Ophelia schwimmt wieder

Das QuartettDas fünfte Rad am Wagen ist entweder nur Ersatz oder störend, weil es das Gefährt aus der Spur bringt. Ähnlich müsste es bei einem Quartett sein, zu dem ein Fünfter stößt. Fügt es sich, wird es ein Quintett, bleibt das Quartett aber intakt, welche Rolle fällt dem Fünften zu? Bei Manuel Vázquez Montalbáns „Quartett“ ist dies eine von vielen Fragen, die nur unbefriedigend gelöst werden.

Montalbán ist im deutschen Sprachraum vor allem durch seine Kriminalromane mit Pepe Carvalho („Carvalho und die tätowierte Leiche“) bekannt, in denen der Privatdetektiv die Leidenschaft für gutes Essen mit seinem Schöpfer teilt. Der 2003 verstorbene Montalbán war aber nicht nur bekennender Gourmet und Romanautor, sondern auch noch Essayist und Kolumnist der spanischen Tageszeitung El País. Der Kurzroman „Das Quartett“ jedoch weiß offenbar nicht recht, was er sein soll: Charakterstudie, Kriminalroman, Abhandlung oder Kammerspiel.

Auch hier dreht sich die Handlung um einen Mord. Die junge Antiquitätenhändlerin Carlota ist ertränkt und anschließend von Pflanzen umrankt im Teich ihres Anwesens drapiert worden. Wer hier Patin für die schöne Leiche stand, wird auch dem letzten unwissenden Leser schnell beigebracht, denn Montalbán erinnert zunächst an die Ophelia von Everett Millais und zitiert sodann aus Shakespeares Hamlet jene Passage, in der Hamlets Mutter den Tod der Ophelia beschreibt.

Zwei Frauen, drei Männer

Millais ist bei Montalbán das „präraffaelitische Genie“, und Carlota habe man als „präraffaelitische Schönheit bezeichnen können, während Pepa einer Yankeehure der Zwischenkriegszeit glich“. Zwei Frauen, drei Männer. Das Quartett + 1.

Das Quartett besteht aus zwei Ehepaaren, alle um die 30 Jahre alt, schön, erfolgreich, vermögend, egoistisch. Abseits steht und beobachtet der ältere Señor Ventòs das Treiben der Vier: Carlota und Luis sowie Pepa und Modolell.

„Die vier waren zehn Jahre jünger als ich und streckten ihre makellosen Gesichter dem Ernst der Vierzig entgegen, einem Alter, in dem jeder bereits für sein Gesicht selbst verantwortlich ist; und obwohl sie über die Anzeichen ihrer schon spürbaren Reife witzelten, trösteten sie sich durch den wohltuenden Vergleich mit mir.“

Rätselhaft ist nur der Sinn

Señor Ventòs betrachtet die beiden Paare distanziert, als habe er zuvor eine Glasglocke über die Szenerie gestülpt. Die wäre wahrscheinlich aus Murano-Glas, denn Señor Ventòs wohnt seit dem Tod seiner Mutter allein in einem Haus mit einer kostbaren Sammlung von Murano-Glas.

Und während er es sich in seinem Charles-Eames-Sessel mit einem Glas Knockando Gran Reserva bequem macht, betrachtet er die Menschlein. Den Tod der Carlota, die Verhaftung seiner Freunde und das Rätsel eines Verbrechens, das im Grunde kein Rätsel ist, sondern dem Leser schnell offenbar wird. Rätselhaft ist nur der Sinn dieses Kurzromans.

Ja, es könnten fünf Charakterstudien sein. Doch sie werden derart ungewürzt dargeboten, dass es wundert, wie der Gourmet Montalbán daran Gefallen gefunden hat. Sprachlich sind sie viel zu gekünstelt und zeitweise geradezu affektiert.

Manche virtuosen Sätze stechen zwar heraus und sind für die Kategorie „Schöne Worte“ aufschreibenswert, doch meist ist der altkluge und stark von sich eingenommene Señor Ventòs nicht in der Lage, den Leser nachhaltig zu begeistern. Schade um die schöne Ophelia.

Manuel Vázquez Montalbán: Das Quartett, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin, 2012, 90 Seiten, Taschenbuch, 8,90 Euro, ISBN 978-3803126863

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