Treffen sich ein österreichischer Auftragskiller, ein albanischer Drogenboss und eine Hamburger Staatsanwältin… So könnte ein schlechter Witz beginnen. Simone Buchholz‘ „Blaue Nacht“ ist weder Witz noch schlecht. Ihr neuster Wurf ist schlichtweg einer der besten Krimis dieses Frühjahrs. Völlig zu Recht hat er es im Mai auf der Bestenliste der Wochenzeitung „Die Zeit“ von Null auf Platz eins geschafft.
Die Hamburger Staatsanwältin Chastity Riley hat es nun wirklich nicht leicht. Zum einen ist sie als Halbamerikanerin mit dem furchtbaren Vornamen geschlagen, der immer noch partout falsch verstanden wird. Zum anderen aber ist sie mittlerweile zur Opferschutzbeauftragten degradiert worden, nachdem sie einen Vorgesetzten der Korruption überführt und einem Gangster die Familienplanung unmöglich gemacht hat. Cojones hat der jedenfalls allerhöchstens noch im übertragenen Sinne.
Ihr neuster Fall ist von drei üblen Jungs regelrecht fertig gemacht worden. Kaum ein Knochen ist nicht gebrochen, den rechten Zeigefinger hat er, schnipp-schnapp, gleich ganz verloren. Der Mann ohne Namen liegt im Krankenhaus, und ausgerechnet Riley soll nun rausfinden, wer das ist, und wer den Mann so zugerichtet hat. Der aber schweigt beharrlich und lässt sich nur durch die beherzte Astra-Zufuhr erweichen, überhaupt mal mit ein paar Infos rüberzuwachsen. Dadurch kommen Riley und ihre Kollegen einem Ganoven auf die Schliche, der seit Jahren unbehelligt sein Unwesen in der Hamburger Unterwelt treibt, weil er in den Mächtigen der Stadt ebensolche Schutzpatrone hat.
Starke Sprache
Was diesen Roman vor allem so stark macht, ist die Sprache. Was ist das nur für eine Autorin, die so kiezig, so lakonisch, so raubeinig schreibt, dann aber wieder so melancholische Bilder findet? Wer schöne Wörter und Ausdrücke sammelt, kann in „Blaue Nacht“ ein wahres Sammelsurium entdecken. „Der Mond hängt vor meinem Fenster, er ist drauf und dran, sich zu halbieren, und der Hafenstaub hat auch noch einen seiner speziellen Filter draufgepackt. Er sieht aus wie eine große, gelbe Kartoffel.“ Aus Fenstern „kullert gelbes Licht“, in Wohnungen hausen Menschen mit Namen „wie schlechtes Wetter: Niesgrau und Tuschrack“ und „im Hintergrund biegen sich ein paar unerhört magere Birken im Wind nach rechts. Industriegebietsbaumbestand.“
Und der Hamburger Lokalkolorit kommt selbstverständlich auch nicht zu kurz. Allenortens wird Astra gereicht, die Reeperbahn, St. Pauli, die Hafenfähren, die Elbphilharmonie finden ihren Weg in die Geschichte. Und wie schon in Heinz Strunks „Der goldene Handschuh“ ist auch bei Simone Buchholz eine Kiezkneipe einer der wesentlichen Schauplätze ihres Romans. Da wird nach allen Regeln der Kunst gesoffen, und auch Riley langt kräftig zu. Die „Blaue Nacht“ gibt es übrigens wirklich, eine Fußballkneipe, in einer Parallelstraße zur Reeperbahn. Und wie bei Buchholz dudelt auch hier regelmäßig die Jukebox.
Gefühlt ist Riley wirklich mehr in der Kneipe als mit dem Fall beschäftigt, und manchmal möchte man sie am Kragen aus der Kneipentür schleifen und sagen: Mädchen, nun mach doch mal, die Spannung lässt nach. Und schon hat er dich selbst gepackt, der Roman, denn du bist drin im Plot, du willst, dass Riley den Kopf von der Theke nimmt und die Ermittlungen vorantreibt. Etwas Besseres kann einem Roman und seinem Leser doch gar nicht passieren als die unmittelbare Nähe zur Protagonistin! Denn schon wenig später möchte man sich auch allzu gern auf einen leeren Hocker an der Theke schwingen und zwei weitere Astra bestellen, eins davon für Riley.
Crystal Meth und der neue Wahnsinn namens „Krok“
Das Subthema, die Modedroge Crystal Meth und der neue Wahnsinn namens Krokodil („Krok“), kommen dafür leider etwas zu kurz. Die Darstellung von Drogenabhängigen hätte im Vergleich zur übrigen Gewaltdarstellung etwas drastischer sein können. So wirkt Rileys Reaktion, als sie zum ersten Mal Krok-Abhängige sieht, etwas dürftig, blass, verhalten, wohl auch ungewöhnlich naiv für eine Staatsanwältin ihres Schlags: „Ich kann mich nicht bewegen und ich kann nichts sagen. Ich möchte: schreien. Weinen. So was darf es einfach nicht geben.“ Das ist eine Kleinmädchenrechnung. Und was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht.
„Blaue Nacht“ ist der sechste Teil der Reihe um die Staatsanwältin Chastity Riley, und man kann mit Fug und Recht behaupten, es ist auch der beste Teil bisher. Gelesen haben muss man die vorherigen Romane zum Verständnis nicht. Aber es schadet natürlich auch nicht. Möglicherweise war es für Buchholz ein geschickter Schachzug, für den neuen Band vom Verlag Droemer Knaur zu Suhrkamp zu wechseln. Die Aufmerksamkeit derzeit ist riesig. Möge sie noch lange anhalten und uns weitere so hervorragende Riley-Krimis besorgen. Noch ein Astra für uns zwei, Chastity?
Simone Buchholz: Blaue Nacht, Suhrkamp Verlag, Berlin, 2016, 238 Seiten, broschiert, 14,99 Euro, ISBN 978-3518466629, Leseprobe, Lesung bei zehnseiten.de, Simone Buchholz im Gespräch mit Ralf Grauel