Augen zu und durch

Mit geschlossenen AugenMelissa ist 15 Jahre alt, als sie ihre ersten sexuellen Erfahrungen macht. Eigentlich noch ein Kind lernt die Sizilianerin schnell, dass Sex oft nicht mit Liebe einhergeht. Das Buch der Melissa P. und ihre unverblümten Tagebucheintragungen waren wochenlang auf den italienischen Bestsellerlisten, und Medien sprachen von einem erotischen Skandal. Dabei ist „Mit geschlossenen Augen“ nur der dürre Bericht eines Mädchens mit Identifikationsproblemen.

„Ich will Liebe, Tagebuch. Ich möchte spüren, wie mein Herz schmilzt, und sehen, wie die Stalaktiten meines Eises brechen und im Fluss der Leidenschaft und Schönheit untergehen“, schreibt Melissa zu Beginn und beweist sprachlich, dass sie offenbar früh davon ausgeht, nicht die einzige zu sein, die ihre Aufzeichnungen lesen wird. Selbst wenn ein zuvor geschriebenes Tagebuch noch für eine Buchveröffentlichung aufgehübscht wird – kaum ein 15-jähriges Mädchen würde sich einer solch schwülstigen Sprache befleißigen und sie durchhalten.

Melissas erster Mann heißt Daniele. Er benutzt sie nach Strich und Faden. Unerfahren, naiv und liebeshungrig lässt sie sich demütigen und hofft noch zuletzt, dass sich Zuneigung einstellt, wenn sie nur recht gefügig ist. Ihm folgen andere Männer, die es ihm gleichtun. Derweil ist Melissa nur ein trauriges, neurotisches Mädchen mit masochistischen Anwandlungen. Der feministisch-emanzipatorische Ansatz bleibt dabei fade und nur selten sichtbar.

Die schonungslose Zurschaustellung des Zu-Frau-Werdens ist auch nicht erotisch, wird aber so verkauft. Wer als Leser nur voyeuristische Ziele verfolgt, wird ebenso enttäuscht, wie derjenige, der eine tiefgreifende und berührende Geschichte erwartet. Wer es dennoch lesen will: Das Buch hat nur 160 Seiten – Augen zu und durch.

Melissa P.: Mit geschlossenen Augen, Goldmann Taschenbuchverlag, München, 2004, 160 Seiten, Taschenbuch, 7,95 Euro, ISBN 978-3442457656

Bitte schlag mich mit der Ebenholzbürste

Die BienenköniginDie New York Times formulierte vorsichtig, es könnte das „heißeste Buch sein, das je von einer Achtzigjährigen geschrieben wurde“. Der deutsche Verlag zitiert den Artikel auf dem Umschlag so: „Das heißeste Buch des Jahres.“ Die Rede ist von Gloria Vanderbilts Roman „Die Bienenkönigin“, der scharfe Erotik sein will, sich aber schnell der Lächerlichkeit preisgibt.

Als der Star-Architekt Talbot Bingham stirbt, hinterlässt er seiner Frau Priscilla nicht nur ein Vermögen, sondern auch noch den einen oder anderen Dokumentenbehälter. In einem von ihnen findet Priscilla einen Stapel Briefe, „verschnürt mit purpurrotem Ripsband – taubengraue Umschläge, mit purpurroter Tinte von unbekannter Hand beschriftet“. Sie beginnt zu lesen und stellt fest: Ihr Mann war regelmäßiger Gast des exklusiven Janus-Clubs, wo er von allerlei Frauen umschwärmt und sexuell bedient wurde, vor allem aber von Bee, der Bienenkönigin. Priscilla ist zunächst schockiert und zornig, doch bald wird sie von Erregung ergriffen und überlegt gar eine Zusammenkunft mit der Konkurrentin.

