Bizarre Begierde nach dem Vergewaltiger

OhEines der bekanntesten Enfants terribles der französischen Literatur hat wieder zugeschlagen: Philippe Djian stichelt in seinem neuen, ins Deutsche übersetzte Werk mit dem schlichten Titel „Oh…“ nicht mehr gegen den Literaturbetrieb, sondern widmet sich der Film- und Fernsehindustrie. Hauptthema aber ist die Bewältigung einer erlebten Vergewaltigung. Wie immer hat Djian das raffiniert verwoben. Nur mit seinem üblichen Chaos-Setting hat er es diesmal etwas übertrieben.

Michèle ist eine knallharte Filmproduzentin, die an mehreren Fronten gleichzeitig kämpft: Sie hat eine Affäre mit dem Mann ihrer besten Freundin, ihr Sohn ist auf dem besten Wege, sich ein Kuckuckskind unterschieben zu lassen, und ihr eigener Vater sitzt seit Jahren im Gefängnis, weil er einst 70 Kinder in einem Ferienlager an der Atlantikküste erschossen hat. In Frankreich kennt man Michèles Vater nur als „Das Monster von Aquitanien“. Zu allem Überfluss kündigt Michèles 75-jährige Mutter an, wieder heiraten zu wollen, und zwar ihren wesentlich jüngeren Lover.

Michèle ist es gewohnt, dass die Menschen vor ihrer Dominanz zurückschrecken und unter ihr einknicken. Eines Tages aber wird sie in ihrem eigenen Haus überfallen und vergewaltigt. Sie selbst ist nun die Schwache, die Unterlegene, und das wirft sie völlig aus der Bahn. Sie beschließt, niemandem davon zu erzählen, weiterzumachen wie bisher, sich aber Pfefferspray zu kaufen und das Haus mit einer Alarmanlage zu sichern. Vielleicht glaubt sie, die völlig durchgedrehte Welt um sie herum werde sie das Erlebte schon vergessen lassen. Aber das funktioniert nicht. Mehr noch: Sie beginnt zu realisieren, dass ihr die Erinnerung an die Machtübernahme durch den vermummten Mann ungeahnte Lust verschafft. Sie begehrt ausgerechnet den Mann, der sie zuvor vergewaltigt hat. Die anderen Männer und Geliebten in ihrem Leben sind dagegen Langweiler, Banker, Nachbarn und vor allem: stets unterwürfig.

Sex spielt eine wichtige Rolle

Wer jetzt glaubt, Djian hätte die französische Version von „Shades of Grey“ geschrieben, der irrt. Solche Nacheiferungen hat Djian nicht nötig. Sex spielt in allen seinen Büchern eine wichtige Rolle, und auch bei „Oh…“ ist er allgegenwärtig. In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Focus erklärte Djian, auf das Thema Sex in seinen Büchern angesprochen: „Zuerst geht es mir um die Beziehungen zwischen Menschen. Da kann ich diesen Bereich schwerlich auslassen. Die Gesten, die mit Sex zu tun haben, sind äußerst aufschlussreich für die Psyche der Personen. Da kann man wirklich erkennen, ob jemand ein gemeiner Hund ist oder nicht.“

Michèle ist kein gemeiner Hund, sondern schlichtweg eine Frau, der etwas Ungeheuerliches passiert ist, und der wir dabei folgen, das Erlebte zu verstehen. Und trotz der vielen wörtlichen Rede in diesem Buch ist es eher ein innerer Monolog, den man zwischen den Zeilen lesen muss, zwischen den assoziativen Reihungen, die manchmal so viel Fahrt aufnehmen, dass es einem schwindelig werden kann beim Lesen.

Das ist starke Literatur, fürwahr! Aber für den Leser bedeutet das Arbeit: Viel Aufmerksamkeit ist vonnöten! Wer gerne kurz vor dem Schlafen noch ein paar Seiten liest, sollte besser zu einem anderen Buch greifen. Hinzu kommt das eingangs erwähnte maßlos chaotische Setting. Da hätte sich Djian etwas in Zurückhaltung üben können – wobei das noch nie eine von Djians Eigenschaften gewesen ist.

Was dem Diogenes Verlag noch anzukreiden wäre, ist die missglückte Umschlagbeschreibung. Dort ist zu lesen, Michèle sage das titelgebende „Oh…“, „nachdem sie in ihrem Haus bei Paris überfallen wurde“. Möglicherweise ist da zu Beginn ein „Oh…“ verloren gegangen, aber das einzige „Oh…“ dieses Romans fällt auf Seite 231. Und es steht im letzten Satz. Die Beschreibung auf dem Umschlag lässt etwas anderes vermuten. Aber das ist wohl bei einem Buch wie diesem nur eine Nebensache und kann als Kleinlichkeit des Rezensenten abgetan werden.

Philippe Djian: Oh…, Diogenes Verlag, Zürich, 2014, 231 Seiten, gebunden, 21,90 Euro, ISBN 978-3257069044, Leseprobe

Das Bildnis der Sasha Grey

Die Juliette SocietySasha Grey ist ein Phänomen. Die ehemalige Pornodarstellerin sieht sich als Künstlerin und hat jetzt ihren ersten Roman veröffentlicht. Der ist erstaunlich angenehm zu lesen, wenn man dabei den Klappentext und die ersten fünf Seiten ausblendet. „Die Juliette Society“ soll über eine Sex-Geheimgesellschaft erzählen, ist aber vielmehr die Geschichte einer Frau, die ihre Grenzen sucht und sich dabei auf eine erfrischende Art emanzipiert.

Catherine ist Filmstudentin im sechsten Semester und beschreibt sich selbst als „eine ganz gewöhnliche junge Frau wie jede andere auch, mit ganz gewöhnlichen Bedürfnissen und Wünschen“. Einer ihrer Wünsche ist es, Sex im Büro des Chefs ihres Freundes Jack zu haben. Der arbeitet in einem Wahlkampfbüro für einen zukünftigen Senator und ist derzeit fast durchgängig müde. Vor allem zu müde für Sex.

Als sie in einer Vorlesung Anna kennenlernt, ist das Catherines Eintritt in eine ganz andere Welt der sexuellen Ausschweifungen. Denn Anna arbeitet für die Porno-Internetseite „Sodality of Dominants“, kurz „Sodom“, und finanziert sich damit ihr Studium. Für Catherine, die katholisch erzogen und der beigebracht wurde, dass Sex nichts Begehrenswertes bedeutet, ist die dort zur Schau gestellte härtere Gangart der Sexualität neu und befremdlich.

Eine Bohrmaschine mit Dildo

Den ersten Clip, den Catherine sich ansieht, wird sie nie wieder vergessen: „Ich wünschte, ich hätte das nie gesehen, denn jetzt kann ich es nicht mehr ungesehen machen.“ Das Video zeigt Anna mit einem sogenannten Drilldo, einer Bohrmaschine mit einem Dildo als Bohreraufsatz. Catherine reagiert zunächst mit Entsetzen, dann jedoch weicht es einem unverhohlenen Interesse.

Catherine stellt sich ihrer Neugier wie sich auch Sasha Grey ihr mit 18 Jahren stellte. In einem Interview mit der deutschen Ausgabe der Zeitschrift „Interview“ erklärte Grey, die Hauptfigur Catherine basiere auf Grey selbst, als sie 18 war: „Ich fühlte mich allein und dachte, dass etwas mit mir nicht stimmt. Dann habe ich das Buch ‚Die 120 Tage von Sodom‘ von Marquis de Sade gelesen. Ich habe viel von mir selbst darin gefunden und es half mir, meine eigene sexuelle Identität zu entwickeln. Mir wurde klar, dass meine sexuellen Phantasien nicht unnormal sind.“ Schließlich stieg Grey mit 18 als Darstellerin ins Pornogeschäft ein. Sie wollte ihre Sexualität erkunden, sich der Neugier stellen.

Und so lässt Grey auch ihre Protagonistin eine neue Welt kennenlernen. Allerdings ist die weit entfernt vom prüden Sadomaso-Sex der „Shades of Grey“-Trilogie. Catherines Erlebnisse sind wirklich hart und dreckig, die Frauen und Männer in ihrer Nähe schrecken vor keiner sexuellen Spielart zurück, und am Ende kann sie froh sein, dem Sodom-Kreis einigermaßen unbeschadet zu entkommen.

Essayistisch anmutende Passagen

Sprachlich ist das nun alles keine Wucht. Als Literatur würde das wohl niemand ernsthaft bezeichnen, und dennoch ist das Buch qualitativ besser gelungen als die einfach strukturierten und schlicht geschriebenen „Shades of Grey“-Romane. In den Sexszenen wird selbstverständlich kein Feigenblatt vor den Mund (oder sonst wohin) genommen. Beachtenswert aber sind auch die fast essayistisch anmutenden Passagen in Greys Roman. Allen voran sei das sechste Kapitel erwähnt, das die pornografische Sprache behandelt. „Warum nennen sie es im Pornofilm Cumshot? Warum ‚Cum‘? Was ist falsch an Come? Ist das nicht sexy genug?“ Es geht um „Penis oder Schwanz“ und seitenweise um das „Come“ an sich.

In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ wird sie von Christoph Dallach auf Charlotte Roches „Feuchtgebiete“ angesprochen. Sie antwortet: „Ich liebe das Buch. Ich habe „Feuchtgebiete“ bei einem Literaturfestival vorgestellt und Auszüge daraus gelesen. Das war toll; viele Frauen waren begeistert, einigen Männern wich bei den besten Textstellen alles Blut aus dem Gesicht.“ Nicht verwunderlich also, dass auch Grey sich in ihrem Roman intensiv über Körpersäfte auslässt, allen voran über Sperma, das „Come“.

Die Figuren sind leider längst nicht alle so stilsicher gezeichnet wie die Protagonistin. Überraschend ist, dass vor allem Jack, Catherines große Liebe, so blass und unwirklich daherkommt. Irgendetwas scheint der Mann zu haben, um Catherine so eng an sich binden zu können, wie er das offensichtlich tut. Nachvollziehbar ist das allerdings nicht, denn an keiner Stelle bekommt dieser Mann das markante Gesicht, das diese Rolle eigentlich haben müsste. Ihn auf ein ständig bereites Gemächt (ja, tatsächlich!) zu reduzieren, kehrt zwar die Pornowunschwelt der Männer von der immerwilligen Frau um, macht ihn aber deshalb noch nicht zu einem interessanten Charakter.

Aber ist „Die Juliette Society“ nun ein Buch, das man gelesen haben muss? Nein, ganz sicher nicht. Beachtenswert ist es aber allemal.

Sasha Grey: Die Juliette Society, Heyne Verlag, München, 2013, 317 Seiten, gebunden, 19,99 Euro, ISBN 978-3453268869, Leseprobe

Buch Wien: Fleischer, Freddie und Feministinnen

Die "Buch Wien" am ersten Messetag.
Die „Buch Wien“ am ersten Messetag.
Rund 70 Programmpunkte bot die Internationale Buchmesse „Buch Wien“ am Donnerstag. Nachdem die sechste Ausgabe der Messe am Vorabend mit einer Rede der Büchner-Preisträgerin Sibylle Lewitscharoff eröffnet worden war, strömten am Donnerstagmorgen ab 9 Uhr die ersten Besucher in die Messehalle D.

Michael Stavarič liest aus seinem Roman "Königreich der Schatten".
Michael Stavarič liest aus seinem Roman „Königreich der Schatten“.
Auf der Bühne des Radiosenders FM4 las Michael Stavarič, gebürtiger Tscheche und deutschsprachiger Autor, aus seinem im Spätsommer vorgelegten, skurrilen Roman „Königreich der Schatten“. Das Buch handelt von zwei Fleischerfamilien und ihren beiden Nachkommen, die sich durch Zufall kennenlernen.

Dabei geht es natürlich auch etwas blutiger zur Sache. Ob das Buch für Vegetarier geeignet ist, ist deshalb fraglich. Auf der „Buch Wien“ las Stavarič eine Szene vor, die auf der Internationalen Fleischereifachmesse in Leizig spielt. Dorthin verschlägt es Rosi Schmieg, eine der beiden Hauptpersonen des Romans. Rosi stammt aus Wien, ihr Großvater war bei der Wehrmacht, von Beruf Fleischhauer, und Rosi will das jetzt auch werden: Fleischhauerin.

Die Internationale Fleischereifachmesse klingt wie eine Satire auf die Buchmesse. Da werden die Schlachtmethoden der Mongolen vorgeführt, die „Miss Fleisch“ gewählt, Vorträge über „Die richtige Auslage von Wurstaufschnitt“ oder „Die Handschlachtung für Anfänger“ gehalten. Dazu wird die passende Anti-Rutschmatte verkauft. An Verkostungsständen versucht Rosi vom Fleisch der Tiere, die ein Leben lang nur Rotwein zu trinken bekommen haben.

Moderatorin lässt den Autor alleine sitzen

Bedauerlicherweise las Stavarič nur diese eine Szene vor. Obwohl es laut Programm eine Moderatorin geben sollte, kündigte die nur den Schriftsteller an und ließ ihn dann alleine sitzen. Der las aus seinem Buch, und das war’s dann. Keine Hintergrundinformationen, kein weiteres Gespräch über das Buch. Das ist ausgesprochen schade, stieß seine Lesung doch auf ein breites Interesse.

Die Internetseite zehnseiten.de hat auf ihrem YouTube-Kanal eine Lesung von Stavarič hochgeladen. Auch dort liest er die Messe-Szene vor. Das sorgt vielleicht für einen weiteren Einblick.

Michael Stavarič: Königreich der Schatten, C. H. Beck Verlag, München, 2013, 256 Seiten, gebunden, 19,95 Euro, ISBN 978-3406653896, Leseprobe

Austrofred in Aktion.
Austrofred in Aktion.
Wenig später betrat einer der bekanntesten österreichischen Entertainer die Bühne des ORF: Austrofred. Wer eine Sehschwäche hat, könnte auch glauben, Freddie Mercury sei tatsächlich so unsterblich, wie er von Fans immer betitelt wird.

Doch tatsächlich war es „nur“ Franz Adrian Wenzl, in Österreich besser bekannt als Austrofred. Und er ähnelt nicht nur Freddie Mercury, er hält sich auch für den einzigen würdigen Imitator. In Deutschland würde man ihn vermutlich als Blödelbarden bezeichnen, in Österreich verkörpert er eine Kunstfigur, die zu Queen-Melodien österreichische Popmusik macht.

Damit ist Austrofred sehr erfolgreich. Aus „Under Pressure“ wird „Amadeus“, und aus der „Bohemian Rhapsody“ macht er kurzerhand ein Lied namens „Märchenprinz“. Die Texte seiner Austropop-Songs sind allerdings für Deutsche nur schwer zu verstehen. Eine Lesung von ihm ist aber allemal sehenswert.

„Erster richtiggehend literarischer Roman“

Auf der „Buch Wien“ stellte er nun sein neues Buch vor: „Hard on!“ Nach seiner Biographie „Alpenkönig und Menschenfreund“ und den beiden Nachfolgewerken „Ich rechne noch in Schilling“ und „Du kannst dir deine Zauberflöte in den Arsch schieben – Mein Briefwechsel mit Wolfgang Amadeus Mozart“ verspricht er seinen Lesern jetzt den „ersten richtiggehend literarischen Roman“.

In engen weißen Hosen, die das Gemächt wunderbar abzuzeichen vermochten, und quietschgelber Jacke um die Brust las er die ersten Seiten seines Werkes, das mit einem Konzert in der Türkei beginnt und in eine Fahrt mit dem Orient-Express in den österreichischen Kurort Bad Schallerbach übergeht.

