Die mitreißende Langsamkeit der Reise

Per Anhalter durch SüdamerikaReisen zu können ist das Eine, aber auch begeisternd darüber zu schreiben vermögen, das ist eine Kunst. Truman Capote, Paul Theroux, Johann Wolfgang von Goethe – große Schriftsteller haben zu allen Zeiten wundervolle Reiseberichte verfasst. Dass das jedoch auch Trampern gelingen kann, beweisen die Journalisten Morten Hübbe und Rochssare Neromand-Soma eindrucksvoll in ihrem Buch „Per Anhalter durch Südamerika“.

Als die beiden 2011 in Deutschland aufbrechen, liegt eine ungewisse Zukunft von sechs Monaten vor ihnen. Sechs Monate, so lange wollen Morten und Rochssare nach ihrem Studium der Literatur und Medienpraxis eine Sprachreise durch Argentinien und Chile machen. Ihr Antrieb ist weder die Selbstfindung noch das Aussteigertum, sondern ihre Neugier und ihr Interesse an der Welt. Sie trennen sich von ihrem Hab und Gut und nehmen nur das Nötigste mit. Doch sechs Monate genügen nicht, um ihren Reisehunger durch Südamerika zu stillen. Am Ende sind es 752 Tage, 56.000 Kilometer und ein Reisebericht, der beim Lesen furchtbar schrecklich-schönes Fernweh macht.

Sie reisen langsam, in aller Ruhe und stets ohne Flugzeug. Per Anhalter, auf Ladepritschen, engen LKW-Sitzen oder mit dem Boot geht es durch alle südamerikanischen Länder. Sie betreten Niemandsländer und Megametropolen. Sie treiben einen Monat lang mit Marktschiffen den Amazonas hinunter, klettern in die bolivischen Silberminen von Potosí und besuchen die Mennoniten in Paraguay. Eine fünftägige Flussfahrt auf dem Río Paraguay gerät fernab vom erhofften Traum einer Hängematten-Entspannungspartie und Erholungsreise zur belastenden Tortur mit wenig Schlaf, nächtlicher Eiseskälte und dem Kampf um jeden Zentimeter Liegefläche auf dem hoffnungslos mit Passagieren und Waren überladenen Boot.

Das Reiseherz schwelgt mit

Peru, Patagonien, Chile, Ecuador, immer weiter geht die Reise. Und immer stärker wird die Lust, den nächsten Flieger zu nehmen, und es den beiden nachzutun. Das Reiseherz schwelgt mit, rast aufgeregt bei der Schilderung der Mountainbikefahrt auf dem „Camino de la muerte“, der gefährlichsten Straße der Welt, und klopft vor Inbrunst bei den Salsaweltmeisterschaften in Kolumbien oder angesichts des höchsten Wasserfalls der Welt, dem Salto Ange im venezolanischen Dschungel.

Andererseits, das muss man deutlich sagen, verschließen die beiden ihre Augen nicht vor den Missständen Südamerikas. Ohnehin ist dieses Buch kein Reiseführer. Wer erstmalig eine Südamerikareise plant, sollte „Per Anhalter durch Südamerika“ eher als Ergänzung lesen. Dafür ist es dann aber auch lohnenswert. Wer bereits Südamerika-Fan ist, wird sich durch die Erlebnisse von Morten Hübbe und Rochssare Neromand-Soma genussvoll berauschen können und sich womöglich an die eigenen Reisen auf den Kontinent erinnern.

Begleitet wird die vielfältige und faszinierende Lektüre von 48 Farbfotos. Die aber – und das ist das große Manko – hätte man wesentlich besser mit dem Text verbinden können. So hängt der Bildteil in der Mitte des Buches, und während des Lesens findet sich kein Hinweis darauf, welches Foto denn nun zum Gelesenen passen könnte. Das ist ausgesprochen schade und wurde auch in der mittlerweile erweiterten Ausgabe (November 2016) nicht geändert.

„Wir werden einfach das machen, was wir gerne machen möchten“

Morten und Rochssare kamen nach zwei Jahren Südamerika zurück nach Deutschland. Sie sind acht Monate geblieben, haben die Familie besucht und Freunde getroffen. Inzwischen sind die beiden längst wieder unterwegs: „Wir werden einfach das machen, was wir gerne machen möchten. Und zwar weiterreisen.“ Wer ihnen durch Asien und weitere Kontinente folgen möchte, dem seien die Facebook-Seite, ihr Blog, ihr Vimeo-Auftritt und vor allem der Instagram-Account anempfohlen.

