Bitte schlag mich mit der Ebenholzbürste

Die BienenköniginDie New York Times formulierte vorsichtig, es könnte das „heißeste Buch sein, das je von einer Achtzigjährigen geschrieben wurde“. Der deutsche Verlag zitiert den Artikel auf dem Umschlag so: „Das heißeste Buch des Jahres.“ Die Rede ist von Gloria Vanderbilts Roman „Die Bienenkönigin“, der scharfe Erotik sein will, sich aber schnell der Lächerlichkeit preisgibt.

Als der Star-Architekt Talbot Bingham stirbt, hinterlässt er seiner Frau Priscilla nicht nur ein Vermögen, sondern auch noch den einen oder anderen Dokumentenbehälter. In einem von ihnen findet Priscilla einen Stapel Briefe, „verschnürt mit purpurrotem Ripsband – taubengraue Umschläge, mit purpurroter Tinte von unbekannter Hand beschriftet“. Sie beginnt zu lesen und stellt fest: Ihr Mann war regelmäßiger Gast des exklusiven Janus-Clubs, wo er von allerlei Frauen umschwärmt und sexuell bedient wurde, vor allem aber von Bee, der Bienenkönigin. Priscilla ist zunächst schockiert und zornig, doch bald wird sie von Erregung ergriffen und überlegt gar eine Zusammenkunft mit der Konkurrentin.

„Die Bienenkönigin“ ist ein schwülstig-verschnörkeltes, nur fade lüsternes Werk, in dem sich Samt und Seide, Gold und Balsaholz, Papayas und mit Saphiren besetzte Fabergé-Eier ein unerquickliches Stelldichein geben. Zur Züchtigung auf dem „Lieblingsottomanen“ rät Bee zur Haarbürste mit glattem Ebenholzrücken, am besten jene von Mason-Pearson, die Talbot bei Harrods in London kaufen könne. Und spätestens als Bee auf einem Einhorn in den Saal reitet und von Frauen begleitet wird, die von Gazeschleiern umhüllt sind und nichts als „juwelengeschmückte Stringtangas“ tragen, wird dem Leser bewusst, in welche Altdamen-Phantasie er hier geraten ist. Später grast das Einhorn übrigens genüsslich auf einer Blumenwiese in der Nähe des „Akeru“ genannten Anwesens, das der Architekt-Lüstling für seine Bee hat bauen lassen. Braucht es mehr der Worte?

Nach ihrem Vorbild entstand Holly Golightly

Es ist müßig, sich weiterhin über den Inhalt des Buches auszubreiten. Einzig und allein der Name der Autorin ist es, der hier zählt. Denn Gloria Vanderbilt ist die alte Dame der Upper East Side und der High Society von New York. Sie war die Schöpferin einer eigenen Jeansmarke, Designerin und Malerin und nicht zuletzt die Geliebte von solchen Größen wie Howard Hughes, Frank Sinatra und Marlon Brando. Sie war befreundet mit Truman Capote, der die Holly Golightly aus „Breakfast at Tiffany’s“ nach ihrem Vorbild schuf. Und jetzt hat sie mit 85 einen erotischen Roman verfasst, der keiner ist. Das Prädikat „Literatur“ hat er sich erst recht nicht verdient. Bleibt also nur noch der von der New York Times etwas halbherzig verliehene Titel des möglicherweise heißesten Buchs einer Achtzigjährigen.

In einem Interview, das dem Roman angehängt ist, weist Gloria Vanderbilt den Zusammenhang mit ihrem Alter weit von sich: „Das Alter des Künstlers ist nicht wichtig, darüber spricht niemand. Ich meine, das ist, als würde man sich ein Gemälde anschauen und fragen: Wie alt war die Person, die das gemalt hat? So denkt man nicht.“ Nur die New York Times vielleicht.

