Die Umkehrung des Titels

Es gibt Menschen, die kaufen Bücher auch wegen einer schönen Umschlaggestaltung. Ich selbst neige dazu, macht es das Buch doch zusätzlich erlebbar. Ich kann nicht verhehlen, dass mich der Schutzumschlag von Anna Gavaldas „Ein geschenkter Tag“ begeistert hat. Dieses violette Blütenmeer, vor allem aber der Oldtimer, der auf einer offenbar engen Feldstraße durch die Landschaft fährt, weckt, ach!, so wunderbare Gefühle von Freiheit und einer unbändigen Reiselust. Leichtfertig habe ich zu diesem Buch gegriffen. Habe ich doch auch schon Gavaldas sanft erzählte Romane „Ich habe sie geliebt“ und „Zusammen ist man weniger allein“ mit Freude gelesen. „Ein geschenkter Tag“ erschien mir wie die passende Sommerlektüre, der vergnügliche Lesehappen zwischen anderen Werken. Ich sollte Unrecht haben.

Ich kann nicht sagen, wer oder was die Verleger geritten hat, aber dieses Buch ist schlecht. Im Ganzen wirkt es eher wie die Idee zu einem längeren Roman, aus dem letztendlich nichts geworden ist. Zugegeben, das dünne Büchlein beginnt vergnüglich. Aus der Sicht von Garance erlebt der Leser eine Autofahrt mit ihrer Schwester Lola, ihrem Bruder Simon und dessen Frau Carine. Auf engstem Raum prallen vier Charaktere aufeinander, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die anstrengende Carine, Apothekerin von Beruf, die aber lieber Frau Doktor genannt werden möchte, wird zum komischen Mittelpunkt des Geschehens. Schon während der Fahrt schweißt die Geschwisterliebe zusammen. Erinnerungen an die Kindheit werden wach. Wer Geschwister hat, empfindet es nach, wer nicht, liest möglicherweise mit Wehmut. Die Vier reisen zu einer Hochzeitsfeier auf dem Land. Doch dort angekommen ereilt die Geschwister die Nachricht, dass ihr anderer Bruder Vincent nicht kommen wird. Kurzerhand entscheiden sie sich, die Hochzeit zu verlassen und zu ihrem Bruder zu fahren. Die Geschwister unter sich.

Fürwahr, es ist eine leichte Sommerlektüre. Doch ist der Titel eher Negation denn Überschrift für das Leseerlebnis. Aus dem geschenkten Tag wird allenfalls ein gestohlener. Die Geschichte fließt dahin, wie der Wein aus einer unbedacht umgeworfenen Flasche Sancerre. Nach der letzten Seite fällt der Blick zur Uhr, und es folgt der Schreck, zwei Stunden für dieses Buch ausgegeben zu haben. Es drängt sich außerdem der ungemütliche Verdacht auf, die Geschichte muss eine bestimmte Länge erreichen, um überhaupt die Chance der Veröffentlichung zu haben. 140 Seiten lang ist dieses Buch in der hier rezensierten Ausgabe des Hanser Verlags. Der geneigte Leser beachte die häufigen Absätze – kaum einer ist länger als wenige Zeilen.

Was bleibt, ist, dass der Hanser Verlag, bei dem dieser Roman erschienen ist, wieder den richtigen Mann an der Hand hatte, um ein Buch zu einem Bestseller werden zu lassen. Peter-Andreas Hassiepen, Grafiker, hat schon mindestens einmal dem Hanser-Verlag einen Bucherfolg beschert, obwohl der Text von den Kritikern zerrissen wurde. Wie der Kulturredakteur Ulrich Greiner in der Zeit-Ausgabe vom 15. Februar 2007 schrieb: „Das Bild, das der Grafiker Peter-Andreas Hassiepen für den Hanser Verlag gefunden hat, erinnert uns (…) daran, dass Bücher nicht nur aus ihrem Text bestehen. Unsere Leseerlebnisse sind oft mit einem ganz bestimmten Umschlagbild verbunden.“ Die Kritiker hatten in jenem Jahr an Peter Høegs „Das stille Mädchen“ kein gutes Haar gelassen. Trotzdem wurde das Buch ein Bestseller. Warum? Greiner: „Sicher ist (…), dass das Umschlagbild des Romans ‚Das stille Mädchen‘ alle Augen auf sich zieht, vielleicht sogar die eigentliche Ursache seines Erfolgs ist.“

