Diese Wiederentdeckung von einem Roman erzählt die Geschichte von Ulrich Faber, einem Bankier und Hedonisten im Berlin der 1920er Jahre, der sich in den politischen und wirtschaftlichen Wirren der damaligen Zeit und während des Erstarkens des Nationalsozialismus in die wesentlich jüngere Gerda Rohr verliebt.
Wir begleiten Ulrich Faber von 1918 bis in die Mitte der 1930er Jahre. Anfangs ist er 43 Jahre alt, ein Beau, weltmännisch und eloquent und von Kollegen durchaus mit Argwohn betrachtet. Er leitet neben dem Seniorchef das „angesehene Bankhaus Dönhoff, die bedeutendste Berliner Privatbank“ und ist vom Ersten Weltkrieg gezeichnet. An der Front rettete er einen Kameraden und fing sich dabei einen Granatsplitter ein. Gerda Rohr, der Ulrich schon bald begegnet, ist ein Wildfang, keck und mit schneller Auffassungsgabe. Ulrich will sie lehren und anleiten, wie alte Männer nun mal so die jungen Dinger lehren wollen – das bekannte Muster, das sich Männer eines gewissen Alters, noch dazu finanziell gut ausgestattet, gerne zusammenphantasieren.
„Aber was tust du denn?“
Aber Gerda macht da nicht mit. Sie ist die „Schwimmerin“, die ihre eigenen Bahnen zieht – ohne Vorgaben. Sie emanzipiert sich, und es sind starke Szenen in diesem Roman, in denen sie beharrlich ihre Eigenständigkeit vertritt. Sie wird politisch, ohne in eine Partei einzutreten. Und sie rüttelt mehr und mehr an der Tür zu seinem behäbigen Gedankenpalast, der sie (zu Recht) wahnsinnig macht. Einmal sagt sie zu ihm: „Man muss tun, was man kann, sagst du. Aber was tust du denn?“ Der Vergleich hinkt etwas, aber säße Faber dabei in einem Sessel, könnte seine Antwort sein: „Ich will einfach nur hier sitzen.“ Ulrich bleibt tatenlos. Er hält sich raus.
Der Roman stammt aus der Feder des Journalisten Theodor Wolff. Er war von 1906 bis 1933 der hoch angesehene, liberal-demokratische Chefredakteur des auch international bekannten und gelesenen Berliner Tageblatts. Journalisten, die historisch nicht ganz so firm sind, ist sein Name heute noch wegen des nach ihm benannten renommierten Journalistenpreises ein Begriff. Der Theodor-Wolff-Preis wird jährlich vom Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) vergeben.
Wolff musste 1933 vor den Nazis ins südfranzösische Exil fliehen; vier Jahre später erscheint im Züricher Oprecht-Verlag sein heute vergessener Roman „Die Schwimmerin“. Untertitel: „Roman aus der Gegenwart“. Der Weidle-Verlag aus Bonn hat den Roman jetzt neu editiert – eine Wiederentdeckung!
„Politisch pointierter, stilistisch glänzender und angriffiger Journalismus“
Der tatenlose Faber agiert übrigens völlig anders als sein Erschaffer Theodor Wolff, dem die Literaturwissenschaftlerin Ute Kröger in ihrem lesenswerten und erhellenden Nachwort einen „politisch pointierten, stilistisch glänzenden und angriffigen Journalismus“ attestiert, „der mit scharf geschliffenem Florett kämpfte, gegen Extremismus von links und rechts, antidemokratischen und antisemitischen Geist, insbesondere gegen den heraufziehenden Nationalsozialismus“.
Und so ist „Die Schwimmerin“ nicht nur eine Wiederentdeckung, ein literarischer Schatz, eine Fundgrube für brillante Formulierungen, sondern vor allem wieder aktuell. Als romantische Liebesgeschichte taugt das Buch nur mäßig, aber als Horizont dafür, wie eine Demokratie in den Abgrund rutschen kann, ist es auf die Jetztzeit hervorragend anwendbar. Hier lesen wir viel über die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen und wie die Gesellschaft, vor allem aber das Großbürgertum darauf reagierte. „Die Schwimmerin“ sollte heutigen Generationen als Mahnung dienen.
