Buch Wien: Svenja Flaßpöhler spricht über den „richtigen Umgang mit Rechts“

Svenja Flaßpöhler bei der Eröffnung der "Buch Wien 2018". © LCM Foto Richard Schuster
Svenja Flaßpöhler bei der Eröffnung der „Buch Wien 2018“. © LCM Foto Richard Schuster

Die deutsche Philosophin Svenja Flaßpöhler hat am Mittwochabend mit einem diskussionsanregenden Vortrag über den „richtigen Umgang mit Rechts“ die elfte internationale Buchmesse „Buch Wien“ eröffnet. Unter dem Titel „Ignorieren, bekämpfen, verstehen?“ stellte sie verschiedene Strategien vor, sei es zum einen die von Jürgen Habermas vorgeschlagene der Ausgrenzung und Ignorierung, zum anderen aber auch die des Verstehens, wie Hannah Arendt es im Fall von Adolf Eichmann versucht habe. Verstehen hieße ja nicht direkt nachvollziehen, Recht geben oder entschuldigen.

Ihr sei auf der anderen Seite aber auch bewusst, dass eine solche Offenheit des Diskurses Risiken berge. „Große Risiken sogar. Die Gefahr, dass die neue Rechte jeden Meter Geländegewinn zur Installierung eines neuen Faschismus nutzt, muss deutlich betont und gesehen werden. Aber, so wäre zu fragen: Ist eine Demokratie, die sich selbst gegen allfällige Gefahren immunisiert, noch eine Demokratie?“

Flaßpöhler, die auch in der #MeToo-Debatte ein streitbarer Geist ist, schlägt einer demokratischen Gesellschaft deshalb vor, „Räume für Streit“ zu eröffnen, „anstatt sie zu schließen“.  Dennoch müsse man stets „sehr genau unterscheiden zwischen jenen, die dialogbereit sind. Und denen, die es nicht sind.“ Eine Dethematisierung, wie Habermas es will, sei in Deutschland schon gar nicht mehr möglich, da etwa die Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) inzwischen in allen Landesparlamenten sitzt.

Eines machte Flaßpöhler, die in Münster geborene Chefredakteurin des „Philosophie Magazins“, in ihrem Vortrag ebenfalls deutlich: „Den Faschismus muss man bekämpfen, und zwar in aller Entschiedenheit. Denn ein Faschist hat kein Interesse am Diskurs, sondern nur an Macht und Zerstörung.“ (Lesen Sie hier die vollständige Rede von Svenja Flaßpöhler.)

Vor diesen ernsten Worten, die vom geladenen Publikum mit anhaltendem Applaus quittiert wurden,  hatte Wiens Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) für Belustigung gesorgt, als sie die „Buch Wien“ als „wunderbares Bordell des Geistes“ bezeichnete. Sie wünsche sich, dass es „richtig brummen“ möge auf der Messe, die Bücher ihre Verführungskünste zeigen und die Leserinnen und Leser der „sinnlichen Begegnung mit Papier“ erliegen.

Traditionell schließt sich an die feierliche Eröffnung der Buchmesse die beliebte „Lange Nacht der Bücher“ an, die auch in diesem Jahr hochkarätig und facettenreich besetzt war: Nach dem Eröffnungskonzert der österreichischen Singer-Songwriterin Clara Luzia stellten im Gespräch mit Kabarettist Florian Scheuba unter anderem Bernhard Aichner, Hanna Herbst und David Schalko ihre neuen Bücher vor, während auf der Kochbühne gekocht und beim Poetry Slam vor allem das junge Publikum im Scharen begeistert wurde.

Noch bis Sonntagabend präsentieren mehr als 370 Aussteller aus 20 Nationen auf der „Buch Wien“ die Neuerscheinungen dieses Herbstes. „Seitengang – ein Literatur-Blog“ ist noch bis einschließlich Samstagabend vor Ort und berichtet von der Buchmesse.

Buch Wien: Lebenslange Lügen und ein blutiger, blutiger Samstag

Philipp Blom stellt seinen neuen Roman vor. © LCM Fotostudio Richard Schuster
Philipp Blom stellt seinen neuen Roman vor. © LCM Fotostudio Richard Schuster
Am dritten Messetag der „Buch Wien“ 2016 habe ich erneut nur zwei Veranstaltungen besucht. Zunächst war der deutsche Autor, Historiker und Journalist Philipp Blom gekommen, um seinen neuen Roman „Bei Sturm am Meer“ vorzustellen. Blom ist mit Bestsellern über die europäische Kulturgeschichte bekannt geworden, viele verbinden mit seinem Namen Sachbücher über die Schlüsselmomente des 20. Jahrhunderts (so etwa „Der taumelnde Kontinent. Europa 1900-1914“). Er hat allerdings auch schon ein Sachbuch über österreichische Weine geschrieben.

„Bei Sturm am Meer“ ist sein dritter Roman. Darin schickt er einen melancholischen Mittvierziger namens Benedikt auf eine überraschungsreiche Reise zu sich selbst. Nach dem Tod seiner Mutter muss der Marketingfachmann feststellen, dass seine Familiengeschichte eine andere war, als er sein Leben lang gedacht hat. Der Roman über zerplatzte Träume und lebenslange Lügen beginnt mit einem Brief, den Benedikt an seinen vierjährigen Sohn schreibt, während er in Amsterdam auf die Urne seiner Mutter Marlene wartet, deren Lieferung sich verzögert.

