Buch Wien: Terézia Mora vergleicht Migration von Menschen und Literatur

Terézia Mora bei der Eröffnungsrede - © LCM Fotostudio Richard Schuster
Terézia Mora bei der Eröffnungsrede – © LCM Fotostudio Richard Schuster

Die neunte internationale Buchmesse „Buch Wien“ ist eröffnet. Am Mittwochabend sprach die gebürtige Ungarin Terézia Mora eine, wie sie ankündigte, 19 Minuten lange Festrede zum Thema „Sätze und Menschen“. Die Autorin solcher Romane wie „Alle Tage“, „Der einzige Mann auf dem Kontinent“ und „Das Ungeheuer“ verglich darin die Migration von Menschen und literarischen Texten: „Tatsache ist: Sobald ein Satz in der Welt ist, wird er migrieren.“ Hauptsächlich sprach Mora über Sätze und Zitate, die hinausgehen in die Welt, das Für und Wider der neuen digitalen Buchwelt sowie über das Urheberrecht. Sie machte jedoch auch keinen Hehl daraus, dass sie gleichzeitig über Migration sprach: „Einen öffentlich gemachten Satz am Migrieren zu hindern ist unmöglich, noch viel unmöglicher, als einen lebendigen Menschen daran zu hindern.“ Immer wieder streute sie Hinweise auf die Parallele ein, etwa als sie über die „Qualität des Aufnahmetextes“ sprach („Ich habe diesen Ausdruck aus dem Wort Aufnahmeland abgeleitet, um auch ‚die aktuellen Entwicklungen in Europa‘ nie lange aus den Augen zu verlieren“). Beim Urheberrecht sprach sie sich für weniger Angst und mehr Pragmatismus aus, und auch das durfte man wohl als Parallele verstehen.

Mora, das machte sie deutlich, gehört zu denjenigen, die in der Digitalisierung einer Erweiterung der Möglichkeiten sehen. Der Technologiewechsel bringe neue spannende Formen mit sich, etwa die erwartbaren Versuche einer SMS-Dichtung wie der Twitter-Roman von Jennifer Egan (zur Seitengang-Rezension) oder die Sammlung von bisher unveröffentlichten Gedichten auf Lyrikline. Längere Texte dagegen hätten es online bislang eher schwer. „Am ertragreichsten auf dem Feld der digitalen Literatur scheinen mir die Blogger.“ Es sei allerdings auch leichter, ein digitales Werk zu verändern als ein physisches wie ein Buch. Sie empfehle Autoren daher, immer das Werk auch drucken zu lassen, „wenn du ein integres Kunstwerk in den Händen halten willst“. Sie selbst gehe inzwischen auch immer mehr dazu über, Zeitungen aus Papier zu lesen, weil es dort unter den Artikeln keine Kommentarmöglichkeit gebe. Bei Büchern sei das ähnlich – da werde der Leser ebenfalls nicht von anderen mit ihren Kommentaren belästigt. „Es sei denn, du willst das, aber dafür musst du dann das Medium wechseln.“ (Lesen Sie hier die vollständige Rede von Terézia Mora.)

Zuvor hatte Benedikt Föger, Präsident des Hauptverbandes des Österreichischen Buchhandels, darauf hingewiesen, dass die deutschsprachigen Buchmessen immer politischer würden. Er erinnerte an die „Buch Wien“ des vergangenen Jahres, als Paris zur Zeit der Wiener Buchmessenparty von terroristischen Anschlägen erschüttert wurde. Auch der 9. November 2016 sei mit der Wahl des neuen US-Präsidenten Donald Trump ein historischer Tag, den Föger, keinesfalls beifällig, nur mit den Worten von Carolin Emcke kommentieren wolle, die diese bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels gesagt habe: „Wow.“

Die feierliche Eröffnung der „Buch Wien“ begann indes mit einer kurzen Gedenkminute für die im August nach kurzer schwerer Krankheit verstorbene Inge Kralupper. Sie war langjährige Geschäftsführerin des Hauptverbands, hat die österreichische Buchbranche und Literaturszene geprägt und „ohne sie hätte es die ‚Buch Wien‘ nie gegeben“, erklärte Föger.