Der Verlag flehte den Autor an
Damals verkaufte sich das Buch nicht so gut, wie erwartet. Die Exilpresse war enttäuscht, ja, zerriss das Buch. Der Verlag flehte den Autor an, seine Kontakte zu nutzen, um wenigstens ein paar Exemplare mehr zu verkaufen. Auch der Versuch, das Buch in Hollywood unterzubringen, scheiterte: Ungeeignet für die damalige Traumfabrik.
In Gerda Rohr wollte man Wolffs ehemalige Sekretärin sehen, Ilse Stöbe, eine sozialistische Widerstandskämpferin gegen das Nazi-Regime, die erst im Jahr 2014 (!) durch den damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier gewürdigt wurde. 1942 war sie wegen „Landesverrats“ zum Tode verurteilt und hingerichtet worden. Ute Kröger beschreibt die Wirren und Unterstellungen, denen sich Ilse Stöbe posthum ausgesetzt sah, und ordnet sie ein.
Wolff hatte 1943 die Gelegenheit, in die USA zu fliehen, doch er wollte Europa nicht verlassen. Von italienischen Besatzungssoldaten wurde er im Mai in Nizza verhaftet und nach Deutschland ausgeliefert. Im Gefängnis für politische Gefangene erkrankte er schwer und starb schließlich am 23. November 1943 Im Jüdischen Krankenhaus in Berlin.
Rund 80 Jahre nach der Erstveröffentlichung ist es dem Bonner Weidle-Verlag zu verdanken, dass er Wolffs Roman-Vermächtnis wieder ins Bewusstsein der deutschsprachigen Literatur zurückgeholt hat. Der wunderbaren Illustratorin Kat Menschik ist es wieder auf gewohnt hohem Niveau gelungen, dem Roman den würdigen Rahmen zu geben. Nimm deinen Weg, Schwimmerin!
Theodor Wolff: Die Schwimmerin, Weidle-Verlag, Bonn, 2021, 354 Seiten, broschiert, 25 Euro, ISBN 978-3949441004, Leseprobe
Seitengang dankt dem Weidle-Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars.
Die diesjährige Berichterstattung über die Buch Wien habe ich in der Nacht von Freitag auf Samstag unterbrochen. Grund war zum einen, dass ich die Nacht nicht wie zuvor zum Schreiben, sondern vor allem zum Verfolgen der Nachrichten aus Paris genutzt habe. Zum anderen aber waren die von mir besuchten Veranstaltungen am Freitag – bis auf eine – nicht wirklich berichtenswert. Vermutlich habe ich schlichtweg die falsche Auswahl getroffen. Ich berichte nun also noch nach vom Freitag und Samstag. Am Sonntag habe ich bereits die Rückreise angetreten – mit einigen Büchern mehr im Gepäck.
Offizielle Schätzungen gehen davon aus, dass es in Österreich rund 8.000 solcher Besatzungskinder gegeben hat. „Ich gehe davon aus, dass die Dunkelziffer wesentlich höher ist – meine Schätzungen belaufen sich auf rund 30.000 Kinder, wovon etwa die Hälfte russische Väter haben dürften“, erklärte Stelzl-Marx. Viele Kinder seien durch Vergewaltigungen entstanden, aber es gebe auch „unglaublich berührende Liebesbeziehungen“, obwohl Stalin Liebesbeziehungen oder gar eine Heirat zwischen Österreicherinnen und Rotarmisten verbot.
Als Beispiel nennt sie die Geschichte der Wienerin Tatjana Herbst, die im Oktober 1947 zur Welt kam. Ihr Vater, ein sowjetischer Soldat, und ihre Mutter führten eine innige Liebesbeziehung – bis der Rotarmist plötzlich versetzt wurde. Die Mutter schrieb einen Brief, den ein Freund des Geliebten am nächsten Tag abholen und mitnehmen wollte. Doch auch dieser Freund kam nicht mehr zurück. Und so wanderte dieser Brief ins Familienarchiv und findet sich inzwischen als rührendes Beispiel in Stelzl-Marxs Buch wieder. Ihren Vater hat Tatjana erst mehr als 40 Jahre später zum ersten Mal getroffen.