„Das Buch ist so lustig, dass man aufpassen muss, nicht immer wieder angewidert zu sein. Verstehen Sie es bitte als Kompliment“, sagte der ORF-Moderator. Oder wie es die FAZ zum Erscheinen von „Ich rechne noch in Schilling“ einst schrieb: „Am Werk ist hier ein maliziöser Meister der österreichischen Eigenart, ausgesuchte Höflichkeiten mit bodenloser Gemeinheit zu verbinden. Brutal komisch.“

Erotische Szene im Orient-Express

Wahrt man zunächst noch Distanz ob des fragwürdigen Humors des Paradiesvogels, kann man sich später vor Lachen kaum halten, hat man sich erst einmal darauf eingelassen. Besonders die erotische Szene mit einer TV-Moderatorin im Orient-Express kam vorgelesen gar herrlich daher. Ob das Buch aber auch lesbar ist, ohne Austrofred vor dem geistigen Auge zu haben, ist fraglich. Ganz sicher ist jedoch: Hochtrabende Literatur ist das nicht, Freddie hin oder her.

Wer dennoch mehr über Austrofred wissen möchte, dem sei seine Homepage anempfohlen.

Austrofred: Hard on!, Czernin Verlag, Wien, 2013, 152 Seiten, broschiert, 16,90 Euro, ISBN 978-3707604627, Leseprobe

Eva Rossmann und Ö1-Moderator Wolfgang Popp.
Eva Rossmann und Ö1-Moderator Wolfgang Popp.
In Eva Rossmanns Kriminalroman „Männerfallen“, den sie am Donnerstagnachmittag zunächst auf der ORF-Bühne und später auch beim Krimiabend vorstellte, gerät ein Schriftsteller in die Fänge der Medienpolitik. Zuvor war ihm mit seinem Buch „Sei ein Mann!“ ein Weltbestseller gelungen. Eine Wiener Studentin bringt den Stein ins Rollen, als sie behauptet, der Autor habe versucht, sie zu vergewaltigen. Wenig später ist die junge Frau verschwunden.

Die Journalistin Mira Valensky ermittelt in „Männerfallen“ bereits zum 15. Mal. Ihre Erfinderin heißt Eva Rossmann und ist Drehbuchautorin, Feministin, ehemalige Journalistin und seit 1994 freie Autorin und Publizistin. In ihrem neusten Krimi thematisiert sie den Geschlechterkampf: „Das beschäftigt mich schon lange. Auch als Journalistin habe ich mich gefragt, ob Frauen und Männer nur auf ihr Geschlecht reduziert werden, oder ob sie tun können, was sie wollen.“

In die Buchrecherche sei auch der Fall von Dominique Strauss-Kahn eingeflossen, dem ebenfalls eine versuchte Vergewaltigung vorgeworfen worden war. Die Strafanklage gegen ihn wurde später fallengelassen. „Unter uns gesagt: Der Strauss-Kahn ist ein alter Depp, aber bei solchen Promis ist das eine geile Mediensensation, bei der es nicht mehr darum geht, wer das Opfer und wer der Täter ist“, erklärte Rossmann.

Ein Medienhype-Produkt

Die Hauptperson in ihrem Krimi, Thomas Pauer, sei ein Medienhype-Produkt, der perfekt zu seinem Buch und seinen Absurditäten passe. „Das Schlimme ist, dass auch Frauen auf so etwas immer wieder reinfallen.“

Rossmann kann es auch nicht verstehen, dass „Shades of grey“ einen solchen Medienhype verursacht hat: „Das ist nicht nur unfassbar schlecht geschrieben, sondern die Story ist auch noch dünn! Und Millionen lesen das!“ Bei einem Literaturfestival auf Sardinien sei sie mit der US-amerikanischen Schriftstellerin Tess Gerritsen ins Gespräch gekommen. „Wir haben uns beide gewundert, wie es kommt, dass jetzt plötzlich ein solches Frauen- und Männerbild so stark verkauft wird.“

„Männerfallen“ sei im übrigen kein Hardcore-Feministinnen-Roman, obwohl ihm das bereits vorgeworfen worden sei. Sie wolle ihre Leser nicht mit dem erhobenen Zeigefinger belehren, beteuert die bekennende Feministin. „Das passt auch nicht zu einem Krimi“, erklärte sie. Vielmehr sollten die Leser selbst überlegen, welchen Standpunkt sie zu dem Thema vertreten.