„Die Bienenkönigin“ ist ein schwülstig-verschnörkeltes, nur fade lüsternes Werk, in dem sich Samt und Seide, Gold und Balsaholz, Papayas und mit Saphiren besetzte Fabergé-Eier ein unerquickliches Stelldichein geben. Zur Züchtigung auf dem „Lieblingsottomanen“ rät Bee zur Haarbürste mit glattem Ebenholzrücken, am besten jene von Mason-Pearson, die Talbot bei Harrods in London kaufen könne. Und spätestens als Bee auf einem Einhorn in den Saal reitet und von Frauen begleitet wird, die von Gazeschleiern umhüllt sind und nichts als „juwelengeschmückte Stringtangas“ tragen, wird dem Leser bewusst, in welche Altdamen-Phantasie er hier geraten ist. Später grast das Einhorn übrigens genüsslich auf einer Blumenwiese in der Nähe des „Akeru“ genannten Anwesens, das der Architekt-Lüstling für seine Bee hat bauen lassen. Braucht es mehr der Worte?

Nach ihrem Vorbild entstand Holly Golightly

Es ist müßig, sich weiterhin über den Inhalt des Buches auszubreiten. Einzig und allein der Name der Autorin ist es, der hier zählt. Denn Gloria Vanderbilt ist die alte Dame der Upper East Side und der High Society von New York. Sie war die Schöpferin einer eigenen Jeansmarke, Designerin und Malerin und nicht zuletzt die Geliebte von solchen Größen wie Howard Hughes, Frank Sinatra und Marlon Brando. Sie war befreundet mit Truman Capote, der die Holly Golightly aus „Breakfast at Tiffany’s“ nach ihrem Vorbild schuf. Und jetzt hat sie mit 85 einen erotischen Roman verfasst, der keiner ist. Das Prädikat „Literatur“ hat er sich erst recht nicht verdient. Bleibt also nur noch der von der New York Times etwas halbherzig verliehene Titel des möglicherweise heißesten Buchs einer Achtzigjährigen.

In einem Interview, das dem Roman angehängt ist, weist Gloria Vanderbilt den Zusammenhang mit ihrem Alter weit von sich: „Das Alter des Künstlers ist nicht wichtig, darüber spricht niemand. Ich meine, das ist, als würde man sich ein Gemälde anschauen und fragen: Wie alt war die Person, die das gemalt hat? So denkt man nicht.“ Nur die New York Times vielleicht.

In dem Interview wird die Autorin außerdem gefragt, wie der Bekanntenkreis auf den Roman reagiert habe, und sie antwortet, dass sich zwei enge Freunde Sorgen um ihre Reputation gemacht hätten. Sie aber habe ihnen gesagt, das Einzige, wovor sie zurückschrecken würde, wäre, „einen Roman zu veröffentlichen, der schlecht geschrieben ist“. Enge Freunde sollten einander sagen, wenn es Zeit zum Zurückschrecken ist. Alter hin oder her.

Gloria Vanderbilt: Die Bienenkönigin, Aufbau Verlag, Berlin, 2010, 134 Seiten, gebunden, mit Lesebändchen, derzeit vergriffen, ISBN 978-3378006980

American Wuff of Love

Er war der treue Begleiter des 42. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Er war Bill Clintons „Buddy“ und zufällig im Nebenraum des Oval Office, als sich Mr. President und Monica Lewinsky näher kamen. Buddy war Clintons Labradorrüde, der 2002 bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam. In Luis Rafael Sánchez‘ Satire „First Dog – Enthüllungen eines Präsidentenhundes“ spielt er eine letzte große Hauptrolle, die ihm Unrecht tut.

Sánchez lässt den Präsidentenhund vom Geheimdienst kidnappen und in Harvard von Wissenschaftlern verkabeln, vermenschlichen und an einen Sprachcomputer anschließen. Dann soll er Zeugnis ablegen von dem amourösen Abenteuer seines Herrchens. Doch Buddy nutzt die Chance der ungeteilten Aufmerksamkeit zunächst, um über das Hundsein im Allgemeinen und im Speziellen zu philosophieren. Nach der Mittagspause sind die Begebenheiten, die zu Buddys Ergreifung geführt haben, Gegenstand seiner Erzählungen, und erst im dritten Teil des Buches, ab Seite 75, wird der bis dahin auf Spar-Spannung gehaltene Leser mit der Fleischeslust des Präsidenten konfrontiert.