In den westlichen Besatzungszonen waren Eheschließungen dagegen erlaubt. Das berühmteste Beispiel ist wohl Marianne Faithful, deren Mutter in Wien einen britischen Besatzungsoffizier kennenlernte und mit ihm als sogenannte „war bride“ nach Großbritannien ging. Anfangs sei in Faithfuls Biografie nicht bekannt gewesen, dass sie die Tochter von Eva Hermine von Sacher-Masoch und einem Besatzer ist, erklärte Stelzl-Marx. Faithful selbst sagt (hier in einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit, Zeit-Magazin Nr. 37/2014, 15. September 2014): „Ich will meine österreichische Herkunft auch gar nicht verleugnen, im Gegenteil, ich bin sehr stolz auf sie!“
Das Buch „Besatzungskinder“, das die stellvertretende Leiterin des Grazer Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung mit Silke Satjukow, einer Historikerin von der Universität Magdeburg, geschrieben hat, versammelt aber nicht nur die persönlichen Berichte der Besatzungskinder, sondern umfasst auch wissenschaftliche Erkenntnisse. Eine Leseprobe des im Böhlau-Verlag erschienenen Buchs gibt es hier.
Barbara Stelzl-Marx/Silke Satjukow: Besatzungskinder: Die Nachkommen alliierter Soldaten in Österreich und Deutschland, Böhlau Verlag, Wien, 2015, 500 Seiten, gebunden, 35 Euro, ISBN 978-3205796572
Im Wechsel kommen der Widerstandskämpfer Konstantin und der Offizier Metodi zu Wort, zwei Menschen, die exemplarisch stehen für das titelgebende Verhältnis von Macht und Widerstand im ideologischen Überlebenskampf des bulgarischen Sozialismus. „Beide bedingen sich gegenseitig, können ohne einander nicht sein“, findet Trojanow. Es seien zwei extreme Positionen, der Raum dazwischen, die Duckmäuser und Mitläufer, hätten ihn nie interessiert, sagt er. „Mich interessieren viel mehr diejenigen, die wir mit geschichtlichem Abstand als Helden bezeichnen würden, die heute unseren bequemen Alltag infrage stellen.“ Konstantin fällt schon in der Schulzeit der bulgarischen Staatssicherheit auf und entkommt ihrem Griff nicht mehr. Metodi ist Opportunist und Karrierist, ein Repräsentant des Apparats. Sie sind in einen Kampf um Leben und Gedächtnis verstrickt, der über ein halbes Jahrhundert andauert.
Sowohl Konstantin als auch Metodi haben einen unterschiedlichen Sprachduktus. Die beiden von Trojanow in Wien vorgelesenen Passagen haben das sehr deutlich gemacht. Es gibt jedoch auch eine fantastische Hörbuchfassung mit Ulrich Pleitgen als Konstantin und Thomas Thieme als Metodi (einen Auszug daraus gibt es hier). Trojanow dazu: „Thomas Thieme spricht den Metodi ganz wunderbar – der spielt ohnehin eher unangenehme Kerle, zuletzt Helmut Kohl.“
Trojanow wurde 1965 in Sofia geboren. Sein Onkel war im Widerstand aktiv, die Familie schnell im Auge der bulgarischen Staatssicherheit. Die Wohnung war verwanzt, und heute besitzt Trojanow Kopien der damals belauschten Gespräche, erzählt er in Wien. „Das ist toll, dass ich jetzt in den Protokollen der Stasi nachlesen kann, was gesprochen wurde, während ich in die Windeln gemacht habe.“ Dabei sei ihm auch aufgefallen, dass die Stasi nicht besonders gebildet gewesen sei. So habe sein lateinisch versierter Onkel zum Beispiel einmal „pro domo“ gesagt, und die Stasi habe auf dem Protokoll daneben notiert: „Überprüfen! Wer ist dieser Prodomo?“ Auch für seinen Roman „Macht und Widerstand“ hat Trojanow Stasi-Akten verwendet. „Diese Dinge kann man einfach nicht erfinden.“ Eine Leseprobe von „Macht und Widerstand“ gibt es hier, lesenswert ist auch das Interview zwischen Jenny Erpenbeck, Ulrich Peltzer und Ilija Trojanow in der Wochenzeitung Die Zeit (Nr. 41/2015, 8. Oktober 2015).