Anna Gavalda: Ein geschenkter Tag, Hanser Verlag, 2009, 140 Seiten, gebunden, 12,90 Euro, ISBN 978-3446234895

Die Nöte eines Frauenverstehers

Sie scheint nicht brechen zu wollen, die Welle der Bücher, die von Jugenderfahrungen sprechen, und die den Weg vom Kindsein zum Erwachsenwerden für ein zumeist junges Publikum aufbereiten. Es gibt derer viele, die sich diesem Thema widmen. Umso mehr wundert es, dass Jakob Hein nun auch noch ein Buch beisteuert.

Jakob Hein, ein von mir sehr geschätzter Autor (zuletzt sehr großartig und uneingeschränkt zu empfehlen: „Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht“), wurde 1971 in Leipzig geboren und lebt derzeit in Berlin. So liegt es nahe, dass der Protagonist Sascha sich an seine Jugend in der ehemaligen DDR erinnert. Doch will Hein nicht Gesellschaftskritik üben, Hein erinnert nur. Wie es war, im System des Sozialismus groß zu werden. Wie man der Oma Kaufaufträge für die Besuche im Westen gab und sie am Abend voller Spannung am Bahnhof empfing, nur um festzustellen, dass Oma keine Ahnung von großartiger Westmusik oder Westkleidung hatte. Erinnerungen an Ostdiskos und Punk- und Rockmusik. Ehemalige DDR-Kinder nicken vielleicht beim Lesen dieser und anderer Passagen. Wir, die wir nicht in diesem System groß geworden sind, lesen sie immer noch mit einer gewissen Neugier, jedoch nicht mehr mit dem brennenden Interesse der ersten Begegnungen. Zu viel wurde bereits darüber geschrieben, gelesen, gesagt, verfilmt. Und so ist „Liebe ist ein hormonell bedingter Zustand“ auch nur eines von vielen dieser Erinnerungsbücher, die unsere Generation in der erlebten Vergangenheit schwelgen lassen sollen.

Nun handelt der Roman aber auch von Liebe, die hormonell bedingt ist, so der Titel. Sascha hat glücklicherweise ein Problem, das nicht nur in der DDR und der BRD, sondern weltweit die Jugendlichen beschäftigt: Dauerverliebtheit. Sascha ist immer wieder verliebt. In immer wieder neue, erfolgsversprechende Mädchen. Doch, man ahnt es schon, die Liebe wird nicht erwidert. Im Gegenteil, Sascha wird stets nur der beste Freund. Oder wie Hein schreibt: „Die beste Freundin mit Penis.“ Das ist auf Dauer wenig befriedigend für Sascha. Und der Leser kann es nachempfinden (die Leserin auch?). Er arbeitet sich ab, er tut und macht, und darf sich dann von seiner jeweiligen Angebeteten anhören, mit welchem Typen die in die Kiste gesprungen ist. Der Leser leidet mit, weil es furchtbar ist. Sascha ist ein Frauenversteher. Und er hofft, eines Tages dafür belohnt zu werden. Doch wer belohnt wird, sind die Machos, die Draufgänger, die sich nicht um Gefühle scheren. Und Sascha ist derjenige, der das gebrochene Herz seiner Angebeteten wieder kittet, in der Hoffnung, dass es nun für ihn schlagen möge.

Doch was hatten die Frauen mit mir gemacht? Sie hatten mein Herz genommen und damit Federball gespielt. Sie hatten damit die Unterkanten ihrer Toiletten gereinigt und es dann heruntergespült. Sie hatten sich damit die Zahnzwischenräume von Plaque befreit. Sie hatten darauf herumgetrampelt und es in meinem ständig weit geöffneten Brustkorb links liegen gelassen. Die meisten Frauen hatten mich einfach nur missachtet, vor allem, wenn ich ihnen keinerlei Zeichen meiner Liebe gegeben hatte.

Sascha ist ein tragischer Held. Und die Aneinanderreihung von Misserfolgen wäre wohl zutiefst langweilend, wenn Hein nicht in seiner Sprache jenen Witz hätte, der seine Bücher immer wieder lesenswert macht. Trotzdem ist es nur eines jener vielen Erinnerungsbücher der Jugend – wer solche Bücher liebt, sollte auch dieses lesen.

