Buch Wien 2021: Das Fazit

© LCM/Nicola Montfort
© LCM/Nicola Montfort

Vor vier Wochen endete die „Buch Wien“ des Jahres 2021, der Termin für die nächste Buchmesse steht bereits fest (23. bis 27. November 2022). Es wird höchste Zeit, ein Fazit zu ziehen. Laut Veranstalter bot diese Messe den mehr als 40.000 Besucher*innen ein Programm von 225 Stunden. In der Messehalle standen 12.150 Quadratmeter Ausstellungs- und Bühnenfläche zur Verfügung, in der ganzen Stadt boten 23 weitere Orte allerlei Bücher-Veranstaltungen: Lesungen, Diskussionen, Autogrammstunden.

Ich habe nur eine einzige Veranstaltung besucht, die nicht auf dem Messegelände war. Im wunderbaren Bücherladen-Café „phil“, in dem ich 2013 Nadine Kegele und ihre Literatur bei einer Lesung entdeckte, las die in Belgrad geborenen Autorin Barbi Marković aus ihrem neuen Roman „Die verschissene Zeit“; später bin ich ihr auch noch einmal auf der Buchmesse begegnet. Das „phil“ ist ohnehin immer einen Besuch wert – wer also Wien besucht, sollte da unbedingt mal reinschauen, auch wenn gerade nicht Buchmesse ist.

Freude am eigenen Text

Die Lesung habe ich in besonders guter Erinnerung behalten. Nicht nur wegen des interessanten Romans, sondern vor allem wegen der mitreißenden Art, wie die Autorin ihr Buch vorstellte. Sie lächelte, ja, lachte viel an diesem Abend beim Vorlesen – es war wunderbar, ihr die Freude am eigenen Text so deutlich anzusehen. 

Der Besuch der Messehalle stand natürlich immer ganz unter dem damals aktuellen Stand der Pandemie. Österreich hatte in der Woche die 2G-Regel eingeführt, es durften nur Geimpfte und Genesene in die Halle, was an den Eingängen peinlich genau überprüft wurde. In der Halle war es erlaubt, die Maske abzusetzen, die Veranstalter wiesen aber jeweils darauf hin, dass sie eine Maske empfehlen. Am Eröffnungsabend hatte ich noch das Gefühl, dass wesentlich mehr Besucher*innen ihre Maske abnahmen, an den darauffolgenden Tagen sah man nur noch wenige Menschen ohne Maske durch die Gänge streifen.

Das hat gut funktioniert

Die Veranstalter hatten ein „gut durchdachtes Hygienekonzept“ angekündigt. An stark frequentierten Orten werde „ein umfassendes Crowdmanagement eingesetzt, das ungeplante Menschenansammlungen mittels technologischer Hilfe frühzeitig erkennt“. Dies ermögliche „der veranstaltungseigenen Sicherheitszentrale, rasch einzugreifen und jegliche Traubenbildung zu vermeiden“. Man muss sagen: das hat gut funktioniert. Vor den großen Bühnen war jeweils nur eine bestimmte Besucher*innen-Anzahl erlaubt, eine digitale Anzeige machte zu jeder Zeit deutlich, wie viele Zuschauer*innen der Bereich noch betreten durften. Ein Leitsystem führte die Messe-Besucher*innen kontrolliert aus den Bühnenbereichen, die Autogrammstunden waren ähnlich gut organsiert.

Das Programm der „Buch Wien“ war in diesem Jahr nicht so fett gefüllt wie in den vergangenen Jahren. Das hatte für mich den Vorteil, dass ich nicht von Veranstaltung zu Veranstaltung gehetzt bin, sondern Zeit hatte, mich ausgiebig an den Ausstellungsständen der Verlage herumzutreiben. Und das Angenehme an der „Buch Wien“ ist ja stets, dass sie sich nicht in riesigen Messehallen abspielt wie bei den Buchmessen in Leipzig oder Frankfurt, sondern sie sich auf eine Halle begrenzt. Damit ist und bleibt die Wiener Buchmesse herrlich überschaubar, angenehm und familiär.

Ich bin die Rückreise angetreten mit sieben neuen Büchern im Gepäck: David Schalko – „Bad Regina“, Thomas Mulitzer – „Pop ist tot“, Uli Brée – „Du wirst mich töten“, Arno Schmidt, gezeichnet von Mahler – „Schwarze Spiegel“, Barbi Marković – „Die verschissene Zeit“, Stefan Franke – „Der Konzern“, Malet/Tardi – „Burma“. Dazu wird es irgendwann Besprechungen von mir geben.

Weitere Rezensionen sind natürlich schon in Vorbereitung und werden bald erscheinen – eine bereits in der kommenden Woche. Wer nochmal nachlesen will, was ich bisher so über die „Buch Wien“ geschrieben habe, folgt diesem Link, wer nur die Berichte aus 2021 lesen möchte, folgt diesem Link.

Seitengang berichtet von der „Buch Wien 2021“

Vom 10. bis 13. November berichtet „Seitengang – ein Literatur-Blog“ wieder von der Internationalen Buchmesse in Wien, der „Buch Wien 2021“. Mehr als 400 Veranstaltungen an 23 Orten in der österreichischen Bundeshauptstadt, tausende Neuerscheinungen auf einer Messefläche von rund 12.000 Quadratmetern und Aussteller aus insgesamt 31 Nationen, das alles verspricht die diesjährige „Buch Wien“.