Ilija Trojanow: Macht und Widerstand, S. Fischer Verlag, Frankfurt, 2015, 480 Seiten, gebunden, 24,99 Euro, ISBN 978-3100024633
Wie bei Trojanow und vielen anderen Autoren war die Zeit zum Gespräch auch hier äußerst knapp bemessen. Drei Polizisten wachten über den Romancier, der eigentlich Zahnarzt ist. Der erzählte derweil, er habe das Gefühl, ein Roman sei wie eine lebendige Kreatur, die man füttern müsse. Nach und nach sei es aber eher ein Wald, der sich für die Leser, aber auch für den Schreiber öffne. „Ich als Autor habe nicht das Recht, das zu analysieren, was der Roman mit mir macht“, erklärte er. Immerhin: Das, was sich da verselbständigt, scheint seine Sache gut zu machen, denn seine Bücher werden mittlerweile in 35 Sprachen übersetzt, wie al-Aswani bescheiden zugibt.
Alaa al-Aswani ist dafür bekannt, dass er sich mit seinen Texten für ein freies und demokratisches Ägypten einsetzt. 2011 nahm er an der Revolution gegen Hosni Mubarak auf dem Tahrir-Platz teil. Sein Übersetzer Hartmut Fähndrich, der das Gespräch auf der Buch Wien moderierte, erklärte, Kritiker sähen in dem aktuellen historischen Roman auch Fragen der Zeit beantwortet. „Das freut mich“, antwortete der Autor verschmitzt. Und wie beim Arabischen Frühling ginge es in seinem Roman ja auch um eine Revolution. „Ich musste mir also nichts ausdenken, sondern einfach aus meiner eigenen Erfahrung schreiben.“ Andererseits könne man nicht jede Person ohne eine literarische Änderung in einem Roman verwenden. Es sei also trotz seiner eigenen Erlebnisse noch viel Fiktives darunter.
„Eine Revolution hat eine interessante Dynamik“, erklärte al-Aswani weiter. „Da gibt es auf der einen Seite die Menschen, die schon von Beginn an bereit sind, für die Freiheit anderer zu sterben, auf der anderen Seite sind die Regimebefürworter, aber dazwischen – da sitzen die Leute, die zwar leiden, aber nichts dafür geben wollen, um ihre Freiheit zu erlangen, die große Masse, die große passive Masse.“ Ilija Trojanow hatte diese Masse im als „Duckmäuser und Mitläufer“ bezeichnet. Auch Alaa al-Aswani hat dafür einen Begriff: Die Sofa-Partei. „Weil sie sagen: Nein, wir brauchen keine Revolution – unser Diktator macht zwar Fehler, aber er beschützt uns. Wir bleiben lieber, wo wir sind.“
Alaa al-Aswanis erste Romane konnten nur in einem kleinen privaten Verlag erscheinen. Derzeit sei die Publikationsfreiheit aber noch schlechter als unter Mubarak, sagte er. Trotzdem sehe er das lässig: „Der Diktator liest niemals Bücher und erst recht niemals Romane, das ist also kein Problem.“ Ich aber werde diesen Roman lesen, er steht jetzt mit einer tollen Widmung von al-Aswani in meinem Regal ungelesener Bücher. Eine Rezension dieses Romans folgt also beizeiten, die Leseprobe vom Verlag (S. Fischer Verlag) gibt es derweil hier.