In dem Interview wird die Autorin außerdem gefragt, wie der Bekanntenkreis auf den Roman reagiert habe, und sie antwortet, dass sich zwei enge Freunde Sorgen um ihre Reputation gemacht hätten. Sie aber habe ihnen gesagt, das Einzige, wovor sie zurückschrecken würde, wäre, „einen Roman zu veröffentlichen, der schlecht geschrieben ist“. Enge Freunde sollten einander sagen, wenn es Zeit zum Zurückschrecken ist. Alter hin oder her.

Gloria Vanderbilt: Die Bienenkönigin, Aufbau Verlag, Berlin, 2010, 134 Seiten, gebunden, mit Lesebändchen, derzeit vergriffen, ISBN 978-3378006980

Der Reportage-Hedonist

Manchmal begegnet man seinem persönlichen Buch des Jahres erst spät – im Suhrkamp Verlag ist jetzt eine Sammlung von Essays und Reportagen des amerikanischen Journalisten John Jeremiah Sullivan erschienen, die unbedingt zum Buch des Jahres vieler Leser werden sollte.

Seine Reportagen aus der Neuen Welt übertreten in außergewöhnlicher Weise die Grenze zwischen Literatur und journalistischer Berichterstattung. Sie sind scharfsinnig, nahegehend, manche mit feinem Witz, ohne zu spotten, insgesamt ganz und gar erstaunlich.

Seine Herangehensweise ist stets direkt und ehrlich, seine Themen sind vielfältig: Reality-Fernsehen, ein Besuch im vom Hurrikan Katrina zerstörten New Orleans, Robert Johnson und die Wurzeln der Country-Blues-Musik, Disney-Land sowie eine Audienz – anders lässt sich das nicht bezeichnen – bei Bunny Wailer, dem letzten noch lebenden Mitglied von Bob Marleys erster Band. Sullivan ist nicht nur Wissensvermittler und sturer Protokollant, seine Texte sind an keiner Stelle überheblich, sondern strotzen vor Lust am Erleben. Er ist ein Reportage-Hedonist.

Stilsichere Beobachtungsgabe bei Porträts

Das „Time Magazine“ vergleicht den jungen 1974 geborenen Sullivan schon mit David Foster Wallace, Hunter S. Thompson und Tom Wolfe, dabei drängt sich auch der Name Truman Capote auf. Sullivan und Capote eint nicht nur, dass sie beide schnell als Nachwuchsautoren hochgelobt wurden, sondern vor allem ihre stilsichere Beobachtungsgabe bei Porträts.

Wie Sullivan über Axl Rose, Sänger der Rockband Guns N’Roses, schreibt, ist beeindruckend. Wie er von einem Konzertbesuch übergeht in die Beschreibung seiner Recherche zu einem Vorfall in Axls Kindheit, um dann in einer weiteren Passage Axls Stimmlagen im Song „Sweet Child O‘ Mine“ zu hinterfragen und nonchalant das Veröffentlichungsjahr von „Don’t cry“ dazu zu nutzen, aus seiner eigenen Jugend zu erzählen – das ist geschickt und kunstfertig.

Sullivan versteht es, zu begeistern und neugierig zu machen. Danach will man nicht nur wieder die alten Guns N’Roses-Platten hören, sondern noch mehr lesen und wissen über all diese Dinge. Manchmal verweist er auf weitere Nachforschungsmöglichkeiten, etwa als er über Michael Jackson oder den Naturforscher Constantine Samuel Rafinesque erzählt. Sein Text über die Tiere, die in die Städte vordringen und Menschen aus unerfindlichen Gründen anfallen und töten, macht nachdenklich.

Sympathisch nahbar

Die wundersame Heilung seines Bruders, nachdem dieser durch einen Mikrofonständer einen Stromschlag erlitten hatte, liest man zunächst ungläubig und kopfschüttelnd, dann aber derart angerührt durch die Unverstelltheit des Autors. Er schreckt nicht davor zurück, distanzlos zu sein und wirkt dadurch auch gegenüber dem Leser sympathisch nahbar. Ganz offenbar wird das in dem Text „Das Haus der Peyton Sawyer“ über eine Kulisse der Fernsehserie „One Tree Hill“, die zufällig Sullivans eigenes Haus ist.

