Literarischer Quickie

Wenn eine Autorin über Sex schreibt, ist die Tatsache, dass sie aus Sicht einer Frau schreibt, nicht gleich ein Kriterium für literarisch-erotische Texte auf hohem Niveau. Die Französin Alina Reyes dagegen ist gewöhnlich Garantin für ein Karussell aus erotischen Spielarten in literarischer Sprache. Offen, provokant, mit einer Eloquenz, die aus dem Vollen schöpft. Die Leser sind sich wenig einig, ob es erotische Literatur ist oder nur Schund. Ob es sinnliche Kopfkinofilme für die Spätvorstellung sind oder nur Geldmacherei à la „sex sells“.

In dem erneut schmalen Bändchen „Die siebte Nacht“ lotet Reyes die Erwartungen und Sehnsüchte einer Frau aus, die dem ersten sexuellen Akt mit ihrem neuen Liebhaber entgegenfiebert. Sieben Nächte muss sie warten, und in jeder Nacht stellt er die Regeln auf, darf sie ihm jeweils ein Stück näher kommen. „Ich nannte ihn bei seinem Namen. Er trat vor, schlug das Bett auf, bat mich, mich hinzulegen. Ich versuchte, ihn mit aufs Laken zu ziehen, aber er ließ nicht zu, dass ich ihn berührte. ‚Morgen‘, sagte er. ‚In der ersten Nacht darf man sich nicht berühren.'“ So folgt in der zweiten Nacht die Regel, dass sie machen dürfen, was sie wollen, jedoch ohne zum Orgasmus zu kommen und ohne die Geschlechtsteile zu berühren, weder mit der Hand noch mit dem Mund. In der dritten Nacht ist das Berühren mit den Händen erlaubt, überall, aber einen Orgasmus darf es trotzdem nicht geben. Erst in der siebten und letzten Nacht folgt die Erlösung. Der Klappentext spricht gar – ein wenig hochgegriffen – von „Apotheose der sexuellen Erfahrung“.

Die Sprache ist poetisch, anregend, sinnlich, teilweise aber auch flach und gekünstelt. Es gehört sicherlich nicht zu Reyes‘ besten Büchern und erreicht keinesfalls die Stärke von „Tagebuch der Lust“. Beide Bücher sind im selben Verlag erschienen, „Die siebte Nacht“ ist sogar bibliophil angehaucht. Ein Lesebändchen bei einem gebundenen Buch von 84 Seiten – das erwartet man bei Manesse, aber nicht unbedingt bei Bloomsbury Berlin. Dazu die erotische Umschlaggestaltung des Designbüros Rothfos & Gabler aus Hamburg mit einem Ausschnitt aus Felix Vallotons Gemälde „Liegende Frau vor violettem Grund“ – da hat sich der Verlag Mühe gegeben, dem Inhalt ein ebenbürtiges Äußeres zu geben.

„Die siebte Nacht“ ist kein Muss für das Bücherregal oder die Liste der gelesenen Bücher. Aber für den literarischen Quickie zwischendurch ist es allemal geeignet.

Alina Reyes: Die siebte Nacht, Bloomsbury Berlin, 2005, 84 Seiten, gebunden, 12 Euro, ISBN 978-3827005878

Emma liebt einen Jüngling von 14 Lenzen

Schnappt sich ein Mann eine wesentlich jüngere Frau, reagiert die Gesellschaft nicht so sehr mit gerümpfter Nase, wie dann, wenn sich eine Frau mit einem Jüngling einlässt. Dabei haben sich schon einige Bücher und Filme diesem Tabuthema gewidmet. Hinzugekommen ist jetzt Simonetta Greggio mit ihrem Roman „Mit nackten Händen“. Mit skandalträchtigem Inhalt.

