Rum prüfe, wer sich ewig bindet

Man sagt, der Tag der Eheschließung sei der schönste des Lebens. Als die 23-jährige Dolly Thatcham am Morgen ihrer Hochzeit im Brautzimmer steht, sieht das nicht ganz danach aus. Am Mittag soll sie den etwas älteren ehrenwerten Owen Bingham ehelichen, mit dem sie erst seit einem Monat verlobt ist. „So wie es sein sollte.“

So wie es sein sollte? Julia Stracheys tragikomischer Roman „Heiteres Wetter zur Hochzeit“ spielt Anfang der 1930er Jahre in einem Landhaus in der englischen Grafschaft Dorset. Das Buch ist jetzt zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt worden. In der gehobenen Gesellschaft werden Hochzeiten von der Familie arrangiert und sind meist keine Bünde der Liebe. Die junge Dolly hatte keine Wahl, sich den richtigen Partner auszusuchen und zu prüfen, bevor sie sich ewig bindet. Ratlos steht sie da, trinkt Rum aus der Flasche, und fragt und fragt und fragt sich: Ist Owen wirklich der richtige Mann?

Derweil geht treppab im Erdgeschoss die Luzi ab. Oder vielmehr: die Familie. Denn Cousins und Cousinen, Freunde und entfernte Verwandte rücken an, um diesem freudigen Ereignis beizuwohnen. Die Bediensteten versuchen, allen Befehlen der Hausherrin gerecht zu werden, die mit zunehmendem Trubel mehr und mehr den Überblick verliert und etwa mehrere Gäste im selben Zimmer einquartiert: „Mum, wie viele Leute sollen denn noch ins violette Zimmer? Bob! Mr. Spigott! Tante Bella! Miss Spoon! – Nur schade, dass das Bett so schmal ist!“ Der Köchin sagt sie erst, sie solle mehr Leberpastete machen als sonst, dann wieder nicht. Zwei Stunden später pfeift sie die Unglückliche zusammen, wo denn mehr Leberpastete bliebe. Es ist furchtbar und furchtbar komisch zugleich, wie Mrs. Thatcham alles über den Kopf wächst.

„Keine angemessenen Socken für eine Hochzeit“

Nebenan streiten sich der 13-jährige Robert und sein älterer Bruder Tom raufend um die Strümpfe, die Robert bei der Trauung zu tragen gedenkt. „Deine Mutter würde zweifellos wollen, dass du dich nach oben begibst, zum Zwecke, diese unmöglichen Socken zu wechseln.“ Smaragdgrün sind die. Ohne Anzeichen von Unmöglichkeit. Doch Tom fährt stichelnd fort: „Robert. Robert. Robert.“ Und wieder: „Das sind bei einer Hochzeit keine angemessenen Socken für einen Gentleman.“ Robert pariert stets mit: „Hau ab und steck deinen Kopf in eine Tüte.“

Währenddessen werden Teewagen in den Salon geschoben, vor der Tür fährt das Automobil der mondänen, geliebt-gefürchteten Tante Bella vor, der Bräutigam sucht die Trauringe, es klappert und lärmt, und alles ist von einer aufgeregten Vorfreude beseelt. Doch treppauf ringt sich die zukünftige Mrs. Bigham die Hände und nimmt einen weiteren Schluck aus der Rum-Flasche. Und unten wartet hadernd ihre Sommerliebe aus dem vergangenen Jahr auf sie, Joseph Patten, Student der Anthropologie in London und immer noch schwer verliebt in Dolly. An diesem Tag ist er gekommen, um die Frau seines Herzens einen anderen Mann heiraten zu sehen.

Ein Tohuwabohu unten und eine Stille oben

Es ist ein Treppauf und Treppab, ein Tohuwabohu unten und eine Stille oben. Es ist der helle Wahnsinn im Erdgeschoss und die Panik vor der falschen Entscheidung im Brautzimmer. Dieses ganze Kammerspiel lebt von den brillant beschriebenen Charakteren, die Julia Strachey wie in einer Familienaufstellung zusammenschiebt. Schon bald gleicht der Hochzeitstag einem Pulverfass, bei dem Mrs. Thatcham irgendwie vergessen hat, dass sie gerade die Lunte angezündet hat.

„Heiteres Wetter zur Hochzeit“ hat Witz, spitze Bemerkungen, Glamour (Tante Bella!), eine angemessene Kürze (146 Seiten), skurrile Figuren und eine zauberhafte Braut. Die meisten Männer dagegen, allen voran der völlig blasse Bräutigam, taugen allenfalls zur Staffage.

Der kurze Roman der britischen Autorin und Fotografin (1901-1979) ist von Nicole Seifert wunderbar ins Deutsche übertragen worden. Es ist eine Wonne, wie hervorragend es ihr gelungen ist, den englischen Humor und den sprachlichen Scharfsinn in eine würdige, vergnügliche Übersetzung zu bringen. Dieses in blaues Leinen gebundene Büchlein ist eine Entdeckung!

Julia Strachey: Heiteres Wetter zur Hochzeit, Dörlemann-Verlag, Zürich, 2021, 159 Seiten, mit einem Nachwort von Frances Partridge, gebunden, mit Lesebändchen, 19 Euro, ISBN 978-3038200949, Leseprobe

Seitengang dankt dem Dörlemann-Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

%d Bloggern gefällt das: