Totgesagte leben länger

The Beat Goes OnIhr Rocker, Ihr Popper! Ihr Musikfetischisten da draußen! Aufgemerkt – dies ist Euer Buch, Euer Kalender und täglicher Begleiter im Jahr 2014: „The Beat Goes On“. Ihr meint, Sonny & Cher können Euch gestohlen bleiben? Aber niemals dieses Buch: Das „Kalendarium toter Musiker“ erinnert kongenial an 1.962 verstorbene Musiker. Und das Ganze ist auch noch herrlich anzuschauen.

Heutzutage notieren viele Menschen ihre Termine in ihrem Smartphone oder Internet-Kalender, damit sie weltweit darauf Zugriff haben und gar elektronisch an Omas Geburtstag oder den Hochzeitstag erinnert werden können. All jene, die noch Taschenkalender führen, werden dagegen jedes Jahr ab Juli mit einer Fülle von neuen Schrecklichkeiten zum Kauf angeregt, damit Tägliches vermerkt werden kann.

Zum siebten Mal aber gibt die Berliner Edition Observatör das „Kalendarium toter Musiker“ heraus und schafft damit erneut einen Kontrapunkt auf dem Markt der Taschenkalender. Bislang gelang ihr das jedoch nur für absolute Kenner. Doch jetzt konnte erstmalig Suhrkamp als Verleger für das Projekt gewonnen werden. Den Herausgebern ist zu wünschen, dass sie damit auch einem breiteren Publikum von Musikliebhabern und Vinylhörern bekannt werden.

Mit Liebe und Bedacht gefertigt

Äußerlich erinnert das Kalendarium mit seinem Leineneinband, dem Lesebändchen und den goldgeprägten Kreuzen auf dem Vorderdeckel eher an ein kirchliches Gesangbuch, wäre da nicht der kleine Grabstein auf der Rückseite. Das ist mit Liebe und Bedacht gefertigt. Im Vorwort erklären die Herausgeber die Spielregeln: Der Kalender solle als solcher benutzt werden, darüber hinaus sei er aber auch ein Nachschlagewerk. Aufgenommen werden nur Künstler, die nach 1945 gestorben sind. „Alles ist streng subjektiv, Kritik daher nutzlos.“ Wer will auch dieses Kleinod kritisieren? Und dann sehr deutlich: „Elvis ist der KING.“

Dass dem King of Rock’n’Roll derart und sogar in Versalien gehuldigt wird, wurde bereits in der ersten Ausgabe (2007) erklärt. Damals schrieb Stefan Hauser im Vorwort: „Nachdem wir zum dritten Mal in Folge den Todestag des KING vergessen hatten, reichte es meinem Freund Milan.“ Er machte sich mit den übrigen Herausgebern der Edition Observatör daran, all jene gestorbenen Musiker mitsamt ihren Todesursachen zu sammeln. Daraus entstand „The Beat Goes On“ (2008).

Und auch in der aktuellen Ausgabe sind wieder bekannte und weniger bekannte Musiker versammelt, die der Tod schon dahingerafft hat. Ihre Namen stehen als Fußnoten unter den freien Linien der Kalendertage. Isaak Hayes etwa, der am 10. August 2008 an einem Schlaganfall starb. Tot aufgefunden wurde er neben seinem Laufband. Oder aber der eher unbekanntere Monti Lüftner, der Whitney Houston entdeckte. Ihn erwischte es am 7. Mai 2009: Als er auf einem Recyclinghof Müll wegbrachte, wurde er von einem 18-Tonner überrollt. Oder auch Joseph Brooks, der „den meistverkauften Song der Siebziger geschrieben hatte“ („You light up my life“): Er wurde am 22. Mai 2011 mit einer Plastiktüte über dem Kopf tot aufgefunden. Zuvor war bekannt geworden, dass er jahrelang Frauen vergewaltigt hatte.