Emma ist Anfang vierzig, Landtierärztin, ohne Mann und ohne Kinder. Will sie Sex haben, reist sie in fremde Städte, um von niemandem erkannt zu werden. „Dort klapperte ich schummrige Bars ab, trank ein paar Gläser, ließ mich treiben. Den Hunger stillte ich etwas im Lauf einer gestohlenen Nacht mit einem Gelegenheitsliebhaber. Es war ein lachhafter Trost: Wie oft hatte ich die Augen geschlossen und einen bestimmten Namen gerufen, immer denselben.“ Es ist Raphael, ihre große Liebe, den sie nicht vergessen kann. Und dann – steht eines Tages dessen Sohn Gio vor ihrer Tür. Knapp fünfzehn Jahre alt. Er erinnert Emma nicht nur an Raphael, sondern auch an Micol, jene Frau, für die sich Raphael damals entschieden hatte. Und damit gegen Emma. „Im zur Schulter geneigten Gesicht warf sein Nasenrücken – wie sein Vater hat er eine leicht gekrümmte Adlernase – einen reliefartigen Schatten auf die unrasierte Wange, halb Samt, halb Sandpapier. Seine leicht geöffneten Lippen waren die seiner Mutter, voll und geschwungen. (…) Gios Gesichtszüge waren regelmäßiger als die von Raphael, ohne die Asymmetrie, die seinem Vater etwas Faunartiges verlieh. Von Micol hatte er die sehr weiße Haut, auch die Haselnussaugen. Aber diese Anmut, dieses ausgewogene Verhältnis von Kind- und Erwachsensein gehörten ihm allein.“

Emma und Gio kommen sich näher. Viel näher, als Gesellschaft und Moral das einem 14-Jährigen und einer erwachsenen Frau erlauben. Die Umgebung reagiert entsprechend mit Abneigung, denn diese Art der Verbindung bleibt natürlich nicht lange geheim. Es beginnt mit einer Meldung in einer Tageszeitung.

Die Autorin lässt viel Raum für Phantasie. Der Liebesakt zwischen Emma und Gio wird nicht erzählt, er bleibt vage. Hier ist kein reißerisches Buch mit Vulgarität entstanden, sondern ein leise und romantisch herumflechtendes Stück. Nicht umsonst aber ist dieses Buch im Diana-Verlag erschienen. Der ist auf ein dezidiert weibliches Publikum ausgerichtet und kooperiert bei mehreren Publikationen mit dem Frauenmagazin „Brigitte“. Das „Figaro Magazine“ nennt die Sprache des Buches poetisch, doch sie ist wohl eher blumig. Die Charaktere bleiben derweil blass und ohne Tiefe, weil stattdessen mehr die Umgebung und das Wetter beschrieben werden. Das Thema reizt zu einem guten Stück Literatur, entstanden aber ist nur ein Stück Unterhaltung. Das wird sich jedoch in der Zielgruppe des Verlags trotzdem gut verkaufen lassen. Ein Buch für das Regal ist es indes nicht.

Simonetta Greggio: Mit nackten Händen, Diana Verlag, München, 2010, 159 Seiten, gebunden, 14,99 Euro, ISBN 978-3453290990

Dieser Unsympath nervt

Vielleicht wollte Frédéric Beigbeder nur in die große Liste der Aphoristiker aufgenommen werden. Vielleicht dachte er, ein Tagebuch-Roman sei der beste Weg dazu. Jeden Tag ein paar sinnreiche Bonmots niederkritzeln, durchzogen von sexuellen Anspielungen und Ausschweifungen, angereichert mit den Namen der angesagten Damen, Herren, Orte und Clubs dieser Welt – das muss doch den anspruchsvollen Leser überzeugen. Entstanden ist das nervigste Buch seit langer Zeit.

Wer die ersten 100 Seiten gelesen hat, kann vom Rest des Buches nicht mehr erwarten als die entsprechenden Synonyme der vorhergegangenen Seiten. Oscar Dufresne heißt der 34-jährige Held des Romans. Wie sein Schöpfer ist er Schriftsteller. „Er ist ein Egoist, dazu faul, zynisch und voller sexueller Obsessionen, kurz: ein Mensch wie du und ich“, ist auf dem Buchrücken zu lesen. Viel schlimmer: Dufresne ist ein Unsympath. Mit wachsendem Missmut liest man die kurzen Einträge, die intellektuell wirken sollen, stattdessen aber in der Masse ermüden und langweilen. Nur hier und da blitzen mal ein paar geistreiche Gedanken auf. Doch würden diese Blitze mehr Aufmerksamkeit erhaschen, wenn sie auf einem Kalenderblatt zum Abreißen geschrieben stünden. So gehen sie in der Masse der Bedeutungslosigkeiten unter. Von der viel gerühmten Genialität des Herrn Beigbeders: keine Spur.

