Der Beginn eines baldigen Gotham-Klassikers

Passend zum internationalen Batman-Tag am 16. September tauchte in diesem Jahr die ausgesprochen aufregende erste Ausgabe von Rafael Grampás Comic „Batman: Der Gargoyle von Gotham“ aus den Schatten auf. Der mit dem renommierten Eisner-Award ausgezeichnete brasilianische Comic-Künstler bebilderte zuvor bereits die Episode „Batman: Das goldene Kind“ für den Comic-Star Frank Miller („Sin City“). Jetzt hat Grampá eine neue, eigenständige Geschichte über Batmans Anfangszeit geschrieben und gezeichnet. Sie könnte ein neuer Klassiker der Batman-Comics werden. Wer bisher keinen Zugang zu dem dunklen Ritter hatte – hier wäre der richtige Einstieg ins Batmobil.

Grampás Gotham ist wesentlich düsterer und hoffnungsloser als in anderen Darstellungen. Auf den ersten Seiten sehen wir, wie die Schere zwischen Arm und Reich auseinanderklafft. In den Straßen häufen sich Müllsäcke zwischen den imposanten Bauten, Obdachlose drängen sich in den Hauseingängen, während Passanten nur Augen für ihre Smartphones haben. Gewalt, Korruption und Ausbeutung haben Einzug gehalten, und es gibt nur einen, der die Entwicklung noch aufzuhalten vermag: Batman. Der hatte sich bekanntlich am Grab seiner Eltern geschworen, das Böse zu bekämpfen.

Töte Bruce Wayne – sei Batman

Aber so recht will es nicht gelingen, denn im Hauptjob ist er ja auch noch Bruce Wayne, der Milliardär. Nachdem Batman bei einer Begegnung mit einem unheimlichen Bösewicht beinahe durch eine Explosion in einem TNT-Labor gestorben wäre, offenbart er seinem engsten Vertrauten, dem Butler Alfred Pennyworth, dass er den öffentlichen Tod von Bruce Wayne plant. Ausradieren müsse er sich, um sich ganz seiner Mission zu widmen. „Die Lage wird immer schlimmer, und Gotham muss permanent geschützt werden“, sagt er selbstbewusst.

Unterdessen treibt ein beunruhigender Serienmörder in Gotham sein Unwesen, und die Polizei ist noch völlig ahnungslos. Sie registriert nur immer mehr Todesfälle, bei denen die Opfer seltsam übereinstimmende Stichverletzungen haben und immer nackt zurückgelassen werden. Dann findet der Polizist Jim Gordon eine Verbindung zu Bruce Wayne, und alles dreht sich in eine völlig unerwartete Richtung.

Charakterzeichnung ist brillant

Mit „Der Gargoyle von Gotham“ erleben wir die Stadt nicht nur ungewöhnlich dunkel und abgehalftert, sondern auch Batman zeigt sich in neuen charakterlichen Facetten. Grampás Schachzug, Bruce Wayne abzunabeln und sich vollständig auf Batman zu konzentrieren, ist außerordentlich gelungen. Seine Charakterzeichnung ist brillant. Der junge Batman ist bei Grampá grimmig und zuweilen auch brutal, aber immer auf dem Höhepunkt seiner Fähigkeiten, auch als er seine eigene Identität in Frage stellt.

Als kontrastierender Gegenpol glänzt der neue furchterregende Schurke Crytoon. Er ist ein übler Mörder mit glatter, schwarzer Haut, einem schwarzen Anzug und psychotisch laufenden Tränen. Seine Tränen, erklärt er an einer Stelle, sind die Vorboten der Tränen seiner Opfer. Grampá zeigt ihn als mordendes Wesen, dem seine Taten bewusst sind und die er zuvor bedauert, sie jedoch nicht aufhalten kann. Wie Batman hadert auch Crytoon mit seiner Identität.

In einem Interview, das thepopverse.com mit Rafael Grampá geführt hat, erzählt der Comic-Künstler, dass ihn eine Erinnerung an die eigene Kindheit zu Crytoon inspiriert habe. Grampás Großmutter liebte die klassische italienische Theaterkunst der Commedia dell’arte und bewahrte deshalb eine ganz in weiß gekleidete Porzellanfigur des ikonisch weinenden Clowns Pierrot auf.

Grampá: „Ich hatte Angst vor diesem Bild.“

„Als ich ein Kind war, hatte ich große Angst davor“, erzählt Grampá in dem Interview: „Diese Figur, dieses weiße Gesicht, das schwarze Tränen weint; wenn sie das Licht ausschaltete, sah ich das vor mir und hatte Angst vor diesem Bild.“ Aus diesen Kindheitserinnerungen entwickelte Grampá seine eigene Version des Pierrot. Um ihn dann auch noch von den anderen Clown-Schurken im Batman-Universum abzugrenzen, brachte ihn seine Frau auf die Idee, den ursprünglichen Pierrot in ein Foto-Negativ umzukehren. Crytoon ist geboren!

