Ego und Ego

Das Buch „Der Raum, in dem alles geschah“ ist als eines der wichtigsten Trump-Enthüllungbücher angekündigt worden, die in diesem Jahr auf den Markt kommen. Doch der mehr als 600 Seiten dicke Wälzer über die Erlebnisse und Eindrücke des ehemaligen Nationalen Sicherheitsberaters John Bolton liest sich wie ein ermüdendes, minutiöses Sitzungsprotokoll – und verrät zu wenig über das hinaus, was bereits bekannt ist. Neben dem viel zu detaillierten Blick hinter die Kulissen entlarvt Bolton nicht zuletzt seine eigene charakterliche Ähnlichkeit zu Donald Trump. 

John Bolton war 519 Tage lang Sicherheitsberater im Weißen Haus. Er gilt als umstrittener, konservativer Hardliner und Vertreter einer aggressiven militärischen Außenpolitik. Zur Zeit der Präsidentschaft von George W. Bush war Bolton Berater im US-Außenministerium und propagierte zum Beispiel intensiv den Einmarsch der US-Truppen in den Irak. Zuvor war er bereits für George Bush und Ronald Reagan tätig. Er ist scharfer Kritiker der Vereinten Nationen, setzte sich für das Recht ein, dass Privatpersonen weltweit Schusswaffen tragen dürfen und war langjähriger Kommentator des rechten US-Nachrichtensenders Fox News, der es mit der Wahrheit nicht so ernst nimmt und zu Trumps Lieblingssendern gehört. Erst im April 2018 übernimmt Bolton den „zweitbesten Job“ als Nationaler Sicherheitsberater. Eigentlich wollte er Außenminister werden.

Dass rund 17 Monate seit Trumps Wahlsieg im November 2016 vergehen sollen, bevor Bolton der Regierung beitreten darf, scheint ihn getroffen zu haben. Anklänge der kopflosen Hinhaltetaktik finden sich im ersten Kapitel mit dem Titel „Der lange Marsch zu einem Eckbüro im West Wing“. Am 17. November 2016 nimmt der Reigen seinen Anfang. Trump ruft Bolton an und erklärt vielsagend: „Wir werden Sie in den nächsten Tagen hier bei uns haben, und wir ziehen Sie für eine Reihe von Möglichkeiten in Betracht.“ Thanksgiving ruft Trumps Schwiegersohn und Chefberater Jared Kushner an: „Donald ist ein großer Fan von Ihnen, wie wir alle.“ Bolton sei durchaus noch im Rennen für den Posten des Außenministers. Tage, Wochen und Monate vergehen, während sich das Personalkarussell weiterdreht. Ein republikanischer Stratege empfiehlt Bolton zwischenzeitlich, „zu versuchen, der letzte Mann zu sein, der noch steht“. Bolton hat Kontakt zu Vize-Präsident Mike Pence, Reince Priebus (vorübergehend Trumps Stabschef), Steve Bannon (vorübergehend Chef-Stratege im Weißen Haus), Rex Tillerson (vorübergehend US-Außenminister) – und immer wieder auch zu Donald Trump, der ihn regelmäßig um Rat fragt.

„Einige von denen denken, Sie sind der böse Bulle“

Boltons eiserne Ausdauer wird belohnt. Im April 2018 kommt es zum Schulterschluss der beiden Männer, den wohl kaum ein Wortwechsel am Telefon besser belegen kann, als dieser:
Trump: „Einige von denen denken, Sie sind der böse Bulle.“
Bolton: „Wenn wir ‚guter Bulle / böser Bulle‘ spielen, ist der Präsident immer der gute Bulle.“
Trump: „Das Problem ist, dass wir zwei böse Bullen haben.“