Liedermacher "Der Nino aus Wien" mit seiner Band - © LCM Fotostudio Richard Schuster
Liedermacher „Der Nino aus Wien“ mit seiner Band – © LCM Fotostudio Richard Schuster
Die darauffolgende „Lange Nacht der Bücher war ein voller Erfolg für die Veranstalter. Selten waren in den vergangenen Jahren die Bühnen der Messehalle so dicht umringt von Zuschauern wie in diesem Jahr. Den Anfang machte der Liedermacher Nino Mandl, besser bekannt als „Der Nino aus Wien“, mit seiner Band und zeigte die enorme Bandbreite seiner Kunst zwischen Folk, Wienerlied und Indierock. Sobald auf der kleinen Bühne der Poetry Slam begonnen hatte, moderiert von den österreichischen Poerty Slam-Ikonen Mieze Medusa und Markus Köhle, und umjubelt von den zumeist jungen Zuschauern, waren auf der großen ORF-Bühne manchmal die Autoren nicht zu verstehen, weil ihre Stimmen im Poetry-Jubel untergingen.

Leider musste der Auftritt der am Dienstagabend mit dem ersten Österreichischen Buchpreis bedachten Friederike Mayröcker abgesagt werden. Stattdessen schoben die Veranstalter eine Diskussion der Journalisten Franz Kössler (ehemaliger ORF-Korrespondent in Washington) und Eric Frey (Der Standard) über „Donald Trump und die Folgen“ ins Programm. Das Zuschauerinteresse hier war nur mäßig. Ganz anders noch sah das beim Auftritt des schwedischen Krimimeisters Arne Dahl aus, der seine neue Thriller-Serie vorstellte. Auch Dahl äußerte sich erschüttert über den Wahlausgang in den USA. Die ganze Welt verändere sich, und die Schweden haben bislang immer gedacht, sie seien eine Ausnahme. „Aber das stimmt nicht.“ Denn auch in Schweden seien populistische Parteien auf dem Vormarsch.

Arne Dahl (l.) im Gespräch mit Moderator Florian Scheuba - © LCM Fotostudio Richard Schuster
Arne Dahl (l.) im Gespräch mit Moderator Florian Scheuba – © LCM Fotostudio Richard Schuster
Dass der Name Arne Dahl nur ein Pseudonym von Jan Lennart Arnald ist, ist mittlerweile lange bekannt. Im Gespräch mit Moderator Florian Scheuba erklärte Dahl, er habe sich das Pseudonym ausgedacht, als er seine Erzähllust verloren habe. „Ich habe an den Spaßfaktor gedacht – Krimis zu schreiben macht viel mehr Spaß.“ Sein richtiger Name sollte geheim bleiben, aber nach fünf Jahren wurde er von einem Journalisten enttarnt. Das weckt natürlich Erinnerungen den sehr aktuellen Fall der Elena Ferrante („Meine geniale Freundin“), die in diesem Sommer enttarnt worden ist. Dahl dazu: „Das ist eine Privatsache, wenn man sich ein Pseudonym aussucht.“ Er könne es nicht verstehen, wenn ein Autor so gegen den Willen ins Licht gezerrt werde. Aber es ginge da ja auch wohl um viel Geld. Er selbst habe fünf Bücher unter Pseudonym schreiben können, erst dann habe man seinen echten Namen herausgefunden. Das erzürne ihn jedoch nicht mehr: „Es war Zeit für mich, ein Gesicht zu haben.“

Dann endlich las der Wiener Volkstheater-Schauspieler Stefan Suskse das zweite Kapitel aus Dahls neuem Thriller „Sieben minus eins“ vor. Um einen Killer zu schnappen, ist der soziopathische Kommissar Sam Berger auf die Hilfe seiner nicht minder soziopathischen Kollegin angewiesen. Bald erkennt der Ermittler, dass es tief verborgen in seiner Vergangenheit etwas gibt, das ihn mit den brutalen Verbrechen verbindet. Dahl: „Ich denke immer filmisch. Diesmal habe ich versucht, eine dichte Art von Spannung zu schaffen – und es wird filmisch, das verspreche ich Ihnen, es ist ein bildlich filmisches Buch.“ Passenderweise sind fast alle seiner Bücher inzwischen verfilmt worden. Ob auch dieser Roman dazu gehören wird, sei aber noch nicht sicher, sagte Dahl.

