Hauptsache, du schläfst mit mir

Das Musikprojekt „Sin with Sebastian“ landete in den 90er Jahren mit „Shut up (and sleep with me)“ einen Hit. Joanna Briscoes Roman „Schlaf mit mir“ trägt eine ähnliche Aufforderung im Titel – zum Hit reicht das Buch leider nicht, auch wenn es teilweise erotisch-deftig daherkommt.

Richard und Lelia sind ein glückliches Paar – noch unverheiratet und keine Kinder, beide sind berufstätig. Richard arbeitet als Redakteur in der Feuilleton-Redaktion einer Tageszeitung, Lelia lehrt Französisch und Deutsch an einem College der Universität von London. Auf einer Party bei Freunden lernen sie Sylvie Lavigne kennen. Für Richard ist sie zunächst nur ein „Gespenst“, „irgendein Gesicht in einer Gruppe von zehn Personen“. Lelia erinnert sich an sie als „jemand ziemlich Stilles, aber irgendwie auch Nettes“. Die folgende Geschichte wird dem Leser abwechselnd aus der Sicht von Richard und Lelia erzählt. Worauf das alles hinausläuft, verrät der Klappentext schon – Sylvie macht sich nicht nur an Richard ran, sondern auch an Lelia.

Dann ist Lelia plötzlich schwanger – und Richard einen Moment zu lange schweigsam, als sie ihm die freudige Nachricht überbringt. Richard entfernt sich, ist schockiert angesichts der Milchpumpen, Strampler und Brustwarzenschoner, die Lelia in Erwägung zieht, und wendet sich immer mehr dieser unscheinbaren Französin Sylvie zu. Für den Leser bleibt es aber rätselhaft, was diese blasse Frau mit einem Mal so anziehend macht.

Vom Mauerblümchen zur sexuell anziehenden Gefahr

Es ist eine der großen Schwächen dieses Buches, dass zwar aus beiderlei Sicht die Entfernung und Entfremdung voneinander und die Zuwendung zur Dritten emotional, teilweise stark schwülstig beschrieben wird, die Verwandlung eines Mauerblümchens zur sexuell anziehenden Gefahr aber ungeklärt bleibt. Dass sich hinter der Ménage à trois auch noch ein Psychothriller abspielt, sorgt zwar für einen Spannungsbogen, der aber durch erwartbare Details an Aufgeregtheit verliert.

„Schlaf mit mir“ ist Briscoes dritter Roman. Sie arbeitet in England als freie Journalistin und Autorin und hat 2012 ihr viertes Werk „Gefährliche Nähe“ veröffentlicht. „Schlaf mit mir“ ist kein Leserherzfüller wie „Shut up (and sleep with me)“ ein Tanzflächenfüller war. Der Roman wird kaum einen Mann ansprechen und ist wohl ohnehin eher für das weibliche Publikum geschrieben worden – allzu unverhohlen stellt Briscoe den Fremdgänger und nichtbereiten Vater Richard als emotionale Nullnummer dar und scheint sich der Zustimmung der Leserinnen gewiss.

Der Dame sei zu raten: Die ersten Seiten anlesen, wenn’s gefällt, mit in den Sommerurlaub nehmen und nach dem Lesen im Hotel lassen. „Schlaf mit mir“ ist ein Werk, das das Regal nicht braucht.

Joanna Briscoe: Schlaf mit mir, Bloomsbury Verlag, Berlin, 2005, 373 Seiten, mit Lesebändchen, gebunden, derzeit vergriffen, ISBN 978-3827005915
Joanna Briscoe: Schlaf mit mir, Bloomsbury Taschenbuch-Verlag, 2006, 371 Seiten, broschiert, 10 Euro, ISBN 978-3833303722

Der britische Sündenbock

Der Kalte Krieg war gerade auf einem seiner Höhepunkte, als in London der britische Kriegsminister John Profumo über eine Affäre mit dem Fotomodel Christine Keeler stürzte, die gleichzeitig eine Liebelei mit dem sowjetischen Marineattaché Jewgenij Iwanow hatte. Als Gewährsmann galt der High-Society-Osteopath Dr. Stephen Ward, der nicht nur mit Profumo, sondern auch mit Iwanow, Keeler und allerlei anderen britischen Stars und Sternchen verkehrte und einen Ruf als schillernder Lebemann hatte.

