Zwischen Porno und Poesie

Wer Jan Offs Roman „Unzucht“ nur als Porno und Masturbationsvorlage liest, versteht nicht, dass hier eine tragische Leidensgeschichte erzählt wird. Es wird gefickt und gevögelt, aber es ist ein Abarbeiten sexueller Phantasien, unterbrochen von Alkoholexzessen, nur um sich nicht eingestehen zu müssen, die Nähe eines anderen Menschen zu suchen.

Der Ich-Erzähler des Romans jobbt hier und da, versucht sich an der Schriftstellerei und schlägt sich ansonsten mit Drogen, wechselnden Sexbekanntschaften und Parties durch. Nach einer durchzechten Nacht in einem Club findet er zwei Bierdeckel in seiner Hosentasche. Darauf: Jeweils eine Telefonnummer, eine von Vera, eine ohne Namen. Er entscheidet sich dafür, die Namenlose anzurufen und landet nicht nur bei Tanja, sondern auch in ihrem Bett – der Beginn einer Sexbeziehung, die die Grenzen des Machbaren auslotet.

Es ist ein Buch der Vulgarität, denn hier schreibt kein Geringerer als Jan Off, der Punk-Literat der deutschen Poetry-Slam-Szene. Und deshalb ist es neben der Obszönität derart poetisch, dass es die Schubalde „Porno“ nicht verdient. Es ist reich an anstößigen Szenen, doch auch kunstvoll. Es ist voller ausschweifender, hemmungsloser Sexualität, doch auch zutiefst beklemmend. Und es ist das Zeitbild für eine sexualisierte Generation, eine ernste psychologische Studie. Und um jegliche Zweifel auszuräumen: Charlotte Roche ist von all dem meilenweit entfernt. Also: Heranwagen und lesen. Es lohnt sich.

Jan Off: Unzucht, Ventil Verlag, Mainz, 2009, 169 Seiten, Taschenbuch, 11,90 Euro, ISBN 978-3931555634

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