Vor einer Woche schlossen sich die Tore der sechsten Internationalen Buchmesse „Buch Wien“ endgültig. Laut Veranstalter besuchten rund 34.000 Literaturinteressierte die Buchmesse und die begleitende Lesefestwoche. Flächenmäßig war die Messe auf 8.800 Quadratmeter gewachsen und bot mit 330 Ausstellern aus zehn Nationen und mehr als 400 Veranstaltungen ein breites Programm für Bücherfreunde.
Die Eröffnungsrednerin Sibylle Lewitscharoff hielt in ihrer Rede ein viel beachtetes Plädoyer für das gedruckte Buch und wetterte gegen den Online-Versandhändler Amazon und die Aufweichung des Urheberrechts:
„Ebenso katastrophal (…) sind tumbe neue politische Gruppierungen, deren oberstes Ziel es ist, die Urheberrechte zu schleifen und gleich alles kostenlos ins Netz zu stellen. Wir leben nun einmal in einer Gesellschaft, die ihre Anerkennung dadurch ausdrückt, dass für eine Leistung bezahlt werden muss. Dass es dabei oft eklatant ungerecht zugeht, ist klar. Aber es ist völlig unverantwortlich, von einzelnen Branchen zu fordern, dass in ihnen künftig unbezahlt gearbeitet werden soll.“
Für Andrang bei den Messebühnen und volle Säle bei den Abendveranstaltungen sorgten vor allem österreichische, aber auch internationale Autoren wie Leon de Winter, Per Olov Enquist, Viktor Jerofejew, Tanja Maljartschuk und Mahmud Doulatabadi. Aus Deutschland kamen unter anderem Ferdinand von Schirach, der mit seinem neuen Roman „Tabu“ die Lesefestwoche eröffnete, Brigitte Kronauer und Clemens Meyer.
Dass die Buch Wien jedoch noch am Anfang einer Messe-Karriere steht, merkt man an einigen kleinen Stellen. Zwar gibt es ein gedrucktes Programmheft, das kostenlos ausliegt, es fehlt darin aber ein Autoren- und Ausstellerverzeichnis. Das Ausstellerverzeichnis gibt es extra als Faltplan, ist aber nicht in das Programmheft integriert. Außerdem fehlen im Programmheft leider Hinweise auf die Termine an den einzelnen Messeständen. Das ist etwa bei der Leipziger Buchmesse besser gelöst.
Es fällt außerdem auf, dass die Verlage bei Facebook und anderen sozialen Netzwerken zu wenig Werbung machen für die Buch Wien. Auch das ist bei den großen Messen in Leipzig und Frankfurt anders. Trotzdem ist auch die Buch Wien eine Messe, die sich zu besuchen lohnt. Sie ist klein, familiär und überschaubar. Und gerade das macht sie so interessant. An den Messeständen und bei den Lesungen kommen Leser, Autoren und Verlagsmitarbeiter ins Gespräch. Ein Gang über die Messe artet nicht in Stress und Geschiebe aus, sondern sorgt für einen guten Einblick in die aktuelle Buchlandschaft. Ich bin gespannt, wie sich die Messe in den nächsten Jahren weiterentwickelt.
Die nächste Gelegenheit, die Buch Wien zu besuchen, gibt es vom 13. bis 16. November 2014. Ob Seitengang daran teilnehmen kann, ist allerdings noch nicht klar. Alle Berichte von der Buch Wien sind hier nachzulesen.
Am Samstag, dem dritten Tag der „Buch Wien“, war es unverkennbar, dass die Buchmesse auch eine Publikumsmesse ist. Die Lesungen auf den Bühnen waren ebenso gut besucht wie die Messestände der Verlage und Aussteller. Auf der ORF-Bühne las unter anderem der großartige Erzähler Peter Henisch aus seinem neuen Roman „Mortimer & Miss Molly“.
Der Roman war pünktlich zu seinem 70. Geburtstag erschíenen und handelt von einer raffiniert angelegten, doppelten Liebesgeschichte. Über der von den Deutschen besetzten Toskana des Jahres 1944 wird ein amerikanischer Bomber abgeschossen. Der Pilot landet mit einem Fallschirm in einem malerischen Renaissancegarten. Dort entdeckt ihn die englische Gouvernante Miss Molly und versteckt ihn.