Benedikt erfährt im Laufe des Buches, dass viele der Lebensgeschichten, die er zu kennen glaubt, nicht stimmen, zum Beispiel dass sein Vater, ein Journalist, im Kampf gestorben sei. Selbstverständlich verbindet Blom die Geschichten von Benedikts Mutter und Großmutter mit den historischen Ereignissen – hier kann der Historiker Realität und Fiktion vermischen. Das sei auch einer der Vorteile beim Romaneschreiben, erklärt er: „In einem Sachbuch muss immer alles so gewesen sein, in einem Roman kann es so gewesen sein.“

„Das wird dann einfach nicht gut“

Aber es gibt auch Nachteile: „Das Romaneschreiben ist nicht lukrativ.“ Außerdem rate er Menschen, die glauben, sie trügen einen Roman in sich, den sie unbedingt aufschreiben müssten, dies nicht am Abend um 23 Uhr zu tun, wenn sie erschöpft von der Arbeit und den familiären Verpflichtungen sind. „Das wird dann einfach nicht gut – man muss sich dafür Zeit nehmen.“ Das erinnert an die Lesung von Cynthia D’Aprix Sweeney („Das Nest“, Klett-Cotta) im Literaturhaus Wien. Dort erklärte sie, sie habe erst am College „eine gewisse Priorisierung im Leben“ gelernt: „Denn wenn man auch noch familiäre Verpflichtungen hat, kann das Schreiben auf der To-do-Liste ganz schnell auf dem letzten Platz landen – ich aber habe gelernt, es ganz nach oben zu setzen.“

Weil das Buch auch viel im Hamburg der 1970er Jahren spielt und Blom dort geboren und aufgewachsen ist, wurde er gefragt, ob „Bei Sturm am Meer“ auch ein wenig die Geschichte seiner Familie erzähle. „Nun“, antwortete Blom, „Menschen, die mich ein bisschen kennen, werden vielleicht sagen: Aha!“ Aber seine Familie sei nicht die im Roman dargestellte Familie, er selbst habe auch andere Themen als der Protagonist seines Romans. „Aber die Geschichte baut vielleicht auf Themen auf, die in unserer Familie spielen.“

Gelesen hat Blom aus seinem aktuellen Buch nicht. Dafür blieb keine Zeit mehr, denn Moderatorin Alexandra Föderl-Schmid (Chefredakteurin des Standard) fragte den Schriftsteller aus aktuellem Anlass nach seiner Meinung zum Brexit und zur US-Wahl. Dafür war Blom nicht nur als Historiker und Journalist ein versierter Gesprächspartner, sondern auch deshalb, weil er ein Jahr in den USA und neun Jahre in England gelebt hat. Teilweise schreibt er seine Bücher auch zunächst auf Englisch und übersetzt sie dann selbst ins Deutsche. „Der Brexit hat mich wirklich überrascht“, sagte er. „Und bei der Wahl von Trump habe ich mich gefühlt, als hätte man mich mit einem Baseballschläger traktiert.“ Er habe gedacht, er schlafe einfach noch und wache irgendwann auf. „Aber das war so nicht.“

Gefährlich bei Wahlen

Manche vergleichen inzwischen die heutige Zeit mit der Weimarer Republik. Das sieht Blom aber nicht so: „Nein, wir leben nicht in der zweiten Weimarer Republik, aber noch eine Wirtschaftskrise wie 2008, dann leben wir in einer Weimarer Republik.“ Gefährlich bei Wahlen und damit auch bei der US-Wahl sei dieses „Irgendetwas muss sich doch ändern“-Gefühl der Wähler. „Auch hier in Europa verlieren die Menschen zunehmend die Hoffnung in die Gesellschaft und die Demokratie“, erklärte Blom weiter.

Von Föderl-Schmid darum gebeten, als Historiker in die Zukunft zu schauen und zu sagen, wie Europa im Jahr 2030 aussähe, antwortete Blom, das gerate wohl eher wie eine Wettervorhersage, denn kleine Faktoren könnten doch alles in eine andere Richtung bringen. „Im Moment sind Kräfte am Werk, die am Zerfall Europas arbeiten. Aber eigentlich hängt alles davon ab, wann das nächste 2008 kommt.“

Philipp Blom: Bei Sturm am Meer, Paul Zsolnay Verlag, Wien, 2016, 224 Seiten, gebunden, 20 Euro, ISBN 978-3552058101, Leseprobe

Thomas Raab, Bernhard Aichner, Edith Kneifl, Heinz Sichrovsky, Amelie Fried und Veit Heinichen bei der Krimi-Runde. © LCM Fotostudio Richard Schuster
Thomas Raab, Bernhard Aichner, Edith Kneifl, Heinz Sichrovsky, Amelie Fried und Veit Heinichen bei der Krimi-Runde. © LCM Fotostudio Richard Schuster
Am späten Nachmittag schließlich traf sich ein Teil der aktuellen Crème de la Crème der deutschsprachigen Bestseller-Krimi-Literatur zu einer kleinen, vergnüglichen Gesprächsrunde unter dem Thema „Morden wie gedruckt“. Ursprünglich waren nur Thomas Raab, Bernhard Aichner, Edith Kneifl und Veit Heinichen eingeladen. Moderator Heinz Sichrovsky (Kulturchef des österreichischen Wochenmagazins News) hatte jedoch zuvor seine Sendung „erLesen“ für den ORF aufgezeichnet und dort die Schriftstellerin und Moderatorin Amelie Fried zu Gast, die er dann kurzerhand mit in die Runde brachte. Ein Glücksgriff, wie sich später herausstellen sollte.

