Valerie Fritsch ist längst keine Unbekannte mehr. Spätestens seitdem der Suhrkamp-Verlag Anfang März 2015 ihren Roman „Winters Garten“ (Leseprobe) veröffentlicht hat, ist das Schriftstellerkollegium und die Literaturkritik von der jungen Autorin und ihrer Sprache begeistert. „Was macht Valerie Fritsch im Rest ihres Lebens, wenn sie jetzt schon so gut ist?“, fragt der Schweizer Autor Jürg Laederach. Und der österreichische Schriftsteller und Büchner-Preisträger Josef Winkler äußert sich frenetisch jubelnd: „Ich bin beglückt. Da kann man Gift oder Gegengift drauf nehmen, ich bin mir sicher, dass mit Valerie Fritsch ein Prosatalent in der österreichischen Gegenwartsliteratur aufgetaucht ist, von dem man noch viel hören wird.“
Winters Garten, das ist nicht nur „der Sehnsuchtsort, an den der Vogelzüchter Anton mit seiner Frau Frederike nach Jahren in der Stadt zurückkehrt“, wie der Verlag im Klappentext schreibt. Winters Garten ist auch der buchgewordene Wildwuchs von Valerie Fritschs Großmutter. Ein wilder Garten, den sie als Kind geliebt hat, obwohl die Großmutter in Kärnten „eigentlich ein böser Mensch“ war, bekennt Fritsch im Gespräch mit ORF-Moderatorin Katja Gasser. Ohnehin sei die Natur für sie ein „großer Kraftquell“. Sie sei schon mit einem großen Urvertrauen auf die Welt gekommen, sagt sie. „Mir fehlt die Angst, ich könnte nicht mehr zurückkommen.“ Dabei ist sie nicht nur Autorin, sondern als Photokünstlerin auch Weitgereiste und furchtlose Entdeckerin der gefährlicheren Ecken dieser Welt. Nur eines macht sie bange: „Ich habe totale Angst vor Schlangen.“ Sie müsse nur eine in der Zeitung sehen, dann beschleunige sich schon ihr Puls.
Bis zur Erschöpfung parat stehen
Schonungslos ehrlich ist Valerie Fritsch aber vor allem dann, wenn sie offenbart, dass der ihr zuteil gewordene Erfolg sie nicht nur anfangs überrascht und gefreut hat, sondern mittlerweile auch müde mache: „Ich weiß nicht mehr, wann ich das letzte Mal in meinem Bett geschlafen oder mit Menschen etwas unternommen habe, die ich wirklich kenne.“ Sie spricht davon, bis zur Erschöpfung immer parat zu stehen für die Leser, die Fans, den Verlag. Ständig auf Lesereise, ständig unterwegs, kaum im geschützten Raum der Familie, bei ihrem Hund, den sie so sehr liebt und der ihr Herzenswärme gibt. Und auch am Ende dieses Messetages wird ihre Stimme angeschlagen sein, weil sie aus ihrem Werk gelesen, gute und schlechte Fragen beantwortet und natürlich eifrig Bücher signiert und mit den Lesern geplaudert hat.
Aber auch das Romaneschreiben sei „Knochenarbeit“, sagt Valerie Fritsch. Gerade zum Ende eines Romans gerate sie in einen rauschartigen Zustand, in dem es nicht ungewöhnlich sei, dass sie frisch gewaschene Socken in den Kühlschrank lege oder ähnlich verquere Dinge tue. „Aber ganz am Ende gibt’s einen Schnaps, und dann ist alles wieder gut.“ Wer Valerie Fritsch beim Vorlesen zuhört („Winters Garten“ bei zehnseiten.de), läuft Gefahr, in einen ähnlichen Rausch zu geraten. Man möchte an ihren Lippen hängen, ihre eindringlichen Worte in sich aufsaugen dürfen, um sie für sich zu behalten und in passenden Augenblicken der Stille wieder hervornehmen zu können.