Der deutsche Dichter Christian Friedrich Hebbel soll gesagt haben: „Eine Reise ist ein Trunk aus der Quelle des Lebens.“ Morten Hübbe und Rochssare Neromand-Soma sind bereits trunken vom Leben. Lassen wir uns doch mitreißen! Was kann denn schöner sein, als sich aufzumachen in die Welt?

Morten Hübbe/Rochssare Neromand-Soma: Per Anhalter durch Südamerika, Malik Verlag (National Geographic), München, 2016, 427 Seiten, 48 Farbabbildungen, Taschenbuch, 16 Euro, ISBN 978-3492406116, Leseprobe

Mit Capote um die Welt

Truman Capote, Auf ReisenAuf Haiti tönen die Trommeln tumm-ti-tumm-ti, in New York begegnet man der Garbo und auf Ischia wartet das Zimmermädchen Gioconda auf einen Brief aus Argentinien. Mit Truman Capotes Reisereportagen ist man in 172 Seiten um die Welt. Der Verlag Kein & Aber hat sie zu einem feinen Bändchen zusammengeschnürt, das in jede Westentasche passt. Der perfekte Begleiter für Kurzurlaube und Fernreisen!

Der vor allem durch seinen Tatsachenroman „Kaltblütig“ und die Erzählung „Frühstück bei Tiffany“ bekannt gewordene Schriftsteller macht auch in seinen Reiseberichten deutlich, dass er eine feine Beobachtungsgabe für Menschen und Orte hat. In seiner Selbstdarstellung ist er schonungslos ehrlich, seine Essays und Reportagen sind reich an Ironie, Zärtlichkeit und der lustvollen Begeisterung am Erzählen. Fast alle Texte dieser kleinen Sammlung entstammen dem Buch „Local Color“, das Capote im Herbst 1950 veröffentlichte. Darin schrieb er über New Orleans, wo er aufwuchs, über New York, wohin er mit seiner Familie zog, oder über Europa, das er Ende der 40er Jahre zum ersten Mal bereiste.

Wie er Menschen porträtiert, ist einfach fabelhaft. Miss Y. etwa aus New Orleans, an der er nur wissenschaftliches Interesse hegt, wie er bekennt: „Ich bin also, wie ich zu meiner Schande gestehen muss, nicht ganz der gute Hausfreund, den sie in mir vermutet, denn einer Miss Y. kann man nicht wirklich nahe sein. Sie ist viel zu sehr Märchengestalt, irreal, unwahrscheinlich. Sie ist wie das Piano in ihrem Wohnzimmer, elegant, aber etwas verstimmt.“ Oder die eingangs erwähnte Gioconda: „Ein schönes Mädchen, auch wenn ihre Schönheit stimmungsabhängig ist. Wenn sie schlechte Laune hat, was leider viel zu oft der Fall ist, sieht sie aus wie ein Napf kalter Haferschleim, und man vergisst ihr volles Haar und ihre freundlichen mediterranen Augen.“ Capote macht aber auch keinen Hehl daraus, dass es der stressige Job des Zimmermädchens sowie ein ausbleibender Brief aus Argentinien ist, der sie so schlechtgelaunt werden lässt.

Großartig und mit hervorragendem Witz gelingt Capote der Bericht über seine Fahrt im Orient-Express und die beiden Damen aus seinem Abteil, die in ihrem Vogelkäfig Heroin schmuggeln. „Ihr ganzes Gepäck bestand offenbar nur aus einem riesigen Vogelkäfig. Darin befand sich, teilweise verdeckt von einem Seidenschal, ein scharrender, grüner, leicht angeschimmelt aussehender Papagei, der ab und zu ein dementes Lachen von sich gab.“

Obwohl Capote ein Reisewütiger war, sind seine Berichte nie schulmeisterlich. Im Gegenteil: Sie erzeugen Reiselust, unbedingte Reiselust! Man glaubt, Truman Capote nähme den Leser an der Hand, um gemeinsam Städte und Länder zu bereisen. Diese Texte sind wahrhaftig gelebter Urlaubshedonismus! Und so ganz nebenbei auch das: Literatur.

Truman Capote: Auf Reisen, Kein & Aber Verlag, Zürich, 2010, 172 Seiten, gebunden, mit Lesebändchen, 9,90 Euro, ISBN 978-3036955612

Barcelona – du Schöne!