Bolton schreibt dazu: „Und ich konnte hören, wie die anderen, die im Oval zur Geheimdienstbesprechung waren, lachten, genau wie ich.“ Doch die gelöste Stimmung weicht bei Bolton bald der sicheren Gewissheit, dass Trump das Land nicht wie ein erwachsener Präsident führt, sondern wie ein Kind auf der Suche nach dem größten, eigenen Nutzen. Erschüttert diagnostiziert er Trumps Defizite beim Intellekt und Allgemeinwissen. So soll er Bolton gefragt haben, ob Finnland zu Russland gehöre. Trump ist auch längst nicht der Hardliner, für den Bolton ihn anfangs wohl gehalten hat. Trump rasselt lieber nur mit dem Säbel, während der Militarist Bolton ihn im Zweifel auch einsetzen würde, zum Beispiel bei politischen Gegnern wie Nordkoreas Diktator Kim Jong Un. Trump setzte jedoch auf eine diplomatische Lösung.

Sprachlich und stilistisch keineswegs hervorragend

Das Meiste davon ist bereits überholt, berichtet, bekannt. Neben der überflüssig wortreichen sowie sprachlich und stilistisch keineswegs hervorragenden Protokollierung des politischen Geschehens lässt sich deshalb nicht viel essentiell Neues aus dem Buch entnehmen. Es fühlt sich an wie ein Dokumentarfilm, bei dem ein aufwendig produzierter Trailer schon die besten Szenen vorweggenommen hat. 

Man muss sich wohl auch fragen, warum Bolton für zwei Millionen Dollar Honorar unbedingt dieses Buch schreiben, gleichzeitig aber partout nicht im Amtsenthebungsverfahren gegen Trump aussagen wollte, wenn die Demokraten ihn vorgeladen hätten. Bolton steht schon länger im Verdacht, dass er sich nur an Trump rächen und sein eigenes Ego stärken wollte. Die Journalistin Jennifer Szalai schreibt in ihrer Buchkritik in der New York Times: „Das Buch strotzt vor Selbstbewusstsein, obwohl es am meisten davon erzählt, dass Bolton nicht viel erreichen kann.“ Treffender geht es kaum.

Dass „Der Raum, in dem alles geschah“ in den USA dennoch zu einem Bestseller wurde, hat vor allem zwei Gründe: Zum einen „funktionieren“ Trump-Bücher auf dem Buchmarkt, gerade im Wahljahr. Amerika liebt und hasst den Präsidenten, und man kann so trefflich über ihn streiten. Die Verlage wissen darum und nutzen den Hype. Möglicherweise endet er in diesem November. Und einen besseren Veröffentlichungszeitpunkt als direkt zum Präsidentschaftswahlkampf hätte sich Bolton nicht aussuchen können. Zum anderen hat Trump selbst die Verkaufszahlen effektiv in die Höhe getrieben, als er Bolton einen Lügner nannte und die Regierung das Buch verbieten lassen wollte.

Überraschungsdeal in Deutschland

In Deutschland ist Boltons schwergewichtige Abrechnung am 14. August vom Kleinverlag „Das neue Berlin“ veröffentlicht worden. Die Berliner Verlagsgruppe Eulenspiegel, zu der der Verlag gehört und die aus früheren DDR-Verlagen hervorgegangen ist, hat damit einen wahren Überraschungsdeal hingelegt. Gegenüber der Fachzeitschrift Buchreport erklärte die zuständige Mitarbeiterin für Rechte und Lizenzen, sie seien selbst ein bisschen überrascht gewesen, dass sie den Zuschlag bekommen hätten, aber „wir wollten das Buch und haben schnell die Vorbereitungen für Übersetzung und Druck getroffen“. An manchen Stellen merkt man die notwendige Rasanz, mit der das deutsche Übersetzerteam über die Seiten fegen musste, damit der Verlag es weniger als zwei Monate nach der US-amerikanischen Veröffentlichung auf Deutsch auf den Markt bringen konnte.