Alaa al-Aswani: Der Automobilclub von Kairo, S. Fischer Verlag, Frankfurt, 2015, 656 Seiten, gebunden, 24,99 Euro, ISBN 978-3100005557
Die Buch Wien 2015 war damit für mich beendet. In den nächsten Tagen werde ich – wie vor zwei Jahren auch – ein persönliches Fazit veröffentlichen. Und wenn alles klappt, berichte ich auch im Jahr 2016 wieder von der Buch Wien. Bleibt mir gewogen!
Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus ist eng verknüpft mit dem Namen Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Unerwähnt bleiben oft all jene Verschwörer aus dem weiteren Umfeld. Die einstige Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags Antje Vollmer und der „Welt“-Redakteur Lars-Broder Keil haben jetzt zehn dieser nahezu unbekannten Widerstandskämpfer eindrucksvoll und sehr nahegehend porträtiert. Ein Buch, das Sie gelesen haben sollten.
Das Umschlagfoto des Buches „Stauffenbergs Gefährten“ zeigt einen jungen Mann, einsam und mit nachdenklichem Blick in verschneitem Gebirge sitzend, festgehalten auf einer Schwarz-Weiß-Fotografie. Der junge Mann ist Friedrich Karl Klausing, junger Offizier und späterer Hauptmann und Widerstandskämpfer. Beim Hochverratsprozess im August 1944 vor dem Volksgerichtshof wird er der mit Abstand jüngste Angeklagte aus dem Kreise Stauffenbergs sein. Sein kurzer Abschiedsbrief („So fragt nicht mehr nach mir, sondern laßt mich damit ausgelöscht sein“), mit dem er seine Familie zu schützen versucht und der in dem von Vollmer verfassten Porträt veröffentlicht ist, erreicht die Eltern erst, als der 24-Jährige bereits hingerichtet worden ist.
Berührend veranschaulicht Vollmer, wie gerade Klausing einen einsamen Weg als Verschwörer einschlug. Seine Familie hatte die nationalsozialistische Karriereleiter genutzt. Vor allem der Vater war ein überzeugter Nationalsozialist und Hitler-Verehrer, der unter der Besetzung Prags Rektor der Karls-Universität wurde. Im Elternhaus konnte der junge Klausing also nicht mit Verständnis rechnen. Umso beklemmender ist für den Leser ein vom Vater an den Sohn gerichteter Brief, den dieser nicht mehr erhält. Glücklicherweise, muss man sagen, denn er ist unbelehrbar ideologisch getränkt. Der Vater begeht schließlich Selbstmord, weil er glaubt, er müsse die Ehre der Familie retten.
„Einsam in der Familie, einsam unter Freunden“
Bei der Vorstellung des Buches auf der Leipziger Buchmesse 2013 erklärte Vollmer, warum sie sich bei der Foto-Auswahl für den Buchumschlag ausgerechnet für Klausings Foto entschieden haben: „Das Foto zeigt am besten die Einsamkeit der Verschwörer, denn wer zu so einer Gruppe gehörte, war einsam, einsam in der Familie, einsam unter Freunden – und so ein Attentat machte man auch nicht im Auftrag des deutschen Volkes.“
Es ist eine wichtige Sammlung von Porträts, die Vollmer und Keil vorgelegt haben. Sie räumt auch auf mit der umstrittenen Figur des Hans Bernd Gisevius. Er ist einer der Überlebenden des 20. Juli und Autor des Buches „Bis zum bitteren Ende“, das nach dem Krieg vernichtend und aus sehr subjektiver Sicht über den Stauffenberg-Kreis berichtete – ohne dass sich seine Mitstreiter gegen diese fatale Darstellung der Ereignisse noch hätten wehren können. Die Erklärung, die Vollmer findet, ist so nachvollziehbar wie bitter.
Die beiden Autoren sind bei ihrer Arbeit umfangreich unterstützt worden. „Wir haben teilweise sehr private Aufzeichnungen zu sehen bekommen, vor allem Briefe und Tagebücher, Dokumente also, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren, und das hat uns sehr dankbar gemacht“, erklärte Vollmer nachdrücklich im März 2013 in Leipzig. So konnte nicht nur eine Annäherung an die unbekannten Gefährten Stauffenbergs entstehen, sondern eine intensive Beschäftigung mit ihrem Handeln, ihren Beweggründen und dem Schicksal ihrer Familien.
