Eine Holmes-Studie in triefend rot

Der Fall MoriartyWer im Herbst 2014 in London war, sah Lesende in den U-Bahnen und Cafés fast nur in ein einziges Buch vertieft: „Der Fall Moriarty“ von Anthony Horowitz. Nach dessen erfolgreichem Sherlock-Holmes-Roman „Das Geheimnis des weißen Bandes“ ist dem britischen Autor eine zweite faszinierende und spannende Version des klassischen Detektivromans gelungen.

Sherlock-Holmes-Fans wissen Bescheid: Der große Meisterdetektiv und sein Widersacher, Professor James Moriarty, haben sich einst an den Schweizer Reichenbachfällen getroffen und sind dort auch gestorben. Sherlock Holmes jedoch nur vorübergehend, denn die Fans waren geradezu empört, dass Arthur Conan Doyle Holmes so plötzlich und unrühmlich aus dem Leben scheiden ließ. Was jedoch in der Zeit zwischen der Reichenbach-Geschichte „Das letzte Problem“ und der Wiederauferstehung in „Das leere Haus“ geschah, dazu gibt es einige Interpretationen.

Horowitz hat sich eine weitere ausgedacht, denn „Der Fall Moriarty“ beginnt genau dort: An den Reichenbachfällen und mit der Leiche des Verbrechers Moriarty auf dem Tisch. Dort begegnen sich Inspektor Athelney Jones von Scotland Yard und der amerikanische Privatermittler Frederick Chase. Im Futter der Brusttasche entdecken die beiden einen Brief mit einem Code. Als der schließlich entschlüsselt ist, offenbart sich die tatsächliche Geschichte, denn Moriarty sollte sich in London mit dem berüchtigten amerikanischen Gangster Clarence Devereux treffen, der seine Geschäfte nach England ausdehnen will.

Die Londoner Unterwelt rümpft die Nase

Dass das viktorianische London bereits die neue Heimat für Devereaux geworden ist, zeigt sich an den wenig zimperlichen Morden, die sich quer durch die Stadt ziehen und nicht gerade nach feiner, englischer Machart sind. Da wird des nächtens ein ganzer Haushalt vergiftet und grausam niedergemetzelt, auf Scotland Yard ein Bombenanschlag übelster Sorte verübt und ohne viele Fragen das Feuer eröffnet. Die Londoner Unterwelt rümpft die Nase, weiß sich aber nicht so recht der dominanten amerikanischen Gewaltspirale zu entziehen. Denn jegliche Kritik wird sogleich mundtot gemacht – mitsamt demjenigen, der es gewagt hat, die amerikanischen Methoden infrage zu stellen.

Doch in Chase und Jones, der dem großen Vorbild Sherlock Holmes in seiner detektivischen Brillanz nacheifert, haben die amerikanischen Gangster würdige Gegner gefunden. Im Licht der Gaslaternen sind sie dem größten Verbrecher der Vereinigten Staaten auf der Spur, die sie zu Fuß und per Kutsche quer durch die Stadt und bis in die Katakomben des Smithfield Meat Markets führt.

Horowitz‘ neuer Roman ist kein zelebrierter Fünf-Uhr-Tee, sondern eine erneut gelungene Mixtur aus Sherlock-Holmes-Anleihen und modernen Thriller-Elementen. Die drastische Gewaltdarstellung erinnert in ihrer Blutigkeit an schwedische Krimis und ist für Fans des klassischen Sherlock Holmes womöglich nur mit Zahnschmerzen zu ertragen. Manchen von ihnen wird es Horowitz aber ohnehin nicht recht machen können.

Allen anderen aber sei dieser neue Wurf ans Herz oder vielmehr ans Bett gelegt, denn „Der Fall Moriarty“ ist beste Bettlektüre, gerade wenn es draußen rau und unwirtlich ist. Und er wartet mit einem verblüffenden Dreh und einer raffinierten Lösung auf, von der man mehr verraten möchte und doch nicht darf. Deshalb: Lesen, lesen, lesen!

Anthony Horowitz: Der Fall Moriarty, Insel Verlag, Berlin, 2014, 343 Seiten, gebunden, 19,95 Euro, ISBN 978-3458176121, Leseprobe, Video zum Buch

Leipziger Buchmesse 2014: Axel Hacke und Stefan Bachmann

Sprechen über Fußball: Der taz-Chefreporter Peter Unfried (l.) und der Journalist und Schriftsteller Axel Hacke.
Sprechen über Fußball: Der taz-Chefreporter Peter Unfried (l.) und der Journalist und Schriftsteller Axel Hacke.
Nachdem einige Messebesucher schon am Donnerstag das zweifelhafte Vergnügen gehabt haben, Axel Hackes Äußerungen über den Fall Hoeneß zu hören, tritt er am Freitag auch im Studio der Tageszeitzung taz auf, um über sein neu erschienenes Buch „Fußballgefühle“ zu sprechen.