Und schließlich ist da noch der Polizist Jim Gordon, den Grampá als religiösen Mann darstellt. In seiner trostlosen Wohnung hängt ein Jesusbild an der Wand, in seinem Büro im Revier ein ans Holzkreuz genagelter Jesus. Auf einem Schubladenelement steht eine Madonnafigur. Nur auf dem Telefontischchen zu Hause sehen wir ein Foto von Gordons Frau. Daneben liegt die Dienstwaffe. Die Pflicht ruft, und es ist dieselbe, die auch Batman verspürt.

Auch zeichnerisch ist „Der Gargoyle von Gotham“ auf hohem Niveau. Das Comic-Layout besteht zum großen Teil aus senkrechten und waagerechten Linien zwischen den Panels. Nur wenn es richtig zur Sache geht, rutschen die Linien aus der Symmetrie. Man könnte meinen, der Comic sei zu kontrolliert und wenig wagemutig, wenn er seine Geschichte so stark formgebunden präsentiert. Doch das Gegenteil ist der Fall: Nicht die Form gibt dem Comic seine Geschwindigkeit und seinen Drive, sondern die stimmungsvollen Inhalte der einzelnen Panels, die geradezu filmisch anmuten.

Wer versteht die Hinweise?

Grampá zieht aber noch eine zweite Ebene ein: Für besonders aufmerksame Leser*innen hat er in seinen Panels dezente Hinweise und Botschaften versteckt, etwa eine Hommage an David Fincher und Frank Miller. Wer von uns kratzt beim Lesen nur an der Oberfläche und wer versteht die Anzeichen?

Grampás „Gargoyle von Gotham“ soll nach vier großformatigen Bänden abgeschlossen sein. Der zweite Band erscheint in Deutschland am 20. Februar 2024, die Erscheinungstermine für die beiden letzten Bände sind noch nicht bekannt.

Schon der Auftaktband bringt uns wahren Nervenkitzel, viel Action, aber auch wohldurchdachte leise Szenen; und während wir Batman dabei zusehen, wie er die dunkelsten Ränder seines eigenen Herzens abschreitet, werden wir Zeugen von der wahnsinnigen Kunstfertigkeit des Rafael Grampá. Im Interview mit Popverse erklärt er: „Diese Geschichte ist mein Versuch, Batman zu sezieren, weil ich diesen Charakter liebe und ihn auf den heißen Stuhl setzen wollte.“ Davon wollen wir unbedingt noch mehr! Breite deinen Mantel aus, Batman, und leg los!

Rafael Grampá: Batman – der Gargoyle von Gotham, Panini-Verlag, Stuttgart, 2023, 60 Seiten, gebunden, Euro, ISBN 978-3741635335, Leseprobe;

Rafael Grampá: Batman – der Gargoyle von Gotham (Variant-Cover), Panini-Verlag, Stuttgart, 2023, 60 Seiten, gebunden, 20 Euro, ISBN 978-3741635335, limitiert auf 333 Exemplare.

Cash auf die Kralle

Der Berliner Comic-Zeichner Reinhard Kleist gehört seit Jahren zu den wichtigsten deutschen Comic-Autoren der Gegenwart. Seinen Durchbruch schaffte er 2006 mit „Cash – I see a darkness“, einer Comic-Biografie der verstorbenen Country-Legende Johnny Cash. Pünktlich zum 20. Todestag des wahrscheinlich bekanntesten Country-Sängers am 12. September 2023 hat der Carlsen-Verlag nun eine überarbeitete und zum ersten Mal kolorierte Hardcover-Neuauflage des Comic-Klassikers auf den Markt gebracht. War diese Musik-Biographie schon 2006 umwerfend konzipiert, gezeichnet und erzählt, ist sie nun in würdiger Pracht (neu) zu entdecken.

„Hello, I’m Johnny Cash.“ So hieß nicht nur Cashs 33. Album, das 1970 bei Columbia Records erschien, sondern so eröffnete Cash buchstäblich schlicht und ergreifend seine Konzerte. „Hello, I’m Johnny Cash.“ Und dann ging’s los.

Wer bis Ende 2005 noch kein Cash-Fan war, konnte dem ambivalenten Zauber spätestens zu dem Zeitpunkt erliegen, als der autobiographische Film „Walk the Line“ in die Kinos kam, in Deutschland im Februar 2006. Da war Johnny Cash bereits zweieinhalb Jahre tot. Körperlich tot, denn Bob Dylan prophezeite im Musik-Magazin Rolling Stone im Oktober 2003: „Er wird niemals sterben oder vergessen werden, nicht einmal von Menschen, die heute noch gar nicht geboren sind, und das für immer.“ Er könnte recht behalten.

Neuer, poetischer Blick

Im September 2006 erschien schließlich Kleists umfangreicher Comic-Roman „Cash – I see a darkness“ und verschaffte selbst jenen Fans, die den Sänger und seinen Lebensweg bestens zu kennen glaubten, einen neuen, poetischen Blick auf das ungestüme Leben des Johnny Cash.

Von dieser Faszination hat der Comic auch 17 Jahre später nichts verloren, denn Kleist geht die Sache anders an als der Kinofilm, dessen Bilder und Musik vielen im Gedächtnis geblieben sind, der aber Cashs Biographie nur bis Anfang der 1970er Jahre erzählt. Kleist geht darüber hinaus und zeigt auch die späte Zusammenarbeit mit dem US-amerikanischen Musikproduzenten Rick Rubin, aus der die inzwischen auch schon Musikgeschichte gewordenen „American Recordings“ (1994-2010) entstanden sind, die auch außerhalb der Country-Szene große Anerkennung fanden.