Ich selbst bin derzeit noch etwas ratlos, ob es eines der Bücher ist, die mein Regal nicht braucht. Es war nicht der Hein-Roman, den ich erwartet hatte, es setzt nicht die Brillanz des Vorgängers fort. Aber er ist nun auch wiederum nicht so schlecht, dass ich ihn hier zerreißen müsste. Aber, lieber Jakob Hein, beim nächsten Mal bitte wieder ein Buch, dass ich loben und preisen kann. Machen Sie es mir doch nicht so schwer!

Jakob Hein: Liebe ist ein hormonell bedingter Zustand, Piper Verlag, 2009, 174 Seiten, Taschenbuch, 14,95 Euro, ISBN 978-3492053594

So bitter und wahr

Friedrich Ani schreibt nicht die Art von Kriminalroman, die jeder mag. Die gelesen werden, nur um Nervenkitzel zu verspüren. Friedrich Ani schreibt Kriminalromane, die vieles sein können, aber nicht bloß das, was lapidar als „Krimi“ bezeichnet wird. Friedrich Anis Kriminalromane halten unserer Gesellschaft in sprachlicher Brillanz den so oft zitierten Spiegel vor. Einen Spiegel, der trotz Staubschicht die Wahrheit abbildet wie kein anderer. Wir haben ihn verstauben lassen, denn warum sollten wir einen Spiegel streifenfrei putzen, der uns nur das Elend zeigt. Ani ist der würdige Nachfolger von Georges Simenon. Wer die Eigenwilligkeit Maigrets unwiderstehlich findet, kann auch die Romane um Polonius Fischer nicht wieder weglegen.

Polonius Fischer ist Ermittler bei der Münchener Mordkommission und ehemaliger Mönch. Das führt zu seltsamen Ritualen, wenn Fischer etwa seinem zwölf Personen starkem Team zum Mittag philosophische Texte vorliest. Im Polizeipräsidium heißt seine Truppe deshalb scherzhaft „Die zwölf Apostel“. In seinem dritten Kriminalroman über Polonius Fischer („Totsein verjährt nicht“) lässt Ani ihn in einem Mordfall ohne Leiche ermitteln. Das alleine ist schon ein spannendes Sujet, wird aber brisanter durch die Anlehnung an einen realen Fall: Am 7. Mai 2001 verschwand das neunjährige Mädchen Peggy aus Lichtenberg. Weder das Mädchen noch ihre Leiche wurden bis jetzt gefunden. Trotzdem ist der geistig behinderte Ulvi K. wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Und das nur, weil der Tatverdächtige ein Geständnis abgelegt hatte, was er allerdings zwei Tage später widerrief.

Ani hat den Fall auf die heutige Zeit übertragen und lässt Polonius Fischer nach der verschwundenen Scarlett suchen, die vor sechs Jahren in München spurlos verschwunden ist. Verurteilt wurde auch bei Ani ein geistig behinderter Mann, Jonathan Krumbholz, der die Tat gestand und das Geständnis wenig später widerrief. Ein junger Mann schreibt Polonius Fischer einen Brief, er habe Scarlett lebend gesehen. Das nimmt Fischer zum Anlass, um zunächst heimlich zu ermitteln. Immer in seinen Gedanken: Seine Lebensgefährtin, eine Taxifahrerin, die brutal überfallen worden ist und nun bewusstlos im Krankenhaus liegt.

Immer neue Hinweise, Fakten, Ungereimtheiten lassen Fischer mehr und mehr daran zweifeln, dass seine Polizeikollegen damals bei der Lösung des Falls alle Möglichkeiten in Betracht gezogen haben. Es verdichtet sich die böse Ahnung, dass schnell ein Tatverdächtiger präsentiert werden musste. Und vielleicht ist Scarlett doch nicht tot, obwohl ihre Mutter auf dem Friedhof bereits ein Grab für sie gekauft hat. Fischer wird zunehmend wütender auf seine Kollegen, je mehr sich ein Knäuel von Fragen auftut. Gleichzeitig schaukelt der Leser zwischen Wut und Fassungslosigkeit. Die Kälte der Mitmenschen, das Elend, die Ratlosigkeit von Eltern und ihre Ungeübtheit, mit Kindern umzugehen. Klarzukommen im Leben. Martin Luther hat geschrieben: „Kinder sind das lieblichste Pfand in der Ehe, sie binden und erhalten das Band der Liebe.“ In dem Roman „Totsein verjährt nicht“ scheint die Lieblichkeit vergessen. Brutal ist diese Welt. Wir leben in ihr und schauen doch am liebsten weg. Den Spiegel lassen wir blind werden. Nur Friedrich Ani kommt dann und wann und zeigt uns die Realität. Die so bitter und so wahr ist.