Ein Tag in BarcelonaWer zum Urlaub nach Spanien fährt, findet im Buchhandel reichlich Reiseführer. Auch wer Barcelona besuchen will, und sei es nur für einen kurzen Städtetrip am Wochenende, kann sich mit mehr oder weniger ausführlichen Empfehlungen eindecken. Im Handgepäck sollte aber auf jeden Fall auch Daniel Brühls Buch „Ein Tag in Barcelona“ stecken.

Der Schauspieler Daniel Brühl (bekannt aus „Good Bye, Lenin!“, „Die fetten Jahre sind vorbei“ und auch Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“) hat eine zauberhafte Liebeserklärung an seine Heimatstadt Barcelona geschrieben. Herausgekommen ist kein literarischer Leckerbissen, aber eine freche, erfrischend nonchalante Beschreibung der katalanischen Hauptstadt.

Die Person Daniel Brühl als Prominenz der deutschen Schauspielerei tritt dabei ganz in den Hintergrund. Trotzdem ist es ein sehr persönliches Buch geworden. Daniel Brühl, 1978 als Daniel César Martín Brühl González Domingo in Barcelona geboren, wandert, spaziert, ja, flaniert einen Tag lang durch die Stadt, vom Tibidabo, Barcelonas Hausberg, durch sein Lieblingsviertel Gràcia bis ans Meer.

Das Daumenkino ist eine Besonderheit des Buches

Dabei erzählt er von seinem spanischen Großvater, der Journalist und Stierkampfkritiker war, und von seinem Onkel Juan, der ihn 1986 zum ersten Mal zu einem Spiel des FC Barcelona mitnahm. Die Seiten sind mit persönlichen Fotos gespickt, wobei das Daumenkino in der rechten unteren Buchecke eine Besonderheit des Buches ist, die es zu entdecken gilt.

Von der Dachterrasse seines guten Freundes Manel nämlich hat man einen 360-Grad-Blick auf die Stadt. „Alles liegt da, zum Greifen nah, der Montjuïc, das Meer, die Sagrada Familia.“ Weil man aber wohl niemals die Chance haben wird, mit Daniel Brühl zu einer der sagenumwobenen Paellas von Manel auf dessen Dachterrasse eingeladen zu werden, bleibt nur das Daumenkino, das den eindrucksvollen Ausblick im Kleinformat ermöglicht.

Der Leser begleitet Daniel Brühl durch versteckte Ecken und Straßen und trifft mit ihm Boule-Spieler im Parc del Putget. „Auch hier hat man einen herrlichen Rundblick über die Stadt, der aber den meisten Touristen verborgen bleibt, weil Sant Gervasi auf den normalen Routen nicht dabei ist.“ Den passionierten Boule-Spieler Francisco lässt Brühl aus der Franco-Zeit erzählen, er selbst beichtet lieber einen „schissigen Fußsprung mit angstverzerrter Fratze“ vom Zehnmeterbrett des beachtlichen Schwimmbads der Olympischen Spiele von 1992. Wobei ihm das Lippenbändchen riss.

Brühls Lieblings-Gin-Bar

Und ob man von kleinen Lokalen mit großen Wermut-Fässern oder von grell beleuchteten Tapas-Bars mit rotnasigen Katalanen an der Theke oder über Brühls Lieblings-Gin-Bar liest – man möchte immer wieder nach Barcelona fahren, um noch dieses oder jenes zu entdecken. Oder um es mit Brühl zu sagen:

„Ich werde dich immer lieben, Barcelona, scheißegal, was die anderen sagen. Die Madrilenen, die sich über deine Provinzialität lustig machen und sagen, dass du nachts ein eingeschlafener Fuß bist, die Pariser und Mailänder, die die Nase rümpfen, weil du angeblich nicht schick genug bist, die immer coolen Londoner und Berliner, die sagen, dass du passé bist, nicht mehr en vogue, dass es sich ausdesigned hat, dass deine Attraktivität nur noch von den Neunzigern zehrt, als du noch in schrillen Farben geleuchtet hast, die jetzt angeblich verblasst sind… Lass die Idioten doch reden!“

Lass sie doch reden, die Idioten. Allen anderen sei Daniel Brühls Liebeserklärung in Buchform wärmstens ans Herz gelegt. Danach kann nur noch erhöhtes Reisefieber folgen.

Daniel Brühl: Ein Tag in Barcelona, Ullstein Buchverlag, Berlin, 2012, 192 Seiten, broschiert, 18 Euro, ISBN 978-3550088322, YouTube-Video zum Buch

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