Peter Stamm liest in Wien aus „Nacht ist der Tag“

Foto: LCM Richard Schuster
Foto: LCM Richard Schuster
Am Dienstagabend las der Schweizer Schriftsteller Peter Stamm bei der Wiener Lesefestwoche aus seinem neuen Roman „Nacht ist der Tag“. Vor rund 50 Zuhörern gab er im Literaturhaus einen intensiven Einblick in das im Juli erschienene Buch und stellte sich den klugen Fragen des Moderators Stefan Gmünder.

Der neue Roman erzählt von den tragischen Erlebnissen der erfolgreichen Fernsehmoderatorin Gillian. Nach einem Streit mit ihrem Mann Matthias hat das Paar in der Nacht einen schweren Autounfall. Ihr Mann wird tödlich verletzt. Sie selbst überlebt, ihr zuvor schönes Gesicht ist aber fürchterlich entstellt.

Die Ärzte machen ihr zwar Hoffnung, dass sie in rund sechs Monaten wieder annähernd so aussähe wie zuvor, doch bis dahin ist der Blick in den Spiegel unerträglich. Es ist der Kampf einer Frau, die dem Tod noch einmal von der Schippe gesprungen ist, aber mit den Folgen leben muss. Leben können und leben müssen.

Eindringlich und mit vorsichtigen Worten

„Bin ich der, den ich spiele, oder bin ich der, der ich bin, wenn ich meine Kleider ausziehe?“, fasst Stamm nach der Lesung zusammen. „Und was macht das mit mir, wenn mein Körper sich grundlegend ändert?“ Es ist ein schwieriges Thema, das sich der Schweizer ausgesucht hat. Aber schon bei der Lesung wird deutlich, wie eindringlich und mit vorsichtigen Worten er sich der Thematik nähert.

Er ist ohnehin bekannt für seinen präzisen Schreibstil, seine Nüchternheit und seine Erzählungen über Menschen in Lebenskrisen. Die Personen seiner Romane kämpfen mit den großen Problemen. Oder wie Gmünder es am Abend treffender ausdrückte: „Es geht nicht um Breite, sondern um Tiefe.“

Stefan Gmünder, Leiter der Literaturredaktion der Wiener Tageszeitung Der Standard, sagte bei der Einführung über den Autor, Stamm spreche vom literarischen Schreiben als Arbeit. „Ich ‚muss‘ nicht schreiben, aber ich liebe das Schreiben mehr als jede andere Beschäftigung“, heißt es auf Stamms Homepage. In Wien schließlich gestand er: „Ich wüsste nicht, was ich sonst tun sollte.“ Und mit einem Schmunzeln: „Ich kann auch nichts anderes.“

„Ich hatte ein strukturelles Problem“

Den Stoff für den Roman hatte Stamm vor Jahren schon einmal in abgewandelter Form aufgegeben. „Ich hatte nur den Anfang, die Geschichte einer Heilung, aber ich hatte ein strukturelles Problem damit“, erklärte er. Er habe aber unbedingt daran arbeiten wollen. Erst nach der Umstellung der Struktur sei der Roman und die Arbeit daran wieder möglich geworden.

Die Namen in „Nacht ist der Tag“ aber seien schon von Anfang an da gewesen. „Ich kann keine Figur beschreiben, die keinen Namen hat“, sagte Stamm. Gmünder aber verwies zurecht darauf, dass der Name Gillian etwas heraussteche. Ob es dazu eine Hintergrundgeschichte gebe. „Nein, Namen wandern einem ja zu. Aber ich kann nicht erklären, woher der Name Gillian stammt.“

Stattdessen aber konnte Stamm erklären, warum er so gerne auf Lesereise geht: „Beim Schreiben ist man ganz allein, beim Lesen sieht man wenigstens auch mal die Leute, die das Zeug kaufen.“ Das Publikum nahm die Chance zum Lachen gerne an. Es wirkte wie eine Erlösung nach dem schweren Stoff.

Die Leute, die sein neustes „Zeug“ noch nicht gekauft hatten, konnten das noch am Abend nachholen und von Peter Stamm signieren lassen. Auf Seitengang wird beizeiten die Rezension zu „Nacht ist der Tag“ zu lesen sein.