So beginnt die Liebesgeschichte der Titelfiguren. Knapp 30 Jahre später begegnen sich Julia und Marco in der Toskana und verlieben sich ineinander. In dem kleinen Örtchen San Vito lernen sie einen alten Amerikaner kennen, der ihnen den Anfang der Liebesgeschichte von Mortimer und Miss Molly erzählt. Doch am nächsten Tag ist der Mann verschwunden. Julia und Marco beginnen, die alte Geschichte für sich weiterzuerzählen.
Ein Buch über die Kunst des Erzählens
Und so verweben sich zwei Liebesgeschichten aus unterschiedlichen Zeiten. Henischs Buch ist aber nicht nur ein Liebesroman. Es ist vor allem ein Buch über die Kunst des Erzählens. Wie entsteht eine Geschichte? Und was ist die wahre, die richtige Geschichte?
Peter Henisch hat selbst in der Toskana einen zweiten Wohnsitz gefunden. Eben dort habe er schon vor Jahrzehnten jenen Bomberpiloten getroffen. „Mortimer hat es also wirklich gegeben“, sagte Henisch am Samstag in Wien. Aber der übrige Teil sei fiktiv. Es gehe auch darum, ob man an die Möglichkeit einer nachhaltigen Liebe glaubt. „Für ein junges Paar ist das ein Modell. Julia hält die Realität für nicht so wichtig, Marco schon.“
Es gebe Szenen in Henischs Roman, die erinnern an Filmsequenzen, deutet der Moderator an. Henisch bestätigt den Eindruck: „Ja, der Fallschirmsprung ist zum Beispiel eine ideale Filmszene, und Marco ist zwar angehender Arzt, will aber lieber Filmregisseur werden.“ Ob Henisch auch gerne Regisseur wäre? „Früher wollte ich auch Filmregisseur werden, aber ich war nie Medizinstudent“, antwortete er mit einem Lächeln.
Rezensenten würden sein Buch immer wieder als idealen Lesestoff empfehlen, und er selbst sei auch offen für ein solches Projekt. „Aber es sollte am Ende nicht bloß eine Sommerkomödie überbleiben – einige Kritiker haben nämlich nur die Love Storys in meinem Roman gesehen.“ Man müsse schon genauer hinsehen, dass es um mehr geht.
Peter Henisch: Mortimer & Miss Molly, Deuticke Verlag, Wien, 2013, 320 Seiten, gebunden, 19,90 Euro, ISBN 978-3552062252
Mit dem etwas provokanten Titel „Wir sind alle Amerikaner“ war danach der renommierte und bekannte österreichische Politikwissenschaftler Anton Pelinka zu Gast beim ORF. Er vertritt die These, dass eine weltweite Amerikanisierung stattfindet. Den so oft herbeigeschriebenen Niedergang der USA sehe er dagegen nicht.
„Die USA haben ihren Vorsprung verloren, China und Indien zum Beispiel holen auf, aber es ist kein Niedergang – die anderen Staaten sind Amerika nur ähnlicher geworden“, erklärte Pelinka. Die gesamte Globalisierung folge sehr den USA, aber es sei kein Diktat. „Die USA sind nur Trendsetter.“
Seine erste Begegnung mit den Amerikanern hatte Pelinka im besetzten Wien. Er habe damals in einem amerikanisch besetzten Bezirk gewohnt, und die Großzügigkeit der Amerikaner habe ihm sehr imponiert. „Sie waren bekannt dafür, wegen ihres Reichtums am meisten für Kinder tun zu können. In den russisch besetzten Bezirken sah das sicher anders aus – die Amerikaner waren die beste Option.“
Blick auf Amerika wurde kritischer
Doch später wurde Pelinkas Blick auf Amerika kritischer, erzählte er in Wien. „Das Problem des Rassismus‘ hat immer eine große Rolle für mich gespielt, es hat mich negativ beeindruckt, dass der Alltagsrassismus nur so schleichend abnahm.“
Vom ORF-Moderator nach Barack Obama gefragt, erklärte Pelinka: „Sicherlich macht Obama Fehler, aber seine Gestaltungsmöglichkeiten sind begrenzt – das wird oft überschätzt.“ Die Gesundheitsreform sei von Pannen begleitet worden, die nicht nötig gewesen wären.
„Aber in Österreich könnten wir uns kaum vorstellen, dass ein Sohn eines afrikanischen Austauschstudenten Kanzler wird, in Deutschland wohl auch nicht“, sagte er. Das zeige die amerikanische Entwicklung in diesem Bereich.
Den NSA-Skandal sieht der Politologe auch als Folge des Schrecks am 11. September 2001. „Aber vor allem: Die Amerikaner können das, sie haben die Macht dazu.“ Auch Österreich würde in der Form Daten sammeln, wenn es dazu in der Lage wäre, ist er überzeugt. „Es ist nur eine Machtungleichheit, die ausgeglichen werden muss.“
Anton Pelinka: Wir sind alle Amerikaner – Der abgesagte Niedergang der USA, Braumüller Verlag, Wien, 2013, 192 Seiten, gebunden, 22,90 Euro, ISBN 978-3991000990
Für mich war die Buchmesse am Samstag schon vorbei, weil ich am Sonntag bereits im Zug nach Bielefeld saß. Deshalb bin ich noch ein letztes Mal durch die Gänge geschlendert, auch die Seitengänge selbstverständlich, habe nach Neuerscheinungen gesucht und bin auf das eine oder andere vielversprechende Buch gestoßen.
Mit fünf neuen Büchern und vielen interessanten Eindrücken fahre ich zurück nach Hause. Die letzte Zusammenfassung schreibe ich, wenn auch das offizielle Fazit der Veranstalter veröffentlicht worden ist.
Wien ist ohnehin eine Reise wert. Die Buchmesse aber hat mir nun auch österreichische Autoren nähergebracht, und ohne die „Buch Wien“ hätte ich vielleicht nie Nadine Kegele entdeckt. Ich komme wieder, so viel ist sicher.
Den zweiten Messetag der „Buch Wien“ habe ich überwiegend mit Schreiben verbracht. Erst am Abend besuchte ich eine Lesung im wunderschönen Buchladen-Café „phil“. Dort las Nadine Kegele, die Publikumspreisträgerin des diesjährigen Bachmann-Preis-Wettbewerbs, aus ihrem literarischen Debüt „Annalieder“. Eine wahrhaftige Entdeckung!
Die junge Vorarlberger Autorin kam mit 18 nach Wien und studierte nach dem Zweiten Bildungsweg Germanistik, Theaterwissenschaften und Gender Studies. Sie ist bereits mehrfach ausgezeichnet worden und hat vor ihrem Prosa-Debüt Texte in Anthologien und Zeitschriften veröffentlicht.
„Annalieder“ ist eine Sammlung von zwölf Erzählungen über zwölf Frauen, von denen Anna nur eine ist. Die österreichische Literaturwissenschaftlerin Daniela Strigl, die ins Werk einführte und die Lesung moderierte, sagte, es seien Lieder mit Misstönen, Geschichten, in denen Messer herumlägen und irgendwann auch benutzt werden.
Gespür für ihre eigene Sprache und ihr Sprechen
„Es geht darum, was Männer Frauen antun und was Eltern ihren Kindern antun“, erklärte Strigl. Kegele habe ein Gespür für Körper und ihre Sprache. „Das geht vom Stoffwechsel bis zum Sex.“ Kegele hat aber auch ein Gespür für ihre eigene Sprache und ihr Sprechen. Man möchte ihr den ganzen Abend zuhören, wie sie ihre Erzählungen vorliest, die den Kopf anstrengen, weil man zuhören muss.
Denn es gibt Sprünge, Überraschungen, Wendungen, die allzu rätselhaft bleiben, wenn man nicht aufpasst und aufmerksam hört oder liest. „Die Leserinnen und Leser fragen oft nach, ob sie es richtig verstanden haben, sie vergewissern sich bei mir“, sagte Kegele am Abend in Wien.
Im „phil“ stellte sie eineinhalb Erzählungen vor. In „Hinter Papa“, die sie nur zur Hälfte vorlas, sucht die Protagonistin nach dem richtigen Entwurf für ihr Leben, einem Plan, denn sie wählt sich stets nur Vaterfiguren zum Partner.
Die Worte wirken wie dahingeworfen
„Nachtheulen“ wiederum erzählt von einem Geschlechtertausch ohne Happy End und einer Vergewaltigung, die keine ist. Kegele schreibt in einer lapidaren Sprache. Die Worte wirken wie dahingeworfen, wie zwischen Tür und Angel erzählt, und doch mit Bedacht gewählt. Beeindruckend.
