Mach’s noch einmal, Glenn

„Ich, Barthomieu, Mönch der Abtei Ruac, bin zweihundertundzwanzig Jahre alt, und dies ist meine Geschichte.“ Mit diesen Worten beginnt das mysteriöse Buch, das nach einem Brand in einem Kloster in Südfrankreich entdeckt wird. Als der Archäologe Luc Simard die Hintergründe erforscht, entdeckt er ein Höhlensystem, das älter und besser erhalten ist, als jedes andere bekannte. An den Wänden schillern lebendig wirkende Höhlenmalereien. Und die zehnte Höhle birgt ein ganz besonderes Geheimnis. Für die Wissenschaftler ist es eine Sensation. Und für Glenn Cooper der Auftakt einer neuen Thriller-Reihe um den investigativen Archäologen Luc Simard.

Glenn Cooper ist vom Fach. Laut Angaben des Verlags hat der Harvard-Absolvent Archäologie und Medizin studiert und leitet heute ein Biotechnik-Unternehmen in Massachusetts. Bekannt geworden ist er auf dem deutschen Buchmarkt vor allem mit seinem Erstlingswerk „Die Namen der Toten“. In „Die zehnte Kammer“ führt Cooper das Erzählkonzept weiter, mit dem er schon in „Die Namen der Toten“ und der Fortsetzung „Der siebte Sohn“ hantiert hat: Drei unterschiedliche Zeitstränge werden zu einer mystischen Geschichte verknüpft. Im Vordergrund stehen die Ereignisse der Gegenwart – hier scheint jemand ganz gewaltig etwas dagegen zu haben, dass die Archäologen mit ihren Hämmerchen und Pinselchen anrücken, um Höhle für Höhle zu untersuchen. Es bricht Unheil hervor, und die Todesfälle häufen sich. Auch die Dorfbewohner von Ruac haben wenig Verständnis für die Ausgrabungen.

Die Geschichte ist einigermaßen spannend konzipiert, obwohl Cooper in seinen beiden ersten Büchern bewiesen hat, dass er es auch besser kann. Das lässt zumindest darauf hoffen, dass die Fortsetzung an Spannung gewinnt. „Die zehnte Kammer“ lässt sich auch ohne Archäologie-Studium lesen, auch wenn manchmal etwas weniger Fachsimpelei erfreulich gewesen wäre. Die Figuren allerdings bleiben zum großen Teil oberflächlich gezeichnet und bieten auch wenig Ansatzpunkte für Phantasie. Der neue Held kann sich zwar noch entwickeln und den Staub aus den Hosen klopfen, aber für alle Nebenpersonen ist es schade. Doch vielleicht wird in diesem Buch auch zu schnell gestorben, als dass es sich noch lohnen würde, die Todgeweihten zu beschreiben. Insgesamt ist dieses mit Vorfreude erwartete Buch den Erwartungen nicht gerecht geworden. Deshalb gehört es sicher zu den Werken, die das Regal nicht braucht. Empfehlenswert von Glenn Cooper ist und bleibt „Die Namen der Toten“. Ein One Hit Wonder? Mach’s noch einmal, Glenn.

Glenn Cooper: Die zehnte Kammer, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, 2011, 446 Seiten, Taschenbuch, 9,99 Euro, ISBN 978-3499256172

Ganz seicht entführt

Der neunjährigen Sarah stehen alles andere als schöne Ferien bevor, als sie in den Kleinbus einsteigt, der sie und andere Kinder in ein Sommercamp bringen soll. Ihre Mutter Lena ahnt zunächst nichts – erst als wenige Minuten später die echten Mitarbeiter des Camps vor ihrer Haustür stehen und Sarah abholen wollen. Einen weiteren Fahrer für die Tour gebe es nicht, sagen die. Doch auch bei drei anderen Familien war der nette Fahrer namens J. D. und hat die Kinder abgeholt, ohne dass die Eltern argwöhnisch geworden sind. Der Beginn eines Albtraums.