Suhrkamp hat der Sammlung den Untertitel „Vom Ende Amerikas“ gegeben. Das ist befremdlich. Weder zeigen die Magazinbeiträge, die in Zeitschriften wie dem „New York Time Magazine“ oder der „Gentlemen’s Quarterly“ erschienen sind, eine zeitlich dem Untergang geweihte amerikanische Kultur und Politik, noch ließen sich die Südstaaten, als deren Vertreter Sullivan sich versteht, als das geographische Ende Amerikas bezeichnen. In den USA trug das Buch nur den sachlich richtigen Untertitel „Essays“. In der englischen Ausgabe wurde daraus „Dispatches from the Other Side of America“. Warum konnte Suhrkamp das nicht übernehmen und Sullivan „Depeschen“ schreiben lassen? Das wäre in seinem Sinne gewesen.

Was fängt man nun mit diesem Buch an? Kaufen. Lesen. Immer wieder. Und Freunden davon erzählen. Sullivan steht erst am Anfang. Und er ist bereits jetzt brillant. Mehr davon, Mr. Sullivan.

John Jeremiah Sullivan: Pulphead, Suhrkamp Verlag, Berlin, 2012, 416 Seiten, Taschenbuch, 20 Euro, ISBN 978-3518068908

Truman Capote trifft…

Mit der Monroe ging er zur Beerdigung, Liz Taylor lud ihn zum Champagnerschlürfen und Marlon Brandos Schwärmereien über Apple Pie und die Schauspielerei lauschte er in dessen Hotelzimmer in Kioto – Truman Capotes Porträts sind tiefe Einblicke in die Welt früherer Stars und Sternchen, taktlos, direkt und zu Recht legendär. Niemand sonst hätte es gewagt zu offenbaren, dass Marilyn Monroe die englische Königin als „Fotze“ bezeichnete.

Die Porträts, die der Verlag Kein & Aber im Jahr 2009 zum 25. Todestag des amerikanischen Schriftstellers herausgegeben hat, sind alle schon einmal in anderen Werken erschienen, jedoch niemals zusammen. Sie zeigen jene Wahrheiten, die Capote über seine Freunde aus der High Society schrieb und die ihm später die Einsamkeit brachten – denn viele Enthüllungen wurden ihm nicht verziehen. Capote war stets ein feiner Beobachter. Er sezierte die Eigenschaften und Schrulligkeiten der Schriftsteller, Schauspieler und Reichen der Gesellschaft und gehörte doch selbst dazu.

Das schmale, gebundene Büchlein versammelt elf Poträts von einstigen Stars wie Coco Chanel, Louis Armstrong oder Humphrey Bogart. Die meisten von ihnen umfassen nur wenige Seiten, Marilyn Monroe und Marlon Brando aber spielen die beiden Hauptrollen in dieser Sammlung. Von außen betrachtenswert, von innen lesenswert, von der Größe perfekt für die Westentasche des Herrn oder die kleine Handtasche der Dame.

Würden doch heutzutage weniger Gefälligkeitsporträts geschrieben und häufiger solche capote’schen Betrachtungen – es wäre eine Wohltat. Adam Soboczynski, Redakteur im Feuilleton-Ressort der Wochenzeitung „Die Zeit“, bringt es im „Zeit“-Magazin (14.04.2011, Nr. 16) auf den Punkt: „Es gilt bei Porträts die traurige Regel: Je ausgewogener das Porträt, desto unspektakulärer ist es. Allergrößte, himmlische, unerreichte Porträtistenkunst wäre es, mit dieser Regel zu brechen.“ Capote hat das getan. Er wurde dafür bestraft, aber er hat es getan. Die Zeugnisse davon sind nachzulesen.

Truman Capote: Marilyn & Co., Kein & Aber Verlag, Zürich, 2009, 175 Seiten, gebunden, mit Lesebändchen, 14,90 Euro, ISBN 978-3036955483

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