Eine Inhaltsangabe des Buches ist schwierig. Aber mir liegt auch nicht daran, dieses Buch zu empfehlen, denn ich kann nichts Gutes daran finden. Wer seiner Zeit überdrüssig ist, kann sich damit beschäftigen. Wer die Kunst des Querlesens verfeinern will, dem sei dieses Buch angeraten. Allen anderen rate ich, einen großen Bogen um den „Romantischen Egoisten“ zu machen und sich stattdessen den Essais von Michel de Montaigne zu widmen. Oder jedem anderen Buch. Es gibt derlei viele. Auch für Intellektuelle.

Frédéric Beigbeder: Der romantische Egoist, Ullstein Taschenbuch Verlag, Berlin, 2. Auflage 2009, 287 Seiten, Taschenbuch, 8,95 Euro, ISBN 978-3548267104

Der geheimnisvolle Fremde… Mistkerl

Man kann es nicht anders sagen: Das ist ein krasses Buch! Die englische Autorin Deborah Kay Davies macht es dem Leser nicht einfach, die Protagonistin ihres Debütromans ins Herz zu schließen. Im Gegenteil – man ist geneigt, diese Frau zu rütteln und zu schütteln, auf dass sie endlich aufwacht und erkennt, was für einem Mistkerl sie erlegen ist.

Die junge Frau arbeitet beim Sozialamt, ihr Leben ist eines dieser normalen, unaufgeregten Leben. Sie arbeitet, hat Spaß mit ihrer besten Freundin Alison, einen guten Kontakt zu ihren Eltern, aber eben keinen Mann. Bis sie eines Tages zur Sachbearbeiterin eines Ex-Sträflings wird. Blonde Locken, enge Jeans. „Die obersten Knöpfe seines Hemdes standen offen. Sein Hals sah zum Anbeißen aus.“ Als sie Feierabend hat, wartet der Mann vor der Tür auf sie. Er redet nicht viel. Bloß: Hi. Und: Kommst du? Dann nimmt er ihre Hand, zieht sie mit sich.

„Ich ging einfach mit“, schreibt sie. In dem darauffolgenden kurzen Kapitel, das mit dem Titel „Ich passe nicht auf meine Sachen auf“ überschrieben ist, hat sie einen ebenso kurzen Fick mit ihm in der Tiefgarage – die Wörter Beischlaf oder Geschlechtsverkehr oder gar Sex wären hier unangebracht. Danach setzt er sie in ein Taxi und schickt sie heimwärts. Und sie? Betrauert ihre neue Lederjacke, die von der Betonwand der Tiefgarage Risse und Kratzer am Rücken bekommen hat.

Freunde und Familie sind brüskiert, aber Mr. Blond kommt und geht

Sie verfällt dem Mann, der von Alison nur Mr. Blond genannt wird. Sie verfällt ihm derart, dass sie ihren Job verliert, ihre Freunde und Familie brüskiert und sich selbst immer mehr vernachlässigt. Der Typ kommt und geht, wann er will. Er schlägt und vergewaltigt sie, nimmt ihr wochenlang das Auto weg, so dass sie mit dem Taxi zur Arbeit fahren muss. Sie erträgt es mit einer stoischen, ja: naiven Ruhe. Sie redet sich ein, diesen Mann zu lieben.