Was da passiert ist, weiß der Leser längst, weil es auf dem Klappentext des Buches steht. Aber auch Lena weiß es schnell: „Ich glaube, die Mädchen wurden gekidnappt.“ Was dann folgt, ist eine seichte und mäßig spannende Handlung. Die Figuren bleiben blass und haben zu wenige Konturen. Das Potential der menschlichen Konflikte untereinander kommt auch viel zu kurz. Sarahs Vater etwa, David, war nicht zu Hause, als sie von dem Fremden abgeholt wurde. Lena vermutet, dass er eine Affäre hat, spricht ihn aber nicht darauf an; er dagegen macht ihr Vorwürfe, dass sie diesem Typen ihre Tochter mitgegeben hat. Es dauert sehr lange, bis der Autor sich auch auf diese ehelichen Spannungen besinnt und sie entwickelt. Mit den Ermittlungen der Polizei, die sehr behäbig beschrieben werden und kaum die Unruhe erzeugen, die der Leser erwartet, beginnt auch das Rätselraten der Eltern, wer hinter der Entführung stecken könnte. Möglicherweise sogar jemand der Eltern selbst?

Wesentlich mehr in Atem halten die Kapitel, in denen Doug Magee über das Schicksal der Kinder erzählt. Die nämlich werden tief in die Wildnis verschleppt. Bei der Schilderung, wie jedes einzelne Kind unterschiedlich mit der Bedrohung umgeht, schafft Magee endlich diese Nähe des Lesers zu den Figuren, die man in den übrigen Kapiteln so arg vermisst.

Das Buch hält nicht, was der Klappentext verspricht. Im Gegenteil, der er führt sogar etwas in die Irre, aber vielleicht muss das bei einem so schwachen Erstlingswerk sein, um den Verkauf anzukurbeln. Doug Magee, laut Klappentext Fotograf, Journalist, Drehbuchautor und Regisseur, wünscht man für sein nächstes Buch jedenfalls mehr Geschick. „Schöne Ferien“ ist ein Buch geworden, das das Regal nicht braucht.

Doug Magee: Schöne Ferien, Rütten & Loening Verlag, Berlin, 2010, 366 Seiten, broschiert, 14,95 Euro, ISBN 978-3352007934

Trari, trara, der Sarg ist da

Ein Serienmörder geht um, und kein Opfer kann sagen, es sei nicht gewarnt worden: Die Post liefert einen kleinen Sarg ins Haus, handgeschnitzt, im Inneren ein heimlich aufgenommenes Foto des Empfängers. Wenige oder einige Zeit später kommt der Tod. Jake Pepper, Detective beim State Bureau of Investigation eines kleinen Bundesstaates im Westen der USA, steht vor einem Rätsel. So beginnt Truman Capotes Novelle „Handgeschnitzte Särge“, die der Verlag Kein & Aber jetzt in der Reihe „Große Literatur im kleinen Format“ veröffentlicht hat.

Die Novelle, die Capote als „Tatsachenbericht über ein amerikanisches Verbrechen“ benannt hat, ist kein neu entdecktes Werk, sondern der Sammlung von Reportagen und Porträts entnommen, die erstmals 1974 unter dem Titel „Wenn die Hunde bellen“ erschienen ist. Und es ist egal, ob es sich wirklich um einen Tatsachenbericht handelt, oder ob Capote Fakten und Erfundenes kombiniert hat, wie vom Verlag zu erfahren ist – entstanden ist eine spannend gestrickte Kriminalgeschichte.

Eines Tages schreibt der Detective den bekannten Schriftsteller an – Capote und Pepper kennen sich über einen gemeinsamen Freund – und berichtet von dem seltsamen Fall, den er derzeit bearbeitet. Es entwickelt sich eine regelmäßige Telefonkonferenz zwischen den beiden. „Drei Jahre lang telefonierten wir alle paar Monate miteinander. Die Spuren in diesem Fall waren so komplex wie ein Rattenbau und führten irgendwann gar nicht mehr weiter. Schließlich sagte ich: Na, dann haben Sie ja nichts mehr zu verlieren. Dann kann ich ja auch kommen und mich ein bisschen umsehen.“ Capote reist also an. Mittlerweile hat der Mörder sieben Menschen umgebracht, immer auf raffinierte Art und Weise. Die ersten beiden Opfer, ein Ehepaar, das stets gemeinsam zur Arbeit fährt, ereilt der Tod, als sie in ihr Auto steigen und wütende Klapperschlangen über sie herfallen. Ein anderer rast mit seinem offenen Jeep heimwärts, als ihn ein gespannter Draht einen Kopf kürzer macht. Was verbindet diese Menschen? Wo ist das Motiv? Bald hegen die beiden Männer einen ersten Verdacht, doch es fehlt an Beweisen. Die Zeit drängt, denn auch Peppers Zukünftige hat schon einen dieser Särge bekommen…