Axel Hacke, der Journalist und Autor solcher Bucherfolge wie „Der weiße Neger Wumbaba“ und zuletzt „Oberst von Huhn bittet zu Tisch“ sagt von sich selbst, er sei kein Fußball-Fan, sondern lediglich Fußball-Freund. Denn das Fansein sei ihm fremd.

Doch die Begeisterung für den Fußballsport ist ihm in seiner Heimatstadt Braunschwein gleichsam in die Wiege gelegt worden. Als Erweckungserlebnis nennt er das Jahr 1967, jenes historische Jahr, als Eintracht Braunschweig zum ersten und bisher letzten Mal Deutscher Meister wurde. Da war Axel Hacke 11 Jahre alt. „So ein Ereignis kann einen Jungen in dem Alter prägen“, sagt Hacke.

Peter Kaack als Panini-Bild

Er erzählt von dem Panini-Album, in dem ihm damals nur noch ein einziges Klebebildchen fehlte: Das von Peter Kaack, jenem tragischen Eintracht-Spieler, der beim Europapokalspiel gegen Juventus Turin (Saison 1967/68) drei Treffer erzielte – zwei davon jedoch Eigentore. Und ausgerechnet das Klebebildchen dieses tragischen Helden der Eintracht fehlte im Panini-Album von Axel Hacke.

40 Jahre später schrieb er darüber einen Beitrag in seiner Kolume in der Süddeutschen Zeitung. „Tage später mache ich meine Post auf, und da flattert mir ein von Kaack signiertes Bild entgegen – da war ich sehr gerührt.“

Und es sind auch andere tragische Ereignisse, die den jungen Hacke in seiner Fußballwahrnehmung prägen. Als 1968 der Eintracht-Spieler Jürgen Moll und dessen Frau bei einem schweren Verkehrsunfall ums Leben kommen, war das der „erste große Schock in meiner Kindheit“. „Ich erinnere mich noch: Da erschien die Braunschweiger Zeitung sogar mit einem Extrablatt, das war ein ganz schöner Schlag für die Stadt und für mich.“ Noch heute rühre ihn die Geschichte zu Tränen.

„Ich mag den ungeschminkten Größenwahn“

Dann aber kommt Moderator Peter Unfried auf Bayern München zu sprechen: „Sie sind jetzt Bayern-Fan.“ Darauf Hacke: „Äh, nein, ich weigere mich, Fan zu sein, aber ich mag den ungeschminkten Größenwahn des Vereins und seine Art, dazu zu stehen und solchen Fußball zu spielen wie jetzt.“

Unfried fragt auch nach Hackes Reaktion auf den Fall Hoeneß. Hacke antwortet: „Ich bin dafür, auch die Kompetenz von Menschen zu sehen. Er ist ja kein Unmensch. Ja, er hat Steuern hinterzogen, und dafür geht er jetzt ins Gefängnis, aber kein Mensch ist nur gut oder nur böse, und das gilt auch für Hoeneß. Diese Häme, die jetzt über ihm ausgeschüttet wird, ist mir fremd.“

Auch der Frauenfußball ist Hacke fremd: „Ich mag keinen Frauenfußball, ich weiß aber auch nicht, was daran so schlimm ist, ich meine, es gibt ja auch viele Frauen, die auf Frauenfußball stehen, aber keinen Männerfußball mögen.“ Natürlich finde er das „super“, dass Frauen Fußball spielen. „Aber ich mag nun mal das Niveau der Bundesliga der Männer.“

Verzweifelungstaten gegen Bayern

Internationalen Fußball dagegen hält der Journalist für „langweilig“. Barcelona habe lange langweiligen Fußball gespielt. Aber auch das Champions-League-Spiel der Bayern gegen Arsenal am vergangenen Dienstag habe ihn bald gelangweilt, obwohl Bayern München in der ersten Halbzeit „unfassbar überlegen“ gewesen sei. Arsenals Bälle dagegen seien nur „Verzweifelungstaten gegen das perfekte Spiel der Bayern“ gewesen. Das Spiel endete 1:1 (0:0).