Reinhard Kleist gelingt es, aus den bekannten Eckpunkten eine Lebensgeschichte zu zeichnen, die dem Weltstar gerecht wird, ihn aber auch nicht zu sehr heroisiert, sondern die schonungslos die harten Schnitte offenbart, die für romantisierende Filmbiographien eher ungeeignet sind. Johnny Cash war nun mal kein Heiliger. Wo der Kinofilm „Walk the Line“ vor allem die Liebesgeschichte zwischen Johnny Cash und June Carter thematisiert, konzentriert sich Kleist auf den Musiker.

„Ich wollte dasselbe in eine Bildebene übersetzen“

Als er mit der Arbeit an dem Comic begann, war Kleist schon lange ein Fan von Johnny Cash. „Seine düstere Weltsicht, sein Erscheinungsbild und, ja, auch seine Sexyness“ hatten Kleist immer schon fasziniert, erzählt er in einem kurzen Interview, das sein Verlag kürzlich mit ihm führte. Cash habe es immer verstanden, Musik und das Erzählen von Geschichten zusammenzubringen. „In vielen Songs benutzte er seine Musik, um die Handlungen zu illustrieren – ich wollte dasselbe in eine Bildebene übersetzen“, erklärt er weiter.

Und so setzt Kleist einige der Cash-Hits wie „Folsom Prison Blues“, „A Boy Named Sue“ oder „Cocaine Blues“ raffiniert grafisch um und lässt die Liedtexte zu kleinen Comic-Sequenzen werden. Boom-chicka-boom!

Stark sind außerdem die Panels, als Cash zunehmend tablettensüchtig wird, sich zum Sterben in eine Höhle zurückzieht und schließlich im Herbst 1967 einen schwierigen Entzug durchlebt. Den inneren Kampf mit der Sucht hat Kleist so beeindruckend eingefangen, dass man beim Lesen stark mitleidet. Das geht an die Substanz, und es zeugt von der Brillanz des Comic-Zeichners.

Neuauflage behutsam koloriert

Die Bilder sind ausdrucksstark, lebendig und realistisch, vor allem die Gesichtszüge des „Man in Black“ werden gekonnt in Szene gesetzt. War die Ausgabe von 2006 noch durchgängig schwarz-weiß, hat Kleist die Neuauflage behutsam koloriert, ohne den Charme der Ursprungsversion zu zerstören. Für die neue Edition hat der Berliner den „Cash“-Band noch einmal von vorne bis hinten durchgearbeitet und nur an einigen Stellen den Text etwas verändert und angepasst.

„Cash – I see a darkness“ ist immer noch eine lesenswerte, detailreiche Liebeserklärung an einen Künstler, der zwar nie im Knast eine Strafe absitzen musste, aber zwei herausragende Konzert-Alben in Strafanstalten aufnahm – und zeitweise selbst dicke Gefängnismauern um sich herum errichtete. Eine wichtige Stimme in Kleists Comic ist die des Erzählers und Folsom-Prison-Insassen Glen Sherley. Er sagt an einer Stelle: „Am Ende sind es die Geschichten, die bleiben, nicht die Fakten. Und Geschichten müssen erzählt werden.“ Cash war ein Geschichtenerzähler, wie auch Kleist einer ist: immer authentisch. Wie gut, dass die beiden einander gefunden haben!

Reinhard Kleist: Cash – I see a darkness, Carlsen-Verlag, Hamburg, 2023, 224 Seiten, gebunden, 26 Euro, ISBN 978-3551760005, Leseprobe

Zurück in die Zeitung

Kennen Sie noch das Videospiel „Paperboy“ aus den späten 1980er bis frühen 1990er Jahren? Man steuerte einen US-amerikanischen Zeitungsjungen auf einem BMX und musste möglichst alle Abonnent*innen einer Straße mit Zeitungen beliefern, natürlich im hohen Bogen vom Fahrrad aus. Punktabzüge gab es für eingeworfene Scheiben oder falls Zeitungsbesteller*innen leer ausgingen. Die Spielfigur damals war ein Junge, aber natürlich gibt es auch Mädchen und Frauen in dem Job. Vier ganz besonderen Papergirls haben der Autor Brian K. Vaughan und Zeichner Cliff Chiang eine sechsteilige Comic-Serie gewidmet, die nun auch in einer Gesamtausgabe erschienen ist. Fans der 1980er Jahre, von BMX; Walkie-Talkies, Zeitreisen und Außerirdischen, die nach Hause telefonieren wollen; sollten ihren Walkman mal zur Seite legen und die „Paper Girls“ zur Hand nehmen. Und: Richtig, es gibt auch eine Serienadaption davon.

Es ist 4.40 Uhr am sogenannten Höllen-Morgen des Jahres 1988, der Morgen nach Halloween, wenn auf den Straßen die letzten angetrunkenen Nachtschwärmer und Halbstarken unterwegs sind und die Stadtreinigung die Reste vom Feste noch nicht beseitigt hat. Um diese Zeit machen sich die Zeitungsbot*innen des Cleveland Preserver auf den Weg, um in Stony Stream, einem fiktiven Vorort von Cleveland (Ohio), die Zeitungen in die Vorgärten und bestenfalls auf die Fußmatten zu werfen. Zum ersten Mal ist auch die zwölfjährige Erin Tieng dabei und gerät im Morgengrauen gleich an ein Trio pubertärer Dumpfbacken.