Peter Stamm: Nacht ist der Tag, Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2013, 256 Seiten, gebunden, 19,99 Euro, ISBN 978-3100751348, Leseprobe

Ferdinand von Schirach eröffnet Wiener Lesefestwoche

Der Rechtsanwalt Ferdinand von Schirach. Foto: Andreas Pein
Der Rechtsanwalt Ferdinand von Schirach.
Foto: Andreas Pein
Der deutsche Schriftsteller und Strafverteidiger Ferdinand von Schirach hat am Montagabend die Wiener Lesefestwoche 2013 eröffnet. Im Rathaus las er aus seinem jüngst erschienenen Roman „Tabu“ und stellte sich den Fragen des Publikums.

Der brillante Erzähler wusste die Gäste im repräsentativen Stadtsenatssitzungssaal zu belustigen und zu unterhalten. Thomas Mann, Michel Houellebecq, Franz Kafka und Johann Wolfgang von Goethe – sie alle fanden Platz in seiner gekonnten Rede.

Im Nachgang riet er angehenden Autoren, nicht Teil des Literaturbetriebs zu werden und sich nicht zu ernst zu nehmen. Erst im Oktober hatte er der Legal Tribune Online in einem Interview erklärt, er sei keineswegs in den Literaturbetrieb eingetaucht: „Im Gegenteil: Die meisten Feuilletonisten und die meisten Schriftsteller betrachten mich als Fremdkörper in ihrer Welt. Das ist auch ganz in Ordnung so. Über den „Literaturbetrieb“ werde ich also nie schreiben, ich kenne ihn kaum und er interessiert mich auch nicht besonders.“

Noch bis Sonntag geht es bei mehr als 300 Veranstaltungen in Österreichs Hauptstadt um Bücher, Bücher und nochmals Bücher. Am Donnerstag beginnt zusätzlich die sechste Internationale Buchmesse „Buch Wien“. Dort wird am Vorabend die deutsche Autorin und Georg-Büchner-Preisträgerin Sibylle Lewitscharoff als Festrednerin erwartet, die angekündigt hat, über die Zukunft des Lesens sprechen zu wollen.

Die Rezension zu Ferndinand von Schirachs Roman „Tabu“ ist hier abrufbar.

Seitengang wird in den kommenden Tagen sowohl von der Lesefestwoche als auch von der „Buch Wien“ berichten.

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Ein Erzähler macht noch keinen Romancier

TabuDass der deutsche Strafverteidiger Ferdinand von Schirach neben juristischen Schriftsätzen auch Literarisches verfassen kann, hat er mit seinen zwei Erzählbänden „Verbrechen“ und „Schuld“ bereits bewiesen. Das vernachlässigte Feld der Gerichtsreportage hat er damit neu belebt. Von Schirach ist ein Erzähler alter Klasse, wie man sie lange nicht mehr gelesen hat. „Tabu“, sein zweiter Roman, der jetzt erschienen ist, zeigt aber, dass von Schirach deshalb noch lange kein Autor von Romanen ist.

Bis zu einem Urteil gilt die Unschuldsvermutung. Aber was ist Schuld? Mit der Frage beschäftigt sich von Schirach schon seit seinem ersten Kriminalroman „Der Fall Collini“. Der neue Fall handelt von einem Mann namens Sebastian von Eschburg, Sprössling einer verarmten Adelsfamilie.

Seine Kindheit verbringt er überwiegend in einem Internat. Der Vater erschießt sich, die Mutter zeigt mehr Interesse an ihren Reitpferden als an ihrem Sohn. Die Vermutung liegt nahe, dass das beim Filius zu einem fiesen Charakter führt, eine bösartige Neurose hervorbildet oder ähnliche Folgen hat. Doch weit gefehlt. Sebastian berappelt sich und wird ein gefeierter Fotograf.

Nackte Haut und ein Pornoproduzent

Geradezu ermüdend genau beschreibt von Schirach, wie Eschburgs Kunst entsteht. Erstaunlicherweise bemüht er sogar nackte Haut und einen Pornoproduzenten, um das Bild eines extravaganten Künstlers zu zeichnen. Leider hangelt sich von Schirach dabei von Klischee zu Klischee. Der Pornoproduzent etwa trägt natürlich Lederjacke und Sonnenbrille.

Während aber geradezu detailverliebt von unterschiedlichen Kameramodellen und Fotografie-Kniffen die Rede ist, muss anderes zurückstehen. Zum Beispiel ist von Eschburg Synästhesist. Er sieht die Welt in anderen Farben als die Allgemeinheit. „Die Hände des Kindermädchens waren aus Cyan und Amber, seine Haare leuchteten für ihn violett mit einer Spur Ocker, die Haut des Vaters war eine blasse, grünblaue Fläche.“ Davon wird anfänglich viel erzählt, doch dann verliert sich die Spur im Lauf der Geschichte. Lediglich die Kapitel werden noch in Farben zusammengefasst. Interessante Aspekte vergehen also, während die üblichen Teile einer Schirach-Erzählung Bestand haben: der Strafverteidiger, das Gericht, die Schuldfrage, die anwaltliche Intervention.

Und so wird am Fall von Eschburg die Schuldfrage erklärt. Allerdings eher wie in einem mäßigen Repetitorium für Jurastudenten vor dem ersten Staatsexamen. Dem gefeierten Fotografen wird zur Last gelegt, eine Frau vergewaltigt und getötet zu haben. Die Leiche jedoch ist nicht auffindbar, macht aber nichts, denn der Angeschuldigte legt in seiner polizeilichen Vernehmung ein Geständnis ab. Die Presse hat ihr Urteil längst gesprochen.

Grantiger Advokat mit Burn-Out-Syndrom

Doch jetzt endlich tritt der Anwalt auf die Bühne des Geschehens. Es dauert 148 Seiten, bis die Leser Konrad Biegler endlich kennenlernen dürfen, jenen grantigen Advokaten mit Burn-Out-Syndrom, der von Eschburg aus dem Gefängnis holen und ihn zu einem freien Mann machen soll. Erster Anknüpfungspunkt: Das Geständnis. Erzwungen war es nämlich und erinnert an den Fall Magnus Gäfgen. Zweiter Anknüpfungspunkt: Die Schuld. Und dann auch noch das Auseinanderfallen von Wahrheit und Wirklichkeit.

Den Personen des Romans fehlt es an Tiefe und Eindringlichkeit. Sogar der Erlöser der Geschichte, Anwalt Biegler, ist alles andere als ein Charakterkopf. Er hat ja auch kaum Zeit, sich zu entwickeln. Im Grunde ist er eine arme Figur: Nur geschaffen und kurz umrissen für den letzten großen Auftritt. Eine Marionette in einem Stück, das von der Kunst des Erzählens weit entfernt ist.

Man kann nur hoffen, dass von Schirach sich wieder auf einen neuen Erzählband konzentriert. In einem Interview mit der Legal Tribune Online erklärte er im Oktober 2013: „An ‚Tabu‘ habe ich 19 Monate geschrieben, jeden Tag sechs Stunden. In dieser Zeit war ich nicht mehr in der Kanzlei. Bei den Kurzgeschichten war es einfacher, sie konnte ich nachts oder in den Ferien schreiben.“ Dieser Mann braucht Nächte und Ferien! Niemand muss doch auch noch ein großer Romancier werden, wenn er schon ein großer Erzähler ist.

Die Rezension von Anna Prizkau in der FAZ vergleicht „Tabu“ mit einer „gar nicht so schlechten Tatort-Folge“. Dem ist zu widersprechen. Diesen Tatort hätten die meisten abgeschaltet.

Ferdinand von Schirach: Tabu, Piper Verlag, München, 2013, 254 Seiten, gebunden, 17,99 Euro, ISBN 978-3492055697, Leseprobe

Das perfide Verbrechen

Gone GirlEs gibt Bücher, über die ein Leser zuvor nicht zu viel wissen sollte. So können sie ihn unvorbereitet und mit voller Wucht treffen. Der Roman „Gone Girl“ ist ein solches Buch. Wer es nicht gelesen hat, hat eines der aufregendsten Bücher des Jahres 2013 verpasst. Das perfekte Verbrechen ist überholt. Es lebe das perfide Verbrechen!

Ausgerechnet an ihrem fünften Hochzeitstag verschwindet Nicks Frau Amy. Die Haustür steht sperrangelweit offen, im Wohnzimmer liegt der Couchtisch in Scherben, Möbelstücke sind umgeworfen, alles sieht nach einem Kampf aus. Und Amy ist nicht da. Sie ist weg, verschwunden.

Die Polizei entdeckt in der Küche Reste von Blutspuren. Sie sind fortgewischt worden, nachdem dort jemand viel Blut verloren haben muss. Schnell konzentrieren sich die Ermittlungen auf Nick, der teilweise erschreckend dümmlich reagiert. Amys Eltern, die einst Millionen mit einer Kinderbuchserie über ihre Tochter verdient haben, fangen an, ihrem Schwiegersohn zu misstrauen. Und auch der Leser hat es schwer mit Nick.

Eine der Größen dieses Romans

Gerade das aber ist eine der Größen dieses Romans, der weniger Thriller oder Krimi, als vielmehr die erschreckende psychologische Studie einer Ehe ist. Die Autorin Gillian Flynn lässt Nick und Amy abwechselnd erzählen. Von Nick erfährt der Leser den aktuellen Fortgang der Geschichte, angefangen mit Amys Verschwinden.

Amy aber lässt den Leser ihre Tagebucheinträge vom Beginn ihrer Beziehung lesen. Anfangs sprüht aus ihren Zeilen die unbedingte Verliebtheit, die Schwärmerei, das Glück. Nick und Amy leben und arbeiten in New York und genießen den angenehmen Mittelklassen-„way of life“.

Doch dann geraten Leben und Liebe in Schieflage. Beide verlieren ihre Jobs als Journalisten, und Nicks Mutter liegt im Sterben. Der beschließt für Amy gleich mit, dass sie in seine Heimatstadt ziehen. Nach North Carthage, Missouri, in ein Haus direkt am Mississippi River.

Weder Glück noch Freunde

Dort findet Amy weder Glück noch Freunde. Das geht auch nicht spurlos an der Beziehung vorbei. Beide reiben sich aneinander und gegenseitig auf. Und plötzlich ist Amy weg. Nachbarn berichten der Polizei von lauten Streitereien. Der Verdacht fällt unweigerlich auf Nick.

Doch das Verschwinden Amys ist nicht das einzige Mysterium des Romans. Rätselhaft ist auch, wie sich ein auf den ersten Blick so perfektes Paar nach nur wenigen Jahren derart voneinander entfernen kann. Die Bezeichnung „Entfremdung“ wäre noch euphemistisch. Der Roman berührt damit auch die ureigenen Ängste, die jeder romantischen Beziehung zugrundeliegen, ohne dass man sie offen zu Tage treten lässt: Können wir das anfängliche Glück, die Liebe, das unbedingte Vertrauen über Jahre hinweg erhalten? Oder sind die Geheimnisse, die wir voreinander haben, wie ein schwarzes Loch, das uns unaufhaltsam ins Nichts zieht?

In den USA war Flynns Roman ein Bestseller. Die Rezensenten der großen Zeitungen überboten sich in ihren begeisterten Lobeshymnen. Regisseur David Fincher verfilmt das Buch derzeit mit Ben Affleck und Rosamunde Pike. Schon 2014 soll es in die Kinos kommen.

Auch in Deutschland wurde das Buch bereits sehr hofiert. Der Fischer Verlag begleitete das Erscheinen mit einer großen Werbekampagne. In den meisten Fällen mutet ein solcher Aufwand seltsam an. Der Verdacht liegt nahe, dass es dieses Buch ohne Werbung niemals in die Hände deutscher Leser schaffen würde. Doch in diesem Fall ist das Brimborium berechtigt. „Gone Girl“ ist eine Wucht.

Gillian Flynn: Gone Girl – Das perfekte Opfer, Fischer Scherz Verlag, Frankfurt, 2013, 576 Seiten, broschiert, 16,99 Euro, ISBN 978-3502102229, Leseprobe

Die Frau mit dem goldenen Tweet

Black BoxDie US-Amerikanerin Jennifer Egan ist eine Autorin mit ungewöhnlichen Ideen. Ihr Erfindungsreichtum und ihre oft raffinierte Erzähltechnik begeisterten zuletzt in ihrem Roman „Der größere Teil der Welt“, der mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet worden ist. Jetzt hat sie einen neuen Coup gelandet: „Black Box“, ein Twitter-Roman, bei dem jeder Absatz nicht länger ist als 140 Zeichen. Unbedingt lesen!

„Ich habe mich gefragt, wie man einen literarischen Text schreiben könnte, der sich für die Verbreitung über Twitter eignen würde. Das ist natürlich keine ganz neue Idee, aber sie lässt sich vielfältig ausschöpfen – denn es hat etwas sehr Intimes, Menschen über ihre Handys zu erreichen, und mit 140 Zeichen kann erstaunliche Poesie entstehen“, schreibt die Autorin selbst über ihr neustes Werk.

„Erstaunliche Poesie“ ist noch untertrieben, denn „Black Box“ lässt sich auch als Sammlung von Aphorismen lesen: „Sonne auf nackter Haut kann ebenso sättigen wie eine Mahlzeit.“ Oder: „Ein hellstrahlender Mond kann einen in Erstaunen versetzen, egal wie oft man ihn schon gesehen hat.“ Oder: „Der Schrank einer Schönheit ist unverwechselbar. Er ähnelt einem Köcher voller bunter Pfeile.“ Noch dazu ist das kleine Büchlein vom Verlag Schöffling & Co. mit Liebe gestaltet: Der Umschlag schwarz glänzend mit weißen Lettern, der Buchschnitt schwarz, eine „Black Box“, die geborgen werden will.

Eine Datenschnittstelle im Fuß

Darin finden wir die Aufzeichnungen einer Agentin aus der Zukunft: Die 33-jährige Lulu stellt ihren Körper einem nicht näher benannten Geheimdienst als Aufzeichnungsmedium, als „Black box“ zur Verfügung. Ihr Körper, der kaum noch ihr eigener ist, dient zugleich als Eintrittskarte in die Welt der Reichen und Mächtigen.

Ihr neuster Auftrag führt sie ans Mittelmeer, wo sie auf die Beschattung eines Verbrechers angesetzt, der gefährlicher nicht sein könnte. Ihr Körper jedoch ist für den Auftrag bestens gerüstet: Im linken Auge ist eine Kamera mit Blitzlicht implantiert, im Ohr hat sie ein hochsensibles Aufnahmegerät und im Fuß eine Datenschnittstelle. Darüber hinaus beherrscht Lulu den Umgang mit den erotisierenden Waffen einer Frau.

Ihre Tweets sind eine Mixtur aus innerem Gedankenstrom und kurzen Nachrichten an ihre Auftraggeber. Dass dieser Kurznachrichtenroman auf knapp 90 Seiten aber auch eine ungeheuerliche Spannung erzeugt, liegt nicht nur an dem rasanten Stakkato der Tweets, sondern vor allem an der sprachlichen Raffinesse, gepaart mit einem grandiosen Feinsinn für Humor. Lulu könnte die Protagonistin für den nächsten Tarantino-Film sein, eine Superheldin, fernab von der Austauschbarkeit eines Bond-Girls.

Erst getwittert, dann als Buch veröffentlicht

Noch bevor „Black Box“ in Amerika als Buch veröffentlicht wurde, brachte das US-Magazin „New Yorker“ den Roman bei Twitter unter die Leser, Tweet für Tweet, Absatz für Absatz. Als der Roman am 7. August 2013 in Deutschland auf den Markt kam, taten es die Online-Redakteure des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ ihren amerikanischen Kollegen gleich und versendeten „Black Box“ an zehn aufeinanderfolgenden Abenden über den Rezensions-Kanal. Die Reaktionen waren gemischt: manche begeistert, andere verwirrt, verhalten lobend oder auch Unverständnis äußernd.

Fürwahr, dieser Twitter-Roman ist ein Experiment, über das sich trefflich streiten lässt. Aber wagen Sie es und lassen Sie sich darauf ein!

Jennifer Egan: Black Box, Schöffling & Co., 2013, 89 Seiten, gebunden, mit Lesebändchen, 9,95 Euro, ISBN 978-3895612510