Was macht einen guten Krimi aus und wie schreibt man ihn? Veit Heinichen hat dafür kein Patentrezept, wohl aber durch jahrelange Recherche ein riesiges Archiv angehäuft. „Irgendwann kommt dann der Gedanke, dass ich mich mit meinen Figuren beschäftige, und dann lasse ich sie aufeinander los – richtige Arbeit ist das nicht, ich folge ja nur meinen Figuren.“

Amelie Fried, die mit ihrem Mann Peter Probst eine Reihe von Kinderkrimis („Taco und Kaninchen“) geschrieben hat, hat nur einen einzigen Krimi für Erwachsene verfasst: „Der Mann von nebenan“ (1999). Kurz zusammengefasst erledigen drei Frauen zusammen einen Nachbarn. Erst versuchen sie es in der Badewanne, doch als sie seine Leiche im Wald beseitigen wollen, ist der Mann gar nicht tot. Ein Schlag mit einem Schraubenschlüssel beendet sein Leben dann doch noch, und die drei Frauen versenken die Leiche im See. Vorlage für den Nachbarn? Frieds tatsächlicher Nachbar, der die Familie so sehr genervt hat, dass sie schon an Umzug dachten. „Dann habe ich dieses Buch geschrieben, und es war die beste Rache meines Lebens.“ Das Buch wurde mit Axel Milberg als böser Nachbar verfilmt, „und ich wohnte in diesem bayerischen Dorf, und jeder wusste, wer gemeint ist“, erzählte Fried. Der Nachbar sei kurz danach weggezogen.

„Ein Traum von Mann“

Die österreichische Autorin Edith Kneifl baut beim Krimischreiben stets eine enge Bindung zu ihren Protagonisten auf. Als ehemalige Tischtennis-Landesmeisterin sei es ihr mal in den Sinn gekommen, dass einer der Männer doch bei einem Tischtennisturnier sterben könnte. „Ich habe eine Figur entworfen, einen Traum von Mann, sage ich Ihnen, der hat mir dann so gut gefallen, dass ich ihn nicht mehr umbringen konnte. Er wurde nur schwer verletzt.“ Und nach einer kurzen Pause: „Aber es sind andere Männer umgekommen.“ Dass ein Autor seine Figuren liebgewinnt, bestätigte auch Bernhard Aichner: „Ich liebe zum Beispiel meine Bestatterin Brünhilde Blum – sie bringt Menschen um.“ Ja, zuweilen ist es recht makaber, wenn sich Krimi-Autoren unterhalten.

Alle fünf Autoren sind zudem Serientäter, ihre Helden oder Mörder tummeln sich also in mehreren Büchern. „Aber wann bekommen diese Kerle ein Ablaufdatum?“, wollte Sichrovsky wissen. Für Thomas Raab hängt das mehr damit zusammen, ob ein Buch seine Leser findet: „Bei meinem ersten Buch habe ich nicht gedacht, dass das jemand lesen würde.“ Für Aichner dagegen war es klar, dass seine Bestatterin nur eine Überlebenszeit von drei Büchern haben würde: „Die kann ich jetzt auch gut ziehen lassen. Es ist zwar reizvoll, das weiterzumachen, weil es sich gut verkauft, aber ich wusste vor dem ersten Buch, wie das dritte aufhört, und danach ist Schluss.“ Kneifl: „Vor allem das Publikum und die Verlage wollen doch Serien – aber ich gebe zu, auch ich kann mich manchmal nicht trennen.“

Und Veit Heinichen? Dem schien eine Frage nicht aus dem Kopf zu gehen: „Ich glaube nicht, dass Amelies Nachbar weggezogen ist.“ Schon hatte Heinichen die Lacher wieder auf seiner Seite. Fried parierte und erzählte, sie und ihr Mann hätten ein Gartenhaus bauen lassen. „Kein Scherz, und die beiden polnischen Bauarbeiter, die von dem nervigen Nachbarn gehört hatten, haben uns angeboten, ihn für 2.000 Euro umzubringen. Und für 4.000 Euro auch die Leiche zu beseitigen.“ Heinichen: „Irgendwer muss mal das Beton-Fundament dieses Gartenhauses überprüfen…“ Wieder Gelächter.