Doch die Nacht ist noch nicht vorbei

Hilfe ist unterwegs, denn auch die drei Mädchen Mac, KJ und Tiff radeln mit Zeitungen durch die Straßen. Ganz besonders Mac ist nicht auf den Mund gefallen, sie vertreibt die Jungs und nimmt Erin in ihre Obhut. Doch die Nacht ist noch nicht vorbei, und der Zusammenprall mit den Jungs nur ein laues Lüftchen gegen das, was sich bisher unerkannt in ihrer Stadt zusammenbraut.

Nur wenig später werden zwei der Mädchen von drei Typen in seltsamen Geisterkostümen überfallen, zu viert nehmen die „Paper Girls“ die Verfolgung auf. Ob es wieder die Halbstarken sind, die sich für ihre Schmach rächen wollen? Die Mädchen vermuten das Versteck im Keller eines Hauses, entdecken dort jedoch keine Menschenseele, sondern eine Maschine oder ein Gerät, das wie eine alte Apollo-Kapsel aussieht.

Der Strom fällt aus, Taschenlampen funktionieren nicht mehr, und der Himmel über der Stadt leuchtet mit einem Mal in bunten Farben. Das Polarlicht ist nichts dagegen. Als schließlich noch Flugsaurier am Himmel auftauchen, flüchten die Mädchen zu Macs Eltern. „Mein Dad hat ne Knarre“, sagt Mac. Und mit Knarren, das wissen Amerikaner*innen, kann man alle Probleme lösen. Durch ein Missgeschick fängt sich Erin eine Kugel ein, und da auch das Telefon natürlich nicht mehr funktioniert, Macs Stiefmutter durch ihr Alkoholproblem fahruntüchtig ist, ist die tapfere Mac wieder die einzige, die sie aus diesem Schlamassel rausholen kann.

Begegnung mit den eigenen Ichs

Sie meinen, jetzt wäre die ganze Geschichte schon erzählt? Weit gefehlt – das war erst der Anfang dieser wahnwitzigen sechsbändigen Reihe um die vier „Paper Girls“. Thematisch bleibt es nicht bei Flugsauriern und Apollo-Kapseln, sondern – und das ist nicht zu viel verraten – die vier Mädchen geraten im weiteren Verlauf in eine kosmische Auseinandersetzung von zwei Zeitreise-Gruppen und begegnen ihren eigenen Ichs in unterschiedlichen Zeiten.

Ein älterer Schüler sagt im ersten Band der Reihe: „Ich bin wohl ganz schön high.“ Anders lässt sich das vermutlich nicht erklären, was der US-amerikanische Erfolgsautor Brian K. Vaughan („Saga“, „We stand on guard“, Drehbuch-Mitarbeit für die TV-Serie „Lost“, Autor für die TV-Serie „Under the Dome“) hier an Ideen auffährt. Manch einem mag das etwas überfrachtet vorkommen, auf einer Länge von 800 Seiten aber haben alle Neben-und Haupt-Erzählstränge ausreichend Platz, allen voran auch die ausgeklügelten Figurenzeichnungen der vier Mädchen, die sich mit einer Vielzahl von Themen beschäftigen: Freundschaft, Queerness, Tod, Liebe, People of Colour, Holocaust, Videospiele, Zeitreisen, Rich Kids, Armut, Alkoholismus. Teilweise geht es heftig zur Sache.

Stimmungsvolle Retro-Kolorierung

Cliff Chiang fängt das Gefühl der 1980er Jahre, diese wunderbare Nostalgie, zeichnerisch hervorragend und authentisch ein, auch in der Optik der Personen. Referenzen allerdings setzt er dezent ein, was raffiniert ist, weil es die Story nicht stört. Die stimmungsvolle Retro-Kolorierung durch Matt Wilson tut das Übrige zum optischen Gelingen dieser Reihe, die sich geradezu liebevoll um ihre Protagonist*innen kümmert, um ihnen den perfekten Boden für ihre eigene Geschichte zu bereiten. 2016 wurde die Reihe mit den renommierten Eisner-Awards für die „Beste neue Serie“ und Chiang als „Bester Zeichner“ ausgezeichnet.

Im Sommer 2022 veröffentliche der Streaming-Dienst „Amazon Prime Video“ schließlich die acht Episoden lange erste Staffel der Serien-Adaption von „Paper Girls“. Nur um wenige Wochen später zu verkünden, dass es keine weiteren Staffeln der Serie geben werde. Vermutlich gingen die „Paper Girls“ in der fetten Marketing-Kampagne zu „The Lord of the Rings: The Rings of Power“ einfach unter. Ein wenig Hoffnung besteht noch, dass das co-produzierende Studio „Legendary Television“ einen anderen Streaming-Dienst findet, der die verrückte Zeitreise fortsetzen möchte. Mit Kindern auf Fahrrädern in den 80er Jahren kann man in Büchern und Filmen ja eigentlich nie etwas falsch machen.