Was hat „Der Raum, in dem alles geschah“ geändert? Im Grunde nichts. Die Republikaner im Kongress ignorieren die in immer neuen Büchern deutlich manifestierte Faktenlage für Trumps Unvermögen, Planlosigkeit und Ich-Bezogenheit – und so erging es auch Boltons mit Spannung und Furcht erwarteten Bericht aus der Schaltzentrale der Macht. In Bob Woodwards Buch „Rage“ (USA: 15. September; Deutsch: „Wut“, 19. Oktober) werden ebenfalls neue brisante Details veröffentlicht. Und wieder wird man sich fragen: Wird es Trump schaden? Das Problem ist: Nach fast vier Jahren Trump-Regierung und zahllosen Büchern, Filmen und Artikeln über ihn hat sich eine gefährliche Gewöhnung eingestellt. Die Wahrheit überrascht nicht mehr. Nur eine Wahl kann jetzt noch etwas ändern.

John Bolton: Der Raum, in dem alles geschah, Das neue Berlin, Berlin, 2020, 640 Seiten, gebunden, 28 Euro, ISBN 978-3360013712, Leseprobe

Seitengang dankt dem Verlag „Das neue Berlin“ für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars.

Ein Manifest zur Sexarbeit

Hure spielenMelissa Gira Grant ist in den USA eine der bekanntesten Stimmen in der Debatte um Sexarbeit. Jetzt ist ihr Sachbuch „Hure spielen – Die Arbeit der Sexarbeit“ auch auf Deutsch erschienen. Es beleuchtet vor allem die Diskussion in den USA, wo das Kaufen und Verkaufen von Sex illegal ist. Die Analyse der Journalistin, die früher selbst Sexarbeiterin war, stellt überzeugend die Vielfalt der Sexarbeit dar, aber auch wie einfältig wir immer noch das Thema betrachten. Dabei finden sich auch nachdenklich stimmende Parallelen zur deutschen Debatte um ein Verbot der Prostitution. Wer sich zu diesem Thema eine Meinung erlaubt, sollte „Hure spielen“ gelesen haben.

Das Buch der US-Autorin in der Öffentlichkeit zu lesen, könnte zur Folge haben, dass Sie skeptische, prüfende Blicke ernten. Zunächst auf den Buchumschlag, dann ins Gesicht. Abschätzend, nicht unbedingt abschätzig. „Hure spielen. Die Arbeit der Sexarbeit“ steht in großen Lettern auf der Vorderseite des Buchdeckels. „Hure“ funktioniert als Reizwort und ist immer noch zutiefst negativ besetzt.

Grant, die dem Hurenstigma ein eigenes Kapitel widmet, erklärt, dass auch viele Menschen, die gar nicht der Sexarbeit nachgehen, mit dem Wort „Hure“ gebrandmarkt werden: „Sie werden mit diesem Stigma behaftet, weil sie gegen bestimmte ‚Zwangstugenden‘ verstoßen haben, oder weil ihnen das unterstellt wird.“ Die Äußerung des Hurenstigmas als Folge der feministischen Tradition der Hurenbewegung könne aber einen Ausweg aus der Situation bieten, indem sich Frauen innerhalb und außerhalb der Sexbranche mehr miteinander solidarisieren.

Das Wort von dem Hass befreien

In einem späteren Kapitel erklärt Grant jedoch, dass es womöglich schwierig sei, genug aktive und ehemalige Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter zusammenzubekommen, die „sich darauf einigen können, die Bezeichnung ‚Hure‘ für sich positiv zu besetzen, so wie das mit dem Adjektiv ’schwul‘ gelungen ist.“ Dabei sei es doch erstrebenswert, das Wort von dem Hass zu befreien, den es mit sich trage, und den Mechanismen etwas entgegensetzen zu können, mit denen Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter definiert oder in Kategorien eingeteilt werden.

„Ich glaube nicht, dass wir irgendjemanden und schon gar nicht uns selbst abwerten, wenn wir uns selbst als ‚Huren‘ bezeichnen. Allein schon um zu zeigen, dass niemand durch das abgewertet wird, was zwischen meinen Beinen passiert, und auch nicht durch das, was ich darüber zu sagen habe, sollten wir den Begriff ‚Hure‘ für uns besetzen.“

Grant ist selbst ehemalige Sexarbeiterin, hat aber in ihrem Buch ausdrücklich nicht von ihren Erfahrungen geschrieben, sondern andere zu Wort kommen lassen. Trotzdem ist es eine sehr persönliche Streitschrift geworden, auch weil sie nicht immer journalistisch korrekt objektiv berichtet und analysiert und auch mit Humor und Polemik nicht spart. Aber sie stellt die Fragen, auf die es oft nur unbequeme Antworten gibt. Und in vielen Bereichen ist dieses Buch vor allem eins: ein Manifest der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter.