Es gibt eine Lösung. Friedrich Ani hat sie für den Fall Scarlett. Sie ist ebenso bitter und kaum befriedigend. Noch bitterer aber ist die Lösung, die keine ist. Der Leser klappt das Buch zu. Denkt nach. Sinnt über das Gelesene. Und es folgt die Frage, für die es bis jetzt keine Lösung gibt: Was ist mit Peggy?

Friedrich Ani: Totsein verjährt nicht, Paul Zsolnay Verlag, 2009, 285 Seiten, gebunden, 19,90 Euro, ISBN 978-3552054707

Elvis lebt

Als großer Elvis-Fan muss man vielleicht dieses Buch lesen. Mit gemischten Gefühlen, ohne große Erwartungen, gibt es doch dermaßen viele Bücher über Elvis Presley und nur wenige qualitativ hochwertige. Mit dem Namen des King of Rock’n’Roll lässt sich eben immer noch Geld machen. Keine gute Ausgangslage für das Buch „That’s all right, Mama“ von Bertina Henrichs.

Die Geschichte ist schnell erzählt: Eva Jacobi kommt aus Frankreich nach Hause, weil ihre Mutter ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Sie sehen sich noch einmal, als ihre Mutter ihr aufträgt, Wäsche aus der Wohnung zu holen. Als Eva ins Krankenhaus zurückkehrt, ist ihre Mutter tot. Was folgt, ist Trauerarbeit. Als Eva auf dem Küchentisch ein Flugticket ihrer Mutter entdeckt, das sie für zwei Wochen nach Memphis bringen sollte, ist dem Leser die Fortsetzung schnell klar. Natürlich: Eva tritt diese Reise für die Mutter an, die großer Elvis-Fan gewesen ist und wohl noch einmal ihrem Idol nahe sein wollte. Leider versäumt es die Autorin, die Überlegungen zu schildern, weshalb die Tochter nun die Reise übernimmt. Zu schnell ist der Schritt gemacht. Es fehlt Nähe an dieser doch so intimen, persönlichen Stelle der Mutter-Tochter-Beziehung.

Eine weitere Szene im Buch liest man mit Befremden: Eva sitzt in Memphis in einem Linienbus und hört das Telefongespräch eines Sitznachbarn mit, der sich über die mangelnde Erfahrung seiner Frau in der Küche beschwert. Daraus entwickelt sich vor Evas geistigem Auge eine detailreiche Sexszene, die mir völlig unverständlich war. Wohingegen sie eine spätere, persönliche Sexerfahrung mit einer Reisebekanntschaft sehr nüchtern und unerotisch schildert.

Trotz dieser Mängel las sich das Buch sehr angenehm, gerade sprachlich rangiert der Roman auf einem guten Niveau. Und es sind vor allem die skurrilen Personen, die kleinen Geheimnisse und nicht zuletzt natürlich die Omnipräsenz von Elvis Presley, die das Buch lesenswert machen. Ob der Streit zweier Elvis-Imitatoren in einer Schlägerei endet, eine Künstlerin behauptet, sie habe Beweise dafür, dass Elvis noch lebe oder Eva gar selbst bald daran zweifelt, ob Elvis tatsächlich tot ist – die Mutter-Tochter-Beziehung tritt ein wenig zu sehr in den Hintergrund. Aber am Ende schadet es nicht, denn man klappt das Buch zu und fühlt sich gut unterhalten. Jedoch: Der große Wurf ist es nicht.