Dass dem ersten Band weitere folgen werden, ist indes klar. „Am Ende des Buches gibt’s einen Cliffhanger – es muss also mehr geben“, beantwortete Dahl die Frage des Moderators. „Als ich 80 oder 90 Seiten geschrieben hatte, merkte ich, dass die Chemie und Dynamik zwischen den beiden so gut war, dass es auf jeden Fall mehr Bücher geben muss.“

Bewundernswert: Arne Dahl brauchte keinen Übersetzer für das Gespräch, denn er sprach selbst sehr gut Deutsch. Darauf angesprochen sagte er, er habe sein altes Schuldeutsch wieder herausgeholt und versucht, es zu verbessern, denn er habe das Gefühl, bei Lesereisen durch Deutschland werde es so dynamischer auf der Bühne, als wenn man sich immer übersetzen lasse.

Arne Dahl: Sieben minus eins, Piper Verlag, München, 2016, 416 Seiten, broschiert, 16,99 Euro, ISBN 978-3492057707, Leseprobe

Noch bis Sonntagabend werden bei der Buch Wien auf rund 8.800 Quadratmetern die Neuerscheinungen dieses Herbstes präsentiert. Seitengang ist noch bis einschließlich Samstagabend vor Ort und berichtet von der Buchmesse.

Seitengang berichtet von der Buch Wien 2016

bw16logoVom 7. bis 13. November berichtet „Seitengang – Ein Literatur-Blog“ wieder von der Internationalen Buchmesse in Wien. Mehr als 400 Veranstaltungen an 31 Orten in der österreichischen Bundeshauptstadt, tausende Neuerscheinungen auf einer Messefläche von rund 8.000 Quadratmetern und Aussteller aus insgesamt 17 Nationen, das alles verspricht die diesjährige „Buch Wien“.

Für die Eröffnung des größten Bücher-Events Österreichs haben die Veranstalter einmal mehr eine hochkarätige Festrednerin verpflichtet: die gebürtige Ungarin Terézia Mora. Sie gehört zu den Großen der europäischen Literatur und hat mit Romanen wie „Alle Tage“, „Der einzige Mann auf dem Kontinent“ und „Das Ungeheuer“ beunruhigend intensive Bestandsaufnahmen unserer Gegenwart vorgelegt. In ihrer Eröffnungsrede wird sich die Trägerin des Deutschen Buchpreises 2013 mit der Digitalisierung unserer Welt und den aktuellen Umbrüchen in Europa auseinandersetzen. Im vergangenen Jahr konnte der Schweizer Schriftsteller Adolf Muschg mit seiner Rede über die Zukunft des Lesens nicht überzeugen.

Zum dritten Mal gibt es dann am Mittwochabend ein wahres Bücherfest – die sogenannte „Lange Nacht der Bücher“, die mit einem Konzert des Liedermachers „Nino aus Wien“ beginnt und dann Schriftsteller wie André Heller, Arne Dahl und Stefanie Sargnagel ins Gespräch bringt. Außerdem wird natürlich die Gewinnerin oder der Gewinner des am Vorabend verliehenen Österreichischen Buchpreises erwartet.

Zu den literarischen Stars der „Buch Wien“ gehören in diesem Jahr Namen wie Philipp Blom, Marjana Gaponenko, Veit Heinichen, Michael Krüger, Thomas Raab oder Dirk Stermann.

Sie erinnern sich nicht mehr an die „Buch Wien 2015“? Dann lesen Sie hier die Berichte noch einmal nach!