Hacke geht in seinem neuen Buch der Frage nach, was die Schönheit des Fußballs ausmacht. Im Gespräch bei der taz sagt er, ihn interessiere eher die Einzelleistung eines Spielers, nicht die Teamleistung. Maradona etwa habe ein ganzes Team ausgemacht. „Das waren Genies!“ Heute zähle aber mehr die Mannschaftsleistung.

„Mir ist die Austauschbarkeit von Spielern in diesen Teams suspekt.“ Wer etwa bei Bayern München einen Spieler vom Platz nehme und durch einen anderen ersetze, könne sicher sein, dass sich das Rädchen perfekt einfüge. „Früher gab es mehr Irre auf dem Platz – so wie Zlatan Ibrahimović heute“, erklärt er.

Abschließende Frage im taz-Studio: Können wir mit Jogi Weltmeister werden? Hacke antwortet schwammig. „Man gibt die Hoffnung ja nicht auf.“ Und: „Das Problem ist, dass so viele Spieler verletzt sind.“ Und weiter: „Hinterher kann man dann immerhin sagen, es lag daran, dass so viele verletzt sind.“ Der taz-Chefreporter Unfried besteht aber auf eine eindeutige Antwort. Doch Hacke floskelt nur: „Deutschland ist eine Turniermannschaft.“ Er bleibt die Antwort schuldig.

Axel Hacke: Fußballgefühle, Antje Kunstmann Verlag, München, 2014, 176 Seiten, gebunden, 16 Euro, ISBN 978-3888979330

Alles andere als seltsam: Der junge Stefan Bachmann, Autor von "Die Seltsamen", (l.) im Gespräch mit Wolfgang Tischer.
Alles andere als seltsam: Der junge Stefan Bachmann, Autor von „Die Seltsamen“, (l.) im Gespräch mit Wolfgang Tischer.
Etwas versteckt wurde dem Buchmessen-Publikum am Freitag Stefan Bachmann präsentiert. Der Name des jungen Autors ist derzeit in vielen Mündern, weil er als 18-Jähriger mit seinem phantasievollen Debüt in Amerika zum Bestsellerautor wurde, jedoch eigentlich Schweizer ist. Jetzt hat der Diogenes Verlag die deutsche Übersetzung als „Die Seltsamen“ veröffentlicht.

Im Forum autoren@leipzig erzählt der heute 21-jährige Jungautor, wie er zum Schreiben kam: „Wenn man viel liest, will man irgendwann selber schreiben.“ Er sei beim Lesen oft böse auf die Autoren gewesen, weil sie nie ihre Geschichte so erzählt haben, wie er sie gerne gelesen hätte. „Deshalb musste ich anfangen, meine eigenen Geschichten zu erzählen.“

Mit einem bewundernswerten Selbstbewusstsein erklärt er, er habe zuvor viele andere Bücher geschrieben. „Die waren dann immer weniger schlecht.“ Und schließlich habe er sich an „Die Seltsamen“ gemacht (im Original: „The Peculiar“). Erst wenn seine Mutter und seine Schwester ein Kapitel gelesen und für gut befunden hatten, schrieb er weiter. Andernfalls schrieb er es um.

„Ich habe jedes Mal versucht, es besser zu machen“

Der 1993 in Boulder, Colorado, geborene Bachmann lebt seit seinem elften Lebensjahr in Zürich, schrieb seinen Roman jedoch auf Englisch und dachte nicht daran, ihn auf Deutsch zu veröffentlichen. Stattdessen schickte er sein Manuskript an amerikanische Agenten. Eins nach dem anderen. „Wenn die Absage kam, habe ich jedes Mal versucht, es besser zu machen.“ Dann schickte er das Manuskript an den nächsten Agenten. Bis eine Agentin das Potential erkannte und zuschlug.

„Die Seltsamen“ sind Mischlinge, halb Mensch, halb Feenwesen. Und Bartholomew Kettle ist ein solcher Mischling. Seit einiger Zeit verschwinden die Mischlinge aus London und werden nicht mehr gesehen. Als Bartholomew sich auf die Suche nach seiner Schwester macht, beginnt eine eigentümliche Geschichte, die schon mit jenen von Charles Dickens verglichen wurde.