Sehr persönliche Rühmung

Die Herausgeber und Autoren sind eifrige Chronisten. Doch sie betätigen sich auch als Schreiber von Hommagen. Jeder Woche ist der „Death of the Week“ vorangestellt. Das mag zynisch klingen, ist aber in den meisten Fällen eine sehr persönliche Rühmung eines vom jeweiligen Autor sehr geschätzten Musikers. Jefferson Chase zum Beispiel widmet sich in der 18. Kalenderwoche sehr eindrucksvoll dem englischen Lead-Gitarristen Mick Ronson, den er „Archetyp eines Lead-Gitarristen“ nennt. Abschließend verweist er auf ein YouTube-Video, das Ronson mit der „Ian Hunter Band“ im Rockpalast zeigt. Dazu die Empfehlung: „Unbedingt ansehen bzw. anhören bzw. anbeten.“ Ja, es ist anbetungswürdig, in der Tat. Danke für diesen bereichernden Hinweis! *)

Dass manch einer recht unfreiwillig und teilweise kurios aus dem Leben geschieden ist, zeigt dieses Werk auch. Die große Stärke dieses Buches ist, dass die Autoren stets respektvoll bleiben, so hanebüchen die Todesursache auch ist. Im Anhang gibt es nicht nur eine famos-morbide Statistik (an Krebs sterben die meisten, aber auch 34 werden erschossen, zwei überleben das Russische Roulette nicht, einer fällt von einer Brücke und wird vom Verkehr überrollt), sondern auch eine Aufzählung der musikalischen Lieblingsmordszenen der Redaktion und eine Auflistung der redaktionellen Inspirations- und Arbeitsquellen.

Das „The Beat Goes On“-Jahr 2014 beginnt schon am 30. Dezember. Lassen Sie sich darauf ein und folgen Sie den Empfehlungen der Redakteure. Dieses Buch lässt Sie nicht nur in Erinnerungen an Ihre eigenen musikalische Helden schwelgen, sondern auch neue entdecken. Sonny & Cher können Ihnen trotzdem gestohlen bleiben. Sonny ist ohnehin schon tot. Woran er starb? Lesen Sie das „Kalendarium toter Musiker“.

Edition Observatör (Hg.): The Beat Goes On – Kalendarium toter Musiker für das Jahr 2014, Suhrkamp Verlag, 2013, 496 Seiten, gebunden, Leinenband mit Goldprägung, abgerundeten Ecken und Lesebändchen, 14,95 Euro, ISBN 978-3518464564 (Einblicke ins Buch)

*) Diese Rezension wäre so nicht geschrieben worden, hätte Jefferson Chase nicht auf das YouTube-Video „Ian Hunter Band feat. Mick Ronson“ hingewiesen. Vielen Dank!

Komm heim, Kind

Als in einem Heim für schwer erziehbare Mädchen die junge Miranda und ihre Erzieherin Elisabeth brutal erschlagen aufgefunden werden, der Neuzugang Vicky aber, blutige Spuren am Fenster hinterlassend, offensichtlich geflüchtet ist, steht für die Polizei die Schuldfrage schnell fest. Es gilt nur noch, die Flüchtende zu stellen, dann scheint der Fall gelöst. Doch so einfach ist das nicht – das ahnt auch der eigenwillige Kommissar Joona Linna, der von der Stockholmer Landespolizei als Beobachter in die schwedische Provinz nach Sundsvall geschickt worden ist.

„Flammenkinder“ ist der dritte Fall des Ermittlers Joona Linna und gleichzeitig der dritte Kriminalroman des schwedischen Autorenpaars Alexandra und Alexander Ahndoril alias Lars Kepler. Die beiden verstehen ihr Handwerk und mischen die richtigen Essenzen zu einem typisch skandinavischen Krimi zusammen. Da wäre zum einen der Kommissar mit finnischen Wurzeln, ein starker Charakter, der an Kontur gewinnt. Nicht auf den ersten Blick sympathisch, aber derart unkonventionell und achtbar, dass der Leser bald mit ihm bangt und hofft. In manchen Gebaren erinnert er an Polonius Fischer, den von Friedrich Ani erdachten Ermittler bei der Münchener Mordkommission.

Zum anderen spielt die den skandinavischen Krimis eigene Brutalität eine erhebliche Rolle. Allzu zarte Gemüter sollten hier nicht zugreifen. Und letztlich sind es neben der zunächst undurchsichtigen Geschichte die sehr kurzen, meist kaum mehr als drei oder vier Seiten umfassenden Kapitel, die dem Buch die Rasanz geben, ohne dem Leser das Gefühl zu vermitteln, nichts zu sagen zu haben.