Nach der pandemiebedingten Absage der letztjährigen Messe bringt die „Buch Wien“ in diesem Jahr also wieder die hellen Köpfe aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft sowie die wichtigsten literarischen Stimmen der Gegenwart nach Wien und präsentiert deutschsprachige sowie internationale Autor*innen mit ihren neuesten Werken.

Isolde Charim als Festrednerin

Für die Eröffnung des größten Bücher-Events Österreichs haben die Veranstalter einmal mehr eine hochkarätige Festrednerin verpflichtet: Isolde Charim. Die renommierte Philosophin wird auf einige der brennenden gesellschafts- und kulturpolitischen Themen der Gegenwart eingehen, heißt es. Charim arbeitet als freie Publizistin und ständige Kolumnistin der taz und des Falters. Zuletzt hat sie 2018 das viel beachtete Werk „Ich und die anderen: Wie die neue Pluralisierung und alle verändert“ veröffentlicht und ist dafür mit dem „Philosophischen Buchpreis 2018“ ausgezeichnet worden.

Nach der feierlichen Eröffnung beginnt wie immer die beim Publikum sehr beliebte „Lange Nacht der Bücher“. Der Abend beginnt mit einem Konzert der oberösterreichischen Zwei-Mann-Band „Attwenger“, über deren neues Album die Süddeutsche Zeitung schreibt: „Musik von einem anderen Stern“. Danach werden Eva Menasse, Sebastian Fitzek, Michael Köhlmeier und Doris Knecht ihre neuen Bücher vorstellen, in der Donau Lounge wird über Political Correctness diskutiert und die IllustrationLadies Vienna sind auch am Start. Nicht mehr wegzudenken ist außerdem die Poetry-Slam-Nacht. Außerdem wird natürlich Raphaela Edelbauer, die Gewinnerin des am Montag, 8. November, verliehenen Österreichischen Buchpreises erwartet.

Zu den literarischen Stars der „Buch Wien“ gehören in diesem Jahr Namen wie Edmund de Waal, Nick Thorpe, Rumena Bužarovska, Ayelet Gundar-Goshen, Benedict Wells, Marc Elsberg oder Barbi Marković.

Zum ersten Mal: „Buch Wien“-Debatte

Zum ersten Mal setzt die Buchmesse dieses Jahr den neuen Programmschwerpunkt „‚Buch Wien‘-Debatte“ in die Tat um. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe treffen sich Meinungsführer*innen aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Literatur für einen produktiven Austausch. So soll es spannende Diskussionen, Streitgespräche und packende Vorträge über gesellschaftspolitische Themen geben wie Feminismus oder radikalisierten Konservativismus. Expert*innen wie die Journalistin Ciani-Sophia Hoeder, Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl oder Migrationsforscher Aladin El-Mafaalani legen ihre Standpunkte dar. Herfried Münkler, Florian Illies sowie Hannelore Veit und Peter Fritz sorgen mit ihren neuen Sachbüchern für Gesprächsstoff. Und live von der UN-Klimakonferenz in Glasgow bieten Luisa Neubauer und Bernd Ulrich Einblicke und erste Analysen.

Als erstes Gastland in der Geschichte der „Buch Wien“ begrüßen die Veranstalter Russland in der Messehalle. Der Gastauftritt erstrecke sich über das gesamte Programm und sei eine einmalige Gelegenheit, die russische Verlags- und Kreativbranche intensiv kennenzulernen, heißt es in der Vorschau. Das komplette Programm des Gastlandes finden Sie hier.

Die Buchmesse unter Corona-Bedingungen

Da auch in Österreich die Corona-Zahlen wieder steigen und ab Montag, 8. November, landesweit die 2G-Regel gilt, verspricht die Messe-Leitung ein „gut durchdachtes Hygienekonzept“. An stark frequentierten Orten werde „ein umfassendes Crowdmanagement eingesetzt, das ungeplante Menschenansammlungen mittels technologischer Hilfe frühzeitig erkennt“. Dies ermögliche „der veranstaltungseigenen Sicherheitszentrale, rasch einzugreifen und jegliche Traubenbildung zu vermeiden“.

„Seitengang – ein Literatur-Blog“ wird bis einschließlich Samstag, 13. November, von der „Buch Wien“ berichten, die Messe läuft bis zum 14. November. Informationen zur diesjährigen „Buch Wien“ und wie Sie auch digital an Veranstaltungen teilnehmen können, finden Sie hier.

Sie wollen alle bisherigen Seitengang-Berichte über die „Buch Wien“ lesen? Dann bitte hier entlang!

Buch Wien: Michal Hvoreckys „Troll“-Dystopie ist schon Realität

Michal Hvorecky im Gespräch mit Christa Eder. © LCM Foto Richard Schuster
Michal Hvorecky im Gespräch mit Christa Eder. © LCM Foto Richard Schuster

Die österreichische Tageszeitung Kurier kündigte nichts Geringeres an, als dass Michal Hvorecky „die Zukunft“ vorstelle. Am vergangenen Donnerstagabend war mit ihm einer der wohl bekanntesten und erfolgreichsten Schriftsteller der Slowakei anlässlich der „Buch Wien“ zu Gast im Literaturhaus Wien. Im Gepäck hatte Hvorecky seinen neuen Roman „Troll“, der im November im Tropen-Verlag erschienen ist.