Interesse in der Nachkriegszeit gering
„Uns ging es weniger um eine Neuschreibung des Staatsstreichversuchs, sondern vielmehr darum, das Handeln der Beteiligten erlebbarer, verständlicher, emotionaler zu zeichnen – ohne dabei das historische Geschehen aus den Augen zu verlieren“, heißt es im Vorwort. Den Autoren gelingt es damit auch, den Hinterbliebenen endlich zu ermöglichen, woran sie lange Zeit gehindert waren: über ihre Ehemänner und Väter zu sprechen. Denn das Interesse an den Widerstandskämpfern und ihrer Geschichte war in der Nachkriegszeit mehr als gering.
Als Gastautorin konnten Vollmer und Keil die Historikerin Elisabeth Raiser, geb. von Weizsäcker, gewinnen, die ein berührendes Porträt über Margarethe von Oven verfasste. Von Oven arbeitete im Sommer 1943 als Büroleiterin im Heeresamt und tippte die Worte „Der Führer Adolf Hitler ist tot“, mit denen die Aktion „Walküre“ ausgelöst werden sollte. Das Porträt beleuchtet auch sehr eindrucksvoll, woher sie den Mut nahm und unter welcher Anspannung sie bis zum 20. Juli lebte.
Diese Porträts sind vortrefflich geschrieben. Ihre Emotionalität ist derart nahegehend, dass man sich immer wieder mit der Frage konfrontiert sieht: Hätte ich auch so gehandelt? Hätte ich selbst diesen Mut aufgebracht, nicht nur mein Leben zu riskieren, sondern auch das meiner Familie, meiner Freunde und Mitverschwörer?
„Zivilcourage noch immer etwas Notwendiges“
Karl Heinz Bohrer, Professor für Literaturwissenschaft und ehemaliger Herausgeber der Kulturzeitschrift „Merkur“, hielt am 20. Juli 2013 in Berlin die zentrale Gedenkrede zur Erinnerung an die Widerstandskämpfer. In seinem außergewöhnlichen Text zum Thema „Warum wir die Helden des 20. Juli nicht verstehen“ sagte er:
„Je länger die Zeit wird, in der wir uns von dem Tag, der als 20. Juli 1944 auf unserem historischen Kalender steht, zeitlich entfernen, desto mehr ist das Beispielhafte der Verschwörer jenes Tages zu begründen und zu erinnern. Sie selbst verstanden ihr Beispiel noch im Sinne eines symbolischen Ehrenkodex – sei er christlich-humanistisch oder preußisch-aristokratisch gewesen. (…) In einer so gefahrlosen, aber auch den Konformismus begünstigenden Gesellschaft wie der unseren – seit dem Attentat so friedfertigen Epochen –, ist die Zivilcourage noch immer etwas Notwendiges, wenn auch inzwischen Außergewöhnliches geworden. Um wie viel mehr die existentielle.“
Beide Autoren, sowohl Antje Vollmer als auch Lars-Broder Keil, haben sich wiederholt mit dem Widerstand gegen das Nazi-Regime auseinandergesetzt. Von Vollmer erschien zuvor eine von der Kritik begeistert aufgenommene Doppelbiografie über das Paar Heinrich und Gottliebe von Lehndorff, das ebenfalls zu den Mitwissern im Stauffenberg-Kreis gehörte.
Vollmers und Keils erstes gemeinsames Buch ist unbestreitbar eines der wichtigsten Bücher des Jahres 2013. Lesen Sie es!
Antje Vollmer / Lars-Broder Keil: Stauffenbergs Gefährten. Das Schicksal der unbekannten Verschwörer, Hanser Verlag, Berlin, 2013, 256 Seiten, gebunden, 19,90 Euro, ISBN 978-3446241565