Was aber nun den besonderen Reiz dieser Satire ausmacht, das erschließt sich nicht. Die Kritik an der amerikanischen Gesellschaft, die sich monatelang über den lüsternen Präsidenten das Maul zerriss, ist zwar bissig und mit spitzer Hundezunge geäußert, aber aus dem Sujet hätte der puertoricanische Autor weitaus mehr machen können. In die Breite getreten wird der Text schließlich noch dadurch, dass auch der Autor erklären will, wie er überhaupt an die mysteriösen Enthüllungen des Präsidentenhundes gelangt ist. Am Ende bleibt der Eindruck eines durch menschliche Maschinen aufgeplusterten, arroganten und großkotzigen Hundes, der schon auf den ersten Buchseiten jegliche Sympathie beim Leser verspielt.

Die Vermenschlichung eines Tieres ist ein altbekanntes literarisches Thema. In „Ein Bericht für eine Akademie“ verwandelte Franz Kafka einen Affen in einem Menschen, und in „Lebensansichten des Katers Murr“ ließ E.T.A. Hoffmann den wie ein Mensch sprechenden Kater aus seinem Leben erzählen. Sánchez aber scheitert mit seinem „First Dog“. Im Grunde gut gedacht, teilweise auch wirklich interessante Wendungen und Bonmots eingebaut, aber am Ende reicht es nicht, um einen ständigen Platz im Bücherregal zu ergattern.

Luis Rafael Sánchez: First Dog – Enthüllungen eines Präsidentenhundes, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin, 2011, 137 Seiten, gebunden, 15,90 Euro, ISBN 978-3803112750

Aus der Zauber

Joanne K. Rowling ist mit ihren „Harry Potter“-Büchern zur Bestseller-Autorin geworden. In ihrem neuen Werk „Ein plötzlicher Todesfall“ aber, ausdrücklich ein Roman für Erwachsene, fehlt der Zauber. Stattdessen serviert die Autorin dem Leser eine klischeehafte, reißbrettartig geplante Sozialkritik, für die es keine 576 Seiten gebraucht hätte.

Die einzige sympathische Figur des Romans stirbt bereits auf Seite 11 – Barry Fairbrother. Er kippt auf dem Parkplatz des Golfclubs um und erliegt einem Aneurysma. Durch seinen Tod wird ein Platz im Gemeinderat frei, eine plötzliche Vakanz, „The casual vacany“, wie das Buch im Original heißt. Laut Klappentext ist das der „Nährboden für den größten Krieg, den die Stadt je erlebt hat“ – so lassen sich 576 Seiten schnell begründen.

Barry Fairbrother war – wie der Name schon sagt – die gute Seele des englischen Städtchens Pagford. Aufopferungsvoll kümmerte sich der Banker um die sozial Schwachen, insbesondere um das aufmüpfige Mädchen Krystal Weedon, die mit ihrer drogenabhängigen und zeitweise der Prostitution nachgehenden Mutter und ihrem kleinen Bruder in einer verwahrlosten Wohnung in der Sozialsiedlung Fields wohnt. Fairbrother unterstützte Krystal, holte sie in die Rudermannschaft der Schule und warb im Rat dafür, die Siedlung weiterhin in der Zuständigkeit Pagfords zu belassen. Diesem Plan aber standen und stehen einige andere Ratsmitglieder ablehnend gegenüber, weil die dort wohnende Unterschicht nicht in ihr Bild einer idyllischen, wohlhabenden Kleinstadt passt. Und so entbrennt mit Fairbrothers Tod nicht nur ein Kampf um den frei gewordenen Platz im Gemeinderat, sondern auch um das Für und Wider der Integration sozial Schwächerer.

Wie aus dem Synonymwörterbuch abgeschrieben

Die Sprache ist so einfach dahergeschrieben, wie sie schon beim Kinderbuch „Harry Potter“ funktionierte. Die anstößigen Begriffe, die dem neuen Roman den „Nur für Erwachsene“-Stempel aufdrücken sollen, klingen wie aus dem Synonymwörterbuch abgeschrieben und in den Text gewürfelt. Und von Literatur lässt sich hier nun wirklich nicht sprechen. Weniges mag auch der schnellen Übertragung ins Deutsche zugeschrieben werden, mussten die beiden Übersetzerinnen den Stoff doch in vier Wochen in einem geheimniskrämerischen Akt im Londoner Verlag Little Brown übersetzen.