Darin entwickelt der Autor eine düstere Science-Fiction-Geschichte über ein Heer von Internet-Trollen, das die Online-Kommentarspalten und die sozialen Medien mit Hass flutet, die Massen beeinflusst und die öffentlichte Meinung in die gewünschte Richtung lenkt. Was bedeutet noch die eigene Meinung, wenn Trolle von allen Seiten mit Hass feuern? Die EU ist in Hvoreckys Szenario zerschlagen, im Osten beherrscht eine Diktatur das sogenannte „Reich“. Zwei Freunde entwickeln jedoch immer stärkere Zweifel und beschließen, das System von innen heraus zu stören. Dabei geraten sie selbst in die Unkontrollierbarkeit der Netzwelt – und an die Grenzen ihres gegenseitigen Vertrauens.

„Ich beschäftige mich seit Jahren mit dem Hass im Netz“, erklärt Hvorecky in Wien. Die neuen Trolle haben mit den alten mythischen Figuren nicht mehr viel gemein. „Sie kennen keine Grenzen, sie wollen die Gesellschaft spalten und sind ziemlich real.“ 2015 habe er angefangen, das Buch zu schreiben, aber mit der Zeit sei seine Fiktion Realität geworden. Spätestens mit dem Mord an dem slowakischen Investigativjournalisten Ján Kuciak und dessen Freundin im Februar 2018.

„Dreckige, antislowakische Prostituierte“

Kuciak hatte versucht nachzuweisen, dass höchste Regierungsbeamte mit der italienischen Mafia zusammenarbeiten und hatte immer wieder kritisch über Oligarchen geschrieben. Der damalige Premierminister Robert Fico betitelte Kuciak  und dessen unbequeme Journalistenkollegen daraufhin als „dreckige, antislowakische Prostituierte“ oder „schleimige Schlangen“. Wenig später war Kuciak tot – erschossen.

Ganze Trollfabriken betreiben mittlerweile professionelle Propaganda für ihre Auftraggeber. „Falsche Kommentare wie ‚Clooney hat sich entschieden, für Trump zu wählen‘ kommen leider bei Menschen gut an – ob sie stimmen oder nicht“, erklärt der Autor. „Trolle wollen die Menschen verwirren und verachten die Freiheit.“

Er selbst sei schon oft Opfer des Trollings geworden: „Die kommen zu meinen Veranstaltungen, machen grässliche Fotos von mir, die sie im Internet verbreiten, und gleichzeitig legen sie mir Sätze in den Mund, die ich nie gesagt habe.“ So unterstelle man ihm etwa , dass er sich islamistische Angriffe wünsche oder dass alle Menschen homosexuell werden. „Es dauert leider länger, eine Wahrheit zu beweisen, als eine Lüge zu verbreiten.“

Engagiert sich für die Pressefreiheit

Wie Kuciak, mit dem er befreundet war, ist auch Hvorecky Journalist. Er lebt in Bratislava und schreibt regelmäßig Beiträge für die FAZ, die Zeit und zahlreiche Zeitschriften. In seiner Heimat engagiert er sich für den Schutz der Pressefreiheit und gegen antidemokratische Entwicklungen.

Was die richtige Reaktion auf solche Digitalattacken sei, fragt ORF-Moderatorin Christa Eder. Ob es nicht besser sei, sich aus den sozialen Netzwerken ganz zurückzuziehen. „Nein“, antwortet Hvorecky entschieden, „das ist die falsche Richtung, stattdessen sollten wir die sozialen Netzwerke mit sinnvollen Inhalten füllen.“ Es wachse inzwischen eine Generation heran, die zur Information und Prägung ihrer Meinung nicht mehr die traditionellen Medien nutze, sondern Facebook & Co. Glauben schenken.

„Die sozialen Netzwerke haben unsere Zivilgesellschaft geschwächt“, ist sich Hvorecky  sicher. Auf der anderen Seite aber hätten sich die Proteste in der Slowakei nach dem Mord an Kuciak vor allem über Facebook gebildet. Man dürfe die sozialen Netzwerke also nicht per se verteufeln. In jeder Generation müsse Demokratie neu gelernt werden, sagt Hvorecky: „Der Freiheitskampf ist nie beendet.“

Vertrauen in den Staat wiederherstellen

Im Fall der ermordeten Kuciak haben die Ermittlungen mittlerweile ergeben, dass ein Multimillionär und ehemaliger Nachbar des früheren Premierministers Fico möglicherweise den Auftrag gegeben hat, den Journalisten zu ermorden. Auch den hatte sich Kuciak zum Feind gemacht. „Ich will, dass die Täter verurteilt werden“, erklärt Hvorecky. Das sei wichtig, um das Vertrauen in den Staat wieder herzustellen. „Ansonsten bleibt der Eindruck, dass es Menschen gibt, die andere Rechte haben als ’normale‘ Menschen.“