Gute Unterhaltung ohne Anspruch, mehr sein zu wollen

„Flammenkinder“ ist – ähnlich wie das Debüt „Der Hypnotiseur“ und der Nachfolger „Paganinis Fluch“ – keine literarische Sensation, sondern eher gute Unterhaltung ohne Anspruch, mehr sein zu wollen. Darin wiederum unterscheiden sich die Kriminalromane von Friedrich Ani und Lars Kepler.

Im Gegensatz zum „Hypnotiseur“ ist der dritte Band schwächer geraten. Vor allem psychologisch darf man ihn nicht zu sehr hinterfragen. Gleichwohl ist er packend erzählt und fasst Themen wie Jugendkriminalität und das Schicksal von Heimkindern auf. Allen Protagonisten ist eines gemein: Sie haben prägende Erfahrungen gemacht, schon bevor Miranda und Elisabeth zu Mordfällen wurden.

Was die Einbandgestaltung anbelangt, ist dem Verlag Bastei Lübbe ein Lob auszusprechen, scheint er doch die bisherige Farbgebung der Vorgänger als Wiedererkennungseffekt beizubehalten. Erwähnenswert ist mittlerweile leider auch, dass Bastei Lübbe die Bücher noch mit Lesebändchen versieht – daran könnten sich manch andere Verlage ein Beispiel nehmen.

Insgesamt kein Kriminalroman, der in diesem Jahr gelesen werden muss, aber zumindest einer von jenen, die gut unterhalten und nicht nur das Geld wert sind, das man für sie bezahlt, sondern auch den Platz im Bücherregal, den man für sie freiräumt, weil man glaubt, irgendwann wird man es wieder zur Hand nehmen. Oder Freunden für den Urlaub als Schmöker anempfehlen.

Lars Kepler: Flammenkinder, Bastei Lübbe Verlag, Köln, 2012, 621 Seiten, gebunden, mit Lesebändchen, 19,99 Euro, ISBN 978-3785724637

Aus der Zauber

Joanne K. Rowling ist mit ihren „Harry Potter“-Büchern zur Bestseller-Autorin geworden. In ihrem neuen Werk „Ein plötzlicher Todesfall“ aber, ausdrücklich ein Roman für Erwachsene, fehlt der Zauber. Stattdessen serviert die Autorin dem Leser eine klischeehafte, reißbrettartig geplante Sozialkritik, für die es keine 576 Seiten gebraucht hätte.

Die einzige sympathische Figur des Romans stirbt bereits auf Seite 11 – Barry Fairbrother. Er kippt auf dem Parkplatz des Golfclubs um und erliegt einem Aneurysma. Durch seinen Tod wird ein Platz im Gemeinderat frei, eine plötzliche Vakanz, „The casual vacany“, wie das Buch im Original heißt. Laut Klappentext ist das der „Nährboden für den größten Krieg, den die Stadt je erlebt hat“ – so lassen sich 576 Seiten schnell begründen.

Barry Fairbrother war – wie der Name schon sagt – die gute Seele des englischen Städtchens Pagford. Aufopferungsvoll kümmerte sich der Banker um die sozial Schwachen, insbesondere um das aufmüpfige Mädchen Krystal Weedon, die mit ihrer drogenabhängigen und zeitweise der Prostitution nachgehenden Mutter und ihrem kleinen Bruder in einer verwahrlosten Wohnung in der Sozialsiedlung Fields wohnt. Fairbrother unterstützte Krystal, holte sie in die Rudermannschaft der Schule und warb im Rat dafür, die Siedlung weiterhin in der Zuständigkeit Pagfords zu belassen. Diesem Plan aber standen und stehen einige andere Ratsmitglieder ablehnend gegenüber, weil die dort wohnende Unterschicht nicht in ihr Bild einer idyllischen, wohlhabenden Kleinstadt passt. Und so entbrennt mit Fairbrothers Tod nicht nur ein Kampf um den frei gewordenen Platz im Gemeinderat, sondern auch um das Für und Wider der Integration sozial Schwächerer.

Wie aus dem Synonymwörterbuch abgeschrieben

Die Sprache ist so einfach dahergeschrieben, wie sie schon beim Kinderbuch „Harry Potter“ funktionierte. Die anstößigen Begriffe, die dem neuen Roman den „Nur für Erwachsene“-Stempel aufdrücken sollen, klingen wie aus dem Synonymwörterbuch abgeschrieben und in den Text gewürfelt. Und von Literatur lässt sich hier nun wirklich nicht sprechen. Weniges mag auch der schnellen Übertragung ins Deutsche zugeschrieben werden, mussten die beiden Übersetzerinnen den Stoff doch in vier Wochen in einem geheimniskrämerischen Akt im Londoner Verlag Little Brown übersetzen.

