Buch Wien: Adolf Muschg verfehlt das Thema und Judith Holofernes hat jetzt was mit Tieren

Adolf Muschg bei seiner Eröffnungsrede zur Buch Wien 2015. © Christian Lund
Adolf Muschg bei seiner Eröffnungsrede zur Buch Wien 2015. © Christian Lund
Die achte internationale Buchmesse „Buch Wien“ ist eröffnet. Am Mittwochabend trat der Schweizer Schriftsteller Adolf Muschg eine schwere Nachfolge an, als er seine Version einer Eröffnungsrede zum Thema „Die Zukunft des Lesens“ hielt. In den beiden Vorjahren hatten die deutsche Autorin und Georg-Büchner-Preisträgerin Sibylle Lewitscharoff sowie die deutsche Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller lobenswerte Vorträge gehalten.

Diese Fußstapfen waren aber wohl doch zu groß für den 81-jährigen Zürcher und Büchner-Preisträger. Er versuchte es mit intellektuellen Sätzen, schrammte aber mit Wucht am Thema vorbei. Statt von der Zukunft des Lesens zu sprechen, fabulierte er über den Zustand desselben („Lesen, das heißt in fast jedem Fall digital.“). Und als die Worte fehlten, das Gewünschte zu umschreiben, half schließlich das eigene Werk, das er schon vor beinahe zwanzig Jahren verfasste und aus dem er nun zitierte („Der Rote Ritter: Eine Geschichte von Parzival“). Eine originelle Eröffnungsrede, von der man noch im nächsten Jahr sprechen wollen wird, war das nicht. Allenfalls das Zitat aus einem Brief von Franz Kafka an dessen Schulfreund Oskar Pollak war erhellend in Muschgs Vortrag:

„Ich glaube, man sollte überhaupt nur solche Bücher lesen, die einen beißen und stechen. Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch? Damit es uns glücklich macht, wie Du schreibst? Mein Gott, glücklich wären wir eben auch, wenn wir keine Bücher hätten, und solche Bücher, die uns glücklich machen, könnten wir zur Not selber schreiben. Wir brauchen aber die Bücher, die auf uns wirken wie ein Unglück, das uns sehr schmerzt, wie der Tod eines, den wir lieber hatten als uns, wie wenn wir in Wälder vorstoßen würden, von allen Menschen weg, wie ein Selbstmord, ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.“

Bücher und Bildung sind wichtig für die Integration

Zuvor hatte Benedikt Föger, Präsident des österreichischen Buchhandels-Hauptverbands, den Schwerpunkt der diesjährigen Buchmesse genannt: Die Verständigung zwischen den Kulturen oder, so das Motto der Buch Wien 2015, „Literatur ist grenzenlos“. Bücher und Bildung seien wichtig für die Integration, insbesondere in diesen Zeiten, da Flüchtlinge ins westliche Europa kämen, um in ihrer Not Zuflucht zu suchen. Bücher und Literatur könnten hier „einen zentralen Beitrag leisten“ und der „Fels in der Brandung und der Leuchtturm zur Orientierung“ sein, erklärte Föger.

Die schottische Krimi-Autorin Val McDermid (l.) liest aus ihrem neuen Roman, Peter Faerber (r.) liest die deutschen Texte, Florian Scheuba (2.v.r.) moderierte. © Christian Lund
Die schottische Krimi-Autorin Val McDermid (l.) liest aus ihrem neuen Roman, Peter Faerber (r.) liest die deutschen Texte, Florian Scheuba (2.v.r.) moderierte. © Christian Lund
Nach der Eröffnungsrede fand zum zweiten Mal die „Lange Nacht der Bücher“ statt, die im vergangenen Jahr einen fulminanten Auftakt erlebt hatte. Mehr als vier Stunden gaben sich die Autoren auf den verschiedenen Bühnen in der Messehalle die Mikrofone in die Hand, um aus ihren aktuellen Werken vorzulesen. Darunter waren die schottische Krimi-Bestsellerautorin Val McDermid, Ex-„Wir sind Helden“-Sängerin Judith Holofernes und der deutsch-österreichische Kabarettist Dirk Stermann. Auf den Brettern des Jugendkulturradiosenders FM4 lieferten sich derweil Poetry-Slammer wortgewaltige Wettkämpfe um die Gunst der Zuhörer. Der zeitweilig alle anderen Veranstaltungen erreichende Beifall des Publikums machte deutlich: Poetry Slam fristet als Literatur- und Kunstform auch in Österreich kein Nischendasein mehr, sondern ist in der Akzeptanz der breiten Masse angekommen.

