nur um am Ende der Hauptfigur Miss Lonelyhearts doch nicht näher zu sein als am Anfang. Das Positive an dem Buch sind der Schreibstil, die Briefe (sie geben einen Eindruck von den Nöten der Menschen in 1930/1931) und das Nachwort, das glücklicherweise vieles erklärt. Mehr aber nicht.