Stereotyper Irrglaube

Kommen wir zum Lesen in der Öffentlichkeit zurück: Wird Frauen womöglich eine andere Motivation zur Lektüre unterstellt als Männern? Das könnte eine Folge des stereotypen Irrglaubens sein, Männer seien die Freier, Frauen die Prostituierten. Doch es gibt Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter. Dankenswerterweise beschränkt sich Grant in ihrem klugen Buch nicht nur auf die Frauen in der Sexarbeit, sondern bezieht auch die Männer und Transsexuellen ein.

Die „Prostituierten-Rettungsindustrie“ aber, wie die Ethnologin Laura Augustín das Phänomen nennt, sieht nur die Frauen – und die sind stets die Opfer. Nach Ansicht der „Retter“ muss deshalb zum einen den Sexarbeiterinnen geholfen werden, weil sie von den Freiern ausgenutzt werden, zum anderen aber auch den Frauen, die sich gegen die professionellen Reize der Sexarbeiter nicht wehren können. Diesen Irrglauben beleuchtet die deutsche Kulturwissenschaftlerin Mithu M. Sanyal in ihrem lesenswerten Vorwort auch in einem Exkurs zum Thema Geschlechtsehre.

Grant streitet für viele Aspekte der Sexarbeit. Aber am wichtigsten ist ihr, dass Sexarbeit tatsächlich als Arbeit anerkannt wird, als Option, Geld zu verdienen und der Armut zu entkommen. Die „Rettungsindustrie“ aber erkenne die Sexarbeit nicht nur nicht als Arbeit an, sondern glaube darüberhinaus zu wissen, dass keine Prostituierte ihrer Arbeit freiwillig nachgeht. So werde die Kritik der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter an den Bedingungen der Sexarbeit oft „schlicht als Beweis für deren eigentlichen Wunsch gelesen (…), eine andere Arbeit zu finden.“ Dabei gehörten Beschwerden über Arbeitsbedingungen zu jeglicher Art von Arbeit und sollten nicht anders gesehen werden, nur weil sie Prostituierte äußern. Grant zitiert als Beispiel zu diesem häufigen Missverhältnis die Journalistin Sarah Jaffe, die als Kellerin gearbeitet hat: „Niemand wollte mich je aus dem Gastronomiesektor retten.“

Warnung vor einseitigen Darstellungen

Dass Sexarbeit nicht immer nur Arbeit ist, sondern auch mit Gewalterfahrungen zusammenhängen kann, verschweigt Grant indes nicht. Aber sie warnt davor, die Arbeit einseitig und stets als Gewalterfahrung darzustellen und sie für die „Rettungsindustrie“ zu instrumentalisieren. So gebe es auch andere Arbeitsfelder, in denen Frauen ausgebeutet oder an der Gesundheit geschädigt werden, und trotzdem nenne man deren Beschäftigungsfeld Arbeit. Im Bereich der Sexarbeit aber scheine die Distanz zu fehlen.

Grants Buch handelt selbstverständlich auch viel von der Sexarbeit in den USA. Dort kommt es immer wieder zu demütigenden Polizeieinsätzen gegenüber Menschen, die verdächtigt werden, der Prostitution nachzugehen, und Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter werden gesellschaftlich ausgegrenzt. Grant zeigt detailliert, wie die Sexarbeit systematisch kriminalisiert wird.

Einen weiteren unglaublichen Teil besorgt dann noch ein Teil des Feminismus‘, der fordert, man müsse die Prostitution zum Wohle der Frauen verbieten, ohne je zuvor mit einer Prostituierten gesprochen zu haben. Auch dafür kämpft Grant mit ihrem Buch: Dass die Öffentlichkeit den Sexarbeitern zuhört. Dass sie gehört und vor allem ernst genommen werden. Dass sie über die Gefahren in ihrem Leben sprechen können. Und dass sie nicht gleich in eine Opferrolle gedrängt werden.