Kürzlich das erste Grab ausgehoben

Auch über die Recherchearbeit für ihre Bücher sprechen die Autoren. Während Kneifl mit einem Arzt verheiratet ist und ihn gern schon am Frühstückstisch fragt, an welchen Körperstellen das meiste Blut spritzt („Mein Mann passt bei meinen Leichen immer auf!“), hat Aichner kürzlich sein erstes Grab ausgehoben: „Das war eine tolle Erfahrung, aber richtig harte Arbeit.“ Und in der Rechtsmedizin in Hamburg sei er bei einer Obduktion dabeigewesen, auch das sei sehr faszinierend gewesen. Raab wiederum recherchiert „Problemfälle“, wie er das nennt. „Ich habe beim Skifahren Schnee von einer Schneekanone ins Gesicht bekommen und dann beim Hersteller angerufen und gefragt, ob das, was vorne rauskommt, rot würde, wenn man hinten jemanden reinsteckt.“ Interessant sei auch gewesen, beim örtlichen Schwimmbad anzurufen und zu fragen, wie lange die Filteranlage braucht, um das Wasser nach einem Haiangriff wieder klar zu bekommen. „Danach wusste ich die ganze Lebensgeschichte des Mann, den ich da angerufen hatte.“ Heinichen: „Die Frage ist, woher wusste der Mann, wie lange die Filteranlage brauchen würde…“

Und welche Krimis würden die Autoren empfehlen, ihre eigenen ausgenommen? Veit Heinichen legt den Lesern Fjodor Dostojewskis „Verbrechen und Strafe“ bzw. „Schuld und Sühne“ (ältere Übersetzungen) ans Herz, Edith Kneifl nennt Patricia Highsmiths „Die zwei Gesichter des Januars“, Bernhard Aichner mag gern die Adamsberg-Reihe von Fred Vargas und Thomas Raab empfiehlt den „Kameramörder“ von Thomas Glavinic.

Bernhard Aichner: Interview mit einem Mörder. Ein Max-Broll-Krimi, Haymon Verlag, Innsbruck, 2016, 288 Seiten, gebunden, 19,90 Euro, ISBN 978-3709971338, Leseprobe

Amelie Fried: Ich fühle was, was du nicht fühlst, Heyne-Verlag, München, 2016, 400 Seiten, broschiert, 16,99 Euro, ISBN 978-3453265905, Leseprobe

Veit Heinichen: Die Zeitungsfrau, Piper-Verlag, 2016, 352 Seiten, gebunden, 20 Euro, ISBN 978-3492057585, Leseprobe

Edith Kneifl: Totentanz im Stephansdom, Haymon Verlag, Innsbruck, 2015, 264 Seiten, Taschenbuch, 12,95 Euro, ISBN 978-3709978337, Leseprobe

Thomas Raab: Der Metzger, Droemer Knaur, München, 2016, 336 Seiten, gebunden, 19,99 Euro, ISBN 978-3426281369, Leseprobe

Die „Buch Wien“ 2016 war damit für mich beendet, am Sonntag, dem letzten Messetag, habe ich bereits die Heimreise angetreten. Wie in den vergangenen Jahren werde ich in den nächsten Tagen noch ein persönliches Fazit liefern. Einigermaßen sicher aber ist schon, dass ich auch im nächsten Jahr wieder von der „Buch Wien“ berichten werde. Bleiben Sie mir gewogen!

Master James und die Dame von Welt

Eine Dame von WeltDer US-amerikanische Schriftsteller Henry James wäre wohl in Deutschland langsam in Vergessenheit geraten, wenn es sich nicht ein paar wenige Verlage in den vergangenen Jahren zur Aufgabe gemacht hätten, ihn immer wieder zu verlegen. Zuletzt hat der Aufbau-Verlag die Salonerzählung „Eine Dame von Welt“ von ihm veröffentlicht, ein kleines Büchlein, geeignet für die ersten zarten Bande, die ein Leserherz zu diesem Autor knüpfen kann. Die Gelegenheit, ihn (wieder) zu entdecken, bietet auch der Kalender: Heute vor 100 Jahren ist James gestorben.

James war und ist dafür bekannt, dass er in seinen Werken mit Vorliebe die Gegensätze zwischen der „Alten Welt“ Europa und der „Neuen Welt“ Amerika und die unterschiedlichen Verhaltensweisen thematisierte. Als „Eine Dame von Welt“ entstand, galt er bereits als führender Schriftsteller seiner Generation und hatte den Ruf eines zukünftigen Erfolgsautors. Zwei Jahre zuvor waren „Washington Square“ und „Bildnis einer Dame“ (beide 1881) erschienen. Die britische Schriftstellerin Rebecca West, die eine Studie über James verfasst hat, bezeichnete „Washington Square“ als Übergangsroman in James‘ Werdegang. Und die Biographin Hazel Hutchison schreibt in ihrem 2015 veröffentlichten Buch über James: „Nach ‚Washington Square‘ war James gerüstet, ein Meisterwerk zu schaffen.“

Hutchison meint damit nicht „Eine Dame von Welt“, und auch James selbst, der seine Texte sehr kritisch beurteilte, hielt es eher für eine „arme kleine Geschichte“, wie in dem aufschlussreichen Nachwort des Übersetzers Alexander Pechmann zu lesen ist. Dabei ist „Eine Dame von Welt“ eine raffinierte, ausgefeilte und durchdachte Geschichte über Moralvorstellungen sowie die Erwartungen von Männern und Frauen an die Rolle der Frau in der Gesellschaft.