„Ich sehe die Frauen in meinen Erzählungen nicht als Opfer, sondern ich interessiere mich für ihre Gefangenheiten“, sagte sie. Gefangen, ja, das sind sie. Und sie versuchen aus ihren Rollen auszubrechen, in denen sie stecken oder in die sie gesteckt worden sind.
Es geht um Gleichberechtigung und den Geschlechterkampf. Oft auch um die Mutterschaft, um überforderte Mütter. „Mir tut es immer leid, wenn sichtlich schwangere Frauen im Publikum sitzen und ich diese Geschichten vortrage“, erklärte sie. Aber eine Mutterschaft sei etwas Schwieriges, wo Frauen viel abverlangt werde.
„Ich bin Ja und Nein“
In „Annalieder“ findet sich aber auch eine Geschichte über eine Prostituierte, die der illegalen Sexarbeit zu Hause nachgeht und „ökonomisch am Boden und allein“ ist. Im Rahmen der Debatte um ein Prostitutionsverbot ist die Erzählung hochaktuell. Aber Kegele machte am Freitagabend deutlich, dass sie nicht klar für etwa eintrete: „Ich bin Ja und Nein, und ich bin nicht für das Verbot.“ Das sei nun auch nicht die Aufgabe von Literatur, fügte Strigl hinzu und schloss damit den Leseabend.
Die „Buch Wien“ am ersten Messetag.Rund 70 Programmpunkte bot die Internationale Buchmesse „Buch Wien“ am Donnerstag. Nachdem die sechste Ausgabe der Messe am Vorabend mit einer Rede der Büchner-Preisträgerin Sibylle Lewitscharoff eröffnet worden war, strömten am Donnerstagmorgen ab 9 Uhr die ersten Besucher in die Messehalle D.
Michael Stavarič liest aus seinem Roman „Königreich der Schatten“.Auf der Bühne des Radiosenders FM4 las Michael Stavarič, gebürtiger Tscheche und deutschsprachiger Autor, aus seinem im Spätsommer vorgelegten, skurrilen Roman „Königreich der Schatten“. Das Buch handelt von zwei Fleischerfamilien und ihren beiden Nachkommen, die sich durch Zufall kennenlernen.
Dabei geht es natürlich auch etwas blutiger zur Sache. Ob das Buch für Vegetarier geeignet ist, ist deshalb fraglich. Auf der „Buch Wien“ las Stavarič eine Szene vor, die auf der Internationalen Fleischereifachmesse in Leizig spielt. Dorthin verschlägt es Rosi Schmieg, eine der beiden Hauptpersonen des Romans. Rosi stammt aus Wien, ihr Großvater war bei der Wehrmacht, von Beruf Fleischhauer, und Rosi will das jetzt auch werden: Fleischhauerin.
Die Internationale Fleischereifachmesse klingt wie eine Satire auf die Buchmesse. Da werden die Schlachtmethoden der Mongolen vorgeführt, die „Miss Fleisch“ gewählt, Vorträge über „Die richtige Auslage von Wurstaufschnitt“ oder „Die Handschlachtung für Anfänger“ gehalten. Dazu wird die passende Anti-Rutschmatte verkauft. An Verkostungsständen versucht Rosi vom Fleisch der Tiere, die ein Leben lang nur Rotwein zu trinken bekommen haben.
Moderatorin lässt den Autor alleine sitzen
Bedauerlicherweise las Stavarič nur diese eine Szene vor. Obwohl es laut Programm eine Moderatorin geben sollte, kündigte die nur den Schriftsteller an und ließ ihn dann alleine sitzen. Der las aus seinem Buch, und das war’s dann. Keine Hintergrundinformationen, kein weiteres Gespräch über das Buch. Das ist ausgesprochen schade, stieß seine Lesung doch auf ein breites Interesse.
Die Internetseite zehnseiten.de hat auf ihrem YouTube-Kanal eine Lesung von Stavarič hochgeladen. Auch dort liest er die Messe-Szene vor. Das sorgt vielleicht für einen weiteren Einblick.