Die Shortlist zum Preis der Leipziger Buchmesse 2016

LBM15_Preis_rgbIn sechs Wochen wird der renommierte Preis der Leipziger Buchmesse verliehen. In der Kategorie Belletristik sind gleich drei Bühnen-Autoren nominiert: Zum einen die beiden Theater-Autoren Roland Schimmelpfennig („An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21. Jahrhunderts“, S. Fischer-Verlag) und Nis-Momme Stockmann („Der Fuchs“, Rowohlt-Verlag), die beide jeweils ihren ersten Roman veröffentlichen, zum anderen aber auch der Musiker und Comedian Heinz Strunk („Der goldene Handschuh“, Rowohlt-Verlag), der einst mit seinem ersten Roman „Fleisch ist mein Gemüse“ bekannt wurde.

Als einzige Frau ringt auch Marion Poschmann mit ihrem Lyrikband („Geliehene Landschaften – Lehrgedichte und Elegien“, Suhrkamp-Verlag) um den begehrten Preis. Als Fünfter ist schließlich noch Guntram Vesper mit seinem 1.008 Seiten langen Wälzer „Frohburg“ (Schöffling & Co.) nominiert.

113 Verlage haben für den diesjährigen Preis 401 Werke eingereicht, aus denen die Jury unter der Leitung von Kristina Maidt-Zinke jeweils fünf Autoren bzw. Übersetzer in den Kategorien Belletristik, Sachbuch/Essayistik und Übersetzung ausgewählt hat. Im Jahr 2015 gewann den Preis der Leipziger Buchmesse der Lyriker Jan Wagner mit seinen „Regentonnenvariationen“ (Hanser-Verlag) – ein Novum, denn nie zuvor hatte ein Gedichtband die Auszeichnung in der Kategorie Belletristik bekommen.

Die Nominierten im Bereich Sachbuch/Essayistik:

Werner Busch: „Adolph Menzel. Auf der Suche nach der Wirklichkeit“ (C.H. Beck)
Jürgen Goldstein: „Georg Forster. Zwischen Freiheit und Naturgewalt“ (Matthes & Seitz)
Ulrich Raulff: „Das letzte Jahrhundert der Pferde. Geschichte einer Trennung“ (C.H. Beck)
Christoph Ribbat: „Im Restaurant. Eine Geschichte aus dem Bauch der Moderne“ (Suhrkamp)
Hans Joachim Schellnhuber: „Selbstverbrennung: Die fatale Dreiecksbeziehung zwischen Klima, Mensch und Kohlenstoff“ (C. Bertelsmann)

Die Nominierten in der Kategorie Übersetzung:

Kirsten Brandt: übersetzte aus dem Katalanischen „Flüchtiger Glanz“ von Joan Sales (Hanser)
Brigitte Döbert: übersetzte aus dem Serbischen „Die Tutoren“ von Bora Ćosić (Schöffling & Co.)
Claudia Hamm: übersetzte aus dem Französischen „Das Reich Gottes“ von Emmanuel Carrère (Matthes & Seitz Berlin)
Frank Heibert: übersetzte aus dem Englischen „Frank“ von Richard Ford (Hanser Berlin)

Der Preis der Leipziger Buchmesse wird am 17. März 2016 um 16 Uhr in der Glashalle der Leipziger Messe vergeben. Die Preisverleihung wird per Stream live übertragen. Die drei Gewinner erfahren Sie außerdem am schnellsten, wenn Sie Seitengang bei Twitter folgen. Dort werden die Preisträger noch während der Preisvergabe bekannt gegeben – so schnell es möglich ist. Der ausführliche Text folgt dann selbstverständlich später hier im Blog.