Kein Kind von Traurigkeit

Durch Zufall trifft der wohlhabende Amerikaner Littlemore im Pariser Theater der Comédie-Française auf eine alte Bekannte aus San Diego, Mrs. Headway, der er selbst auch einst zugetan war. Mrs. Headway ist bisher kein Kind von Traurigkeit gewesen, mehrfach verheiratet und skandalumwittert kommt sie nun nach Paris, um einen Weg in die feine Gesellschaft zu finden. Ein junger Mann namens Arthur Demesne macht ihr bereits den Hof, zweifelt aber noch an ihrer Ehrbarkeit. Mrs. Headway hofft, dass Littlemore ihr als Gewährsmann zur Seite steht. Nur mit einem ernst zu nehmenden Fürsprecher, glaubt sie, werde die europäische Aristokratie sie anerkennen.

Der Übersetzer Alexander Pechmann sieht in der „Dame von Welt“ ein satirisches Spiegelstück zu James‘ „Daisy Miller“, jenes Werk, das ihn so schlagartig bekannt gemacht hat. Darin reist ein junges, naives Mädchen aus Amerika nach Europa und entdeckt die „Alte Welt“ staunend, etwas planlos, aber mit schonungsloser Ehrlichkeit. Die „Dame von Welt“ dagegen ist für Pechmann das offensichtlich gegensätzliche Modell: eine mehrfach geschiedene Frau, die schon einige Skandale hinter sich hat, und nun nach Europa kommt, mit dem Plan, in der Gesellschaft anerkannt zu werden. „Daisy Miller“ ende als Tragödie, „Eine Dame von Welt“ dagegen sei eher eine Komödie. Dabei verhehlt Pechmann nicht, dass überhaupt nicht bekannt ist, ob James die „Dame von Welt“ wirklich als Gegenentwurf zu „Daisy Miller“ entworfen hat.

Tatsächlich aber muss man dem Übersetzer zumindest insofern beipflichten, als dass ohne „Daisy Miller“ die „Dame von Welt“ wohl nicht entstanden wäre. Denn mit Daisy hat er zunächst einen völlig neuen Typus von Romanheldin geschaffen: Waren seine Helden zuvor von moralischer Gewissenhaftigkeit geprägt, setzte sich „Daisy Miller“ erfrischend darüber hinweg, indem sie gesellschaftliche Konventionen naiv missachtete, es ihr aber trotzdem nicht an Moral mangelte. Aufgrund ihrer Jugendlichkeit durfte sie naiv ihre Erfahrungen sammeln.

Stellung der Frau in der Gesellschaft

Mrs. Headway dagegen hat in „Die Dame von Welt“ bereits umfangreiche Erfahrungen gemacht und sich bislang ebenfalls nicht um Konventionen geschert. Nun aber steht auch bei ihr die Ehrbarkeit in Frage, eine Eigenschaft, die heute seltsam anmutet, aber damals eine ungeheure Bedeutung hatte. Eine Frau war (auch für britische und amerikanische Autoren) damals nur dann ehrbar, wenn sie in der Lage war, die idealisierte Rolle der Frau und Mutter zu erfüllen. James sah das inzwischen anders. Seine Biographin Hazel Hutchison schreibt: James‘ „Freundschaften mit unkonventionellen Frauen wie Alice Mason und Fanny Kemble, lehrten ihn, dass etwas falsch war an der gegenwärtigen Stellung der Frau in der Gesellschaft – und dies war ein ergiebiges Thema für seine Literatur“.

„Eine Dame von Welt“ ist deshalb nicht nur als mögliches Spiegelbild zu „Daisy Miller“ zu lesen, sondern auch als beachtenswerte Novelle eines Feministen. Zudem ist es ein interessantes Zeugnis von James‘ eigenen Erfahrungen mit der englischen Gesellschaft und dem Kreis der amerikanischen Exilanten in London und Paris.

Sprachlich hat Pechmann das ganz vortrefflich übersetzt – von einer Schrecklichkeit abgesehen. Gleich zu Beginn heißt es im Original: „‚So do you – or very charming – it’s the same thing,‘ Littlemore answered, laughing, and evidently wishing to be easy.“ Pechmann übersetzt das erschreckenderweise so: „‚Sie ebenfalls – oder sehr bezaubernd, was dasselbe ist‘, lachte Littlemore und wünschte sich offenkundig, wirklich entspannt zu sein.“ Es wird wohl schwierig sein, einen Satz zu lachen. Wenn der Übersetzer dessen dennoch mächtig sein sollte, darf er das dem Rezensenten gerne einmal vortragen!

Sollte man nun „Eine Dame von Welt“ lesen? Unbedingt! Und damit nicht genug, dieses Jahr sollten Sie nutzen, um das Werk von Henry James für sich zu entdecken. „Eine Dame von Welt“ ist ein angenehmer Beginn – von dort lässt es sich wunderbar im Werk vor und zurück reisen. Die Ausgabe des Aufbau-Verlags kommt in einem gelben, flexiblen Leineneinband daher, umschlossen mit einer Banderole, dazu ein farblich passendes, gelbes Lesebändchen. Allenfalls ein stabiler Leineneinband hätte den optischen und vor allen haptischen Eindruck noch verbessert.