Zum Ende der Lesung befasst sich Hvorecky mit der Eröffnungsrede der Philosophin Svenja Flaßpöhler und der von ihr aufgeworfenen Frage des richtigen Umgangs mit Rechts. Er habe die gekürzte Fassung in der SZ gelesen und stimme ihr zu. „Allerdings sind Diskussionen mit Menschen, die Diskussionen verachten, sehr mühsam.“ Jeder habe das Recht auf seine eigene Meinung, aber nicht auf eigene Fakten. „Lügen sind Lügen“, sagt er und wiederholt damit eine Äußerung der Heldin seines Romans: „Eine Lüge ist keine andere Meinung. Eine Lüge ist eine Lüge, und man muss über sie die Wahrheit sagen.“

Michal Hvorecky: Troll, Tropen Verlag, Stuttgart, 2018, 215 Seiten, gebunden, 18 Euro, ISBN 978-3608504118, Leseprobe

Buch Wien: Eine Anleitung zum Lesen und das unheilvolle Lachen der Primaten

Felicitas von Lovenberg. © LCM Foto Richard Schuster
Felicitas von Lovenberg. © LCM Foto Richard Schuster

Wenn schon die Verlegerin eines deutschen Verlags eine „Gebrauchsanweisung fürs Lesen“ schreiben muss, scheint es sehr schlecht bestellt zu sein um die Welt der Bücher. Felicitas von Lovenberg, ehemalige FAZ-Literaturchefin und seit 2016 Verlegerin des Piper-Verlags, hat genau das getan. Am Donnerstag stellte sie ihr kleines, handliches Buch auf der „Buch Wien“ vor.

Laut Verlagsangaben schildert von Lovenberg, wie sich die Rolle des Buches immer wieder gewandelt habe und welch ungewöhnliche Lesegewohnheiten es gibt, gleichzeitig gehe sie auf Lieblingsbücher und Entdeckungen ein.  Die in Münster geborene von Lovenberg zeige, wie „aus dem Zeitvertreib Lesen eine beglückende, lebenslange Sucht werden kann“.

Dass sie eine wahre Büchernärrin ist, zeigt sich auf bei ihrer Buchpräsentation auf der „Buch Wien“. Schon als Kind habe sie nichts mehr geliebt, als ein Buch in der Hand zu haben. „Im Sommer war ich entweder draußen und habe Räuber und Gendarme gespielt, oder ich lag mit einem Buch auf der Wiese.“

„Der Inbegriff von Geborgenheit“

Dass sie schon früh zur Leseratte wurde, habe sie wesentlich ihrem Vater zu verdanken. Sie erinnert sich noch heute gerne daran, erzählt sie Moderator Günter Kaindlstorfer, wie ihr Vater in einem alten Sessel gesessen und ihr Grimms Märchen vorgelesen habe, aus einer alten, schon etwas zerfledderten Dünndruckausgabe von Winkler. „Das war für mich der Inbegriff von Geborgenheit.“ Das dritte Wort, was sie damals nach „Mama“ und „Papa“ habe sagen können, sei „Buch“, behaupten die Eltern. „Ich glaube ihnen das mal.“

Der Vater war Anwalt und „gläubiger FAZ-Leser“. Bedeutet: Bücher, die im Kultur-Ressort gut besprochen waren, wurden gekauft. Und so bekam von Lovenberg schon früh Zugang zu Büchern, Büchern und noch mehr Büchern. „Ich habe mit 12 Jahren ‚Krieg und Frieden‘ gelesen, nix verstanden, kam mir aber sehr schlau vor“, erzählt sie lachend. Dabei lasen Mädchen in ihrem Alter lieber andere Bücher, die es jedoch niemals in die FAZ schafften. Mit ihrer Mutter fuhr sie oft in die Stadt und durfte sich dann im Buchladen wünschen, was sie wollte. „Wir verheimlichten vor meinem Vater, dass ich dort ‚Bille und Zottel‘ und anderes, was man damals so las, kaufte.“

Von Kaindlstorfer darauf angesprochen, ob so eine „Gebrauchsanweisung fürs Lesen“ vielleicht deshalb nötig sei, weil das Buch als solches nicht mehr das Leitmedium sei, erklärte von Lovenberg, sie glaube sehr wohl, dass das Buch diese Rolle noch inne habe. „Unser Wissen ist und bleibt dort gespeichert.“ Aber das Buch sei davon abhängig, dass andere Medien anerkennen, dass es ein Leitmedium ist.

Menschen orientieren sich an Bestsellerlisten

„Es fehlt an der Vermittlung“, kritisiert sie und verdeutlicht: „Die Menschen sagen immer mehr: ‚Ich finde nicht mehr die zu mir passenden Bücher.'“ Es gebe inzwischen viel zu wenige Empfehlungen in Zeitungen. Stattdessen orientierten sich die Menschen an Bestsellerlisten. „Viele glauben daran: Wenn viele dieses und jene Buch lesen, muss es ja gut sein.“

Früher seien wesentlich mehr Debatten über Bücher geführt worden, ist von Lovenberg überzeugt, „aber diese Debatten sind leiser geworden.“ Dabei seien es gute Jahre für Literatur: „In Zeiten von gesellschaftlichen Umbrüchen haben wir Sehnsucht nach guten Büchern, die uns weiterbringen.“ In diesem Zusammenhang könne sie auch nicht verstehen, dass die Buchbranche Jahr für Jahr darüber klage, wie schlecht es ihr gehe. „Niemand kauft gerne beim Verlierer – ich rede lieber positiv über Bücher.“

