Paris im Jahr 1931: Hugo Cabret ist ein wundersamer Junge, der versteckt hinter den dicken Mauern des Bahnhofs Montparnasse lebt. Wenn er nicht gerade die Bahnhofsuhren aufzieht, auf dass sie weiterlaufen können, tüftelt er an einem Geheimnis, das er von seinem Vater übernommen hat: Der mechanische Mann.
Hugos Vater war Uhrmacher und arbeitete neben seinem Hauptgeschäft in einem Museum. Dort entdeckte er auf dem Dachboden den mechanischen Mann und erzählte seinem Sohn von dem Wunderwerk, wie er ihm auch von den Anfängen des Kinos erzählte. Es war die Zeit, als die Pioniere der Filmgeschichte die Idee der Kinos gebaren. Doch Hugos Vater fiel eines Tages einem tragischen Brand im Museum zum Opfer, und Hugo barg später als letzte Verbindung zum Vater den mechanischen Mann aus den Trümmern.
Fortan sollte er in der Obhut seines Onkels Claude bleiben und ihm helfen, die Bahnhofsuhren zu kontrollieren und aufzuziehen. Er lernte, wie man durch das alte Gemäuer kletterte, wie die Uhren funktionierten und wie sie zu reparieren waren. Er lernte aber auch, wie man stahl, denn bei Onkel Claude gab es kaum etwas zu essen. Bald überließ Onkel Claude seinem Neffen gänzlich die Aufgabe, nach den Uhren zu sehen. Er selbst blieb oft stundenlang weg und roch nach seiner Rückkehr nach Alkohol. Und dann kam der Tag, an dem Onkel Claude gar nicht mehr wiederkam. Und obwohl Hugo wusste, dass das Spiel gefährlich war, blieb er im Bahnhof, kontrollierte die Uhren, holte die Gehaltsschecks seines Onkels ab und hielt sich ansonsten hinter den Mauern versteckt – niemand sollte bemerken, dass sein Onkel nicht mehr da war. Denn jetzt konnte Hugo sich dem mechanischen Mann widmen.
„‚Reparier ihn.‘ Als er den Automaten ansah, glaubte er nicht, dass er es schaffen würde. Der mechanische Mann war in weitaus schlimmerem Zustand als vorher. Doch Hugo hatte noch das Notizbuch seines Vaters. Vielleicht konnte er ja die Zeichnungen seines Vaters als Anleitung benutzen, um die fehlenden Teile nachzubauen.“
Damit beginnt die Geschichte um den mechanischen Mann und ein noch viel faszinierenderes Geheimnis, dem Hugo auf die Spur kommen wird. Und er ist nicht allein: ein belesenes Mädchen mit einem seltsamen Schlüssel hilft ihm bei der Suche nach dem verborgenen Geheimnis seines Vaters und des mechanischen Mannes.
„Die Entdeckung des Hugo Cabret“ von Brian Selznick lässt sich mit Recht als eines der schönsten Kinder- und Jugendbücher bezeichnen, denn hier verweben sich Wort und Bild auf eine unnachahmliche Art und Weise. Textpassagen wechseln sich mit illustrierten Seiten ab, doch die Illustrationen begleiten nicht nur die Geschichte – sie führen sie fort. Es ist, als flimmere ein Film vor den Augen des Lesers. Dabei sind die Kohlezeichnungen teilweise sehr detailliert, doch Zeit zum Verweilen bleibt kaum, denn die Spannung lässt den Leser unentwegt nach der nächsten Seite greifen. Der New-York-Times-Illustrator Selznick hat hier wahrlich ein eindrucksvolles Buch geschaffen, das in einer Verfilmung von Martin Scorsese jetzt auch in den deutschen Kinos angelaufen ist. Der Film ist für insgesamt elf Oscars nominiert und gilt als einer der Hauptfavouriten. Für zehn Oscars nominiert ist zudem der Stummfilm „The Artist“ – es scheint, als träfe die Hommage an die Anfänge des Films einen Geschmack. Scorsese sagt in einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit: „Das alte Kino des Zelluloids verschwindet, das bewegte Bild verändert sich grundlegend durch neue Techniken. Aber erzählt wird immer noch eine Handlung in bewegten Bildern. Und ich bin ganz sicher, dass eines immer bleiben wird: das tiefe, fast archaische Bedürfnis, mit einer Gruppe von Menschen gemeinsam in einem Raum eine Geschichte erzählt zu bekommen.“
Das hätte ein schönes Schlusswort für eine Rezension geben können, doch es ist noch etwas anzufügen. So wunderschön dieses Buch ist, so vergriffen ist es in der gebundenen Ausgabe leider auch. Im cbj-Verlag ist im Jahr 2010 die aktuelle Taschenbuchausgabe erschienen, die gebundene jedoch wurde bis jetzt nicht wieder aufgelegt. Das ist wahrlich schade und unbegreiflich. Vielleicht aber kann der eine oder andere Oscar-Erfolg den Verlag dazu bringen, das Buch auch in der gebundenen Ausgabe wieder auf den Markt zu bringen. Bis dahin steht die Wahl zwischen einem Taschenbuch aus der Buchhandlung oder einem Hardcover aus dem Antiquariat.
Brian Selznick: Die Entdeckung des Hugo Cabret, cbj-Verlag, München, 2008, 544 Seiten, gebunden, derzeit vergriffen, ISBN 978-3570133002;
als Taschenbuchausgabe: cbj-verlag, München, 2010, 544 Seiten, Taschenbuch, 12,95 Euro, ISBN 978-3570221181
Update: Sowohl „The Artist“ als auch „Hugo“ räumten bei der Oscar-Verleihung 2012 jeweils fünf Oscars ab, Scorseses Film jedoch nur in den Nebenkategorien.
Top Zitat! Seit ich Scorsese bei der Arbeit sehen durfte (okay, nicht live – zugegeben war es die Stones-Doku) … nun ja, ohne Worte. Schöne Filmkritik auch, etwas viel „Story vorab“ vielleicht, aber der Verweis aufs Buch ist ne feine Sache. Überhaupt Buchverfilmungen: von „Watership Down“ bis „Clockwork Orange“ immer wieder lesenswert.
http://mfis.wordpress.com/2012/02/14/filmkritik-defendor-2009-anonymus-analog/
(Auch ein feiner, wenngleich kleiner Film)
Vielen Dank für das Lob! Auch wenn diese Rezension leider keine Filmkritik ist, sondern eine Buchkritik… seitengang ist nämlich ein Literatur-Blog. ;) Aber den Film, den Du empfohlen hast, werde ich mir mal ansehen.
Cool! Ich wusste gar nicht, dass der Film auf einem Buch basiert. Danke für den Tipp! Steht jetzt halt nur das Problem mit der Beschaffung…
Hallo Alex, als Taschenbuch gibt es das Buch ja noch zu kaufen. Für die gebundene Ausgabe würde ich Dir eine Suchanfrage bei zvab.com empfehlen. Oder Du wartest bei Ebay, bis jemand sein Exemplar verkauft. Ich habe meines geschenkt bekommen und gebe es sicher nicht wieder her. :)
Ah, okay, dann habe ich den Teil nicht richtig gelesen. Ich dachte, das Buch wäre insgesamt nicht mehr zu haben. Aber ein Taschenbuch wird’s sicher erstmal tun. Ich denke aber auch, dass der Verlag im Zuge der Verfilmung auch die gebundene Version wieder rausbringen wird.