Henry James: Eine Dame von Welt – Eine Salonerzählung, Aufbau Verlag, Berlin, 2016, 176 Seiten, gebunden, mit Lesebändchen und Banderole, 16,95 Euro, ISBN 978-3351036348, Leseprobe

Seitengang dankt dem Aufbau-Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars.

Mit Capote um die Welt

Truman Capote, Auf ReisenAuf Haiti tönen die Trommeln tumm-ti-tumm-ti, in New York begegnet man der Garbo und auf Ischia wartet das Zimmermädchen Gioconda auf einen Brief aus Argentinien. Mit Truman Capotes Reisereportagen ist man in 172 Seiten um die Welt. Der Verlag Kein & Aber hat sie zu einem feinen Bändchen zusammengeschnürt, das in jede Westentasche passt. Der perfekte Begleiter für Kurzurlaube und Fernreisen!

Der vor allem durch seinen Tatsachenroman „Kaltblütig“ und die Erzählung „Frühstück bei Tiffany“ bekannt gewordene Schriftsteller macht auch in seinen Reiseberichten deutlich, dass er eine feine Beobachtungsgabe für Menschen und Orte hat. In seiner Selbstdarstellung ist er schonungslos ehrlich, seine Essays und Reportagen sind reich an Ironie, Zärtlichkeit und der lustvollen Begeisterung am Erzählen. Fast alle Texte dieser kleinen Sammlung entstammen dem Buch „Local Color“, das Capote im Herbst 1950 veröffentlichte. Darin schrieb er über New Orleans, wo er aufwuchs, über New York, wohin er mit seiner Familie zog, oder über Europa, das er Ende der 40er Jahre zum ersten Mal bereiste.

Wie er Menschen porträtiert, ist einfach fabelhaft. Miss Y. etwa aus New Orleans, an der er nur wissenschaftliches Interesse hegt, wie er bekennt: „Ich bin also, wie ich zu meiner Schande gestehen muss, nicht ganz der gute Hausfreund, den sie in mir vermutet, denn einer Miss Y. kann man nicht wirklich nahe sein. Sie ist viel zu sehr Märchengestalt, irreal, unwahrscheinlich. Sie ist wie das Piano in ihrem Wohnzimmer, elegant, aber etwas verstimmt.“ Oder die eingangs erwähnte Gioconda: „Ein schönes Mädchen, auch wenn ihre Schönheit stimmungsabhängig ist. Wenn sie schlechte Laune hat, was leider viel zu oft der Fall ist, sieht sie aus wie ein Napf kalter Haferschleim, und man vergisst ihr volles Haar und ihre freundlichen mediterranen Augen.“ Capote macht aber auch keinen Hehl daraus, dass es der stressige Job des Zimmermädchens sowie ein ausbleibender Brief aus Argentinien ist, der sie so schlechtgelaunt werden lässt.

Großartig und mit hervorragendem Witz gelingt Capote der Bericht über seine Fahrt im Orient-Express und die beiden Damen aus seinem Abteil, die in ihrem Vogelkäfig Heroin schmuggeln. „Ihr ganzes Gepäck bestand offenbar nur aus einem riesigen Vogelkäfig. Darin befand sich, teilweise verdeckt von einem Seidenschal, ein scharrender, grüner, leicht angeschimmelt aussehender Papagei, der ab und zu ein dementes Lachen von sich gab.“

Obwohl Capote ein Reisewütiger war, sind seine Berichte nie schulmeisterlich. Im Gegenteil: Sie erzeugen Reiselust, unbedingte Reiselust! Man glaubt, Truman Capote nähme den Leser an der Hand, um gemeinsam Städte und Länder zu bereisen. Diese Texte sind wahrhaftig gelebter Urlaubshedonismus! Und so ganz nebenbei auch das: Literatur.

Truman Capote: Auf Reisen, Kein & Aber Verlag, Zürich, 2010, 172 Seiten, gebunden, mit Lesebändchen, 9,90 Euro, ISBN 978-3036955612

Leipziger Buchmesse 2014: Henryk M. Broder, Ulrich Wickert und die neuen jungen Autoren Chiles

Kassetten-Freunde: Wolfgang Stockmann (v. l.), Marc Sieper, Andrea Herzog, Björn Akstinat und Moderatorin Anne Künstler.
Kassetten-Freunde: Wolfgang Stockmann (v. l.), Marc Sieper, Andrea Herzog, Björn Akstinat und Moderatorin Anne Künstler.
Im vergangenen Jahr feierte die Kassette ihren 50. Geburtstag. Auf der Leipziger Buchmesse fand sich am Samstag eine Talkrunde zusammen, die über fast ausgestorbene Begriffe wie „Bandsalat“, „Überspielen“ und „Mixtape“ sprechen wollte. Und warum viele der Kassettenfreunde immer einen Bleistift dabei haben.