Das lässt sich auch auf Deutschland beziehen, wenngleich sich hier die Situation für Prostituierte verbessert hat. Aber auch hier sollten Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter am Gesetzgebungsverfahren beteiligt werden. Es sei denn, sie gelten auch bei uns nur als Opfer. Oder als Unmündige. Die öffentliche Debatte zu den angestrebten Änderungen der Bundesregierung am Prostitutionsgesetz ist weitestgehend verstummt. Es ist den Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern, aber auch unserer Gesellschaft zu wünschen, dass Grants Manifest die Debatte wieder anheizt.

Melissa Gira Grant: Hure spielen – Die Arbeit der Sexarbeit, Edition Nautilus, Hamburg, 2014, 191 Seiten, Taschenbuch, 14,90 Euro, ISBN 978-3894017996, Leseprobe

Buch Wien: Von der Toskana nach Amerika

DSC_0269Am Samstag, dem dritten Tag der „Buch Wien“, war es unverkennbar, dass die Buchmesse auch eine Publikumsmesse ist. Die Lesungen auf den Bühnen waren ebenso gut besucht wie die Messestände der Verlage und Aussteller. Auf der ORF-Bühne las unter anderem der großartige Erzähler Peter Henisch aus seinem neuen Roman „Mortimer & Miss Molly“.

Der Roman war pünktlich zu seinem 70. Geburtstag erschíenen und handelt von einer raffiniert angelegten, doppelten Liebesgeschichte. Über der von den Deutschen besetzten Toskana des Jahres 1944 wird ein amerikanischer Bomber abgeschossen. Der Pilot landet mit einem Fallschirm in einem malerischen Renaissancegarten. Dort entdeckt ihn die englische Gouvernante Miss Molly und versteckt ihn.

So beginnt die Liebesgeschichte der Titelfiguren. Knapp 30 Jahre später begegnen sich Julia und Marco in der Toskana und verlieben sich ineinander. In dem kleinen Örtchen San Vito lernen sie einen alten Amerikaner kennen, der ihnen den Anfang der Liebesgeschichte von Mortimer und Miss Molly erzählt. Doch am nächsten Tag ist der Mann verschwunden. Julia und Marco beginnen, die alte Geschichte für sich weiterzuerzählen.

Ein Buch über die Kunst des Erzählens

Und so verweben sich zwei Liebesgeschichten aus unterschiedlichen Zeiten. Henischs Buch ist aber nicht nur ein Liebesroman. Es ist vor allem ein Buch über die Kunst des Erzählens. Wie entsteht eine Geschichte? Und was ist die wahre, die richtige Geschichte?

Peter Henisch hat selbst in der Toskana einen zweiten Wohnsitz gefunden. Eben dort habe er schon vor Jahrzehnten jenen Bomberpiloten getroffen. „Mortimer hat es also wirklich gegeben“, sagte Henisch am Samstag in Wien. Aber der übrige Teil sei fiktiv. Es gehe auch darum, ob man an die Möglichkeit einer nachhaltigen Liebe glaubt. „Für ein junges Paar ist das ein Modell. Julia hält die Realität für nicht so wichtig, Marco schon.“

Es gebe Szenen in Henischs Roman, die erinnern an Filmsequenzen, deutet der Moderator an. Henisch bestätigt den Eindruck: „Ja, der Fallschirmsprung ist zum Beispiel eine ideale Filmszene, und Marco ist zwar angehender Arzt, will aber lieber Filmregisseur werden.“ Ob Henisch auch gerne Regisseur wäre? „Früher wollte ich auch Filmregisseur werden, aber ich war nie Medizinstudent“, antwortete er mit einem Lächeln.