Als Profumo von seinen Ämtern zurückgetreten war, wurde urplötzlich Dr. Ward wegen Zuhälterei angeklagt und in einen Sensationsprozess gezerrt, in dem britische Prüderie auf den Beginn der „Swinging Sixties“ prallte. Den Prozess beobachtet hat damals die deutsch-britische Schriftstellerin und Journalistin Sybille Bedford. Jetzt ist ihre Gerichtsreportage erstmalig auf Deutsch erschienen und beeindruckt nachhaltig.

Es ist der 22. Juli 1963, als im Londoner Gericht Old Bailey die Anklageschrift gegen Dr. Ward verlesen wird. Dr. Ward, dessen Praxis einst Patienten wie Mahatma Gandhi, Winston Churchill oder Ava Gardner besuchten, war im Vorfeld des Prozesses „vorsichtig ausgedrückt, verfemt und in Ungnade gefallen“, wie Bedford schreibt. Vertreter der Anklage ist derselbe, der schon im „Lady-Chatterley“-Prozess mit seiner Prüderie für Aufsehen gesorgt hatte: der konservative Mervyn Griffith-Jones. So vermerkt Bedford, dass Griffith-Jones während des ganzen Prozesses nur das Wort „Geschlechtsverkehr“ verwendete, und es klingt in den Zeilen mit, wie angewidert der Ankläger das Wort ausgesprochen haben muss.

Was folgt, skizziert Bedford mit feiner Beobachtungsgabe. Sie ist empört, schlägt sich auf die Seite der Verteidigung, wirft Fragen auf, die im Prozess entweder nicht gestellt oder gar vom Richter und Staatsanwalt abgebügelt werden. Sie ist weit entfernt von jeglicher Vorverurteilung und predigt keine Moral. Mit Neugier verfolgt sie, wie unterschiedliche Gesellschaftsschichten aufeinanderstoßen und erkennt schon bald, wie wenig Chance besteht, die tatsächliche Wahrheit zu finden, wenn sich Politik, Justiz und Presse zusammentun, um einem Mann das Leben schwer zu machen. Man liest von Prostituierten als Zeuginnen, die Eide schwören, nur um die Aussagen später zu widerrufen. Von polizeilichem Druck ist die Rede, von Belastungszeuginnen, die hanebüchene Geschichten zum Besten geben, wenig hinterfragt von Staatsanwaltschaft und Gericht.

Das wirklich Tragische jedoch an diesem Fall ist, dass Dr. Ward seine Fürsprecherin nur ein einziges Mal kennengelernt hat – auf einer gemeinsamen Taxifahrt am Abend des letzten Gerichtstags. Dr. Ward und Sybille Bedford sollten sich nie wiedersehen, denn Dr. Ward nahm noch in derselben Nacht eine Überdosis Schlaftabletten.

„Wie dieses Urteil ausgefallen wäre, werden wir nie erfahren“, schreibt Bedford am Ende ihrer Gerichtsreportage. „Das ist nicht die einzige offene Frage nach diesem Prozess. Was war der Grund für die gnadenlose Verfolgung von Dr. Ward, und warum verfing sie? War es das Ergebnis einer bewussten Entscheidung, hat irgendjemand, irgendwo, bestimmte Dinge angedeutet, ausgesprochen, angeordnet? Oder war es die Summe von Zufällen, von fast unbewussten Manipulationen von Trends und Meinungen, von etwas Atmosphärischem? Wenn wir hartnäckig genug fragen, werden wir die eine oder andere Antwort bekommen. Der Rest darf nicht Schweigen sein.“

Der Fall des Dr. Ward ist bis heute nicht vollständig aufgeklärt. Da hilft nur, sich hartnäckig dafür einzusetzen, dass dieses Buch gelesen und die Erinnerung wach gehalten wird. Lesen, unbedingt! „Der Rest darf nicht Schweigen sein.“