Bertina Henrichs: That’s all right, Mama, Hoffmann und Campe Verlag, 2009, 221 Seiten, gebunden, 17,95 Euro, ISBN 978-3455401493

Bibliomanen unter sich

Meine vielseitigen GeliebtenWer Bücher nur um des Lesens Willen liest und sie danach gleich wieder weitergibt, bei Ebay versteigert oder zurück in die Stadtbibliothek bringt, dem sei dieses kleine Büchlein nur mit Zögern empfohlen. Wer aber einer Büchergier, die gleichzeitig auch eine Neugier ist, eine Sammelleidenschaft, eine Besitzwut empfindet, dem sei Jacques Bonnets Bekenntnisse ans Herz gelegt, ja, fürwahr, es darf nicht fehlen in der heimischen Sammlung. Denn was Bonnet schreibt, kennt jeder Bibliomane, dessen Regale die Bücher kaum noch fassen können.

Bonnet, französischer Redakteur, Lektor und Herausgeber bei zahlreichen namhaften Verlagen in Frankreich, ist bekennender Bibliomane. Mehrere Zehntausend Bücher nennt er sein Eigen. Mit einem Lächeln registriert der Leser, dass Bonnet vor denselben Schwierigkeiten steht: Wie ordnet man seine Bücher? Alphabetisch? Nach Erdteil oder Land? Nach der Farbe? Wohin mit der Menge an Lesestoff? Bonnet erzählt, wie er sogar Bücherregale ins Badezimmer einbaute mit der Folge, dass das Duschen wegen des schädlichen Wasserdampfes nicht mehr möglich war. Aber auch die richtige Ordnung der Bücher stellt den Sammler vor unlösbare Probleme, denn nur ein Zusammenspiel aus mehreren Ordnungsmethoden kann zu einem einigermaßen befriedigenden Ergebnis führen.

Erfrischend ist, dass sich Bonnet nicht als Lehrmeister aufführt. Er führt mit Witz und Charme durch die Freuden und Qualen eines Bibliomanen, so dass sich der Leser dabei ertappt, oftmals bestätigend zu nicken oder gar Ausrufe des Erstaunens zu tätigen. Bislang dachte man vielleicht, man sei einer von wenigen, die sich Jahre später nicht mehr an den Inhalt eines jeden gelesenen Buches erinnern können, doch Bonnet kann beruhigen:

„Selbst wenn wir ein Buch gelesen haben, und zwar so intensiv, dass es ihm gelungen ist, sich einen besonderen Platz in unserem Geist zu erobern, dann bezieht unsere Erinnerung sich meist mehr auf unsere Empfindungen bei der Lektüre, wohingegen wir uns an den Inhalt nur noch ansatzweise erinnern.“

Schon viele Autoren haben versucht, Bücher über Bücher oder das Lesen zu schreiben – denken wir an Umberto Eco, Pierre Bayard, Alberto Manguel, Hermann Hesse, Anne Fadiman oder Rick Gekoski -, einige davon sicherlich auch mit nachhaltigem Erfolg, doch wird es Jacques Bonnet sein, der sich einen besonderen Platz im Geist des geneigten Lesers erobert. Und, mal ehrlich: Haben wir Bücherfreunde nicht alle, ja, alle schon diese Fragen von Besuchern unserer Bibliotheken gestellt bekommen: „Wie viele Bücher haben Sie denn?“ Oder: „Haben Sie die alle gelesen?“ Bonnet kommentiert das lapidar:

„Uns hingegen verwunderte es, beim Betreten einer fremden Wohnung mit der totalen Abwesenheit von Büchern konfrontiert zu werden oder auf die von Schwindsucht befallene Bibliotheks-Magerausgabe eines angeblichen Bibliophilen zu stoßen. Oder auf perfekt in Reih und Glied stehende Bücher, die vielleicht auch noch hinter Glas standen und so mehr als deutlich erkennen ließen, dass ihre Präsenz nichts weiter war als Staffage.“

Da geht einem Bibliomanen das Herz auf, erkennt er doch den Gleichgesinnten auf der anderen Seite des Buches.

Mit Bedauern ist allerdings zu bemerken, dass der Verlag Droemer aus dem kleinen Büchlein nicht gleich ein Schmuckstück gefertigt hat. Ein Lesebändchen hätte dem Werk gut zu Gesicht gestanden. Auch eine andere Auflage mit einem Ledereinband hätte wohl Abnehmer gefunden. Vielleicht folgt eine solche Edition in einigen Jahrzehnten, wenn dem Werk die Aufmerksamkeit zuteil geworden ist, die ihm gebührt.

Jacques Bonnet: Meine vielseitigen Geliebten, Droemer Verlag, 2009, 155 Seiten, gebunden, 14,95 Euro, ISBN 978-3426275160

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