Valerie Fritsch: Winters Garten, Suhrkamp Verlag, Berlin, 2015, 154 Seiten, gebunden, 16,95 Euro, ISBN 978-3518424711
„Es war sehr chaotisch“
„Wir hatten anfangs eine große Auswahl von Gedichten meiner Mutter, die ich in Kartons entdeckt habe – es war sehr chaotisch“, erinnert sich Valerie Fritsch schmunzelnd. In einigen Sommertagen habe sie dann ein paar Gedichte hinzugeschrieben, und so sei schnell der nun vorliegende Lyrikband entstanden. Familie, das macht Valerie Fritsch auch in diesem Gespräch deutlich, ist für sie, die sie oft monatelang unterwegs ist, der Herzenshafen, in den ihr Schiff immer wieder gern zurückkehrt: „Ich freue mich jedes Mal auf die Familie, auf den Hund, ja, vor allem auf die weichen Ohren des Hundes.“
Valerie Fritsch/Gudrun Fritsch: kinder der unschärferelation, Leykam-Buchverlag, Graz, 2015, 88 Seiten, broschiert, 14,90 Euro, ISBN 978-3701179619
Dann aber verzettelt sich Muschg bei der Antwort auf die Frage nach dem Inhalt seines Buches. Er beginnt zu erklären, dass die Hauptfigur Historiker sei, und gerät darüber ins Fabulieren über Geschichte im Allgemeinen und Besonderen. Er schweift ab zum Kurz- und Langzeitgedächtnis der Menschen in Bezug auf die deutschsprachige Geschichte, vergleicht das Geschichtsverständnis seines Sohnes mit dem seinigen, und darf den nächsten und übernächsten Gedanken auch noch weiterspinnen, ohne von der Moderatorin unterbrochen zu werden. Inzwischen weiß der Zuhörer nicht mehr über das Buch als zu Beginn, wohl aber, dass Adolf Muschg offenbar selbst gerne der Leser seines Buches und Hörer seiner Worte ist.
Adolf Muschg: Die japanische Tasche, C.H.Beck Verlag, München, 2015, 484 Seiten, gebunden, 24,95 Euro, ISBN 978-3406682018
Gewalt als attraktive Handlungsoption
Das interessante Gespräch wurde live in der Sendung „Von Tag zu Tag“ im Radiosender Ö1 übertragen, so dass auch Hörer zugeschaltet werden konnten, um Fragen zu stellen. So mutmaßte ein Hörer, dass Gewalt doch etwas mit Überforderung zu tun habe und dass Menschen deshalb im wahrsten Sinne des Wortes über die Strenge schlagen würden. „Ja und nein“, antwortete Baberowski. Man dürfe nicht den Fehler machen und davon ausgehen, dass Gewalt vor allem in ärmlichen oder ungebildeten Verhältnissen zu Tage trete. Gewalt sei aber sehr wohl ein Ausdruck der Überforderung, wenn die Worte nicht mehr ausreichen, um gehört zu werden. „Der Gewalttäter bleibt im Gespräch“, formuliert Baberowski. Schlägt jemand zu, richte sich die Aufmerksamkeit sofort auf den Gewaltanwender und sein Opfer.
Gewalt definiert der bekannte Historiker als „Machtaktion der Unterwerfung, die auf den Körper wirkt“. „Gewalt braucht immer Opfer und Täter – Menschen müssen den Täter sehen, damit sie Gewalt verspüren“, meint Baberowski. Gewalt sei deshalb immer auch an das Erleben des Opfers gebunden. Mit struktureller Gewalt könne er deshalb nichts anfangen, die davon ausgeht, Gewalt äußere sich in der Beeinträchtigung von Minderheiten.
Jörg Baberowksi: Räume der Gewalt, S. Fischer Verlag, Frankfurt, 2015, 272 Seiten, gebunden, 19,99 Euro, ISBN 978-3100048189