Schlag-Zeilen

„Ich lernte ihn an einem Frühlingsabend kennen. Ich wurde seine Geliebte. Den Latexoverall, den er zum Zeitpunkt seines Todes trug, hatte ich ihm geschenkt. Ich war seine Sex-Sekretärin.“

So beginnt der umstrittene Roman „Streng“ des französischen Autors und Journalisten Régis Jauffret. Umstritten deshalb, weil er den Mord an dem französischen Bankier Edouard Stern aus Sicht seiner Geliebten Cécile Brossard erzählt, die ihn im März 2005 bei sadomasochistischen Sex-Spielen in seiner Wohnung in Genf erschoss.

Die Familie des Ermordeten hatte im Vorfeld versucht, die Veröffentlichung zu stoppen, doch prominente Schriftstellerkollegen wie Frédéric Beigbeder und Michel Houellebecq ergriffen Partei für Jauffret. Jetzt ist der Roman auf Deutsch im Piper Verlag erschienen.

Vom Umschlag dräut schon der Inhalt: Eine weiße Peitsche hebt sich plastisch vom schwarzen Buchdeckel ab, darunter steht der Titel in Majuskeln. „Streng“. Streng ist auch die Satzbildung. Nüchtern. In ihr spiegelt sich die Kaltblütigkeit der Mörderin wider.

Als Cécile Brossard der Prozess gemacht wird, sitzt Régis Jauffret im Gerichtssaal und berichtet von dort für die französische Wochenzeitung „Le Nouvel Observateur“. Erst danach schreibt er den Roman, den er in seiner Einleitung ausdrücklich als „erfunden“ und „Fiktion“ bezeichnet. „In diesem Buch tauche ich in ein Verbrechen ein. Ich begutachte, fotografiere, filme es, zeichne es auf, schneide es zusammen und verfälsche es. Ich bin Schriftsteller, ich lüge wie ein Mörder“, heißt es dort.

Ach, hätte er doch nur einen Roman nicht mit dem nüchternen Stil eines juristischen Textes verwechselt. Der Leser erwartet bei all der Innensicht der Mörderin auch einen Einblick in ihre Gefühlswelt, bekommt aber nur die kalte, mechanische Beschreibung eines Mordes, des Weges dorthin und der anschließenden Flucht. Es fehlt an einer überzeugenden Motivation.

Selbstverständlich spart Jauffret nicht mit sexuellen Details, erotisch aber sind sie beileibe nicht. Kühl und distanziert fallen die Worte dahin. Wer einen literarischen Sado-Maso-Roman sucht, halte sich doch besser an den Altmeister Marquis de Sade als an einen Gerichtsreporter, der aus einer ohnehin schon von den Boulevard-Medien ausgeschlachteten Geschichte einen Roman machen will.

Das französische Nachrichtenmagazin „L’Express“ meint: „Seit ‚Madame Bovary‘ weiß man, dass aus wahren Begebenheiten große Romane erwachsen können. ‚Streng‘ ist einer von ihnen.“ Wie ein renommiertes Magazin wie „L’Express“ Jauffrets Roman mit dem Literaturklassiker „Madame Bovary“ vergleichen kann, ist absolut unverständlich. Nur weil sich auch Flaubert durch einen tatsächlichen Fall zum Schreiben angeregt fühlte? Dann müsste Jauffret erst recht mit Truman Capote verglichen werden. Die französische Webseite „Evène“ („Le Figaro“) geht aber sogar soweit, das Buch als „Romeo und Julia auf sadomasochistisch“ zu bezeichnen – seitdem wird der gute alte Shakespeare vor Wut in seinem Grab rotieren. Von „Romeo und Julia“ ist bei „Streng“ nun wirklich überhaupt keine Spur. Es ist ein Ärgernis, in den Pressezitaten auf dem Buchdeckel von so viel Unverstand zu lesen.

Ein literarischer Wurf von Weltrang ist das nicht. Er dürfte aber an Aufmerksamkeit gewinnen, wenn die Familie des Ermordeten mit ihrer Klage auf Veröffentlichungsverbot nachträglich Recht bekommt und das Buch vom Markt verschwindet.

Régis Jauffret: Streng, Piper Verlag, München, 2011, 174 Seiten, Taschenbuch, 8,95 Euro, ISBN 978-3492264631

Mach’s noch einmal, Glenn

„Ich, Barthomieu, Mönch der Abtei Ruac, bin zweihundertundzwanzig Jahre alt, und dies ist meine Geschichte.“ Mit diesen Worten beginnt das mysteriöse Buch, das nach einem Brand in einem Kloster in Südfrankreich entdeckt wird. Als der Archäologe Luc Simard die Hintergründe erforscht, entdeckt er ein Höhlensystem, das älter und besser erhalten ist, als jedes andere bekannte. An den Wänden schillern lebendig wirkende Höhlenmalereien. Und die zehnte Höhle birgt ein ganz besonderes Geheimnis. Für die Wissenschaftler ist es eine Sensation. Und für Glenn Cooper der Auftakt einer neuen Thriller-Reihe um den investigativen Archäologen Luc Simard.