Spät, sehr spät erst trifft sie die Erkenntnis:

„Was tat ich da? Es konnte doch nicht sein, dass jemand kam und ging, wie es ihm passte. Oder das Leben eines anderen einfach so in Beschlag nahm. Oder jemanden allein auf einer Party zurückließ. Oder in eine Familienbeerdigung reinplatzte. Ich setzt mich aufs Klo und rieb mir die Augen, bis ich nur noch blutrote Punkte sah. Ich dachte an die anderen Dinge, die er mir angetan hatte. Die ich ihn hatte tun lassen. Es waren keine guten Dinge. Er war nicht gut für mich.“

Deborah Kay Davies schreibt all das mit wahrem Geschick. So sehr man diese junge Frau auch verteufelt, so sehr will man dieses Buch lesen, weil es fassungslos macht, aber auch weil es mit fassungslos eindringlicher Sprache beschreibt, wie sich eine solche Abhängigkeit aufbaut und sie den Menschen immer tiefer in den Abgrund reißt. Unbedingt lesen!

Deborah Kay Davies: Bedingungslos, Kein & Aber Verlag, Zürich, 2010, 217 Seiten, gebunden, 18,90 Euro, ISBN 978-3036955872

Kleinode der weiblichen Lust

Es ist ein gefährliches Buch. Ja, fürwahr, denn wenn Männer wüssten, was darin geschrieben steht, wäre es eines der meist gekauften Bücher, die sie ihren Partnerinnen gerne mit einem schelmischen Lächeln aufs Kopfkissen legen. Mit dem kleinen Hinweis: „Schatz, ich habe dir ein Buch gekauft.“ In der Hoffnung, dass das Lesen Wirkung zeigt. Denn was Alina Reyes in ihrem dünnen Büchlein „Tagebuch der Lust“ beschreibt, wird bei vielen Männern offene Türen einrennen. Triebgesteuert sind sie, die Männer. Das sagt man ihnen nach. Und so werden sie in atemloser Hast das Büchlein schnell durchgeblättert haben, auf der Suche nach Reizwörtern, die ihnen Lust verschaffen. Phantasien ins Kopfkino schicken. Derer gibt es viele auf den wenigen Seiten. Aber man(n) sollte sie schon genießen, Wort für Wort lesen und sich an ihrer Sprache laben.

Alina Reyes nimmt kein Blatt vor den Mund. Schonungslos lässt sie den Leser an ihrer Lust teilhaben. Sprachlich schön, bildhaft, mitreißend. Zum Lächeln bringend. Vielleicht auch zum einen oder anderen Kopforgasmus. In 69 knappen Kapiteln, die jeweils kaum länger als eine Seite sind und sich deshalb zum schnellen, anregenden Lesegenuss zwischendurch oder davor oder danach eignen, erinnert sich die Protagonistin Rosa an die acht vergangenen Männer, die sie geliebt hat. „Ohne Scham und ohne Falsch erzählen Rosas intime Aufzeichnungen die nackte Wahrheit über die Vorlieben und Gewohnheiten einer Frau und ihrer acht Lieben“, heißt es zu Beginn. Und schon beginnt der Reigen der Lust, der niemals die Grenze der Geschmacklosigkeit übertanzt, aber doch wohl den einen oder anderen Leser an die eigene Grenze der sexuellen Vorlieben bringen mag.

„Meiner siebten Liebe gefiel es, wenn ich ihn beim Essen, oder wenn er vor dem Computer saß, unter dem Tisch lutschte. Mir gefiel das auch, es war wohl sogar meine Idee gewesen.“

Männer werden behaupten, das Buch sei nur für sie geschrieben, weil es die männliche Lust bediene. Aber es ist für beide Geschlechter. Es sind 69 Möglichkeiten, sich genussvoll zu unterhalten. 69 Möglichkeiten, im Buch zu blättern und wahllos ein Kapitel herauszugreifen, um es zu genießen. Und wenn Männer sich die Mühe machen, es Kapitel für Kapitel zu lesen, erkennen sie, dass es viel mehr ist als ein Reigen der Lust. Es ist Poesie, es ist Anregung. Sinnlich und mit Hingabe. Kein Rein-Raus-Schund, sondern erotische Literatur. Und zum Schluss philosophisch und ein wenig angstmachend.

Frauen: lest es. Männer: lest es. Und dann redet miteinander.

Alina Reyes: Tagebuch der Lust, Bloomsbury Verlag Berlin, 2006, 94 Seiten, gebunden, 12 Euro, ISBN 978-3827006899

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