Doch es ist wohl der Autorin geschuldet, dass sie die Unterschicht ganz klischeehaft fluchen und sich mit „dämliche scheiß Junkie-Bitch“ oder „verkackte blöde Fixerkuh“ beschimpfen lässt, während die Mittelschicht ganz andere Probleme hat. Da ist die Mutter, die sich heimlich die Boy-Band-Videos ihrer Tochter ansieht und von einer Sexnacht mit einem Jüngling träumt, und der stellvertretende Schulleiter, der offensichtlich pädophile Gedanken hegt. Da ist die Schülerin aus Indien, die gemobbt wird und sich ritzt, während ihr Vater so perfekt aussieht, dass er als Filmschauspieler arbeiten könnte. Und natürlich ist da auch noch Krystal, die nach Fairbrothers Tod in ein Milieu und ein Leben zurückfällt, in dem sie kaum noch Unterstützung erfährt.

Das allerdings versteht Rowling: Die Welt der Kinder und Jugendlichen zu beschreiben. Doch keiner dieser jungen Leute hat ein allzu herrliches Leben. Der erste Sex, nun gut, der ist sowieso meistens nicht herrlich, vor allem aber nicht in Pagford. Dort haben die Jugendlichen Sex hinter einer Hecke auf dem Friedhof oder an einem reißenden Fluss, während der kleine Bruder wenige Meter entfernt auf einer Bank sitzt und wartet. Ein Mädchen wird vergewaltigt, zwei Jungen regelmäßig von ihrem Vater vertrimmt. Das ist eine Welt, in der Kinder und Jugendliche heutzutage aufwachsen. Das ist weder lebensfern noch übertrieben. Und es sind die eindringlichsten Szenen des Romans. Das macht ihn deshalb aber noch nicht zu einem Stück Literatur.

Erinnert an einen russischen Roman

Vom Inhalt abgesehen hätte dem Buch ein Lesebändchen gut zu Gesicht gestanden. Eine Karte könnte dem Leser einen groben Überblick über Pagford bieten, schränkt aber auch die Phantasie ein, die ohnehin kaum Raum erhält. Letztlich hätte eine vorherige Auflistung der Personen das Werk komplettiert, erinnert es mit den weitverzweigten Beziehungs- und Verwandschaftsgraden und der Vielzahl der mitunter sogar ähnlich klingenden Namen an einen russischen Roman. Gut gelöst hat das etwa der Antje Kunstmann Verlag bei Paul Murrays lesenswertem Roman „Skippy stirbt“ – auf dem Lesezeichen hat man ein „Who is who“ stets parat, um die handelnden Personen auseinanderzuhalten.

Es bleibt zu hoffen, dass Joanne K. Rowling nicht bereits an einer Fortsetzung arbeitet und sich kein Regisseur an eine Verfilmung des Stoffes wagt. Dann darf die Zeit kommen, in der die „Harry Potter“-Schöpferin sich auf ihr Können besinnt und vielleicht wieder etwas Begeisterndes schafft.

Joanne K. Rowling: Ein plötzlicher Todesfall, Carlsen Verlag, Hamburg, 2012, 576 Seiten, gebunden, 24,90 Euro, ISBN 978-3551588883

Zwischen Porno und Poesie

Wer Jan Offs Roman „Unzucht“ nur als Porno und Masturbationsvorlage liest, versteht nicht, dass hier eine tragische Leidensgeschichte erzählt wird. Es wird gefickt und gevögelt, aber es ist ein Abarbeiten sexueller Phantasien, unterbrochen von Alkoholexzessen, nur um sich nicht eingestehen zu müssen, die Nähe eines anderen Menschen zu suchen.