Rezensenten würden sein Buch immer wieder als idealen Lesestoff empfehlen, und er selbst sei auch offen für ein solches Projekt. „Aber es sollte am Ende nicht bloß eine Sommerkomödie überbleiben – einige Kritiker haben nämlich nur die Love Storys in meinem Roman gesehen.“ Man müsse schon genauer hinsehen, dass es um mehr geht.

Peter Henisch: Mortimer & Miss Molly, Deuticke Verlag, Wien, 2013, 320 Seiten, gebunden, 19,90 Euro, ISBN 978-3552062252

DSC_0278Mit dem etwas provokanten Titel „Wir sind alle Amerikaner“ war danach der renommierte und bekannte österreichische Politikwissenschaftler Anton Pelinka zu Gast beim ORF. Er vertritt die These, dass eine weltweite Amerikanisierung stattfindet. Den so oft herbeigeschriebenen Niedergang der USA sehe er dagegen nicht.

„Die USA haben ihren Vorsprung verloren, China und Indien zum Beispiel holen auf, aber es ist kein Niedergang – die anderen Staaten sind Amerika nur ähnlicher geworden“, erklärte Pelinka. Die gesamte Globalisierung folge sehr den USA, aber es sei kein Diktat. „Die USA sind nur Trendsetter.“

Seine erste Begegnung mit den Amerikanern hatte Pelinka im besetzten Wien. Er habe damals in einem amerikanisch besetzten Bezirk gewohnt, und die Großzügigkeit der Amerikaner habe ihm sehr imponiert. „Sie waren bekannt dafür, wegen ihres Reichtums am meisten für Kinder tun zu können. In den russisch besetzten Bezirken sah das sicher anders aus – die Amerikaner waren die beste Option.“

Blick auf Amerika wurde kritischer

Doch später wurde Pelinkas Blick auf Amerika kritischer, erzählte er in Wien. „Das Problem des Rassismus‘ hat immer eine große Rolle für mich gespielt, es hat mich negativ beeindruckt, dass der Alltagsrassismus nur so schleichend abnahm.“

Vom ORF-Moderator nach Barack Obama gefragt, erklärte Pelinka: „Sicherlich macht Obama Fehler, aber seine Gestaltungsmöglichkeiten sind begrenzt – das wird oft überschätzt.“ Die Gesundheitsreform sei von Pannen begleitet worden, die nicht nötig gewesen wären.

„Aber in Österreich könnten wir uns kaum vorstellen, dass ein Sohn eines afrikanischen Austauschstudenten Kanzler wird, in Deutschland wohl auch nicht“, sagte er. Das zeige die amerikanische Entwicklung in diesem Bereich.

Den NSA-Skandal sieht der Politologe auch als Folge des Schrecks am 11. September 2001. „Aber vor allem: Die Amerikaner können das, sie haben die Macht dazu.“ Auch Österreich würde in der Form Daten sammeln, wenn es dazu in der Lage wäre, ist er überzeugt. „Es ist nur eine Machtungleichheit, die ausgeglichen werden muss.“

Anton Pelinka: Wir sind alle Amerikaner – Der abgesagte Niedergang der USA, Braumüller Verlag, Wien, 2013, 192 Seiten, gebunden, 22,90 Euro, ISBN 978-3991000990

Für mich war die Buchmesse am Samstag schon vorbei, weil ich am Sonntag bereits im Zug nach Bielefeld saß. Deshalb bin ich noch ein letztes Mal durch die Gänge geschlendert, auch die Seitengänge selbstverständlich, habe nach Neuerscheinungen gesucht und bin auf das eine oder andere vielversprechende Buch gestoßen.

Mit fünf neuen Büchern und vielen interessanten Eindrücken fahre ich zurück nach Hause. Die letzte Zusammenfassung schreibe ich, wenn auch das offizielle Fazit der Veranstalter veröffentlicht worden ist.

Wien ist ohnehin eine Reise wert. Die Buchmesse aber hat mir nun auch österreichische Autoren nähergebracht, und ohne die „Buch Wien“ hätte ich vielleicht nie Nadine Kegele entdeckt. Ich komme wieder, so viel ist sicher.

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