Buch Wien 2015 – Das Fazit

Die Messe Wien am Abend. © Christian Lund
Die Messe Wien am Abend. © Christian Lund
Vor rund einer Woche endete die achte Ausgabe der Internationalen Buchmesse „Buch Wien“. Die Veranstalter freuten sich über einen neuen Besucherrekord, denn erstmals waren mehr als 40.000 Bücherfans in die Wiener Messehalle gekommen (2014: rund 38.000). Mit rund 450 Veranstaltungen, Ausstellern aus 15 Nationen und Tausenden Neuerscheinungen bot die „Buch Wien“ auch in diesem Jahr wieder ein vielfältiges Programm. Hervorzuheben sind dabei besonders die begleitende Lesefestwoche sowie die erfolgreiche „Lange Nacht der Bücher“. Programmdirektor Günter Kaindlstorfer hatte also allen Grund zu jubilieren: „Es war eine fantastische Messe. Die ‚Buch Wien‘ ist aus dem Wiener Kulturkalender nicht mehr wegzudenken. Wir sind jetzt da angekommen, wo wir immer hinwollten.“

Dennoch: Es ist nicht zu übersehen, dass die Wiener Buchmesse noch immer am Anfang steht. Zum einen hat sich die Qualität des gedruckten Programmhefts nicht verbessert. Noch immer fehlt darin ein Autoren- und Ausstellerverzeichnis. Letzteres bekommt man zwar als Faltblatt auf der Messe, aber man muss dadurch immer mit zwei Heftchen herumhantieren. Das ist unglücklich gelöst. Das Autorenverzeichnis gibt es immerhin online, aber auch das wäre im gedruckten Programmheft für den Messebesuch hilfreich. Da geht die Leipziger Buchmesse nach wie vor mit gutem Beispiel voran.

Zum anderen ist es geradezu erstaunlich, wie wenig Mühe sich die Veranstalter der „Buch Wien“ machen, der Presse eine ordentliche Infrastruktur zu bieten. Journalisten und Blogger haben genauso ein Interesse daran, ihre Artikel schnellstmöglich an die Redaktionen und Blogs zu übermitteln, wie auch die Veranstalter daran interessiert sein müssten, dass regelmäßig und möglichst breit über die Messe berichtet wird. Das kann allerdings nur dann funktionieren, wenn Journalisten und Blogger unproblematisch einen WLAN-Zugang bekommen. Unproblematisch aber ist das bei der „Buch Wien“ nun gerade nicht.

Ein Ding der Unmöglichkeit

So habe ich am Abend der Messe-Eröffnung und der „Langen Nacht der Bücher“ am Presse- und Autoren-Schalter auf meine Frage nur ein Stirnrunzeln als Antwort bekommen, gefolgt von der Auskunft, dass sie da nicht Bescheid wüssten. Ich solle doch mal am Messestand des Hauptverbands des österreichischen Buchhandels nachfragen. Dort aber waren die Mitarbeiter noch emsig damit beschäftigt, den Stand aufzubauen und den Alkohol für die Eröffnungsfeier ranzuschaffen. Ich erkannte schnell, dass man mir an diesem Abend dort nicht würde helfen können. Ein Foto von der Eröffnung oder einer der Lesungen an jenem Abend auf Twitter, Instagram oder Facebook zu stellen – ein Ding der Unmöglichkeit.

Am nächsten Tag dachte ich, dass vielleicht schon andere Kollegen ähnliche Fragen gestellt haben, sodass die Mitarbeiter am Presse- und Autoren-Schalter jetzt besser informiert sind. Doch wieder nur dieselbe Antwort: Hier weiß man nichts, helfen kann nur der Hauptverband. Eine Mitarbeiterin dort vertröstete mich auf später, man müsse erst mit einem Messe-Manager Kontakt aufnehmen. Kann man innerlich mit der Stirn runzeln? Etwas Ähnliches dürfte ich getan haben. Sollte ich tatsächlich der einzige Journalist sein, der auf die Idee kam, seine Artikel direkt auf der Messe schreiben zu wollen? Sollte ich der Einzige sein, der direkt von der Messe twittern wollte? Und sollte ich der Einzige sein, der über die Fehlorganisation langsam verärgert war?

Rund zwei Stunden später traf ich einen anderen Mitarbeiter am Stand an. Der antwortete, er müsse nachfragen gehen. Er verschwand hinter einer Wand und ward rund fünf Minuten nicht mehr gesehen. Dann kam er mit einem Zettel zurück, auf den jemand einen Code geschrieben hatte. Handschriftlich. Ich frage mich: Wie viele von diesen Codes sind während der „Buch Wien“ in diesem Jahr geschrieben worden? Waren es so viele, dass der Mitarbeiter jetzt eine Sehnenscheidenentzündung hat? Oder war es nur einer: meiner?