Michael Stavarič: Königreich der Schatten, C. H. Beck Verlag, München, 2013, 256 Seiten, gebunden, 19,95 Euro, ISBN 978-3406653896, Leseprobe
Austrofred in Aktion.Wenig später betrat einer der bekanntesten österreichischen Entertainer die Bühne des ORF: Austrofred. Wer eine Sehschwäche hat, könnte auch glauben, Freddie Mercury sei tatsächlich so unsterblich, wie er von Fans immer betitelt wird.
Doch tatsächlich war es „nur“ Franz Adrian Wenzl, in Österreich besser bekannt als Austrofred. Und er ähnelt nicht nur Freddie Mercury, er hält sich auch für den einzigen würdigen Imitator. In Deutschland würde man ihn vermutlich als Blödelbarden bezeichnen, in Österreich verkörpert er eine Kunstfigur, die zu Queen-Melodien österreichische Popmusik macht.
Damit ist Austrofred sehr erfolgreich. Aus „Under Pressure“ wird „Amadeus“, und aus der „Bohemian Rhapsody“ macht er kurzerhand ein Lied namens „Märchenprinz“. Die Texte seiner Austropop-Songs sind allerdings für Deutsche nur schwer zu verstehen. Eine Lesung von ihm ist aber allemal sehenswert.
„Erster richtiggehend literarischer Roman“
Auf der „Buch Wien“ stellte er nun sein neues Buch vor: „Hard on!“ Nach seiner Biographie „Alpenkönig und Menschenfreund“ und den beiden Nachfolgewerken „Ich rechne noch in Schilling“ und „Du kannst dir deine Zauberflöte in den Arsch schieben – Mein Briefwechsel mit Wolfgang Amadeus Mozart“ verspricht er seinen Lesern jetzt den „ersten richtiggehend literarischen Roman“.
In engen weißen Hosen, die das Gemächt wunderbar abzuzeichen vermochten, und quietschgelber Jacke um die Brust las er die ersten Seiten seines Werkes, das mit einem Konzert in der Türkei beginnt und in eine Fahrt mit dem Orient-Express in den österreichischen Kurort Bad Schallerbach übergeht.
„Das Buch ist so lustig, dass man aufpassen muss, nicht immer wieder angewidert zu sein. Verstehen Sie es bitte als Kompliment“, sagte der ORF-Moderator. Oder wie es die FAZ zum Erscheinen von „Ich rechne noch in Schilling“ einst schrieb: „Am Werk ist hier ein maliziöser Meister der österreichischen Eigenart, ausgesuchte Höflichkeiten mit bodenloser Gemeinheit zu verbinden. Brutal komisch.“
Erotische Szene im Orient-Express
Wahrt man zunächst noch Distanz ob des fragwürdigen Humors des Paradiesvogels, kann man sich später vor Lachen kaum halten, hat man sich erst einmal darauf eingelassen. Besonders die erotische Szene mit einer TV-Moderatorin im Orient-Express kam vorgelesen gar herrlich daher. Ob das Buch aber auch lesbar ist, ohne Austrofred vor dem geistigen Auge zu haben, ist fraglich. Ganz sicher ist jedoch: Hochtrabende Literatur ist das nicht, Freddie hin oder her.
Wer dennoch mehr über Austrofred wissen möchte, dem sei seine Homepage anempfohlen.
Austrofred: Hard on!, Czernin Verlag, Wien, 2013, 152 Seiten, broschiert, 16,90 Euro, ISBN 978-3707604627, Leseprobe
Eva Rossmann und Ö1-Moderator Wolfgang Popp.In Eva Rossmanns Kriminalroman „Männerfallen“, den sie am Donnerstagnachmittag zunächst auf der ORF-Bühne und später auch beim Krimiabend vorstellte, gerät ein Schriftsteller in die Fänge der Medienpolitik. Zuvor war ihm mit seinem Buch „Sei ein Mann!“ ein Weltbestseller gelungen. Eine Wiener Studentin bringt den Stein ins Rollen, als sie behauptet, der Autor habe versucht, sie zu vergewaltigen. Wenig später ist die junge Frau verschwunden.