Dass Bachmann mit einem solchen Namen der Weltliteratur in einem Atemzug genannt wird, erklärt sich der Schüler jedoch so: „Wenn man jung ist, hat man weniger im Kopf, dann ist der Stil noch ähnlich der gelesenen Bücher.“

„Ja, das nervt sicherlich alle“

In den Feuilletons wird dem Wunderkind am häufigsten vorgeworfen, dass sein Buch an der spannendsten Stelle aufhöre. Bachmann hat dafür durchaus Verständnis: „Ja, das nervt sicherlich alle, aber für mich war es klar, dass es zwei Bände geben wird, aber dann ist auch wirklich Schluss.“

Ob aus dem jungen Mann nun tatsächlich ein Schriftsteller mit eigenem Stil wird oder nach zwei Büchern auch die kurze Schreib-Karriere ein Ende hat, wird sich zeigen. Denn der 21-Jährige will eigentlich Filmkomponist werden. Dafür studiert er seit seinem elften Lebensjahr am Zürcher Konservatorium Orgel und Komposition. Für den Online-Buchtrailer hat er die Musik komponiert.

Zu „Die Seltsamen“ wird beizeiten eine Seitengang-Rezension erscheinen.

Stefan Bachmann: Die Seltsamen, Diogenes Verlag, Zürich, 2014, 368 Seiten, gebunden, 16.90 Euro, ISBN 978-3257068887

Lesen Sie Gasdanow!

Das Phantom des Alexander WolfEin junger Mann von 16 Jahren erschießt im russischen Bürgerkrieg einen Reiter. Noch Jahre später bedrückt ihn die Erinnerung daran. Doch eines Tages fällt ihm ein Buch in die Hände, in dem genau diese Szene beschrieben steht – aus der Sicht des vermeintlich Getöteten. Hat er überlebt? Der inzwischen erwachsen gewordene Erzähler macht sich auf die Suche nach dem Mann, der offenbar ihr gemeinsames Erlebnis aufgeschrieben hat.

„Das Phantom des Alexander Wolf“ ist eine Entdeckung für deutsche Leser. Der russische Schriftsteller Gaito Gasdanow war Ende der 20er Jahre in Paris einer der hoffnungsvollsten Prosaiker, die die aus Russland emigrierten Literaten zu bieten hatten. Neben Vladimir Nabokov war es der Name Gasdanow, der ähnlich häufig genannt wurde, erst recht nach seinem Debütroman „Abend bei Claire“. Bis heute gilt Gasdanow als einer der wichtigsten Exilautoren des 20. Jahrhunderts.

Allerdings ist er in Deutschland weitestgehend unbekannt geblieben. „Das Phantom des Alexander Wolf“ wurde zum ersten Mal 1947 bis 1948 in der New Yorker Zeitschrift „Nowy Schurnal“ veröffentlicht, ab 1950 erschienen europäische Übersetzungen. Deutschland aber musste bis zum Ende des Jahres 2012 warten, ehe der Hanser Verlag die glänzende Übersetzung von Rosemarie Tietze herausgab. Und zu Recht schreibt Tietze am Ende ihres aufschlussreichen Nachworts: „Höchste Zeit, dass auch für den deutschen Leser das Phantom des Gaito Gasdanow endlich reale Gestalt annimmt.“

„Arbeit von ermüdender Vielfalt“

Der Roman spielt im Paris des Jahres 1936. Der Ich-Erzähler ist russischer Emigrant, der als Journalist sein Geld verdient, obwohl er doch lieber Schriftsteller wäre: „Statt dass ich meine Zeit literarischer Tätigkeit widmete, zu der ich mich hingezogen fühlte, die jedoch gehörigen Zeitaufwand und uneigennützigen Einsatz verlangt hätte, gab ich mich mit Journalismus ab, einer sehr unregelmäßigen Arbeit von ermüdender Vielfalt.“

Seine Suche nach dem Schriftsteller Alexander Wolf gestaltet sich trotz intensiver Recherche schwierig. Erst als er Heiligabend in einem russischen Restaurant einen Mann namens Wladimir Petrowitsch Wosnessenski kennenlernt, kommt er dem Phantom auf die Spur. Denn durch einen wahrhaft erstaunlichen Zufall, den der Leser Gasdanow zu gerne verzeiht, kennt ausgerechnet Wosnessenski den geheimnisvollen Alexander Wolf.

Gasdanows Roman ermöglicht dem Leser eine bemerkenswerte Reise in die Welt des russischen Emigrantenmilieus kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Ganz offensichtlich hat Gasdanow von eigenen Erfahrungen gezehrt. Auch er meldete sich mit fast 16 Jahren freiwillig zum Militär, diente als Soldat auf einem Panzerzug und kam mit 23 Jahren nach Paris, wo er Taxi fuhr und schrieb.

