Ein Lehrer geht in eine Schulvollversammlung und erschießt drei Schüler sowie eine Kollegin. Danach richtet er sich selbst. Das Motiv ist rätselhaft. Was wie der Beginn eines Krimis klingt, ist ein zutiefst erschütterndes menschliches Drama. Man sollte es gelesen haben.
Samuel Szajkowski ist der neue Geschichtslehrer an einer renommierten Londoner Schule. Dort hat er es von Anfang an schwer. Der ignorante Schulleiter, der ihn einstellt, weil er „der am wenigsten unterqualifizierte einer wahrlich nicht begeisternden Truppe“ von Bewerbern war, hält ihn zunächst für wichtigtuerisch und arrogant, später ist er nur noch genervt von ihm, lässt sich verleugnen, nur um nicht mehr von Szajkowski behelligt zu werden.
Eine ganz üble Figur von Lehrerpersönlichkeit an der Schule ist der Sportlehrer TJ, der schon beim ersten Kennenlernen an die Decke geht, als Szajkowski vermutet, er unterrichte Physik oder Latein und nicht etwa Sport. Schon bald schikaniert er Szajkowski, wo es nur geht. TJ versteht auch nicht, warum der Neue sich partout nicht Sam nennen lassen wollte. Denn TJ lässt sich selbst von seinen Schülern ganz kumpelhaft mit seinem Spitznamen ansprechen, sieht dabei aber nicht, dass die dessen Masche durchschaut haben. Für die Schüler ist TJ nur eine Abkürzung für illustre Spitznamen wie TittenJones und TeJakulator.
Mit Szajkowski aber gehen auch die Schüler nicht gerade zimperlich um. Schon in der ersten Schulstunde schlägt Ober-Rowdy Donovan den neuen Geschichtslehrer in die Flucht – weinend. Man kann sicherlich behaupten, dass Szajkowski der Lehrerrolle nicht unbedingt gewachsen ist und er wahrscheinlich den falschen Beruf ergriffen hat, aber was den Leser wirklich tief erschüttert, ist nicht nur Szajkowskis Hilflosigkeit, sondern vor allem das Versagen der Schule, das sich nach und nach entrollt. Und hier ist dem Autor wirklich ein Glanzstück gelungen: Es wechseln sich die Tonbandaufnahmen der Zeugenaussagen mit den Erzählungen über die Ermittlungen der Polizistin Lucia May ab, und so entspannt sich vor den Augen der Leser die ganze grauenhafte Geschichte, ohne jemals blutig zu werden.
May selbst wird im Büro von einem Kollegen drangsaliert und gemobbt, der Chief Inspector schaut zu und tut nichts – ein Spiegel zur Schule, denn dort ist es Szajkowski, dem das Leben zur Hölle gemacht wird, während der Schuldirektor wegschaut, weil ihm sein Posten und die Zukunft der Schule wichtiger sind. Und es ist nicht Szajkowski allein, der Opfer eines Systems wird. Es ist ungeheuerlich, so ungeheuerlich.
Mehr als die unbedingte Aufforderung auszusprechen, dieses Buch zu lesen, kann man als Rezensent nicht tun. Warum der Verlag allerdings den englischen Original-Titel „Rupture“ trivial mit „Ein toter Lehrer“ übersetzt hat, ist befremdlich. Auch für einen deutschen Titel wäre ein Wort wie „Bersten“ oder „Platzen“ treffender gewesen.
Von dem 1976 geborenen Simon Lelic dürfen wir indes bald mehr erwarten. Laut Angaben des Verlags schreibt er derzeit an seinem dritten Buch. „Ein toter Lehrer“ ist sein Debüt. Was für ein Wurf!
Simon Lelic: Ein toter Lehrer, Droemer Verlag, München, 2011, 349 Seiten, gebunden, 16,99 Euro, ISBN 978-3426198698
Knaur Taschebuch Verlag, München, 2012, 352 Seiten, Taschenbuch, 9,99 Euro, ISBN 978-3426505199
Ich glaub, es war alles bereits ab Seite 3 da – die Kälte, das beklemmende Gefühl, das Mitleiden, Wut und Ohnmacht. Ein Buch, dass sich liest wie im Flug und doch bleischwer wiegt. Wie die beständige Frage nach dem Warum und danach, wer hier wofür eine Schuld trägt. Man möchte sie alle anschreien, mit den Armen wedeln und wachrütteln.
Kein „schönes“ aber ein schonungsloses, ein sehr gutes Buch!
Danke für’s Neugierigmachen!