Die Journalistin Mira Valensky ermittelt in „Männerfallen“ bereits zum 15. Mal. Ihre Erfinderin heißt Eva Rossmann und ist Drehbuchautorin, Feministin, ehemalige Journalistin und seit 1994 freie Autorin und Publizistin. In ihrem neusten Krimi thematisiert sie den Geschlechterkampf: „Das beschäftigt mich schon lange. Auch als Journalistin habe ich mich gefragt, ob Frauen und Männer nur auf ihr Geschlecht reduziert werden, oder ob sie tun können, was sie wollen.“
In die Buchrecherche sei auch der Fall von Dominique Strauss-Kahn eingeflossen, dem ebenfalls eine versuchte Vergewaltigung vorgeworfen worden war. Die Strafanklage gegen ihn wurde später fallengelassen. „Unter uns gesagt: Der Strauss-Kahn ist ein alter Depp, aber bei solchen Promis ist das eine geile Mediensensation, bei der es nicht mehr darum geht, wer das Opfer und wer der Täter ist“, erklärte Rossmann.
Ein Medienhype-Produkt
Die Hauptperson in ihrem Krimi, Thomas Pauer, sei ein Medienhype-Produkt, der perfekt zu seinem Buch und seinen Absurditäten passe. „Das Schlimme ist, dass auch Frauen auf so etwas immer wieder reinfallen.“
Rossmann kann es auch nicht verstehen, dass „Shades of grey“ einen solchen Medienhype verursacht hat: „Das ist nicht nur unfassbar schlecht geschrieben, sondern die Story ist auch noch dünn! Und Millionen lesen das!“ Bei einem Literaturfestival auf Sardinien sei sie mit der US-amerikanischen Schriftstellerin Tess Gerritsen ins Gespräch gekommen. „Wir haben uns beide gewundert, wie es kommt, dass jetzt plötzlich ein solches Frauen- und Männerbild so stark verkauft wird.“
„Männerfallen“ sei im übrigen kein Hardcore-Feministinnen-Roman, obwohl ihm das bereits vorgeworfen worden sei. Sie wolle ihre Leser nicht mit dem erhobenen Zeigefinger belehren, beteuert die bekennende Feministin. „Das passt auch nicht zu einem Krimi“, erklärte sie. Vielmehr sollten die Leser selbst überlegen, welchen Standpunkt sie zu dem Thema vertreten.
Das werde auch beim nächsten Roman so sein. Dort soll es um die EU-Finanz- und Wirtschaftskrise gehen, verriet die Autorin. Schauplätze seien Zypern, Brüssel und das Weinviertel, wo Rossmann lebt.
Eva Rossmann: Männerfallen, Folio Verlag, Wien, 2013, 288 Seiten, gebunden, 19,90 Euro, ISBN 978-3852566290
Am Abend schließlich las noch Clemens Meyer aus seinem Erfolgsroman „Im Stein“. Den Bericht dazu lesen Sie hier.
Am Donnerstagabend las der Leipziger Kult-Autor Clemens Meyer in Wien aus seinem gefeierten Roman „Im Stein“, den er selbst als „Lebensstoff“ bezeichnet. Dabei zeigte er sich nicht nur als offener und sympathischer Interviewpartner, sondern auch als ernsthafter Vorleser des eigenen Stoffes.
„Sexualität ist wie ein Überraschungsei, nur dass es nicht ganz so gut schmeckt am Ende“, sagt Clemens Meyer in Wien. Sein Roman offenbart das Rotlichtmilieu in all seinen Facetten. „Kaum jemand unter den Schriftstellern seiner Generation weiß so viel wie Clemens Meyer“, schreibt Ina Hartwig in der Süddeutschen Zeitung. Die Feuilletonisten überschlagen sich, begeisterte Synonyme für diesen Roman, dieses Panoptikum und Sittenbild zu finden.
Der Roman erzählt nicht linear, sondern ist voller Zeitsprünge. „Mein Roman ist schwierige Literatur, auch für den Leser nicht leicht“, hat er Gerrit Bartels vom Tagesspiegel in einem lesenswerten Interview gesagt. Meyer ist ein Kunstschaffender, ein Suchender. Und er hat ein surreales Epos geschrieben, das schonungslos und dennoch mit Herz von der Subkultur der käuflichen Liebe erzählt, von Gewalt und Konkurrenz, aber auch vom Geld, das mit der Prostitution verdient wird.