Sybille Bedford: Jagd auf einen Lebemann – Der Prozess Dr. Ward, Schirmer/Mosel Verlag, München, 2011, 101 Seiten, 15 Abbildungen in Duotone, gebunden, 12,80 Euro, ISBN 978-3829605434

Der lachende Vaga… Vampir

Die junge Amanda Hocking ist ein Medienphänomen – sie gehört zu Amerikas sogenannten Indie-Autoren und wurde innerhalb von vier Monaten mit neun als E-Books selbst verlegten Jugendbüchern zur Auflagen- und Dollarmillionärin. Im cbt-Verlag sind nun die ersten beiden Bücher ihrer neuen Vampirsaga erschienen. Sie sind eine wahre Erfrischung nach der prüden Twilight-Serie.

Alice Bonham ist 17 Jahre alt, als sie den ersten Vampir ihres Lebens trifft. Der gibt sich natürlich nicht als solcher zu erkennen, sondern ist zunächst nur Retter in der Not, als sie und ihre beste Freundin Jane des Nachts von einigen Männern verfolgt werden. Sie flüchten in ein Parkhaus, und schon ist Jack zur Stelle.

Der Twilight-Leser erinnert sich: Bella empfand ihren Edward gleich zu Anfang als atemberaubend schön. Alice aber sieht sich zunächst nur einem „weder außergewöhnlich gut gebauten noch besonders großen“ Typen mit einem pinken T-Shirt mit der Aufschrift „Wahre Männer tragen pink“ gegenüber. Das klingt eher nach Witzfigur als nach Vampir. Doch es ist nur Alice, die Jack nicht besonders anziehend findet. Ihre Freundin Jane dagegen kann gar nicht von ihm lassen, und auch die Gäste und Bedienungen in einem American Diner sind hin und weg von diesem Typen mit dem pinken Shirt.

Jack ist sogar für den männlichen Leser zu ertragen, weil er eigentlich eine coole Socke ist – abgesehen von seiner Angewohnheit, seltsame T-Shirts zu tragen. Aber er hat einen außergewöhnlich guten Musikgeschmack und ist Fan von Bands wie The Cure, The Ramones, Joy Division, Smashing Pumpkin und Motion City Soundtrack.

Und erfreulicherweise sind die Vampire nicht so prüde wie die Twilight-Blutsauger. Das heißt, bei Amanda Hocking wird offen über Sex gesprochen, und auch Homosexualität wird zu einem ernsten Thema.

Was aber ist der Zauber dieser Vampirromanze, wenn Alice Jack nicht besonders anziehend findet? Nun, da ist ja auch noch Peter, Jacks Bruder. Und als Alice Jacks Vampir-Familie kennenlernt, begegnet sie auch Peter – und ist schockiert darüber, wie sie reagiert: „Eigentlich hatte mich Peter nur angesehen, doch sein Blick hatte eine verheerende Wirkung auf mich gehabt. Etwas in mir wollte ihn mit aller Macht, doch ich musste dagegen ankämpfen.“ Es ist ihr Blut, das auf Peter reagiert. Und die Vampirfamilie versteht die Welt nicht mehr, denn das gab es noch nie: Der eine Bruder reagiert auf ihr Blut, und der andere verliebt sich in sie. Und Alice? Die lässt sich mehr und mehr auf Jack ein, weil sie von Peter nur Hass erntet.

Das bietet selbstverständlich genug Potential für mehr als nur einen Vampirroman. Und deshalb folgen dem ersten drei weitere Bände. Band zwei ist bereits erschienen, die Bände drei und vier kommen im April 2012 in die Buchläden.

Doch es gibt auch Kritikpunkte. Jack erinnert den Leser von Seite zu Seite immer mehr an den Lachenden Vagabunden, den die junge Leserschaft von Amanda Hocking allerdings kaum noch kennen dürfte. Hocking lässt Jack jedenfalls derart oft lächeln oder lachen, dass es mitunter auch nerven kann.

Außerdem ist auch bei diesem Buch ärgerlicherweise die mittlerweile verbreitete Unart zu beobachten, in der deutschen Übersetzung die amerikanischen Eltern mit Mom und Dad zu bezeichnen.