Ein wahres Armutszeugnis

Die nächste Erfahrung: Dieser Code galt nur für ein Gerät. Wollte ich den Code auch noch für mein Tablet nutzen und nicht nur für mein Smartphone, brauchte ich also einen weiteren Code. Sollte ich also nun wirklich wieder zurück zum Messestand des Hauptverbands, den armen Mann wieder hinter die Wand schicken, damit er mir einen zweiten Code malt? Glücklicherweise waren die Codes so aufgebaut, dass man mit etwas mathematischem Grundverständnis einen weiteren erzeugen konnte. Wie durch ein Wunder war ich also am Donnerstagnachmittag endlich online. Für eine moderne Messe-Organisation aber war das ein wahres Armutszeugnis. Da verwundert es auch nicht, dass die „Buch Wien“ in den sozialen Netzwerken praktisch nicht stattfindet. Das deckt sich mit der Beobachtung, dass auch die ausstellenden Verlage bei Twitter, Facebook & Co. relativ wenig Werbung für die Buchmesse machen.

Dennoch lohnt sich der Besuch. Vielleicht auch gerade deshalb, weil sie eben nicht ist wie die Leipziger oder Frankfurter: groß, unübersichtlich, mit Tausenden von Besuchern, die sich täglich durch mehrere Messehallen schieben. Die „Buch Wien“ ist trotz Besucherrekord immer noch klein, familiär, angenehm. An den Messeständen kommen Besucher, Verlagsmitarbeiter und Autoren ins Gespräch, und für Kinder und Jugendliche wird das Angebot immer größer.

Enttäuscht war ich in diesem Jahr von der Eröffnungsrede der „Buch Wien“: Adolf Muschg, der eigentlich über die Zukunft des Lesens sprechen wollte, schrammte am Thema vorbei und konnte mich nicht überzeugen. Begeistert aber hat mich dagegen die Eröffnung der begleitenden Lesefestwoche mit dem Prager Ökonom Tomáš Sedláček. Ohnehin lag ein Schwerpunkt der Buchmesse im Bereich des politischen Sachbuchs: Von Colin Crouch und Tomáš Sedláček bis hin zu Orlando Figes, Ahmad Mansour und Jörg Baberowski waren eine Reihe von Stars nach Wien gekommen.

Internationale Roman-Autoren in der Stadt

Wie immer hat die Buchmesse auch internationale Roman-Autoren in die Stadt geholt: Aus Ägypten war Alaa al-Aswani mit seinem Roman „Der Automobilclub von Kairo“ zu Gast. Der französische Schriftsteller Jean-Philippe Blondel kam auf Einladung des Institut Français Wien mit seinem neuen Roman „Zweiundzwanzig“. Lizzie Doron diskutierte über „Who the Fuck is Kafka?“ und Jung Young Moon, einer der meistbeachteten Autoren Südkoreas, stellte seinen Roman „Vaseline Buddha“ vor. Nur einen Bruchteil von ihnen habe ich sehen können. Aber ganz besonders genossen habe ich die Lesungen von Valerie Fritsch, die zum einen ihren Anfang März veröffentlichten Roman „Winters Garten“ noch einmal vorstellte, zum anderen aber auch den Gedichtband, den sie mit ihrer Mutter Gudrun Fritsch geschrieben hat.