Capote schreibt mit seiner üblich feinen Beobachtungsgabe, die schon in „Kaltblütig“ so hervorragend funktioniert hat. Kein Wort zu viel, kein Ausstaffieren von Szenen. Vielfach sind es nur die Dialoge der beiden Männer, die den Text ausmachen, durchzogen von wenigen Absätzen, die an die Regieanweisungen in Drehbüchern und Theaterstücken erinnern.

Von Capote sind in der Reihe „Große Literatur im kleinen Format“ schon mehrere wunderschöne Ausgaben erschienen. Das kleine Format ist von einigen Verlagen längst wiederentdeckt worden, andere haben es nie aufgegeben. Kein & Aber legt die „Handgeschnitzten Särge“ in silbernem Leinen vor, dazu ein silbernes Lesebändchen – schön, wenn ein Verlag so viel Mühe auf das Äußere verwendet.

Unbedingt kaufen und lesen!

Truman Capote: Handgeschnitzte Särge, Kein & Aber Verlag, Zürich, 2011, 160 Seiten, gebunden, 14,90 Euro, ISBN 978-3036955889

Literarischer Quickie

Wenn eine Autorin über Sex schreibt, ist die Tatsache, dass sie aus Sicht einer Frau schreibt, nicht gleich ein Kriterium für literarisch-erotische Texte auf hohem Niveau. Die Französin Alina Reyes dagegen ist gewöhnlich Garantin für ein Karussell aus erotischen Spielarten in literarischer Sprache. Offen, provokant, mit einer Eloquenz, die aus dem Vollen schöpft. Die Leser sind sich wenig einig, ob es erotische Literatur ist oder nur Schund. Ob es sinnliche Kopfkinofilme für die Spätvorstellung sind oder nur Geldmacherei à la „sex sells“.

In dem erneut schmalen Bändchen „Die siebte Nacht“ lotet Reyes die Erwartungen und Sehnsüchte einer Frau aus, die dem ersten sexuellen Akt mit ihrem neuen Liebhaber entgegenfiebert. Sieben Nächte muss sie warten, und in jeder Nacht stellt er die Regeln auf, darf sie ihm jeweils ein Stück näher kommen. „Ich nannte ihn bei seinem Namen. Er trat vor, schlug das Bett auf, bat mich, mich hinzulegen. Ich versuchte, ihn mit aufs Laken zu ziehen, aber er ließ nicht zu, dass ich ihn berührte. ‚Morgen‘, sagte er. ‚In der ersten Nacht darf man sich nicht berühren.'“ So folgt in der zweiten Nacht die Regel, dass sie machen dürfen, was sie wollen, jedoch ohne zum Orgasmus zu kommen und ohne die Geschlechtsteile zu berühren, weder mit der Hand noch mit dem Mund. In der dritten Nacht ist das Berühren mit den Händen erlaubt, überall, aber einen Orgasmus darf es trotzdem nicht geben. Erst in der siebten und letzten Nacht folgt die Erlösung. Der Klappentext spricht gar – ein wenig hochgegriffen – von „Apotheose der sexuellen Erfahrung“.

Die Sprache ist poetisch, anregend, sinnlich, teilweise aber auch flach und gekünstelt. Es gehört sicherlich nicht zu Reyes‘ besten Büchern und erreicht keinesfalls die Stärke von „Tagebuch der Lust“. Beide Bücher sind im selben Verlag erschienen, „Die siebte Nacht“ ist sogar bibliophil angehaucht. Ein Lesebändchen bei einem gebundenen Buch von 84 Seiten – das erwartet man bei Manesse, aber nicht unbedingt bei Bloomsbury Berlin. Dazu die erotische Umschlaggestaltung des Designbüros Rothfos & Gabler aus Hamburg mit einem Ausschnitt aus Felix Vallotons Gemälde „Liegende Frau vor violettem Grund“ – da hat sich der Verlag Mühe gegeben, dem Inhalt ein ebenbürtiges Äußeres zu geben.