Den Freunden von leichten Vampirromanzen sei die Buchserie „Unter dem Vampirmond“ jedenfalls empfohlen, den Vergleich mit Twilight muss sie nicht scheuen. Wer es etwas skurriler mag, sollte sich jedoch besser an die Radleys halten.

Amanda Hocking: Versuchung (Unter dem Vampirmond, Bd. 1), cbt Verlag, München, 2011, 319 Seiten, broschiert, 12,99 Euro, ISBN 978-3570161357

Als Porno schick wurde

Bettie Page und Linda Lovelace sind zwei der berühmtesten amerikanischen Sex-Ikonen. Die französische Zeichnerin Nine Antico erzählt in ihrer großartigen Doppelbiografie von der Karriere dieser beiden Frauen, aber auch vom Wesen und Unwesen der Pornoindustrie. Mit Respekt, aber auch mit dem nötigen Abstand.

Antico lässt als allwissenden Erzähler der Geschichte einen Mann auftreten, der selbst ein Symbol der amerikanischen Sexindustrie geworden ist: Playboy-Chef Hugh Hefner, der zu Beginn des Buches zwei unbedarfte Mädchen, die Playboy-Bunnys werden wollen, mit diabolisch-väterlichem Lächeln fragt: „Mädchen, habt ihr überhaupt eine Ahnung, worauf ihr euch einlasst?“ Haben sie natürlich nicht. Und deshalb zeigt der gute, alte Hugh den beiden Mädchen mal, wie das eigentlich mit Bettie Page und Linda Lovelace war: „Diese beiden Frauen haben mit vielen Schwierigkeiten kämpfen müssen, aber sie haben ihre jeweilige Ära geprägt.“

Bettie Page, das wohl einzige Pin-Up-Model der 50er Jahre, das auch heute noch als Kult gilt und vor allem in der BDSM-Szene als Fetisch- und Bondagemodel bekannt ist, und Linda Lovelace, die Frau, die in dem Pornostreifen „Deep Throat“ ihre Klitoris im Hals hatte und den Pornofilm für das breite Publikum interessant machte.

Die nüchternen schwarz-weißen Zeichnungen zeigen die Wege der beiden Frauen in ihrem gesellschaftlichen und historischen Kontext. Und obwohl das Buch erst ab 18 empfohlen wird und einige sexuelle Passagen zu sehen sind, wird es nie schlüpfrig oder unangenehm. Das Buch erregt viel weniger, als dass es erschüttert.

In Zeitsprüngen stellt die 1981 geborene Antico das Leben der beiden Ikonen gegenüber, zeigt ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf und wie sie das Frauenbild ihrer jeweiligen Zeit beeinflusst haben. Beiden Frauen ist gemein, dass sie doch eigentlich Schauspielerinnen werden wollen, dafür aber den Umweg über Nacktfotos und -videos in Kauf nehmen, um irgendwann vielleicht entdeckt zu werden. Und so erleben schließlich beide Frauen sowohl die Glanz- als auch die Schattenseiten des Erfolgs in der Sexindustrie.

Die spielt nicht nur durch Hugh Hefner ihre eigene Rolle in Anticos Buch, sondern auch durch viele andere Wegbereiter und -begleiter der beiden Frauen. Der jungen Zeichnerin gelingt damit ein ernsthaftes, vielschichtiges Werk, das dennoch einen Mangel hat: Dass Hugh Hefner, der selbst Nutznießer der Arbeitsbedingungen in der Sexindustrie ist, zwei zukünftige Playboy-Bunnys vor dem Einstieg in diese Welt warnen will, ist kaum vorstellbar.

Doch abgesehen davon: absolute Leseempfehlung für dieses feministische Doppelportait!