Die zwei Damen und drei Herren schwelgten in eigenen Kassetten-Erinnerungen. Wolfgang Stockmann etwa zeigte sich zutiefst begeistert, dass er einmal eine im Schnee verloren geglaubte Kassette zwei Wochen später im Tauwetter wiedergefunden habe, die immer noch abspielbar gewesen sei. Andrea Herzog blickte noch weiter zurück: „Ich bin ein Tonbandkind, das zur Konfirmation ein Tonbandgerät bekam – das war ein irrsinniger Erfolg für mich, wenn ein Band nach einem Salat wieder funktionierte, aber auch schrecklich, wenn das Gegenteil der Fall war.“

Die Sache mit dem Bleistift fand dann bei Marc Sieper Erwähnung, der als Kind ein Kassettendeck sein Eigen nannte, das nicht mehr zurückspulen konnte. „Da musste ich dann jede Kassette mit dem Bleichstift bearbeiten, wenn ich die Seite noch einmal hören wollte.“

„Sinnliches Erlebnis des Fortschritts einer laufenden Kassette“

Alle Teilnehmer der Talkrunde erklärten daraufhin ihren Ärger über die Radiomoderatoren, die in die Lieder „quatschten“, während sie zu Hause saßen, um die Songs mitzuschneiden. Der Sinn der Veranstaltung im Forum Hörbuch + Literatur wurde indes immer fraglicher. Als schließlich Andrea Herzog vom „sinnlichen Erlebnis des Fortschritts einer laufenden Kassette“ sprach, das bei einer CD verloren gehe, war es für mich Zeit zu gehen.

Buchvorstellung: Thomas Rietzschel (v. l.), Henryk M. Broder und der Moderator
Buchvorstellung: Thomas Rietzschel (v. l.), Henryk M. Broder und der Moderator
Mit den Worten „Danke, dass Sie nicht bei Roger Willemsen nebenan sind“ begann das Gespräch mit Henryk M. Broder im Sachbuchforum. Der Publizist und Autor stellte sein Buch „Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken“ vor. Ebenfalls eingeladen war der ehemalige Kulturkorrespondent der FAZ, Thomas Rietzschel, mit seinem Buch „Geplünderte Demokratie: Die Geschäfte des politischen Kartells“.

Etwas unglücklich war es wohl, dass für beide Autoren nur eine halbe Stunde Zeit zur Verfügung stand und sich beide nicht widersprachen. So gab es keine Gelegenheit zu einer kontroversen Diskussion. Obwohl die polemischen Thesen der beiden Anlass genug gegeben hätten, blieb auch der Moderator überraschend zahm. Die Veranstaltung gab deshalb zwei Europaskeptikern genügend Raum, ihrem Ärger Luft zu machen und sich gegenseitig hochzuschaukeln.

Broder etwa echauffierte sich darüber, dass Politiker mehr als zwei Wochen über die Verringerung der „Rundfunk-Zwangsgebühr“ gestritten hätten. Das Ergebnis sei eine kleine Ersparnis von 48 Cent. „Dafür gibt es bei Kamps zwei ömmelige Brötchen von gestern.“ Ähnlich fuhr Broder fort.

Rietzschel erklärte später, die Europawahl im Mai diene – wie alle Wahlen – nur der Existenzsicherung der Politiker. „Wir sollen wählen gehen, weil die Angst vor den Nichtwählern haben.“ Broder stieß ins selbe Horn: „Ich bin der gleichen Ansicht: Wir werden alle vier Jahre Opfer von Propaganda, dabei haben wir die Wahlfreiheit.“ Und das bedeute für ihn, nicht wählen zu gehen. Rietschel stimmte unumwunden zu. Leider blieb der Moderator hier stumm und hakte nicht nach. Das Publikum murrte. Schon vorher waren Zwischenrufe laut geworden, weil es vor allem Rietzschel vorzog, die Fragen des Moderators stets nicht zu beantworten.

Henryk M.Broder: Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken, Albrecht Knaus Verlag, München, 2013, 224 Seiten, gebunden, 19,99 Euro, ISBN 978-3813505672

Thomas Rietzschel: Geplünderte Demokratie: Die Geschäfte des politischen Kartells, Paul Zsolnay Verlag, Wien, 2014, 192 Seiten, gebunden, 16,90 Euro, ISBN 978-3552056756

Mister Tagesthemen: Ulrich Wickert (r.) im Gespräch mit Michael Schneider (stellv. Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung).
Mister Tagesthemen: Ulrich Wickert (r.) im Gespräch mit Michael Schneider (stellv. Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung).
In der LVZ-Arena (Leipziger Volkszeitung) stellte wenig später der frühere Tagesthemen-Sprecher Ulrich Wickert seinen neuen Krimi „Das marokkanische Mädchen“ vor, den fünften Fall für den Untersuchungsrichter Jacques Ricou.

Viel erfuhr das Publikum nicht über das neue Buch, dafür umso mehr über das unterschiedliche Geschichtsbewusstsein des protestantischen Deutschlands im Gegensatz zum katholischen Frankreich. Und dass man in Deutschland keine Krimis schreiben könne: „Wir sind in der Kriminalität nur Mittelmaß – in Italien gibt’s dafür die Mafia, in Frankreich nur die Regierung.“

Wickert ist ein hervorragender Kenner Frankreichs, was er nicht nur durch seine Sachbücher und Krimis unter Beweis gestellt hat, sondern schon als ARD-Korrespondent und dann auch Studioleiter in Paris. Unvergessen ist seine Reportage über den Versuch, zu Fuß den vielbefahrenen Place de la Concorde in Paris zu überqueren.