Das werde auch beim nächsten Roman so sein. Dort soll es um die EU-Finanz- und Wirtschaftskrise gehen, verriet die Autorin. Schauplätze seien Zypern, Brüssel und das Weinviertel, wo Rossmann lebt.

Eva Rossmann: Männerfallen, Folio Verlag, Wien, 2013, 288 Seiten, gebunden, 19,90 Euro, ISBN 978-3852566290

Am Abend schließlich las noch Clemens Meyer aus seinem Erfolgsroman „Im Stein“. Den Bericht dazu lesen Sie hier.

Amerika macht Ah!

Der erste Roman der Softporno-Trilogie „Shades of Grey“ ist derzeit in aller Munde. Er ist ein überraschender Bucherfolg wie einst Harry Potter, nur dass der Protagonist hier mit der Reitgerte quälende Lust zaubern soll. Doch die Verzauberung erreicht den Leser nicht, vielmehr ist es ihm eine Qual, den 600 Seiten starken, an vielen Stellen arg langweiligen Roman zu lesen, ohne das Buch entnervt in die Ecke zu werfen. Die Bezeichnung Sadomaso hat es genauso wenig verdient, wie das Prädikat Literatur.

Anfang August sind laut Verlagsangaben bereits rund 1,2 Millionen der deutschen Übersetzung verkauft – erst seit Juli ist das Buch der schottischen Autorin E. L. James in Deutschland erhältlich. Was treibt all jene Menschen dazu, dieses Buch zu kaufen? Die voyeuristische Neugier? Die Angst, nicht mitreden zu können? Oder die Hoffnung, das eigene Sexleben aufpeppen zu können, neue Anreize zu finden? Wer allerdings ernsthaft glaubt, hier Literatur im Stile der „120 Tage von Sodom“ zu finden, die sich mit dem Rollenverständnis im Sado-Masochismus auseinandersetzt, wird schon nach wenigen Seiten enttäuscht.

Man liest von der 21-jährigen Literaturstudentin „Ana“, mit vollem Namen Anastasia Steele, die durch Zufall auf den unglaublich reichen, gutaussehenden, charismatischen Christian Grey trifft. Ana ist dermaßen naiv und keusch, dass es wehtut. Dass sie als Literaturstudentin im hochtechnologisierten Amerika keinen eigenen Computer besitzt, ist schier unglaublich. Dass sie noch nie Sex hatte, geschweige denn einen Mann geküsst hat, ist dagegen klischeehaft. Nun aber begegnet sie ausgerechnet Mr. Grey, der als Jugendlicher selbst einer Freundin der Mutter als Sexsklave gedient hat und von sich selbst glaubt, er sei nicht zu lieben, weshalb er nur eine Gespielin sucht.

Stets fit für die Launen des Meisters

Ana verfällt diesem Mann, dessen Augen mal dunkelgrau, mal stahlgrau und dann wieder eisgrau glänzen, strahlen oder schimmern. Sorgsam sollen Rechte und Pflichten in einem Vertrag zwischen Dom und Sub vereinbart werden, wozu auch der nächtliche Schlaf von mindestens acht Stunden, die regelmäßige Nahrungsaufnahme sowie die Nutzung eines Personal Trainers zur körperlichen Ertüchtigung gehören, damit Ana stets fit für die Launen des Meisters ist.

Erstaunlich, dass es offenbar so viele Menschen ertragen, diesen einfach strukturierten und schlicht geschriebenen Roman zu lesen. Hier zählen allein das Gefühl und die Handlung, nicht aber die Sprache. In wallenden Gefühlsergüssen erzählt Ana von ihrer beginnenden Leidenschaft, fortwährend unterstützt von ihrem Unterbewusstsein und einer seltsam anmutenden „inneren Göttin“, die der treuherzigen Ana wie zwei multiple Persönlichkeiten zur Seite stehen. Sie ist entzückt von Christians Penthousewohnung, seinem Hubschrauber und den teuren Geschenken, die er ihr macht (einen Audi, damit sie stets sicher nach Hause kommt!). Gefühlsduselig ist dieser Roman, der sich „Anfang einer Sado-Maso-Trilogie“ nennen will.