Neben den Poetry Slammern war es wohl Judith Holofernes, die in dieser „Langen Nacht der Bücher“ den meisten Zulauf hatte. Im Oktober hat sie im Klett-Cotta-Verlag ihr erstes Buch mit Tiergedichten herausgegeben, illustriert von der österreichischen Illustratorin und Malerin Vanessa Karré, die wie Holofernes in Berlin lebt. „Du bellst vor dem falschen Baum“ heißt das Werk (Buch-Trailer des Verlags) und wird von der Literaturkritik geliebt und gehasst. „Ein großartiger Quatsch“ meint Wolfgang Höbel im Literatur Spiegel (November 2015), „tierisch gut“ findet Britta Heidemann von der WAZ (3. November 2015), Stefan Gmünder vom Standard ist vor allem von den Illustrationen überzeugt: „Das Problem des Bandes besteht aber nun darin, dass er auch Texte hat.“

Über die Hoden eines Oktopus

Ex-"Wir sind Helden"-Frontfrau Judith Holofernes im Gespräch mit Florian Scheuba. © Christian Lund
Ex-„Wir sind Helden“-Frontfrau Judith Holofernes im Gespräch mit Florian Scheuba. © Christian Lund
Holofernes gibt am Mittwochabend offen zu, dass die ersten zehn Gedichte für die Lyriksammlung eher albern waren. Dann habe sich die Illustratorin aber ernstere Gedichte gewünscht, und so habe sie also ernsthaftere Zeilen verfasst. Und als Karré unbedingt einen Oktopus habe malen wollen, hätte sie schließlich auch über einen Oktopus geschrieben, genauer über die Hoden eines Oktopus. „Mittlerweile weiß ich, dass der Oktopus seine Hoden auf dem Kopf trägt“, sagt Holofernes lachend und sorgt mit Moderator Florian Scheuba für einen kurzweiligen Ausflug in die Welt der Hoden. „Zoologisches Wissen habe ich nicht wirklich“, erklärt Holofernes. Aber gerade das sei in ihrer Art der Lyrik auch nicht so wichtig.

Sie liest natürlich ein paar ihrer Gedichte vor, obgleich sie seit dem Morgen etwas indisponiert ist, als sie sich auf die Zunge gebissen hat. Doch das Lesen gelingt ohne Lispeln und trotz Zungenbrecher-Qualitäten ohne einen solchen. Ja, man kann es ahnen, dass ihre Gedichte Befremden auslösen. Manch einen erinnern sie vielleicht an Helge Schneiders „Vogelhochzeit“, andere könnten argwöhnen, sie ahme einfach nur den großen Robert Gernhardt nach. „Es ist schwer, den Leuten zu erklären, warum ich Tiergedichte schreibe. Vielleicht ist die Antwort: Weil ich es kann“, sagt Holofernes selbstbewusst. Als Kind sei sie mit bis zu sieben Tieren aufgewachsen, darunter ein Papagei, der immer nur Hallo sagte, und ein Beo, der dagegen sehr gesprächig war und Dinge wie „Na, du alte Sau“ sagen konnte.

„Als ich mit den ‚Helden‘ aufgehört habe, wollte ich nicht in die nächste Identifikation geraten, sondern das Leben herstellen, in dem ich konsequent schreibe“, erklärte die 36-Jährige. So sei auch die Soloplatte („Ein leichtes Schwert“) zustande gekommen. Dass Holofernes schon länger Tiergedichte schreibt, wissen vor allem ihre Fans und eifrigen Besucher ihres Blogs. Inzwischen sei sie schon wieder tief im Songschreiben, verriet sie. „Ich könnte mir aber auch vorstellen, noch einmal ein Buch zu schreiben.“

Judith Holofernes: Du bellst vor dem falschen Baum, Tropen Verlag, Stuttgart, 2015, 104 Seiten, gebunden, 17,95 Euro, ISBN 978-3608501520

Die Buchmesse in Wien hat in diesem Jahr etwas verhalten begonnen – kein Vergleich zum Jahr 2013, als dieser Blog zum ersten Mal von der Buch Wien berichtet hat. Noch bis Sonntagabend werden bei der Buch Wien auf rund 8.800 Quadratmetern die Neuerscheinungen dieses Herbstes präsentiert.

Leipziger Buchmesse 2013: Hohlbein, Hirata, Goebel und Litpop

Besucherandrang am Samstag bei der Leipziger Buchmesse 2013
Besucherandrang am Samstag bei der Leipziger Buchmesse 2013
Der Samstag ist üblicherweise der erste offizielle Publikumstag der Leipziger Buchmesse. Und so strömten auch an diesem Samstag Tausende von Besuchern in die Glashalle und die Ausstellungshallen. Dazwischen tummelten sich mehrere hundert Cosplayer in ihren Kostümen, verkleidet als Figuren aus japanischen Mangas, Fernsehserien oder Computerspielen. Allein für diesen Tag hatte das Messe-Programmheft Veranstaltungen auf mehr als 80 Seiten zu bieten. Entsprechend eng war es nicht nur in den Hallen selbst, sondern vor allem in den Zugängen, die teilweise nur noch in eine Richtung geöffnet waren.