Kaindlstorfer weist darauf hin, dass Bücher aber doch mittlerweile im täglichen Zeitbudgt der Menschen große Konkurrenz bekommen haben. Vor allem die Neigung der Menschen, stundenlang hintereinander Fernsehserien zu gucken, sei der Nutzung von Büchern sicherlich nicht zuträglich. „Das stimmt alles“, sagt von Lovenberg, „aber Lesen ist dem überlegen.“ Das Austauschen über Serien sei niemals „so filigran“ wie das Austauschen mit Freunden über Bücher. „Niemand wird das Buch genauso lesen wie ich – das ist bei Serien anders.“ Außerdem sei die Erfahrung des Lesens nicht multitaskingfähig. Beim Serienschauen könne man bügeln, aufs Handy schauen, und allerlei Sachen nebenher machen. Beim Lesen nicht.

„Ich habe viele Männerherzen frustriert“

Zu Anfang wurde von Lovenberg gefragt, ob sie es mit der Männerauswahl genauso halte wie ihre Kollegin Elke Heidenreich, die sich nur in Männe verlieben könne, die lesen. „Nein, bei mir ist das anders, ich habe mich auch in Männer verliebt, die nicht gelesen haben oder nicht so viel wie ich.“ Sie habe allerdings wohl auch „viele Männerherzen frustriert“, weil sie manchmal ein Buch einer Verabredung vorgezogen habe. „Einer meiner Freunde hat mir damals mal gesagt: ‚Du wirst irgendwann von deinen Büchern aus dem zusammenbrechenden Billy-Regal erschlagen, und es kriegt niemand mit.'“

Felicitas von Lovenberg moderierte einst im SWR-Fernsehen die Literatursendung „lesenswert“. Ihre stets letzte Frage an ihre Schriftsteller-Gäste stellte Kaindlstorfer nun ihr selbst: Mit welcher Romanfigur wären Sie gern verheiratet? „Wenn ich nicht schon glücklich mit meinem Mann verheiratet wäre, wäre es vielleicht Boris aus ‚Krieg und Frieden‘ – und ich war auch mal sehr verliebt in den namenlosen Ich-Erzähler aus ‚Liebeserklärung‘ von Michael Lentz.“

Felicitas von Lovenberg: Gebrauchsanweisung fürs Lesen, Piper Verlag, München, 2018, 128 Seiten, gebunden, 10 Euro, ISBN 978-3492277174, Leseprobe

Philipp Weiss bei der Lesung aus seinem Roman. © LCM Foto Richard Schuster
Philipp Weiss bei der Lesung aus seinem Roman. © LCM Foto Richard Schuster

Erstaunlicherweise wird dem jungen Suhrkamp-Autor Philipp Weiss nur eine recht kleine Bühne geboten, um sein von der Kritik hochgelobtes und gefeiertes Debüt-Werk „Am Weltenrand sitzen die Menschen und lachen“ in Wien vorzustellen. Das ist ausgesprochen unglücklich. Und ebenso unglücklich ist es, dass Weiss nicht die Gelegenheit gegeben wird, selbst in seinen in fünf Bände unterteilten Roman (insgesamt 1.064 Seiten im Schuber!) einzuführen. Das übernimmt Stefan Gmünder, Literatur-Redakteur beim Standard, für ihn. Gmünder macht das hervorragend, zweifelsohne, aber aus dem Munde des neben ihm sitzenden Autoren hätte die Einführung vermutlich eine andere Relevanz gehabt.

Laut Verlagsangaben erzählt Philipp Weiss von der Verwandlung der Welt im Anthropozän – „jener Epoche der Erdgeschichte, in welcher der Mensch zur zentralen gestaltenden Kraft geworden ist“. Zwischen Frankreich und Japan, zwischen dem 19. und dem 21. Jahrhundert, in Form von Enzyklopädie, Erzählung, Notizheft, Audiotranskription und Comic „entwirft dieser kühne Roman ein Panoptikum unserer fliehenden Wirklichkeit“.

Dass der fünfbändige Roman keine vorgegebene Lesereihenfolge hat, macht Weiss bei seiner kurzen Lesung aktiv deutlich. „Ich lese jetzt sozusagen einen Remix oder ein Medley meines Romans“, sagt der Jazz-Fan und stellt fortan immer das Buch aufrecht vor sich auf den Tisch, aus dem er gerade liest.

„Drohgebärde der Primaten“

Der ungewöhnliche Titel seines Romans habe zwei Referenzen, erzählt Weiss auf Nachfrage von Gmünder. Zum einen sei da der Holzstich „Wanderer am Weltenrand“ (auch: „Flammarions Holzstich“), dem er das Wort „Weltenrand“ entliehen habe. Die Darstellung zeigt einen Menschen, der am Horizont als dem Rande seiner Welt mit den Schultern in der Himmelssphäre steckt und das dahinter Befindliche erblickt. „Dieses Bild eröffnet die positive Lesart des Titels und erzählt von der menschlichen Urbewegung der Überschreitung“, erklärt Weiss. „Zum anderen ist das Lachen, wie wir wissen, eine Drohgebärde der Primaten – und das zusammen erzählt die Grundbewegung meines Romans.“

Sechs Jahre hat Weiss an diesem Roman gearbeitet. Zuvor studierte er Germanistik und Philosophie, schrieb Prosa und Theaterstücke, für die er mehrfach ausgezeichnet wurde. 2009 trug er beim Ingeborg-Bachmann-Preis seinen Beitrag „Blätterliebe“ vor, in dem ein Autor seinen eigenen Text isst. Weiss tat es ihm nach und verspeiste daraufhin ebenfalls seinen Text, was aber nicht so richtig gut ankam bei der Kritik.