„Paper Girls“ hebt diese einfache Formel auf ein geniales neues Level: Es ist eine intelligente, herrlich komische, feministische und sehr unterhaltsame Coming-of-Age-Geschichte, die deutlich macht, wie schön die Kindheit sein könnte, wenn nicht die Erwachsenenwelt ständig in sie hineinbräche. Unbedingt lesen!

Brian K. Vaughan: Paper Girls 1, Cross Cult, Ludwigsburg, 2017, 144 Seiten, gebunden, 22 Euro, ISBN 978-3959811408
Brian K. Vaughan: Paper Girls 2, Cross Cult, Ludwigsburg, 2017, 144 Seiten, gebunden, 22 Euro, ISBN 978-3959814102
Brian K. Vaughan: Paper Girls 3, Cross Cult, Ludwigsburg, 2017, 144 Seiten, gebunden, 22 Euro, ISBN 978-3959815611
Brian K. Vaughan: Paper Girls 4, Cross Cult, Ludwigsburg, 2018, 144 Seiten, gebunden, 22 Euro, ISBN 978-3959817677
Brian K. Vaughan: Paper Girls 5, Cross Cult, Ludwigsburg, 2019, 152 Seiten, gebunden, 22 Euro, ISBN 978-3959818261
Brian K. Vaughan: Paper Girls 6, Cross Cult, Ludwigsburg, 2019, 128 Seiten, gebunden, 22 Euro, ISBN 978-3959818261
Brian K. Vaughan: Paper Girls – die komplette Geschichte, Cross Cult, Ludwigsburg, 2022, 800 Seiten, gebunden, 99 Euro, ISBN 978-3966588720
Brian K. Vaughan: Paper Girls – die komplette Geschichte, Cross Cult, Ludwigsburg, 2022, 800 Seiten, Taschenbuch, 60 Euro, ISBN 978-3966589963

Iraner*in, Leben, Freiheit

Seit Wochen protestieren im Iran Frauen und Männer unter Todesgefahr gegen das Regime und zeigen sich scheinbar wenig beeindruckt von den gewalttätigen Einschüchterungsversuchen der Staatsführung. Die hat derweil Mitte Dezember 2022 das zweite Todesurteil gegen einen Demonstranten vollstreckt. Laut „Amnesty International“ droht mindestens 26 weiteren Menschen die Hinrichtung (Stand: 16. Dezember 2022). Hadi Ghaemi, Direktor des Iran Center for Human Rights in New York, sagte in einem Interview mit der CNN-Journalistin Christiane Amanpour, die Islamische Republik Iran vollstrecke „staatliche Lynchjustiz gegen die eigene Bevölkerung“.

Auslöser für die Proteste, die manche iranische Stimmen inzwischen lieber eine Revolution nennen, war der staatliche Femizid an der 22-jährigen Kurdin Mahsa Zhina Amini. Das iranische Regime hatte behauptet, Zhina Amini sei an einem plötzlichen Herzversagen verstorben. Sie war zuvor festgenommen worden, weil sie ihr Kopftuch nicht „richtig“ trug. Nach der Festnahme und nach zwei Tagen im Koma starb sie am 16. September 2022 in einem Krankenhaus in Teheran.

Überall im Land gehen die Protestierenden auf die Straße, um für die Gleichberechtigung und Selbstbestimmung von Frauen und Queers bis hin zu einem Ende der Diktatur zu kämpfen. Die einst kurdische Parole „Frau, Leben, Freiheit“ („Jin, Jiyan, Azadî“) wird auch von Männern solidarisch verwendet. Die Proteste erreichen alle Städte und alle Schichten. Und sie finden weltweit Beachtung. In Deutschland haben Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf ihre Instagram-Accounts und deren Reichweite zwei iranischen Aktivistinnen zur Verfügung gestellt und die Proteste damit in Publikumsbereichen bekannt gemacht, die bei Nachrichten vielleicht sonst eher umschalten.

Einmal mehr viel Beachtung verdient

Damit die Aufmerksamkeit weltweit weiterhin groß bleibt, heißt es, jegliche Möglichkeit zu nutzen, um alle gesellschaftlichen Schichten und alle Altersklassen zu informieren. Schon im Jahr 2017 hat der Splitter-Verlag aus Bielefeld einen Comic herausgebracht, der hervorragend geeignet ist, junge Menschen und Comic-Leser*innen tiefer über den Iran zu informieren, und der deshalb in diesen Zeiten einmal mehr viel Beachtung verdient hat. Es ist der Comic „Liebe auf Iranisch“ von Jane Deuxard und Deloupy.

Jane Deuxard ist das Pseudonym eines französischen Journalistenpaars, die jeweils einzeln bereits national und international ausgezeichnet wurden. Die beiden arbeiten unter dem Decknamen, um weiterhin im Iran recherchieren zu können. Vor allem aber nutzen sie das Pseudonym, um ihre Quellen im Iran zu schützen, jene Menschen, denen sie auf ihren Reisen begegnen und die es gewagt haben, ihnen offen und ehrlich von ihrem Leben zu erzählen. Denn Jane Deuxard sehen das als ihre Aufgabe an: den Iranerinnen und Iranern durch ihre Recherchen eine Stimme zu geben.