Das „steinere Geschäft“ der Baulöwen
Eine Vielzahl von Gründen haben zum Titel des Buches geführt, erklärt Meyer in Wien. Zum einen versinnbildliche der Stein diese unbekannte Großstadt, in der der Roman angesiedelt ist. Rund 600.000 Einwohner seien in einem Hybrid aus Halle/Saale und Leipzig gefangen. Der „Schweinehans“ lebt teilweise in Katakomben, eine andere Figur im Krematorium. „Es ist auch der archäologische Blick – wir leben ja auch alle auf früheren Städten, und vielleicht werden auch wir irgendwann eine Schicht unter einer Stadt sein.“ „Im Stein“ meine aber auch das „steinere Geschäft“ der Baulöwen und Wohnungsvermieter.
„Wir leben in einer Zeit, in der die Gier nach dem Geld üblich ist, aber in diesem Bereich kommt plötzlich die Moral ins Spiel“, erklärt er. Das fände er interessant. Es gehe um Körper, um das Körperliche an sich, das sich zu Geld machen lasse. „So wie Badelatschen, und doch sind es keine. Ich dachte, hier kannst du mit Sprache, mit Struktur etwas zeigen, die Welt, in der wir leben.“ Auch die Geschleusten, die Geschleppten kommen im Roman vor. Clemens Meyer formuliert es so: „Die Stimmen der Frauen füllen den Stein.“
Reale Vorbilder für die Figuren gibt es indes nicht. „Es gab aber im Jahr 1998 einen Zündfunken.“ Ein Zeitungsartikel über einen Rotlichtboss in Leipzig, dem beide Beine weggeschossen worden sind. „Da habe ich gedacht: Das ist ein interessanter Fall – wenn der das überlebt und zurückkommt, ist der stärker als zuvor, ein König, fast schon von shakespeareschen Ausmaßen.“ Und trotzdem sei er nicht der Rotlichtboss seines Romans geworden. „Der würde mich auch verklagen“, sagt er und lacht. „Nein, er ist es nicht. Er hat das Buch auch gelesen und gemerkt, dass er das nicht ist.“
„Man muss viel zuhören können“
Seit 1998 hat Meyer an seinem Roman gearbeitet. Da war er Anfang 20, und der Roman trug noch den Arbeitstitel „Das Hurenhaus“. Er traf sich mit Leuten, sprach mit Frauen aus dem Gewerbe und hörte vor allem viel zu. „Man muss viel zuhören können“, wiederholt er. Erst im Jahr 2008 begann er mit dem Schreiben. „Zwischendurch habe ich dann „Gewalten“ geschrieben, weil ich mit dem „Stein“ nicht weiterkam.“
Als er am „Stein“ schrieb, war der Schreibtisch mit Notizen bedeckt, Zeitungsausschnitte und Bücher stapelten sich, rundherum standen Pinnwände. Jetzt hat er wie in einem Akt der Loslösung und der Trennung von seinen Romanfiguren alle seine Notizen und Bücher vernichtet. „Ich habe alles weggeworfen – in so eine Aschetonne und musste sogar mehrfach draufspringen“, erzählt er dem Publikum in der Wiener Hauptbücherei. Er habe sogar die Bücher weggeworfen, solche von Sexarbeiterinnen und Bordellkönigen. Milieuliteratur.
Nur zwei Bücher hat er aufgehoben: „Im Strich“, ein Buch, das in Wien spielt und „gar nicht leicht zu kriegen“ war sowie ein Callgirlführer aus München vom Anfang der 70er Jahre. „Das ist sehr schön, dieses Buch, das hat eine ganz eigene Philosophie, und früher konnte ich die Sprüche daraus auswendig.“ Außerdem habe er natürlich den „Zündfunken“ aufgehoben, den Zeitungsausschnitt, mit dem alles begann.
Jetlag in Tokio mit Whisky bekämpft
Meyer ist einer jener Schriftsteller, die an den Schauplätzen ihrer Romane gewesen sein müssen, sofern sie nicht völlig der Phantasie entspringen. Deshalb flog er 2002 nach Tokio. Er habe versucht, den Jetlag mit Whisky zu bekämpfen. „Aber der kam zurück und schlug mich wieder mehrere Stunden zurück – vielleicht hätte ich so viel trinken müssen, dass ich da angekommen wäre, wo ich herkam.“ Er lacht.