Wickert schwärmt von den Vorzügen Frankreichs

Der ehemalige Mister Tagesthemen schwärmt auch in Leipzig von den Vorzügen Frankreichs: „In Frankreich erlaubt es die Gesellschaft, dass ihr Präsident François Mitterrand verheiratet war, eine Freundin hatte und mit ihr eine Tochter zeugte. Das wusste jeder, aber niemand sprach darüber. Das finde ich gar nicht so schlecht.“

Die wesentlich dunklere Seite des Nachbarlandes aber lernt man in Wickerts Krimis kennen. In seinem neusten Werk geht es um Korruption, aber auch um eine eventuelle Verbindung zwischen dem ehemaligen Präsidenten Sarkozy und dem libyschen Revolutionsführer Gaddafi. Das alles nimmt seinen Anfang, als auf einem Waldweg bei Paris eine marokkanische Familie erschossen in ihrem Auto aufgefunden wird. Wenig später entdeckt die Polizei Kalila, die sechsjährige Tochter, die das Massaker in einem Versteck überlebt hat.

Wickert kündigte an, das sei nicht der letzte Fall für den Bon Vivant namens Jacques Ricou. „Der nächsten Fall habe ich schon im Kopf“, versprach er.

Ulrich Wickert: Das marokkanische Mädchen, Hoffmann und Campe, Hamburg, 2014, 320 Seiten, gebunden, 19,99 Euro, ISBN 978-3455403398

Zwei neue junge Autoren Chiles: Nona Fernández und Carlos Labbé.
Zwei neue junge Autoren Chiles: Nona Fernández und Carlos Labbé.
Im Forum International präsentierte die Botschaft der Republik Chile mit Nona Fernández und Carlos Labbé zwei neue junge Autoren Chiles. Fernández‘ ins Deutsche übersetzte Roman „Die Toten im trüben Wasser des Mapocho“ ist bereits im Sommer 2012 erschienen, Labbés Roman „Navidad und Matanza“ gar schon im Herbst 2010.

Die Geschichten in Fernández‘ Roman treiben den Mapocho herunter wie die Abwässer der Stadt. Dunkel, unheilverkündend, dreckig. An den Ufern des Flusses ist einst Santiago de Chile gegründet und erbaut worden. Jetzt erzählt er Geschichten von einem inzestuösen Geschwisterpaar, versklavten Gefangenen, einem selbstmordgefährdeter Historiker oder einem auf der Suche nach seinem Kopf umherstreifenden, enthaupteten Häuptling der Mapocho-Indianer.

Der chilenische Schriftsteller Roberto Bolaño hat über Fernández mal gesagt: „Diese schnörkellose Maßlosigkeit, dieser Mut! Jede einzelne Zeile ist entweder lebensnotwendig oder tödlich, ihr Schreiben gespannt bis zum Äußersten.“ Für den Roman „Die Toten im trüben Wasser des Mapocho“ bekam sie den wichtigesten chilenischen Literaturpreis, den Premio Muncipal de Literatura.

Auch der Roman „Navidad und Matanza“ von Carlos Labbé verknüpft mehrere Geschichten miteinander. Es ist ein Roman im Roman und spielt an der chilenischen Pazifikküste. Labbé ist mit diesem Roman in Chile als vielversprechende neue Stimme in der Literatur gepriesen worden. In Leipzig ruft er die Zuhörer dazu auf, ins Internet zu gehen und mehr Literatur aus Lateinamerika zu lesen, die nicht Mainstream ist.

Nona Fernández: Die Toten im trüben Wasser des Mapocho, Septime Verlag, Wien, 2012, 260 Seiten, gebunden, 20,90 Euro, ISBN 978-3902711090

Carlos Labbé: Navidad und Matanza, Lateinamerika Verlag, 2010, 160 Seiten, gebunden, 19 Euro, ISBN 978-3952296660 (derzeit vergriffen)

Ausgabe Nummer 7: Die LitPop im Neuen Rathaus.
Ausgabe Nummer 7: Die LitPop im Neuen Rathaus.
Am Abend dann stieg im Neuen Rathaus die LitPop, seit sieben Jahren die Messe-Party, auf der Literatur und Pop zusammenfinden. Mehr als 20 Lesungen im Ratsplenarsaal, im Festsaal und im Stadtverordnetensaal sowie Konzerte und Disko in den beiden altehrwürdigen Wandelhallen – das alles ist die LitPop.

Rund 2.500 Menschen feierten bis tief in die Nacht und sahen zuvor Lesungen von Stefan Bachmann, Axel Bosse, Greta Taubert, Sulaiman Masomi & Jan Philipp Zymny, Giulia Enders oder Ralf König. Im Festsaal schlug beim LitPop-Poetry-Slam die Stunde der Wortakrobaten Christian Ritter, Katja Hofmann, Micha El-Goehre und Bleu Broode.

Gegen Mitternacht trat in der Unteren Wandelhalle der deutsche Rapper Alligatoah zu einem kurzen Konzert auf, begleitet von der Leipziger Geschwisterband „Heinrich“ als Vorband. An den Plattentellern sorgten danach DJ und Ex-MTV-Moderator Markus Kavka, Preller und Mr Olsen & Senior Kiez für tanzbare Musik bis in die frühen Morgenstunden.

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