Orgasmen hat Ana so einige, doch der hier praktizierte Sado-Maso-Sex ist für den wahren SM-Freund eine Lachnummer. Sicher, Ana wird der Hintern versohlt, aber ihr „Sir“ greift gleich danach fürsorglich zum Babyöl. Christians Definition des Miteinanderschlafens („Ich schlafe nicht mit jemandem, Ich ficke … hart.“) klingt zwar aussichtsreich, doch es bleibt ein leeres Versprechen, solange man als Leser Anas Beschreibungen ausgeliefert ist. Aber auch Christian ist seiner betörenden Sub offenbar ausgeliefert, denn die muss nur zaghaft an ihrer Unterlippe nagen, schon verspürt ihr Herr Sexlust. Das ist dreimal interessant, wenn es sich aber wie ein roter Faden durch das Buch zieht, dass Christian sie immer wieder ermahnen muss („Wenn du dir weiter auf die Lippe beißt, drehe ich noch durch“, sagte er warnend.), ist es nervtötend. Zudem zeugt es bei der jungen Frau von wenig Phantasie bei der Verführung. Und so seufzt sie nur immer wieder ein ebenso störendes „Bitte!“, wenn sie Christian um ihre nächste „Explosion“ fragt.

Sado-Maso-Sex für die prüde Gesellschaft

Hart zur Sache geht es an keiner Stelle des Romans. Spielereien mit Urin und Kot wie beim Marquis de Sade oder generell die Überschreitung von Tabus wie bei Georges Bataille lassen sich hier nicht finden. Es ist der Sado-Maso-Sex für die prüde Gesellschaft der USA, der offenbar auch in Europa Anklang findet. Doch da sich der Roman ohnehin nicht als SM-Handbuch verstehen lassen will, hat er vielleicht immerhin die positive Auswirkung, dass in deutschen Betten wieder öfter offen über Sex, sexuelle Vorstellungen und Phantasien geredet wird – denn in manchen Erotikläden werden schon Reitgerten und Handschellen knapp. Wenn der offenere Umgang mit der Sexualität eine Folge dieses Buches ist, dann sollte es gelesen werden.

Doch die sehr viel wahrscheinlichere Folge wird sein, dass, wie bei den „Twilight“- und Dan-Brown-Erfolgen, ähnlich-thematische Bücher auf den Markt schwemmen. Beispielhaft sei hier nur auf das Kurzinterview des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ (Spiegel, Nr. 33/13.8.12, S. 105) mit der Verlegerin Claudia Gehrke (Herausgeberin des mittlerweile etablierten erotischen Jahrbuchs „Mein heimliches Auge“) verwiesen: „Auffällig ist allerdings, dass wir derzeit mit Manuskript-Einsendungen überhäuft werden, die sich an ‚Shades of Grey‘ orientieren.“ Im September erscheint schließlich der zweite Teil der Shades-of-Grey-Reihe auf Deutsch, Mitte Oktober der dritte und letzte Teil. Die Filmrechte sind bereits verkauft, es droht also auch mindestens noch ein Film.

Der Schwemme entkommt der Leser nur durch den beherzten Griff zu einem anderen Buch. Der New Yorker Schriftsteller Paul Auster, vom Nachrichtenmagazin „Stern“ in einem sehr lesenswerten Interview (Stern, Nr. 30, 19.7.2012, S. 113) auch zum Erfolg von „Shades of Grey“ befragt, sagt: „Solche Bücher werden gelesen, um der Wirklichkeit zu entkommen. Man liest sie, man vergisst sie, sie sollen unterhalten, und das ist völlig in Ordnung. Aber wenn jemand liest, was ich tue oder andere Autoren, dann schließt der Leser ein Bündnis mit der Emotionalität und der Ästhetik des Schriftstellers. Man sucht in der Literatur eine Erfahrung. Das ist anstrengender, es dehnt den Verstand und die Seele. Dazu hat nicht jeder Lust. Und das muss man auch nicht erwarten.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

E. L. James: Shades of Grey – Geheimes Verlangen, Wilhelm Goldmann Verlag, München, 2012, 603 Seiten, Taschenbuch, 12,99 Euro, ISBN 978-3442478958

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