„Die Polizeipatrouillen sind überall“, schreibt das unverheiratete Paar. „Jedes Mal, wenn sie vorbeikommen, schweigen wir und senken den Blick. Würde man uns entdecken und festnehmen, wären die Iraner, die bereit waren, mit uns zu reden, in Gefahr. Wir sind ständig angespannt.“

Unverstellte Einblicke in das Leben im Iran

„Liebe auf Iranisch“ erzählt keine Geschichte, ist kein Comic-Roman, sondern zeigt episodisch Iranerinnen und Iraner in den jeweiligen Gesprächssituationen mit Jane Deuxard und erlaubt damit unverstellte Einblicke in das Leben im Iran unter der Präsidentschaft von Mahmud Ahmadineschād sowie unter der seines Nachfolgers Hassan Rohani.

Die Porträtierten sind zwischen 20 und 30 Jahre alt, sie kommen aus allen sozialen Milieus des Landes, und sie alle eint der Wunsch, freiheitlich lieben zu dürfen, unabhängig davon, was ihnen das Regime oder die Tradition oder die Religion vorschreiben. Mal mit der Partnerin oder dem Partner im Café einen Latte Macchiato trinken? Abends gemeinsam ins Bett fallen und am besten gleich übereinander her? Sich in der Öffentlichkeit küssen?

Nein, nicht im Iran. Nichts davon. „Solange wir nicht verheiratet sind, können wir nicht miteinander schlafen“, sagt die 26-jährige Gila. Seit acht Jahren ist sie mit Mila zusammen, partnerschaftliche Sexualität können sie nur durch Oral- oder Analsex erleben, denn es ist wichtig, die Jungfräulichkeit bis zur Hochzeit zu bewahren. Die Familie des Bräutigams kann sogar einen Test verlangen.

Strategien, um die Liebe zu leben

Aber immerhin Oral- oder Analsex? Ja, jedoch nur gut versteckt, nur bei absoluter Ungestörtheit. Niemand darf davon wissen, niemals dürfen sie sich erwischen lassen. Es sind ausgeklügelte Strategien notwendig, um die Liebe zu leben. Gilas Mutter ist so konservativ, dass sie Mila nicht als Partner ihrer Tochter akzeptiert. Ihr wäre eine arrangierte Ehe lieber, bei der sie den Mann für ihre Tochter aussucht.

Für westliche Augen und Ohren scheinen diese Berichte grotesk und wie aus einer Dystopie. Das aber ist genau der wichtige Beitrag, den die Comic-Reportage jungen Menschen in Deutschland für ihr Verständnis der Situation im Iran liefern kann.

Der französische Verleger, Illustrator und Comic-Autor Zac Deloupy hat „Liebe auf Iranisch“ behutsam gezeichnet, und er fängt die bedrückte, wenig hoffnungsfrohe Stimmung hervorragend durch eine besondere Farbgebung ein. Dabei entwirft er immer wieder deutliche Sinnbilder, etwa in dem Panel, in dem er den mit Messer und Gabel essenden Präsidenten Rohani zeigt. Auf dem Teller vor ihm liegt der Iran als Landfläche, von der er sich Iranerinnen und Iraner einverleibt, während andere vor der nahenden Gefahr flüchten.

Wie hält man das aus?

An anderer Stelle zeichnet Deloupy ein Liebespaar, das eng umschlungen spazieren geht. Alle Passanten in ihrer Nähe halten Luftballons in der Hand, auf denen Augen prangen und das Paar unentwegt beobachten. Denunzianten sind überall, und ein Liebespaar ist in der Öffentlichkeit niemals sicher, solange es nicht verheiratet ist. Wie hält man das aus? Welche enorme Geduld haben diese jungen Menschen? Oder wie verzagt sind sie?

Eine Interviewte sagt zu Jane Deuxard: „Eine Revolution heute? Unmöglich. Das Regime lässt nichts mehr durchgehen. Es kontrolliert alles.“ Es ist die Zeit der Präsidentschaft von Hassan Rohani, den die internationale Gemeinschaft einen Reformer nannte. Doch die Reformen kamen nie. Ein anderer, der 20-jährige Kellner und heimliche (verbotene) Rockmusiker Saviosh, sagt resigniert: „Ich glaube, die Leute haben heute keine Kraft mehr zu kämpfen. Wir sind zermürbt. Vielleicht kommt es mit der nächsten Generation… unsere ist erschöpft.“

Heute ist Ebrahim Raisi als Präsident des Irans an der Macht, ein Befürworter der Geschlechtertrennung, der Todesstrafe und der Internet-Zensur. Er lehnt die westliche Kultur ab. Ist eine Revolution also unmöglich? Der Politologe Jonathan White sagt im Februar 2022 im Tagesspiegel: „Jede Revolution scheint unmöglich – am Abend, bevor sie stattfindet. Revolutionen sind genau deswegen Ereignisse, weil sie überraschend sind, weil sie aus dem Lauf der Zeit herausstechen, weil sie komplett die Erwartungen durcheinanderwirbeln.“ Eines Morgens werden die Proteste möglicherweise Revolution genannt werden können. Halten wir die Augen offen!