Boxkampf im Halbschwergewicht

Sein Stil im „Phantom des Alexander Wolf“ ist sachlich prägnant, schnörkellos, berichtend, auch in Liebesdingen fast distanziert. Die Beschreibung eines Boxkampfes im Halbschwergewicht zwischen einem Franzosen und einem Amerikaner wird zum hervorragenden Beispiel einer guten Sportberichterstattung.

Gasdanow lässt seinen Erzähler über Leben und Tod, Liebe und Moral diskutieren. Und was ist das für eine herrliche Szene, als der Erzähler von seiner Geliebten aufgefordert wird, Konfekt an Prostituierte zu verteilen! Oft möchte man verzückt mit der Zunge schnalzen, so wunderbar allumfassend ist dieser Roman geraten.

Lesen Sie Gasdanow! Er ist eine Entdeckung, fürwahr.

Gaito Gasdanow: Das Phantom des Alexander Wolf, Hanser Verlag, München, 2012, 191 Seiten, gebunden, 17,90 Euro, ISBN 978-3446238534

Fälschen will gelernt sein, Schreiben auch

Mark Trace will Schriftsteller werden und entdeckt schon früh ein seltenes Talent: Er kann sich den Stil berühmter Literaten aneignen und schreiben wie sie. „Der Hochstapler“ von David Belbin wartet mit einigen vergnüglichen Szenen auf: So bricht Mark während der Beerdigung von Roald Dahl in dessen Gartenlaube ein, um auf seiner Schreibmaschine eine Kurzgeschichte zu fälschen, während Dahls Enkel vor der Tür stehen und sich vor dem Geist ihres Großvaters gruseln. Einige schöne Ideen folgen, doch zum Ende wird das Buch fade. Sprachlich ist es ohnehin keine Wucht.

Alles beginnt in der Schule, als der 14-jährige Ich-Erzähler Mark ein Kapitel des „David Copperfield“ im Stil von Charles Dickens schreiben soll. Er imitiert dessen Stil so perfekt, dass der Lehrer glaubt, er habe geschummelt und den Text aus einem unbekannteren Werk abgeschrieben. Rund vier Jahre später zieht es den begabten jungen Mann hinaus in die Welt. Er will in London Literatur studieren und zuvor in Paris auf den Pfaden berühmter Schriftsteller wandeln.

Dort trainiert er seine Gabe, indem er Kurzgeschichten von Ernest Hemingway fälscht, deren Original-Manuskripte einst verloren gegangen sein sollen. Mark gerät an den windigen Paul Mercer, dem er erzählt, er habe eine Geschichte auf dem Flohmarkt zwischen den Seiten einer Zeitschrift entdeckt. Mercer ist sofort Feuer und Flamme, kauft Mark die Geschichte ab und stellt sie dem Fachpublikum vor. Die Geschichte wird als literarische Sensation gefeiert.

Einfach, lapidar, dann aber auch schwülstig und antiquiert

Mark ist inzwischen in London eingekehrt und arbeitet neben dem Studium bei einer einst renommierten Literaturzeitschrift – der perfekte Arbeitsplatz, um weitere Geschichten zu fälschen und unterzubringen. Jetzt ist Mark in seinem Element. Doch was der englische Autor Belbin in seinem Roman mit solch schönen Ideen beginnt, lässt sich nicht bis ins Unermessliche treiben. Und so ist es kaum verwunderlich, dass der Schluss des Buches wenig überzeugen kann. Bis dahin aber ist es zumindest nette Unterhaltung. Die Sprache lässt sich jedoch nicht mit der Brillianz der von Mark imitierten Schriftsteller vergleichen. Oft ist sie einfach, lapidar, dann aber auch schwülstig und antiquiert. Beispiel gefällig? „Das war alles etwas zu viel für mich: Vernichtung, Tod, Geburt rings um mich her. Ich wünschte ihnen aus der Tiefe meines zittrigen Herzens alles nur erdenklich Gute.“ (S. 249) Das hätte selbst Hedwig Courths-Mahler, Inbegriff der Trivialliteratur, so nicht geschrieben.