Nach 30 Minuten ist die Buchvorstellung vorbei – nur 30 Minuten für den Roman, der als der Roman dieses Literatur-Herbstes gilt.

Philipp Weiss: Am Weltenrand sitzen die Menschen und lachen, Suhrkamp Verlag, Berlin, 2018, 1.064 Seiten, fünf Taschenbücher im Schuber, 48 Euro, ISBN 978-3518428177, Leseprobe, Buchtrailer, Lesung bei zehnSeiten.de

Buch Wien: Lebenslange Lügen und ein blutiger, blutiger Samstag

Philipp Blom stellt seinen neuen Roman vor. © LCM Fotostudio Richard Schuster
Philipp Blom stellt seinen neuen Roman vor. © LCM Fotostudio Richard Schuster
Am dritten Messetag der „Buch Wien“ 2016 habe ich erneut nur zwei Veranstaltungen besucht. Zunächst war der deutsche Autor, Historiker und Journalist Philipp Blom gekommen, um seinen neuen Roman „Bei Sturm am Meer“ vorzustellen. Blom ist mit Bestsellern über die europäische Kulturgeschichte bekannt geworden, viele verbinden mit seinem Namen Sachbücher über die Schlüsselmomente des 20. Jahrhunderts (so etwa „Der taumelnde Kontinent. Europa 1900-1914“). Er hat allerdings auch schon ein Sachbuch über österreichische Weine geschrieben.

„Bei Sturm am Meer“ ist sein dritter Roman. Darin schickt er einen melancholischen Mittvierziger namens Benedikt auf eine überraschungsreiche Reise zu sich selbst. Nach dem Tod seiner Mutter muss der Marketingfachmann feststellen, dass seine Familiengeschichte eine andere war, als er sein Leben lang gedacht hat. Der Roman über zerplatzte Träume und lebenslange Lügen beginnt mit einem Brief, den Benedikt an seinen vierjährigen Sohn schreibt, während er in Amsterdam auf die Urne seiner Mutter Marlene wartet, deren Lieferung sich verzögert.

Benedikt erfährt im Laufe des Buches, dass viele der Lebensgeschichten, die er zu kennen glaubt, nicht stimmen, zum Beispiel dass sein Vater, ein Journalist, im Kampf gestorben sei. Selbstverständlich verbindet Blom die Geschichten von Benedikts Mutter und Großmutter mit den historischen Ereignissen – hier kann der Historiker Realität und Fiktion vermischen. Das sei auch einer der Vorteile beim Romaneschreiben, erklärt er: „In einem Sachbuch muss immer alles so gewesen sein, in einem Roman kann es so gewesen sein.“

„Das wird dann einfach nicht gut“

Aber es gibt auch Nachteile: „Das Romaneschreiben ist nicht lukrativ.“ Außerdem rate er Menschen, die glauben, sie trügen einen Roman in sich, den sie unbedingt aufschreiben müssten, dies nicht am Abend um 23 Uhr zu tun, wenn sie erschöpft von der Arbeit und den familiären Verpflichtungen sind. „Das wird dann einfach nicht gut – man muss sich dafür Zeit nehmen.“ Das erinnert an die Lesung von Cynthia D’Aprix Sweeney („Das Nest“, Klett-Cotta) im Literaturhaus Wien. Dort erklärte sie, sie habe erst am College „eine gewisse Priorisierung im Leben“ gelernt: „Denn wenn man auch noch familiäre Verpflichtungen hat, kann das Schreiben auf der To-do-Liste ganz schnell auf dem letzten Platz landen – ich aber habe gelernt, es ganz nach oben zu setzen.“

Weil das Buch auch viel im Hamburg der 1970er Jahren spielt und Blom dort geboren und aufgewachsen ist, wurde er gefragt, ob „Bei Sturm am Meer“ auch ein wenig die Geschichte seiner Familie erzähle. „Nun“, antwortete Blom, „Menschen, die mich ein bisschen kennen, werden vielleicht sagen: Aha!“ Aber seine Familie sei nicht die im Roman dargestellte Familie, er selbst habe auch andere Themen als der Protagonist seines Romans. „Aber die Geschichte baut vielleicht auf Themen auf, die in unserer Familie spielen.“

Gelesen hat Blom aus seinem aktuellen Buch nicht. Dafür blieb keine Zeit mehr, denn Moderatorin Alexandra Föderl-Schmid (Chefredakteurin des Standard) fragte den Schriftsteller aus aktuellem Anlass nach seiner Meinung zum Brexit und zur US-Wahl. Dafür war Blom nicht nur als Historiker und Journalist ein versierter Gesprächspartner, sondern auch deshalb, weil er ein Jahr in den USA und neun Jahre in England gelebt hat. Teilweise schreibt er seine Bücher auch zunächst auf Englisch und übersetzt sie dann selbst ins Deutsche. „Der Brexit hat mich wirklich überrascht“, sagte er. „Und bei der Wahl von Trump habe ich mich gefühlt, als hätte man mich mit einem Baseballschläger traktiert.“ Er habe gedacht, er schlafe einfach noch und wache irgendwann auf. „Aber das war so nicht.“