Als die Moderatorin und Standard-Kulturchefin Andrea Schurian erklärt, Meyer würden schriftstellerische Vorbilder wie Daniel Woodrell unterstellt, sagt der: „Wer? Den kenn‘ ich gar nicht.“ Uwe Johnson, Alfred Döblin, Hubert Fichte oder Wolfgang Hilbig, die hätten ihn beeindruckt. Und dann: „Wie hieß der Amerikaner?“ „Woodrell.“ „Kenn ich gar nicht!“ Er klappt sein Leseexemplar auf und notiert sich den Namen.
Seinem Lieblingsbuch von Fichte hat Meyer in seinem Roman ein kleines Denkmal gesetzt: „Ecki geht über den Naschmarkt: Der Tote Eisenbahner ist genau null Komma neun Kilometer vom Naschmarkt entfernt“, heißt es da. Bei Fichtes „Die Palette“ geht Jäcki über den Gänsemarkt. Es ist eine Huldigung an Meyers Vorbild. Und es ist einer der drei Teile des Romans, die Meyer in Wien seinem Publikum vorliest.
„Dann las ich das und dachte: Mensch, das ist ja gut!“
„Letztens habe ich ein Kapitel in meinem Buch entdeckt“, fängt er später wieder an zu erzählen. Das Publikum lacht und Meyer merkt, wie seltsam das klingt. „Ich saß in Greifswald bei einer Lesung, und der Moderator sagte, er wollte die Tokio-Szene hören.“ Da habe er erstmal suchen müssen in seinem 560 Seiten starken Buch. „Dann las ich das und dachte: Mensch, das ist ja gut!“ Man nimmt sie ihm ab, diese bescheidene Überraschung über die eigene Sprachgewalt und Kunstfertigkeit.
„15 Jahre habe ich an diesem Roman gearbeitet, es war einer meiner Lebensstoffe, das nächste Buch auch, obwohl das Thema schwieriger ist.“ Kroatisch müsse er nächstes Jahr lernen, so wie er für den „Stein“ habe BWL lernen müssen, weil eine seiner Figuren BWL studiert habe. Der neue Roman, so viel verrät er schon, werde in Kroatien spielen, an den alten Winnetou-Film-Schauplätzen und im Krieg der 90er. „Es gibt ein Kino zwischen den Fronten, das immer diese alten Filme zeigt – was man daraus machen kann, weiß ich aber noch nicht.“
Meyers erster Roman „Als wir träumten“ wird in der Zukunft auf deutschen Kinoleinwänden zu sehen sein. Regisseur Andreas Dresen („Halt auf freier Strecke“) verfilmt den Stoff derzeit, das Drehbuch stammt von Wolfgang Kohlhaase („Die Stille nach dem Schuss“). In Wien erzählt Meyer, dass er gerade erst am Set gewesen sei und seinen Hitchcock-Auftritt gehabt habe: „Ich habe einen Polizisten gespielt und meine Rolle sehr ernst genommen.“ Aber es sei schon seltsam, die Figuren seines Romans in Fleisch und Blut verkörpert zu sehen.
Bei Verfilmung am Drehbuch mitschreiben
Er habe auch schon darüber nachgedacht, „Im Stein“ verfilmen zu lassen. „Es gab eine Anfrage von einer Produktionsfirma, die eine Art amerikanische Serie daraus machen wollte.“ In jedem Fall wolle er aber bei dieser Verfilmung am Drehbuch mitschreiben, das sei ihm sehr wichtig.
„Aber jetzt ist erstmal das Buch da, das war auch schon schwierig genug. Und manchmal kann man sein Buch schon nicht mehr sehen“, sagt er und liest trotzdem noch eine Szene vor.
Der 1977 geborene Clemens Meyer ist bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden. Mitte November wurde bekannt, dass er für seinen neuen Roman am 27. Januar mit dem Bremer Literaturpreis 2014 ausgezeichnet wird. In diesem Jahr war er auch für den Deutschen Buchpreis nominiert, den Preis aber bekam Terézia Mora für ihren Roman „Das Ungeheuer“.
Die nächsten Lese-Termine von Clemens Meyer und weitere Informationen sind auf seiner Autoren-Homepage abrufbar. Eine Lesung von ihm ist in jedem Fall empfehlenswert. Nicht nur in Wien.
Clemens Meyer: Im Stein, Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2013, 560 Seiten, gebunden, 22,99 Euro, mit Lesebändchen, ISBN 978-3100486028, Leseprobe