Glenn Cooper ist vom Fach. Laut Angaben des Verlags hat der Harvard-Absolvent Archäologie und Medizin studiert und leitet heute ein Biotechnik-Unternehmen in Massachusetts. Bekannt geworden ist er auf dem deutschen Buchmarkt vor allem mit seinem Erstlingswerk „Die Namen der Toten“. In „Die zehnte Kammer“ führt Cooper das Erzählkonzept weiter, mit dem er schon in „Die Namen der Toten“ und der Fortsetzung „Der siebte Sohn“ hantiert hat: Drei unterschiedliche Zeitstränge werden zu einer mystischen Geschichte verknüpft. Im Vordergrund stehen die Ereignisse der Gegenwart – hier scheint jemand ganz gewaltig etwas dagegen zu haben, dass die Archäologen mit ihren Hämmerchen und Pinselchen anrücken, um Höhle für Höhle zu untersuchen. Es bricht Unheil hervor, und die Todesfälle häufen sich. Auch die Dorfbewohner von Ruac haben wenig Verständnis für die Ausgrabungen.

Die Geschichte ist einigermaßen spannend konzipiert, obwohl Cooper in seinen beiden ersten Büchern bewiesen hat, dass er es auch besser kann. Das lässt zumindest darauf hoffen, dass die Fortsetzung an Spannung gewinnt. „Die zehnte Kammer“ lässt sich auch ohne Archäologie-Studium lesen, auch wenn manchmal etwas weniger Fachsimpelei erfreulich gewesen wäre. Die Figuren allerdings bleiben zum großen Teil oberflächlich gezeichnet und bieten auch wenig Ansatzpunkte für Phantasie. Der neue Held kann sich zwar noch entwickeln und den Staub aus den Hosen klopfen, aber für alle Nebenpersonen ist es schade. Doch vielleicht wird in diesem Buch auch zu schnell gestorben, als dass es sich noch lohnen würde, die Todgeweihten zu beschreiben. Insgesamt ist dieses mit Vorfreude erwartete Buch den Erwartungen nicht gerecht geworden. Deshalb gehört es sicher zu den Werken, die das Regal nicht braucht. Empfehlenswert von Glenn Cooper ist und bleibt „Die Namen der Toten“. Ein One Hit Wonder? Mach’s noch einmal, Glenn.

Glenn Cooper: Die zehnte Kammer, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, 2011, 446 Seiten, Taschenbuch, 9,99 Euro, ISBN 978-3499256172

Trari, trara, der Sarg ist da

Ein Serienmörder geht um, und kein Opfer kann sagen, es sei nicht gewarnt worden: Die Post liefert einen kleinen Sarg ins Haus, handgeschnitzt, im Inneren ein heimlich aufgenommenes Foto des Empfängers. Wenige oder einige Zeit später kommt der Tod. Jake Pepper, Detective beim State Bureau of Investigation eines kleinen Bundesstaates im Westen der USA, steht vor einem Rätsel. So beginnt Truman Capotes Novelle „Handgeschnitzte Särge“, die der Verlag Kein & Aber jetzt in der Reihe „Große Literatur im kleinen Format“ veröffentlicht hat.

Die Novelle, die Capote als „Tatsachenbericht über ein amerikanisches Verbrechen“ benannt hat, ist kein neu entdecktes Werk, sondern der Sammlung von Reportagen und Porträts entnommen, die erstmals 1974 unter dem Titel „Wenn die Hunde bellen“ erschienen ist. Und es ist egal, ob es sich wirklich um einen Tatsachenbericht handelt, oder ob Capote Fakten und Erfundenes kombiniert hat, wie vom Verlag zu erfahren ist – entstanden ist eine spannend gestrickte Kriminalgeschichte.

Eines Tages schreibt der Detective den bekannten Schriftsteller an – Capote und Pepper kennen sich über einen gemeinsamen Freund – und berichtet von dem seltsamen Fall, den er derzeit bearbeitet. Es entwickelt sich eine regelmäßige Telefonkonferenz zwischen den beiden. „Drei Jahre lang telefonierten wir alle paar Monate miteinander. Die Spuren in diesem Fall waren so komplex wie ein Rattenbau und führten irgendwann gar nicht mehr weiter. Schließlich sagte ich: Na, dann haben Sie ja nichts mehr zu verlieren. Dann kann ich ja auch kommen und mich ein bisschen umsehen.“ Capote reist also an. Mittlerweile hat der Mörder sieben Menschen umgebracht, immer auf raffinierte Art und Weise. Die ersten beiden Opfer, ein Ehepaar, das stets gemeinsam zur Arbeit fährt, ereilt der Tod, als sie in ihr Auto steigen und wütende Klapperschlangen über sie herfallen. Ein anderer rast mit seinem offenen Jeep heimwärts, als ihn ein gespannter Draht einen Kopf kürzer macht. Was verbindet diese Menschen? Wo ist das Motiv? Bald hegen die beiden Männer einen ersten Verdacht, doch es fehlt an Beweisen. Die Zeit drängt, denn auch Peppers Zukünftige hat schon einen dieser Särge bekommen…

Capote schreibt mit seiner üblich feinen Beobachtungsgabe, die schon in „Kaltblütig“ so hervorragend funktioniert hat. Kein Wort zu viel, kein Ausstaffieren von Szenen. Vielfach sind es nur die Dialoge der beiden Männer, die den Text ausmachen, durchzogen von wenigen Absätzen, die an die Regieanweisungen in Drehbüchern und Theaterstücken erinnern.

Von Capote sind in der Reihe „Große Literatur im kleinen Format“ schon mehrere wunderschöne Ausgaben erschienen. Das kleine Format ist von einigen Verlagen längst wiederentdeckt worden, andere haben es nie aufgegeben. Kein & Aber legt die „Handgeschnitzten Särge“ in silbernem Leinen vor, dazu ein silbernes Lesebändchen – schön, wenn ein Verlag so viel Mühe auf das Äußere verwendet.

Unbedingt kaufen und lesen!

Truman Capote: Handgeschnitzte Särge, Kein & Aber Verlag, Zürich, 2011, 160 Seiten, gebunden, 14,90 Euro, ISBN 978-3036955889

Entführt, missbraucht – und dann?

Als Thea Dorn im Jahr 2008 ihr Buch „Mädchenmörder“ veröffentlicht, ist Natascha Kampusch seit eineinhalb Jahren frei – da drängt sich dem Leser der Verdacht auf, die Autorin habe die Zeichen der Zeit erkannt und das Martyrium der jungen Österreicherin für ein eigenes Buchprojekt genutzt. Doch Verena Mayer schreibt in der Süddeutschen Zeitung, dass Dorn bereits an dem Roman gearbeitet habe, bevor der Fall Kampusch bekannt geworden sei. Grundlage des Buches sei vielmehr ein Fall aus den USA. Dort sei ein Serienmörder quer durch die Staaten gereist sei, habe Frauen umgebracht, und nur eine 16-Jährige habe überlebt.

In Dorns „Liebesroman“ ist es die 19-jährige Abiturientin Julia, die nach einer Party in Köln den Nachtbus nehmen will und stattdessen von dem sadistischen Ex-Rennradprofi David entführt wird. Sie fristet die ersten Tage in einem dunklen Keller, wird von ihrem Entführer, den sie durchgängig als ihren „Peiniger“ bezeichnet, misshandelt und vergewaltigt, jedoch nicht getötet. Dabei hat er schon mindestens zwei weitere junge Frauen auf dem Gewissen, doch irgendetwas scheint bei Julia anders zu sein. „Wie fühlt sich eine Gazelle, wenn ihr klar wird, dass sie dem Löwen nicht mehr entkommt? Spürt sie panische Angst? Versucht sie, doch noch einmal zu fliehen? Oder schaut sie nicht den Löwen im letzten Moment an und denkt: Was für ein schönes, starkes Tier! Sterben muss ich ja sowieso. Ist es da nicht besser, von solch einem Tier gefressen zu werden als einfach zu verrecken? Ich habe mich tausendmal gefragt, wieso ausgerechnet ich als Einzige von all den Mädchen überlebt habe. Vielleicht nur deshalb, weil ich die Einsicht einer Gazelle in mir fand.“

Julia überlebt also die Entführung und die gemeinsame Flucht durch Südeuropa. Da die Medien ihr aber zu viele Fakten verdreht haben, muss sie selbst ihre Erinnerungen niederschreiben. Das ist mitunter zäher Lesestoff. Die neunmalklugen Kommentare der Einser-Abiturientin, gerne auch auf Französisch, ermüden. Teils belanglose Hintergrundinformationen werden eingeklammert, machmal mehrere hintereinander. Die Gefühle des Opfers bleiben vage, die Motive des Täters erschließen sich ebensowenig. Stattdessen werden Grausamkeiten bis ins Detail erzählt, der Leser ist nur noch Voyeur. Die Wende im zweiten Teil des Romans ist zwar einigermaßen überraschend und durchdacht, aber auch hier bleibt das Buch an der Oberfläche. Warum Julia letztendlich freikommt, bleibt ein Rätsel. Vielleicht ist dies aber auch genau Dorns Intention: Bei all der Sensationsgier des Lesers, die vollumfänglich bedient wird, schwammig und ungenau zu bleiben und die Neugier an des Rätsels Lösung doch nicht zu befriedigen.