Gefährlich bei Wahlen

Manche vergleichen inzwischen die heutige Zeit mit der Weimarer Republik. Das sieht Blom aber nicht so: „Nein, wir leben nicht in der zweiten Weimarer Republik, aber noch eine Wirtschaftskrise wie 2008, dann leben wir in einer Weimarer Republik.“ Gefährlich bei Wahlen und damit auch bei der US-Wahl sei dieses „Irgendetwas muss sich doch ändern“-Gefühl der Wähler. „Auch hier in Europa verlieren die Menschen zunehmend die Hoffnung in die Gesellschaft und die Demokratie“, erklärte Blom weiter.

Von Föderl-Schmid darum gebeten, als Historiker in die Zukunft zu schauen und zu sagen, wie Europa im Jahr 2030 aussähe, antwortete Blom, das gerate wohl eher wie eine Wettervorhersage, denn kleine Faktoren könnten doch alles in eine andere Richtung bringen. „Im Moment sind Kräfte am Werk, die am Zerfall Europas arbeiten. Aber eigentlich hängt alles davon ab, wann das nächste 2008 kommt.“

Philipp Blom: Bei Sturm am Meer, Paul Zsolnay Verlag, Wien, 2016, 224 Seiten, gebunden, 20 Euro, ISBN 978-3552058101, Leseprobe

Thomas Raab, Bernhard Aichner, Edith Kneifl, Heinz Sichrovsky, Amelie Fried und Veit Heinichen bei der Krimi-Runde. © LCM Fotostudio Richard Schuster
Thomas Raab, Bernhard Aichner, Edith Kneifl, Heinz Sichrovsky, Amelie Fried und Veit Heinichen bei der Krimi-Runde. © LCM Fotostudio Richard Schuster
Am späten Nachmittag schließlich traf sich ein Teil der aktuellen Crème de la Crème der deutschsprachigen Bestseller-Krimi-Literatur zu einer kleinen, vergnüglichen Gesprächsrunde unter dem Thema „Morden wie gedruckt“. Ursprünglich waren nur Thomas Raab, Bernhard Aichner, Edith Kneifl und Veit Heinichen eingeladen. Moderator Heinz Sichrovsky (Kulturchef des österreichischen Wochenmagazins News) hatte jedoch zuvor seine Sendung „erLesen“ für den ORF aufgezeichnet und dort die Schriftstellerin und Moderatorin Amelie Fried zu Gast, die er dann kurzerhand mit in die Runde brachte. Ein Glücksgriff, wie sich später herausstellen sollte.

Was macht einen guten Krimi aus und wie schreibt man ihn? Veit Heinichen hat dafür kein Patentrezept, wohl aber durch jahrelange Recherche ein riesiges Archiv angehäuft. „Irgendwann kommt dann der Gedanke, dass ich mich mit meinen Figuren beschäftige, und dann lasse ich sie aufeinander los – richtige Arbeit ist das nicht, ich folge ja nur meinen Figuren.“

Amelie Fried, die mit ihrem Mann Peter Probst eine Reihe von Kinderkrimis („Taco und Kaninchen“) geschrieben hat, hat nur einen einzigen Krimi für Erwachsene verfasst: „Der Mann von nebenan“ (1999). Kurz zusammengefasst erledigen drei Frauen zusammen einen Nachbarn. Erst versuchen sie es in der Badewanne, doch als sie seine Leiche im Wald beseitigen wollen, ist der Mann gar nicht tot. Ein Schlag mit einem Schraubenschlüssel beendet sein Leben dann doch noch, und die drei Frauen versenken die Leiche im See. Vorlage für den Nachbarn? Frieds tatsächlicher Nachbar, der die Familie so sehr genervt hat, dass sie schon an Umzug dachten. „Dann habe ich dieses Buch geschrieben, und es war die beste Rache meines Lebens.“ Das Buch wurde mit Axel Milberg als böser Nachbar verfilmt, „und ich wohnte in diesem bayerischen Dorf, und jeder wusste, wer gemeint ist“, erzählte Fried. Der Nachbar sei kurz danach weggezogen.

„Ein Traum von Mann“

Die österreichische Autorin Edith Kneifl baut beim Krimischreiben stets eine enge Bindung zu ihren Protagonisten auf. Als ehemalige Tischtennis-Landesmeisterin sei es ihr mal in den Sinn gekommen, dass einer der Männer doch bei einem Tischtennisturnier sterben könnte. „Ich habe eine Figur entworfen, einen Traum von Mann, sage ich Ihnen, der hat mir dann so gut gefallen, dass ich ihn nicht mehr umbringen konnte. Er wurde nur schwer verletzt.“ Und nach einer kurzen Pause: „Aber es sind andere Männer umgekommen.“ Dass ein Autor seine Figuren liebgewinnt, bestätigte auch Bernhard Aichner: „Ich liebe zum Beispiel meine Bestatterin Brünhilde Blum – sie bringt Menschen um.“ Ja, zuweilen ist es recht makaber, wenn sich Krimi-Autoren unterhalten.