Jane Deuxard / Deloupy: Liebe auf Iranisch, Splitter-Verlag, Bielefeld, 2017, 144 Seiten, gebunden, 19,80 Euro, ISBN 978-3958395435

Kinder, die Monster lauern nicht unterm Bett

In einem kleinen verschlafenen Nest namens Archer’s Peak im mittleren Westen der USA verschwinden seit Wochen Kinder und Jugendliche. An den Anschlagtafeln der Stadt flattern die „Vermisst“-Plakate in mehreren Schichten übereinander, doch die Behörden sind völlig ratlos. Bis eines Tages ein Überland-Bus hält und eine junge Frau aussteigt. Die Reisende heißt Erica Slaughter und ist die wohl coolste Monsterjägerin seit Buffy oder Arya Stark. Willkommen in Archer’s Peak und willkommen in der grandiosen Comic-Reihe „Something is killing the children“ von James Tynion IV und Werther Dell’Edera.

Der amerikanische Bundesstaat Wisconsin ist vor allem ländlich geprägt. Viele Wälder und Farmen, viel Land, und kaum größere Städte. Das fiktive Archer’s Peak liegt mitten im Nirgendwo in der tiefsten Provinz. Immerhin: es gibt eine Schule, eine Hockeymannschaft, ein Diner, einen Baumarkt, eine Wohnwagensiedlung und schummerige Bars. Der Sheriff der Stadt ist ein müder schnauzbärtiger Typ mit Schirmmütze, der in der Vermisstensache nicht mehr weiter weiß. Irgendwann tauchen Leichenteile auf, und die Polizei kann damit immerhin neun Vermisstenfälle klären. Alle diese Vermissten sind mausetot. Die örtliche Polizei geht von einem tollwütigen Bär aus. Mord und Totschlag in Archer’s Peak? Der Sheriff glaubt nicht dran: „Wir sind hier nicht in Milwaukee, Madison oder auch Green Bay. Hier passieren solche Dinge einfach nicht.“ Hier ist Archer’s Peak, wo jede*r jede*n kennt.

Doch es gibt Menschen, die es besser wissen. James zum Beispiel. Der queere Schüler hat einen Angriff des Monsters nur knapp überlebt, seine Freunde, mit denen er im Wald war, wurden von den Klauen auseinandergerissen und zerfetzt. Er erzählt der Polizei von einem Monster, von den Schreien, die er gehört hat, doch die Polizei glaubt ihm nicht, denn nur Kinder sind in der Lage, diese Monster zu sehen. So bleibt James nur „der Junge, der überlebt hat“, was auch immer er da nun überlebt hat. Ganz sicher jedenfalls kein Monster.

„Ihr habt ein Monster in diesen Wäldern. Ich werde es töten.“

Als James schließlich am Busbahnhof auf diese mysteriöse junge Frau trifft, die ihn anspricht, glaubt er zunächst, sie sei eine weitere Erwachsene, die ihm nicht zuhört und nichts begreift. Doch Erica Slaughter ist anders. Sie verspricht – und schwört es bei ihrem Leben -, alles zu glauben, was er erzählt, egal wie seltsam und gruselig es klingen möge. James vertraut ihr. Sie ist die erste Erwachsene, die diesem schwer angeschlagenen Jungen Hoffnung gibt: „Ihr habt ein Monster in diesen Wäldern. Deshalb bin ich hier. Ich werde es töten.“

In einem Baumarkt kauft Erica zum Entsetzen des Verkäufers eine Kettensäge, die auch dann nicht aufhört zu sägen, wenn man sie aus Versehen fallen lässt. „Sie stellen sich nicht ab, bis sie sich durch Ihr Bein oder was auch immer gefressen haben.“ Hervorragend geeignet für die Monsterjagd. Dazu kommen eine Axt, Handschuhe, Seile und eine Heckenschere in den Einkaufswagen. Im örtlichen Diner planen Erica und James die nächsten Schritte. Kellner dort ist ausgerechnet der halbstarke Tommy Mahoney, Bruder der vermissten Sophie. Der findet Erica höchst verdächtig und informiert gleich mal die Polizei. Fremde in der Stadt und so. Kann ja nicht geheuer sein.

Und damit geht der Reigen erst richtig los, denn Erica kämpft nicht allein, sondern ist von einer Organisation entsendet worden, die zwar Monster aus der Welt schaffen, aber gleichzeitig alles darüber vertuschen will. Wenn eine ihrer Monsterschlächterinnen in die Fänge der Polizei gerät, dann läuft dieser Einsatz nicht nach Plan. Und dann ist es nach ihren Statuten wichtiger, dass die Wahrheit nicht publik wird, als dass Menschen beschützt werden.

Schauerliches kollektives Wegsehen

„Something is killing the children“ zeigt uns eine furchtbare Welt, in der Kinder nicht wertgeschätzt werden, sondern ein lästiges Übel sind. Man kann sie warten lassen, versetzen, nicht für voll nehmen. Als einzige sehen sie das Ausmaß der Bedrohung, der die Bewohner ausgesetzt sind, während die Erwachsenen nichts begreifen. Das allein ist schon schauerlich, dieses kollektive Wegsehen. Der Comic offenbart uns aber auch die andere Seite, ohne dabei Schwarzweiß-Malerei zu betreiben: Menschen raufen sich zusammen, sind warmherzig, hören sich zu und reagieren couragiert, unabhängig von der Altersklasse, der Ethnie, des Geschlechts oder der beruflichen Stellung.