Die Aussteller kamen in diesem Jahr aus 15 Nationen, doch es war nur eine, die vorübergehend ein wenig Furore machte: der Iran. Die umstrittene überparteiliche Initiative „Stop the Bomb“, die sich laut Wikipedia-Eintrag „mit prominenter Unterstützung gegen Geschäfte mit dem iranischen Regime und für die Unterstützung der säkularen, rechtsstaatlich-demokratischen Opposition im Iran engagiert“, war überzeugt, dass die „Buch Wien“ den Iran mit einem Messestand „belohne“. Dabei sei doch bekannt, dass das „iranische Regime, das Schriftsteller, Karikaturisten, Journalisten und politisch Andersdenkende verfolgt, verhaftet, wegsperrt und auspeitschen lässt“ in diesem Jahr „einen neuen Hinrichtungs-Rekord aufgestellt“ habe. Mehr noch: „Laut iranischen Regimemedien wird es am Messestand zudem tägliche ‚Beratungsgespräche‘ mit den einschlägig bekannten Islamisten und Khamenei-Vertrauten Nezamuddin Haeri Shirazi und Mohammad Kiarashi geben, die u.a. enge Kontakte zum ‚Islamischen Zentrum Hamburg‘ haben, dem wichtigsten Zentrum zur Verbreitung der antisemitischen Propaganda des iranischen Regimes in Europa.“ Die Initiative forderte deshalb die sofortige Ausladung des iranischen Regimes durch die Verantwortlichen der Buchmesse sowie eine Stellungnahme der Sponsoren.

Doch die Veranstalter der „Buch Wien“ rührten sich nicht, wie „Stop the Bomb“ via Twitter mitteilte:

Seitengang stellte sodann eine schriftliche Anfrage an die Presseabteilung der „Buch Wien“. Darin bat ich um eine Stellungnahme, andernfalls immerhin um die Mitteilung, keine Stellungsnahme abgeben zu wollen. Meine Mail blieb unbeantwortet.

So war viel Licht, aber auch ein wenig Schatten bei dieser „Buch Wien“ im Spiel. Wann die Wiener Buchmesse im Jahr 2016 ihre Pforten öffnet, ist noch nicht bekannt gegeben worden. Seitengang aber will auch im nächsten Jahr wieder von den Buchmessen berichten – zunächst aus Leipzig, dann aus Wien. Bleiben Sie mir gewogen!

Ferdinand von Schirach eröffnet Wiener Lesefestwoche

Der Rechtsanwalt Ferdinand von Schirach. Foto: Andreas Pein
Der Rechtsanwalt Ferdinand von Schirach.
Foto: Andreas Pein
Der deutsche Schriftsteller und Strafverteidiger Ferdinand von Schirach hat am Montagabend die Wiener Lesefestwoche 2013 eröffnet. Im Rathaus las er aus seinem jüngst erschienenen Roman „Tabu“ und stellte sich den Fragen des Publikums.

Der brillante Erzähler wusste die Gäste im repräsentativen Stadtsenatssitzungssaal zu belustigen und zu unterhalten. Thomas Mann, Michel Houellebecq, Franz Kafka und Johann Wolfgang von Goethe – sie alle fanden Platz in seiner gekonnten Rede.

Im Nachgang riet er angehenden Autoren, nicht Teil des Literaturbetriebs zu werden und sich nicht zu ernst zu nehmen. Erst im Oktober hatte er der Legal Tribune Online in einem Interview erklärt, er sei keineswegs in den Literaturbetrieb eingetaucht: „Im Gegenteil: Die meisten Feuilletonisten und die meisten Schriftsteller betrachten mich als Fremdkörper in ihrer Welt. Das ist auch ganz in Ordnung so. Über den „Literaturbetrieb“ werde ich also nie schreiben, ich kenne ihn kaum und er interessiert mich auch nicht besonders.“

Noch bis Sonntag geht es bei mehr als 300 Veranstaltungen in Österreichs Hauptstadt um Bücher, Bücher und nochmals Bücher. Am Donnerstag beginnt zusätzlich die sechste Internationale Buchmesse „Buch Wien“. Dort wird am Vorabend die deutsche Autorin und Georg-Büchner-Preisträgerin Sibylle Lewitscharoff als Festrednerin erwartet, die angekündigt hat, über die Zukunft des Lesens sprechen zu wollen.

Die Rezension zu Ferndinand von Schirachs Roman „Tabu“ ist hier abrufbar.

Seitengang wird in den kommenden Tagen sowohl von der Lesefestwoche als auch von der „Buch Wien“ berichten.

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