Alle fünf Autoren sind zudem Serientäter, ihre Helden oder Mörder tummeln sich also in mehreren Büchern. „Aber wann bekommen diese Kerle ein Ablaufdatum?“, wollte Sichrovsky wissen. Für Thomas Raab hängt das mehr damit zusammen, ob ein Buch seine Leser findet: „Bei meinem ersten Buch habe ich nicht gedacht, dass das jemand lesen würde.“ Für Aichner dagegen war es klar, dass seine Bestatterin nur eine Überlebenszeit von drei Büchern haben würde: „Die kann ich jetzt auch gut ziehen lassen. Es ist zwar reizvoll, das weiterzumachen, weil es sich gut verkauft, aber ich wusste vor dem ersten Buch, wie das dritte aufhört, und danach ist Schluss.“ Kneifl: „Vor allem das Publikum und die Verlage wollen doch Serien – aber ich gebe zu, auch ich kann mich manchmal nicht trennen.“

Und Veit Heinichen? Dem schien eine Frage nicht aus dem Kopf zu gehen: „Ich glaube nicht, dass Amelies Nachbar weggezogen ist.“ Schon hatte Heinichen die Lacher wieder auf seiner Seite. Fried parierte und erzählte, sie und ihr Mann hätten ein Gartenhaus bauen lassen. „Kein Scherz, und die beiden polnischen Bauarbeiter, die von dem nervigen Nachbarn gehört hatten, haben uns angeboten, ihn für 2.000 Euro umzubringen. Und für 4.000 Euro auch die Leiche zu beseitigen.“ Heinichen: „Irgendwer muss mal das Beton-Fundament dieses Gartenhauses überprüfen…“ Wieder Gelächter.

Kürzlich das erste Grab ausgehoben

Auch über die Recherchearbeit für ihre Bücher sprechen die Autoren. Während Kneifl mit einem Arzt verheiratet ist und ihn gern schon am Frühstückstisch fragt, an welchen Körperstellen das meiste Blut spritzt („Mein Mann passt bei meinen Leichen immer auf!“), hat Aichner kürzlich sein erstes Grab ausgehoben: „Das war eine tolle Erfahrung, aber richtig harte Arbeit.“ Und in der Rechtsmedizin in Hamburg sei er bei einer Obduktion dabeigewesen, auch das sei sehr faszinierend gewesen. Raab wiederum recherchiert „Problemfälle“, wie er das nennt. „Ich habe beim Skifahren Schnee von einer Schneekanone ins Gesicht bekommen und dann beim Hersteller angerufen und gefragt, ob das, was vorne rauskommt, rot würde, wenn man hinten jemanden reinsteckt.“ Interessant sei auch gewesen, beim örtlichen Schwimmbad anzurufen und zu fragen, wie lange die Filteranlage braucht, um das Wasser nach einem Haiangriff wieder klar zu bekommen. „Danach wusste ich die ganze Lebensgeschichte des Mann, den ich da angerufen hatte.“ Heinichen: „Die Frage ist, woher wusste der Mann, wie lange die Filteranlage brauchen würde…“

Und welche Krimis würden die Autoren empfehlen, ihre eigenen ausgenommen? Veit Heinichen legt den Lesern Fjodor Dostojewskis „Verbrechen und Strafe“ bzw. „Schuld und Sühne“ (ältere Übersetzungen) ans Herz, Edith Kneifl nennt Patricia Highsmiths „Die zwei Gesichter des Januars“, Bernhard Aichner mag gern die Adamsberg-Reihe von Fred Vargas und Thomas Raab empfiehlt den „Kameramörder“ von Thomas Glavinic.

Bernhard Aichner: Interview mit einem Mörder. Ein Max-Broll-Krimi, Haymon Verlag, Innsbruck, 2016, 288 Seiten, gebunden, 19,90 Euro, ISBN 978-3709971338, Leseprobe

Amelie Fried: Ich fühle was, was du nicht fühlst, Heyne-Verlag, München, 2016, 400 Seiten, broschiert, 16,99 Euro, ISBN 978-3453265905, Leseprobe

Veit Heinichen: Die Zeitungsfrau, Piper-Verlag, 2016, 352 Seiten, gebunden, 20 Euro, ISBN 978-3492057585, Leseprobe

Edith Kneifl: Totentanz im Stephansdom, Haymon Verlag, Innsbruck, 2015, 264 Seiten, Taschenbuch, 12,95 Euro, ISBN 978-3709978337, Leseprobe

Thomas Raab: Der Metzger, Droemer Knaur, München, 2016, 336 Seiten, gebunden, 19,99 Euro, ISBN 978-3426281369, Leseprobe

Die „Buch Wien“ 2016 war damit für mich beendet, am Sonntag, dem letzten Messetag, habe ich bereits die Heimreise angetreten. Wie in den vergangenen Jahren werde ich in den nächsten Tagen noch ein persönliches Fazit liefern. Einigermaßen sicher aber ist schon, dass ich auch im nächsten Jahr wieder von der „Buch Wien“ berichten werde. Bleiben Sie mir gewogen!

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