Die Monster in dieser mehrteiligen und noch nicht beendeten Comic-Reihe gehören zur grässlichsten und bösesten Sorte. Der italienische Zeichner Werther Dell’Edera fängt sie in dunklen und brutalen Bildern ein, die sich einprägen, so wie sie sich wohl auch den Überlebenden auf die Augäpfel brennen. Gleich zu Anfang fragt ein übel zugerichtetes Mädchen in einer anderen von Monstern heimgesuchten Stadt: „Es gibt noch mehr von denen, oder?“ Und Erica antwortet nur knapp mit Ja, bevor sie duschen geht und sich das Monsterblut vom Körper wäscht. Ja, es gibt diese Monster im ganzen Land, und Erica Slaughter weiß, wie man Angst und Tod aufhält.

Ursprünglich nur eine Kurzgeschichte

„Something is killing the children“ war ursprünglich nur eine Kurzgeschichte, die der US-amerikanische Comic-Autor James Tynion IV, geboren 1987 in Wisconsin, während seiner College-Zeit verfasste. Der Titel blieb ihm im Kopf und reifte dort weiter, während er andere herausragende und von Kritikern gefeierte Bücher für amerikanische Comicbuch-Verlage schrieb. Gegenüber der Multimedia-News-Seite IGN sagte Tynion im August 2019: „Ich habe sehr früh gemerkt, dass die Geschichte länger war, als wir ursprünglich dafür vorgesehen hatten. Ich brauchte mehr Platz, um diese Stadt Archer’s Peak und diese Charaktere vollständig zu erkunden.“

In den USA ist Ende Mai Heft 23 veröffentlicht worden, in Deutschland hat der Splitter-Verlag bisher vier Sammelbände mit je fünf Heften herausgegeben. Weltweit ist die Reihe mittlerweile in zehn Sprachen übersetzt worden. Die ersten drei Bände erzählen die Geschichte in Archer’s Peak, Teil vier, veröffentlicht im Juni 2022, zeigt, wie die junge Erica Slaughter zur Monsterjägerin wurde. Die neuen Hefte in den USA beginnen derweil schon mit einem neuen Fall für Erica Slaughter. Die Monsterjagd geht also weiter.

Und natürlich ist „Something is killing the children“ hervorragender Filmstoff. Der Streaming-Dienst Netflix hat schon angebissen, und die Macher von „Spuk in Hill House“ („The Haunting of Hill House“) und der Stephen-King-Adaptionen „Doctor Sleeps Erwachen“ („Doctor Sleep“) und „Das Spiel“ („Gerald’s Game“) schreiben laut der Fachzeitschrift „The Hollywood Reporter“ bereits an einer Pilotfolge.

Enormer Nervenkitzel, auch in den leisen Tönen

Es war eine hervorragende Idee von Tynion, die Geschichte um Erica Slaughter auszuweiten und in epischer Langform zu erzählen. Dieser in Heften erzählte Horror-Roman nimmt sich Zeit, um seine Figuren reifen zu lassen. Leser*innen, die nur auf Slasher-Horror aus sind, sollten hier nicht zugreifen, denn Tynion lässt seine Protagonisten bei all der Dramatik auch tarantinoeske Gespräche führen und nimmt damit immer wieder den Druck raus. Das aber beeinträchtigt nicht die Spannung. Im Gegenteil: „Something is killing the children“ entwickelt mit der Zeit einen enormen Nervenkitzel, auch in den leisen Tönen. Es ist dramatisch, beängstigend und traurig, und der Horror ist richtig packend. Zurecht wurde die Comic-Reihe unter anderem mit dem Eisner Award, einem der wichtigsten Preise für Comic-Schaffende, ausgezeichnet.

In Deutschland müssen Leser*innen noch eine ganze Weile warten, bis sie neuen Slaughter-Stoff zu lesen bekommen. Erst für März 2023 hat der Splitter-Verlag den fünften Band angekündigt. Wer es absolut nicht abwarten kann, muss zum amerikanischen Original greifen. Dort folgt Erica Slaughter bereits einem neuen Monster, das einer völlig neuen Art angehören könnte. Wetze das Messer, Erica! Wir sind an deiner Seite.

James Tynion IV/ Werther Dell’edera: Something is killing the Children (Teil 1), Splitter-Verlag, Bielefeld, 2020, 144 Seiten, gebunden, 19,80 Euro, ISBN 978-3962195571, Comic-Trailer

James Tynion IV/ Werther Dell’edera: Something is killing the Children (Teil 2), Splitter-Verlag, Bielefeld, 2021, 144 Seiten, gebunden, 19,80 Euro, ISBN 978-3962195588

James Tynion IV/ Werther Dell’edera: Something is killing the Children (Teil 3), Splitter-Verlag, Bielefeld, 2021, 144 Seiten, gebunden, 19,80 Euro, ISBN 978-3962195595

James Tynion IV/ Werther Dell’edera: Something is killing the Children (Teil 4), Splitter-Verlag, Bielefeld, 2022, 144 Seiten, gebunden, 22 Euro, ISBN 978-3967923131