Doch es ist wohl der Autorin geschuldet, dass sie die Unterschicht ganz klischeehaft fluchen und sich mit „dämliche scheiß Junkie-Bitch“ oder „verkackte blöde Fixerkuh“ beschimpfen lässt, während die Mittelschicht ganz andere Probleme hat. Da ist die Mutter, die sich heimlich die Boy-Band-Videos ihrer Tochter ansieht und von einer Sexnacht mit einem Jüngling träumt, und der stellvertretende Schulleiter, der offensichtlich pädophile Gedanken hegt. Da ist die Schülerin aus Indien, die gemobbt wird und sich ritzt, während ihr Vater so perfekt aussieht, dass er als Filmschauspieler arbeiten könnte. Und natürlich ist da auch noch Krystal, die nach Fairbrothers Tod in ein Milieu und ein Leben zurückfällt, in dem sie kaum noch Unterstützung erfährt.

Das allerdings versteht Rowling: Die Welt der Kinder und Jugendlichen zu beschreiben. Doch keiner dieser jungen Leute hat ein allzu herrliches Leben. Der erste Sex, nun gut, der ist sowieso meistens nicht herrlich, vor allem aber nicht in Pagford. Dort haben die Jugendlichen Sex hinter einer Hecke auf dem Friedhof oder an einem reißenden Fluss, während der kleine Bruder wenige Meter entfernt auf einer Bank sitzt und wartet. Ein Mädchen wird vergewaltigt, zwei Jungen regelmäßig von ihrem Vater vertrimmt. Das ist eine Welt, in der Kinder und Jugendliche heutzutage aufwachsen. Das ist weder lebensfern noch übertrieben. Und es sind die eindringlichsten Szenen des Romans. Das macht ihn deshalb aber noch nicht zu einem Stück Literatur.

Erinnert an einen russischen Roman

Vom Inhalt abgesehen hätte dem Buch ein Lesebändchen gut zu Gesicht gestanden. Eine Karte könnte dem Leser einen groben Überblick über Pagford bieten, schränkt aber auch die Phantasie ein, die ohnehin kaum Raum erhält. Letztlich hätte eine vorherige Auflistung der Personen das Werk komplettiert, erinnert es mit den weitverzweigten Beziehungs- und Verwandschaftsgraden und der Vielzahl der mitunter sogar ähnlich klingenden Namen an einen russischen Roman. Gut gelöst hat das etwa der Antje Kunstmann Verlag bei Paul Murrays lesenswertem Roman „Skippy stirbt“ – auf dem Lesezeichen hat man ein „Who is who“ stets parat, um die handelnden Personen auseinanderzuhalten.

Es bleibt zu hoffen, dass Joanne K. Rowling nicht bereits an einer Fortsetzung arbeitet und sich kein Regisseur an eine Verfilmung des Stoffes wagt. Dann darf die Zeit kommen, in der die „Harry Potter“-Schöpferin sich auf ihr Können besinnt und vielleicht wieder etwas Begeisterndes schafft.

Joanne K. Rowling: Ein plötzlicher Todesfall, Carlsen Verlag, Hamburg, 2012, 576 Seiten, gebunden, 24,90 Euro, ISBN 978-3551588883

Ein eiskaltes Lese-Ärgernis

Wenn in einem Jugendbuch mindestens 16 Mal der Genitiv nicht gebraucht wird, wo er nötig ist, ist das für die Erziehung junger Leser zur richtigen Grammatik niederschmetternd. Wenn der Verlag dazu auch noch eine Lehrerhandreichung anbietet, das Buch also im Unterricht behandelt werden könnte, kann man nur hoffen, dass möglichst viele Lehrer zuvor diese Rezension lesen. Denn „Kälte“ von Michael Northrop ist nicht nur grammatikalisch ärgerlich, sondern inhaltlich auch noch dünn und unausgegoren.

Als die Schüler der Tattawa Regional Highschool in Neuengland aus dem Fenster sehen, fängt es gerade an zu schneien. Das beunruhigt sie zunächst nicht weiter, denn es hat den ganzen Monat schon viel Schnee gegeben. Als es aber immer heftiger schneit und der Wetterbericht eine Schneesturmwarnung herausgibt, sagt der Rektor die Sportveranstaltungen für den Nachmittag ab und schickt alle Schüler nach Hause. Doch nicht alle verlassen die Schule: Sieben Schüler und ein Geschichtslehrer bleiben – aus unterschiedlichen Motiven.