Thea Dorn: Mädchenmörder, Wilhelm Goldmann Verlag, München, 2008, 335 Seiten, gebunden, 19,95 Euro, ISBN 978-3442545834

Schau mir in die Augen, Opfer

In einem Außenbezirk Stockholms wird die Leiche eines grausam ermordeten Mannes entdeckt. Im Haus des Familienvaters erwartet die Ermittler um den Kriminalkommissar Joona Linna ein weiteres Blutbad: Die Ehefrau und die gemeinsame Tochter sind ebenfalls brutal erstochen worden. Das Massaker überlebt hat nur einer – Josef, der Sohn der Familie Ek. Schwer verletzt liegt er im Koma. Als Linna durch Zufall erfährt, dass Josef noch eine ältere Schwester hat, schwant ihm Böses. Es gilt, die Schwester vor dem Mörder zu finden, der offenbar die ganze Familie auslöschen wollte. Helfen kann nur Josef selbst. Doch die Ärztin rät ab, ihn aus dem Koma zu holen. Der letzte Ausweg ist eine Hypnose. Linna wendet sich an den Arzt und Hypnotiseur Erik Maria Bark. Der hatte nach einer verhängnisvollen Erfahrung geschworen, nie wieder jemanden zu hypnotisieren. Doch in diesem Fall macht er eine Ausnahme. Und damit geht der Wahnsinn erst richtig los…

„‚Wie Feuer, genau wie Feuer.‘ So lauteten die ersten Worte, die der hypnotisierte Junge sagte. Obwohl er lebensgefährlich verletzt war – Dutzende Stich- und Schnittwunden im Gesicht, an den Beinen, an Rumpf und Rücken, unter den Füßen, im Nacken und am Hinterkopf -, hatte man ihn hypnotisiert, weil man hoffte, mit seinen Augen sehen zu können, was geschehen war. ‚Ich kneife die Augen zusammen‘, murmelte er. ‚Ich gehe in die Küche, aber da stimmt etwas nicht, es knirscht zwischen den Stühlen, und auf dem Fußboden breitet sich ein leuchtend rotes Feuer aus.'“

Der Kriminalroman des schwedischen Autorenduos Alexandra und Alexander Ahndoril, die unter dem Pseudonym Lars Kepler ihr erstes Buch veröffentlicht haben, beginnt genauso spannend, wie es der Klappentext verspricht. Doch ist der Mord an der Familie Ek nur ein kleiner Teil einer mit unterschiedlichen Handlungssträngen gefüllten Geschichte. Manche davon sind so hanebüchen, dass der Leser besser die Augen davor verschließt, andere sind gänzlich unerheblich. Trotzdem ist das Buch gute Unterhaltung für all jene Leser, die von blutrünstig-schwedischen Krimis noch nicht genug haben.

Die Charaktere, allen voran Joona Linna und Erik Maria Bark, sind interessant gezeichnet, wenngleich Barks Hypnose-Historie etwas zu sehr in die Länge gezogen ist. Natürlich muss einer der beiden Probleme mit Alkohol oder Frauen oder ähnlichem haben. In diesem Fall ist es Erik Maria Bark, der verschiedene Tabletten schluckt; seine Frau derweil vertraut ihm nicht mehr, seit er sie vor etlichen Jahren mit einer Kollegin betrogen hat. Und der gemeinsame Sohn steckt tief in der Pubertät und hat damit auch die typischen Probleme mit seinen uncoolen Eltern.

„Der Hypnotiseur“ gehört sicherlich nicht zu den besten schwedischen Krimi-Debüts. In einigen Jahren wird man von diesem Buch nicht mehr sprechen, sondern es wird untergehen in einer Masse von anderen von den Medien hochgelobten Debüts. Trotzdem ist es angenehm zu lesende Unterhaltung, keineswegs anspruchsvoll, aber auf der anderen Seite auch nicht eines der Bücher, die den Leser mit Langeweile quälen. Eine klare Leseempfehlung vermag ich nicht zu geben. Mache der Leser sich sein eigenes Bild!

Lars Kepler: Der Hypnotiseur, Gustav Lübbe Verlag, Köln, 2010, 638 Seiten, gebunden, 19,99 Euro, ISBN 978-3785724262