Der Ich-Erzähler des Romans jobbt hier und da, versucht sich an der Schriftstellerei und schlägt sich ansonsten mit Drogen, wechselnden Sexbekanntschaften und Parties durch. Nach einer durchzechten Nacht in einem Club findet er zwei Bierdeckel in seiner Hosentasche. Darauf: Jeweils eine Telefonnummer, eine von Vera, eine ohne Namen. Er entscheidet sich dafür, die Namenlose anzurufen und landet nicht nur bei Tanja, sondern auch in ihrem Bett – der Beginn einer Sexbeziehung, die die Grenzen des Machbaren auslotet.

Es ist ein Buch der Vulgarität, denn hier schreibt kein Geringerer als Jan Off, der Punk-Literat der deutschen Poetry-Slam-Szene. Und deshalb ist es neben der Obszönität derart poetisch, dass es die Schubalde „Porno“ nicht verdient. Es ist reich an anstößigen Szenen, doch auch kunstvoll. Es ist voller ausschweifender, hemmungsloser Sexualität, doch auch zutiefst beklemmend. Und es ist das Zeitbild für eine sexualisierte Generation, eine ernste psychologische Studie. Und um jegliche Zweifel auszuräumen: Charlotte Roche ist von all dem meilenweit entfernt. Also: Heranwagen und lesen. Es lohnt sich.

Jan Off: Unzucht, Ventil Verlag, Mainz, 2009, 169 Seiten, Taschenbuch, 11,90 Euro, ISBN 978-3931555634

Gespiele am College

Als James sein Studium in Oxford beginnt, ist er gewillt, die guten Ratschläge seiner Schwester zu beherzigen: Hart zu arbeiten, Clubs beizutreten und – sich vor allem mit den richtigen Leuten anzufreunden. Doch in seinem Studienfach Physik ist James unter all den Überfliegern nur noch Mittelmaß. Voller Neid sieht James, wie diese Überflieger nicht nur die guten Noten abräumen, sondern auch all die gutaussehenden Frauen an der Elite-Uni. Bis, ja, bis Jess in sein Leben tritt – und James zu weinen beginnt, weil sie auf Anhieb weiß, wer er ist.

Jess gehört zu jenem erlauchten Kreis der Gutsituierten rund um den lässigen Mark, der noch mehr Geld besitzt als sie alle zusammen. Und obwohl James es nicht mag, von Mark als Jess‘ „Gespiele“ bezeichnet zu werden, dauert es nicht lange, bis er dem Zauber des Reichtums seiner neuen Freunde erliegt, erst recht als Mark sie alle einlädt, in seinem alten Herrensitz in Oxford einzuziehen. Es beginnt ein ausschweifendes Leben aus Partys und Sex. Dabei ist Mark die schillernde Persönlichkeit, die alles zusammenhält, von der alles abhängt. Abhängigkeit – das ist eines der großen Themen in Naomi Aldermans Collegeroman „Die Lektionen“, der jetzt auf Deutsch erschienen ist. Sie alle haben ihre Lektionen zu lernen, allen voran James, der leicht zu beeinflussende, schwächlich wirkende Typ mit der leichten Gehbehinderung.

Man kann nicht sagen, dass es ein schlecht zu lesendes Buch ist. Aber es ist auch keine Literatur, es bringt den Leser nicht weiter, es ist gute Unterhaltung, mehr nicht. Letztlich ist wieder einmal den Umschlaggestaltern ein Lob auszusprechen: Nina Rothfos und Patrick Gabler aus Hamburg ist es gelungen, mit dem Foto einer im türkisblauen Wasser eines Pools badenden Brünetten ein neugierig machendes, kaufanreizendes Bild zu schaffen, das einen lüsternen, sommerlichen, aber auch dramatischen Roman verspricht, vor dem der Inhalt aber leider absinkt.

Wer tatsächlich großartige College-Romane lesen will, kommt an Bret Easton Ellis, dem „bad boy“ der US-Gegenwartsliteratur, nicht vorbei. Der Coming-of-Age-Roman von Naomi Alderman, selbst Oxford-Absolventin, ist wie der Held ihres Debütwerkes leider nur eins – Mittelmaß.

Naomi Alderman: Die Lektionen, Berlin Verlag, Berlin, 2012, 398 Seiten, gebunden, 22,90 Euro, ISBN 978-3827010834

Hinweis: In gekürzter Fassung ist diese Rezension auch erschienen in der Neuen Westfälischen Zeitung von Samstag/Sonntag, 16./17. Juni 2012, Nr. 138/24, 202. Jahrgang, hier: Magazin, S. 5