Altmeister Stephen King hätte daraus womöglich eine beklemmende Geschichte gemacht. Dem amerikanischen Autor Michael Northrop aber gelingt das leider nicht. Er legt zwar verschiedene Charaktere an, die genug Konfliktpotential hätten, reizt das aber nicht aus. Erzählt wird die Geschichte des fast einwöchigen Schneesturms aus der Sicht des Zehntklässlers Scotty Weems, Basketballspieler im Schulteam. Mit seinen Freunden Jason Gillespie und Pete Dubois bildet er eine Dreierbande, die noch ein paar Stunden in der Schule bleiben wollen, um im Werkraum an Jasons „Flammenwerfer“ zu basteln, einem motorisierten Go-Kart. Jasons Vater, so die Abmachung, würde sie dann später mit seinem Allrad-Pickup abholen und sicher durch den Schnee bringen.

Ständige unterschwellige Bedrohung

Auch der Bad Boy der Schule, Les Goddard, ist noch in der Schule. Von ihm geht eine ständige unterschwellige Bedrohung aus, eilt ihm doch das Gerücht voraus, er trage immer irgendeine Art von Waffe bei sich und sei absolut unberechenbar. Dann ist da noch der Außenseiter Elijah James, für Scotty ein merkwürdiger Typ, der ständig in der Schulbibliothek sitzt und ansonsten in seiner eigenen Welt zu leben scheint.

Und schließlich komplettieren zwei Neuntklässlerinnen den Reigen, Krista O’Rea und ihre beste Freundin Julie Anders. Oder Enders. So genau weiß Scotty das nicht, denn sein Hauptaugenmerk liegt auf Krista, die sich äußerlich vor allem durch die „perfekte Kombination aus richtig dosierten Kurven und einem straffen, durchtrainierten Körper“ (S. 41) auszeichnet, oberflächlich betrachtet – und das bleibt leider auch so.

Obwohl sich allein durch die unterschiedlichen Charaktere viele Handlungsstränge anbieten, entwickelt sich keiner zu seiner überzeugenden Vollkommenheit. Sogar die aufkeimende Liebesgeschichte zwischen Scotty und Krista bleibt schwach und eher spekulativ. Wenn wenigstens die Beschreibung des Hauptplots gelänge! Doch es will keine rechte Beklommenheit beim Leser aufkommen. Es mangelt dem Buch an Ideen und an packend geschriebener Sprache. Die immerwährende Notiz, dass sich der Schnee immer höher türmt, langweilt schnell.

Die Dramatik der Isolation

Vielleicht ist es Scotty als Erzähler nicht gegeben, eine Geschichte so zu erzählen, dass man an seinen Lippen hängt. Er beobachtet zu oberflächlich, ist zu betont lässig und jugendlich, lässt nicht viel Raum für Dramatik. Und das, obwohl die Notbeleuchtung spärlicher wird, die Expeditionen in die Mensa zur Essensbeschaffung gefährlich sind, das Dach der Schule unter der Schneelast einzubrechen droht und die Verbindungen zur Außenwelt durch ein Radio nur einseitig sind. Potential hat die Geschichte, obwohl sie so und anders schon oft erzählt worden ist. Allein: es wird nicht genutzt. Die Dramatik der Isolation bleibt unter ihren Möglichkeiten.

Die durchgängige Missachtung des Genitivs aber ist ein wahres Lese-Ärgernis. Dass das beim Lektorat nicht aufgefallen ist, ist unverständlich. Das Argument der Jugendsprache darf hier nicht gelten, denn obwohl sich der Text deutlich an jüngere Leser wendet, muss auf die Einhaltung der Grammatik geachtet werden. Alles andere ist bedenklich, vor allem in Kinder- und Jugendbüchern. Wird hier in einer nächsten Auflage nicht nachgebessert, ist von einer Schullektüre abzuraten.

Michael Northrop: Kälte, Loewe Verlag, Bindlach, 2012, 253 Seiten, Taschenbuch, 6,95 Euro, ISBN 978-3785574287, vom Verlag empfohlenes Alter: 13 bis 16 Jahre