Wer nun erwartet, Mark Trace würde den Leser an seinen literarischen Finessen teilhaben, der irrt. Allenfalls Zusammenfassungen seiner Fälschungen bekommt der Leser geliefert, nicht aber eine Kostprobe der Hemingway-Plagiate oder des Dahl-Falsifikats. Und sein Schöpfer David Belbin hätte wohl auch gleich den Beruf des Fälschers ergreifen können, wenn er den Stil berühmter Schriftsteller so perfekt imitieren könnte wie seine Figur Mark Trace. Eine literarische Sensation ist „Der Hochstapler“ indes nicht. Nett zu lesen, aber eine Offenbarung sieht anders aus.

David Belbin: Der Hochstapler, Kindler Verlag, Reinbek, 2010, 284 Seiten, gebunden, mit Lesebändchen, 19,95 Euro, ISBN 978-3463405803
David Belbin: Der Hochstapler, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek, 2011, 288 Seiten, Taschenbuch, 8,99 Euro, ISBN 978-3499254116

Hauptsache, du schläfst mit mir

Das Musikprojekt „Sin with Sebastian“ landete in den 90er Jahren mit „Shut up (and sleep with me)“ einen Hit. Joanna Briscoes Roman „Schlaf mit mir“ trägt eine ähnliche Aufforderung im Titel – zum Hit reicht das Buch leider nicht, auch wenn es teilweise erotisch-deftig daherkommt.

Richard und Lelia sind ein glückliches Paar – noch unverheiratet und keine Kinder, beide sind berufstätig. Richard arbeitet als Redakteur in der Feuilleton-Redaktion einer Tageszeitung, Lelia lehrt Französisch und Deutsch an einem College der Universität von London. Auf einer Party bei Freunden lernen sie Sylvie Lavigne kennen. Für Richard ist sie zunächst nur ein „Gespenst“, „irgendein Gesicht in einer Gruppe von zehn Personen“. Lelia erinnert sich an sie als „jemand ziemlich Stilles, aber irgendwie auch Nettes“. Die folgende Geschichte wird dem Leser abwechselnd aus der Sicht von Richard und Lelia erzählt. Worauf das alles hinausläuft, verrät der Klappentext schon – Sylvie macht sich nicht nur an Richard ran, sondern auch an Lelia.

Dann ist Lelia plötzlich schwanger – und Richard einen Moment zu lange schweigsam, als sie ihm die freudige Nachricht überbringt. Richard entfernt sich, ist schockiert angesichts der Milchpumpen, Strampler und Brustwarzenschoner, die Lelia in Erwägung zieht, und wendet sich immer mehr dieser unscheinbaren Französin Sylvie zu. Für den Leser bleibt es aber rätselhaft, was diese blasse Frau mit einem Mal so anziehend macht.

Vom Mauerblümchen zur sexuell anziehenden Gefahr

Es ist eine der großen Schwächen dieses Buches, dass zwar aus beiderlei Sicht die Entfernung und Entfremdung voneinander und die Zuwendung zur Dritten emotional, teilweise stark schwülstig beschrieben wird, die Verwandlung eines Mauerblümchens zur sexuell anziehenden Gefahr aber ungeklärt bleibt. Dass sich hinter der Ménage à trois auch noch ein Psychothriller abspielt, sorgt zwar für einen Spannungsbogen, der aber durch erwartbare Details an Aufgeregtheit verliert.

„Schlaf mit mir“ ist Briscoes dritter Roman. Sie arbeitet in England als freie Journalistin und Autorin und hat 2012 ihr viertes Werk „Gefährliche Nähe“ veröffentlicht. „Schlaf mit mir“ ist kein Leserherzfüller wie „Shut up (and sleep with me)“ ein Tanzflächenfüller war. Der Roman wird kaum einen Mann ansprechen und ist wohl ohnehin eher für das weibliche Publikum geschrieben worden – allzu unverhohlen stellt Briscoe den Fremdgänger und nichtbereiten Vater Richard als emotionale Nullnummer dar und scheint sich der Zustimmung der Leserinnen gewiss.

Der Dame sei zu raten: Die ersten Seiten anlesen, wenn’s gefällt, mit in den Sommerurlaub nehmen und nach dem Lesen im Hotel lassen. „Schlaf mit mir“ ist ein Werk, das das Regal nicht braucht.

Joanna Briscoe: Schlaf mit mir, Bloomsbury Verlag, Berlin, 2005, 373 Seiten, mit Lesebändchen, gebunden, derzeit vergriffen, ISBN 978-3827005915
Joanna Briscoe: Schlaf mit mir, Bloomsbury Taschenbuch-Verlag, 2006, 371 Seiten, broschiert, 10 Euro, ISBN 978-3833303722