Autogrammstunde von Wolfgang Hohlbein
Autogrammstunde von Wolfgang Hohlbein
Signierbereich der Halle 2: Wer immer hier ein Autogramm des wohl bekanntesten deutschen Fantasy- und Science-Fiction-Autors Wolfgang Hohlbein ergattern wollte, musste sich am Vormittag auf lange Wartezeiten einstellen. Hohlbein signierte dort seinen neuen Roman „Pestmond“ aus der „Chronik der Unsterblichen“, einer preisgekrönten Buchreihe, die von einem Vampir und seinem Gefährten handelt, die auf der Suche nach ihrer Herkunft durch Europa streifen. „Pestmond“ ist der 14. Teil dieses Zyklus‘ und ist Mitte Februar im Egmont Lyx Verlag erschienen.

Wolfgang Hohlbein: Pestmond, Egmont Lyx Verlag, Köln, 2013, 544 Seiten, gebunden, 19,99 Euro, ISBN 978-3802588402

Andrea Hirata (r.) signiert seinen Roman "Die Regenbogentruppe"
Andrea Hirata (r.) signiert seinen Roman „Die Regenbogentruppe“
Auf der „Ausgezeichnet!“-Lesebühne in der Glashalle war derweil Andrea Hirata zu Gast. Der indonesische Autor las aus seinem Erfolgsroman „Die Regenbogentruppe“, der im Januar 2013 im Hanser Berlin Verlag erschienen ist, und stellte sich den Fragen der Lektorin und Verlegerin Elisabeth Ruge. Sein autobiographischer Roman spielt auf der kleinen indonesischen Insel Belitung, die so klein ist, dass sie in manchen Kartenwerken gar nicht verzeichnet ist.

Die „Regenbogentruppe“ ist eine Gruppe von zehn Schülerinnen und Schülern, die zum ersten Mal seit Generationen eine Schule besuchen und für ihre Bildung keine Mühen scheuen. Zuvor war ihnen der Besuch der Schulen stets verwehrt worden, zu arm seien die Alteingesessenen, um auf die Schulen der Reichen gehen zu können, hatten die holländischen Kolonialherren einst gesagt. Das hielt sich von Generation zu Generation. Bis heute: Da kommt ein 15-jähriges Mädchen daher, das alles verändert – es überzeugt einige Eltern davon, ihre Kinder zur Schule zu schicken. Und das ist der Beginn der „Regenbogentruppe“. Der Roman wurde 2008 in Indonesien verfilmt und in 25 Sprachen übersetzt. Er machte Hirata zum meistgelesenen Schriftsteller Indonesiens. Anfang März 2013 ist Hirata für seinen Roman in Berlin mit dem „ITB Book Award“ ausgezeichnet worden.

Andrea Hirata: Die Regenbogentruppe, Hanser Berlin Verlag, Berlin, 2013, 272 Seiten, gebunden, 19,90 Euro, ISBN 978-3446241466

Aus den Staaten war der US-amerikanische Schriftsteller Joey Goebel in Leizig zu Besuch, um sein neues Buch „Ich gegen Osborne“ vorzustellen, das im Februar 2013 im Diogenes Verlag erschienen ist. Bei der englischsprachigen Lesung im Literaturforum vermittelte er einen ersten Eindruck seines neuen Helden James Weinbach. Der Protagonist sei ein ausgesprochener „Vintage-Typ“, sagte Goebel. Er trägt Anzug, sieht gerne Schwarz-weiß-Filme, hört Jazz und kann seine sexbesessenen, auf Coolness und vermeintliche Individualität setzenden Mitschüler nicht ausstehen. Bis auf eine, die anders ist: Chloe. James ist schwer verliebt, muss aber am ersten Tag nach den Ferien erkennen: Chloe ist anders geworden. Oder vielmehr: Gleich. Gleich – wie ihre Mitschüler. Da sagt James ihnen den Kampf an: „Ich gegen Osborne“.

Der Roman umfasst einen ganzen Tag an der Osborne-Highschool. Und dank James Weinbach wird es ein turbulenter Tag. Nach dem ersten Eindruck sehr lesenswert, nicht nur der Kampf eines Schülers, sondern vor allem auch die Kritik seines Autors an der amerikanischen Spaßgesellschaft.

Joey Goebel: Ich gegen Osborne, Diogenes Verlag, Zürich, 2013, 430 Seiten, gebunden, 22,90 Euro, ISBN 978-3257068535

Am Abend dann stieg im Neuen Rathaus die LitPop, seit sechs Jahren die Messe-Party, auf der Literatur und Pop zusammenfinden. Mehr als 20 Lesungen im Ratsplenarsaal, im Festsaal und im Stadtverordnetensaal sowie Konzerte und Disco in der altehrwürdigen Wandelhalle, das alles ist die LitPop. Rund 3.000 Menschen feierten bis tief in die Nacht und sahen zuvor Lesungen von Florentine Joop, Stephan Ludwig (in Begleitung des großartigen David Nathan), Inger-Maria Mahlke, Jürgen Roth, Wigald Boning, Frank Spilker oder Jorge Gonzalez sowie Konzerte von Laing, Leslie Clio oder Terribly Overrated Youngsters.

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