Nine Antico: Coney Island Baby, Verlag bbb Edition Moderne, Zürich, 2011, 232 Seiten, broschiert, 26 Euro, ISBN 978-3037310731

Schlag-Zeilen

„Ich lernte ihn an einem Frühlingsabend kennen. Ich wurde seine Geliebte. Den Latexoverall, den er zum Zeitpunkt seines Todes trug, hatte ich ihm geschenkt. Ich war seine Sex-Sekretärin.“

So beginnt der umstrittene Roman „Streng“ des französischen Autors und Journalisten Régis Jauffret. Umstritten deshalb, weil er den Mord an dem französischen Bankier Edouard Stern aus Sicht seiner Geliebten Cécile Brossard erzählt, die ihn im März 2005 bei sadomasochistischen Sex-Spielen in seiner Wohnung in Genf erschoss.

Die Familie des Ermordeten hatte im Vorfeld versucht, die Veröffentlichung zu stoppen, doch prominente Schriftstellerkollegen wie Frédéric Beigbeder und Michel Houellebecq ergriffen Partei für Jauffret. Jetzt ist der Roman auf Deutsch im Piper Verlag erschienen.

Vom Umschlag dräut schon der Inhalt: Eine weiße Peitsche hebt sich plastisch vom schwarzen Buchdeckel ab, darunter steht der Titel in Majuskeln. „Streng“. Streng ist auch die Satzbildung. Nüchtern. In ihr spiegelt sich die Kaltblütigkeit der Mörderin wider.

Als Cécile Brossard der Prozess gemacht wird, sitzt Régis Jauffret im Gerichtssaal und berichtet von dort für die französische Wochenzeitung „Le Nouvel Observateur“. Erst danach schreibt er den Roman, den er in seiner Einleitung ausdrücklich als „erfunden“ und „Fiktion“ bezeichnet. „In diesem Buch tauche ich in ein Verbrechen ein. Ich begutachte, fotografiere, filme es, zeichne es auf, schneide es zusammen und verfälsche es. Ich bin Schriftsteller, ich lüge wie ein Mörder“, heißt es dort.

Ach, hätte er doch nur einen Roman nicht mit dem nüchternen Stil eines juristischen Textes verwechselt. Der Leser erwartet bei all der Innensicht der Mörderin auch einen Einblick in ihre Gefühlswelt, bekommt aber nur die kalte, mechanische Beschreibung eines Mordes, des Weges dorthin und der anschließenden Flucht. Es fehlt an einer überzeugenden Motivation.

Selbstverständlich spart Jauffret nicht mit sexuellen Details, erotisch aber sind sie beileibe nicht. Kühl und distanziert fallen die Worte dahin. Wer einen literarischen Sado-Maso-Roman sucht, halte sich doch besser an den Altmeister Marquis de Sade als an einen Gerichtsreporter, der aus einer ohnehin schon von den Boulevard-Medien ausgeschlachteten Geschichte einen Roman machen will.

Das französische Nachrichtenmagazin „L’Express“ meint: „Seit ‚Madame Bovary‘ weiß man, dass aus wahren Begebenheiten große Romane erwachsen können. ‚Streng‘ ist einer von ihnen.“ Wie ein renommiertes Magazin wie „L’Express“ Jauffrets Roman mit dem Literaturklassiker „Madame Bovary“ vergleichen kann, ist absolut unverständlich. Nur weil sich auch Flaubert durch einen tatsächlichen Fall zum Schreiben angeregt fühlte? Dann müsste Jauffret erst recht mit Truman Capote verglichen werden. Die französische Webseite „Evène“ („Le Figaro“) geht aber sogar soweit, das Buch als „Romeo und Julia auf sadomasochistisch“ zu bezeichnen – seitdem wird der gute alte Shakespeare vor Wut in seinem Grab rotieren. Von „Romeo und Julia“ ist bei „Streng“ nun wirklich überhaupt keine Spur. Es ist ein Ärgernis, in den Pressezitaten auf dem Buchdeckel von so viel Unverstand zu lesen.

Ein literarischer Wurf von Weltrang ist das nicht. Er dürfte aber an Aufmerksamkeit gewinnen, wenn die Familie des Ermordeten mit ihrer Klage auf Veröffentlichungsverbot nachträglich Recht bekommt und das Buch vom Markt verschwindet.

Régis Jauffret: Streng, Piper Verlag, München, 2011, 174 Seiten, Taschenbuch, 8,95 Euro, ISBN 978-3492264631