„Die siebte Nacht“ ist kein Muss für das Bücherregal oder die Liste der gelesenen Bücher. Aber für den literarischen Quickie zwischendurch ist es allemal geeignet.

Alina Reyes: Die siebte Nacht, Bloomsbury Berlin, 2005, 84 Seiten, gebunden, 12 Euro, ISBN 978-3827005878

Schau mir in die Augen, Opfer

In einem Außenbezirk Stockholms wird die Leiche eines grausam ermordeten Mannes entdeckt. Im Haus des Familienvaters erwartet die Ermittler um den Kriminalkommissar Joona Linna ein weiteres Blutbad: Die Ehefrau und die gemeinsame Tochter sind ebenfalls brutal erstochen worden. Das Massaker überlebt hat nur einer – Josef, der Sohn der Familie Ek. Schwer verletzt liegt er im Koma. Als Linna durch Zufall erfährt, dass Josef noch eine ältere Schwester hat, schwant ihm Böses. Es gilt, die Schwester vor dem Mörder zu finden, der offenbar die ganze Familie auslöschen wollte. Helfen kann nur Josef selbst. Doch die Ärztin rät ab, ihn aus dem Koma zu holen. Der letzte Ausweg ist eine Hypnose. Linna wendet sich an den Arzt und Hypnotiseur Erik Maria Bark. Der hatte nach einer verhängnisvollen Erfahrung geschworen, nie wieder jemanden zu hypnotisieren. Doch in diesem Fall macht er eine Ausnahme. Und damit geht der Wahnsinn erst richtig los…

„‚Wie Feuer, genau wie Feuer.‘ So lauteten die ersten Worte, die der hypnotisierte Junge sagte. Obwohl er lebensgefährlich verletzt war – Dutzende Stich- und Schnittwunden im Gesicht, an den Beinen, an Rumpf und Rücken, unter den Füßen, im Nacken und am Hinterkopf -, hatte man ihn hypnotisiert, weil man hoffte, mit seinen Augen sehen zu können, was geschehen war. ‚Ich kneife die Augen zusammen‘, murmelte er. ‚Ich gehe in die Küche, aber da stimmt etwas nicht, es knirscht zwischen den Stühlen, und auf dem Fußboden breitet sich ein leuchtend rotes Feuer aus.'“

Der Kriminalroman des schwedischen Autorenduos Alexandra und Alexander Ahndoril, die unter dem Pseudonym Lars Kepler ihr erstes Buch veröffentlicht haben, beginnt genauso spannend, wie es der Klappentext verspricht. Doch ist der Mord an der Familie Ek nur ein kleiner Teil einer mit unterschiedlichen Handlungssträngen gefüllten Geschichte. Manche davon sind so hanebüchen, dass der Leser besser die Augen davor verschließt, andere sind gänzlich unerheblich. Trotzdem ist das Buch gute Unterhaltung für all jene Leser, die von blutrünstig-schwedischen Krimis noch nicht genug haben.

Die Charaktere, allen voran Joona Linna und Erik Maria Bark, sind interessant gezeichnet, wenngleich Barks Hypnose-Historie etwas zu sehr in die Länge gezogen ist. Natürlich muss einer der beiden Probleme mit Alkohol oder Frauen oder ähnlichem haben. In diesem Fall ist es Erik Maria Bark, der verschiedene Tabletten schluckt; seine Frau derweil vertraut ihm nicht mehr, seit er sie vor etlichen Jahren mit einer Kollegin betrogen hat. Und der gemeinsame Sohn steckt tief in der Pubertät und hat damit auch die typischen Probleme mit seinen uncoolen Eltern.

„Der Hypnotiseur“ gehört sicherlich nicht zu den besten schwedischen Krimi-Debüts. In einigen Jahren wird man von diesem Buch nicht mehr sprechen, sondern es wird untergehen in einer Masse von anderen von den Medien hochgelobten Debüts. Trotzdem ist es angenehm zu lesende Unterhaltung, keineswegs anspruchsvoll, aber auf der anderen Seite auch nicht eines der Bücher, die den Leser mit Langeweile quälen. Eine klare Leseempfehlung vermag ich nicht zu geben. Mache der Leser sich sein eigenes Bild!

Lars Kepler: Der Hypnotiseur, Gustav Lübbe Verlag, Köln, 2010, 638 Seiten, gebunden, 19,99 Euro, ISBN 978-3785724262