„Hier können wir nicht anhalten. Das ist Fledermausland“, sagt Raoul Duke alias Johnny Depp in Fear and Loathing in Las Vegas. Wie recht er hat: Um Fledermausland sollte man besser einen großen Bogen machen, es sei denn, man steht auf alberne Tommy-Jaud-Vampire.
Denn wahrscheinlich hätte Tommy Jaud einen ähnlich bemüht-lustigen Vampirroman schreiben können, wenn Oliver Dierssen das nicht schon für ihn übernommen hätte. Der Hannoveraner hat als Protagonisten seines Urban-Fantasy-Romans den planlosen Möchtegern-Studenten Sebastian Schätz erfunden, der in Niedersachsens Landeshauptstadt vor sich hinpuzzelt. Er arbeitet für kleines Geld in einem Asiashop, in seiner Zwei-Zimmer-Wohnung herrscht kreatives Chaos und seine Eltern gehen derweil fest davon aus, dass ihr Filius emsig studiert. Und dann ist da noch Kim, jene nach Mango duftende, unglaublich gutaussehende Frau, an der er interessiert ist, die mit ihm aber immer nur ins Kino gehen will. Kann man ihr allerdings nicht verdenken, denn Sebastian Schätz stellt sich selbst als wehleidiges, antriebsloses Bürschchen dar – die flapsige Sprache, in der er dem Leser von seinen skurrilen Erlebnissen erzählt, macht es leider nicht besser.
Alles beginnt damit, dass Sebastian eines Nachts Besuch von einer Fledermaus bekommt. Das macht ihn derart panisch, dass er zunächst nackt in den Wohnungsflur flüchtet und von dort einige Notrufnummern wählt. Als ihm aber niemand helfen will, packt er erstaunlicherweise das Problem selbst an, mit der Folge, dass er schließlich nur mit einem Bademantel bekleidet auf der Fensterbank steht und seine Hand im Rollladenkasten festklemmt. Danach überschlagen sich die Ereignisse, Spannung kommt deshalb aber nicht auf. Spannung, die klingt im Fledermausland so: „Die Windschutzscheibe des Wagens zerbarst. Eine Flut winziger Scherben ergoss sich ins Fahrzeug. Es klirrte, zischte und schäumte. Die Luft roch nach Fanta. Das Taxi kam von der Fahrbahn ab, stieß ungebremst gegen ein Hindernis, drehte sich um die eigene Achse. Die Fliehkraft riss an mir, warf mich in die Sicherheitsgurte, presste mir die Luft aus den Lungen.“ (S. 244)
Ja, Sebastian Schätz erlebt so einige ereignisreiche Tage. Er wird auf einer Kinotoilette von einem depressiven Vampir angefallen, ein Oger sucht ihn wegen einer Lebensberatung auf und urplötzlich hat er auch noch einen putzwütigen Gast zu Besuch, der in seinem Spülenschrank übernachtet. Als schließlich Zwerge auf seinem Sofa sitzen, glaubt auch Sebastian, dass hier nicht mehr alles mit rechten Dingen zugeht.
Wahrscheinlich braucht es eine bestimmte Art von Humor, um dieses Buch zu mögen. Tommy-Jaud-Fans kommen sicherlich auf ihre Kosten. Wer jedoch einen ernsthaften Vampirroman erwartet, sollte besser die Hände davon lassen und sich an die Radleys halten. Dem „Fledermausland“ fehlt es in weiten Strecken an Spannung, den Protagonisten möchte man rütteln und schütteln, damit der endlich aus seiner Lethargie erwacht und ein Mann der Tat wird, und die Auflösung des Ganzen kommt am Ende viel zu schnell und problemlos daher, als dass sie den Leser begeistern kann. Was allerdings sehr rührend geschrieben ist, sind die Danksagungen des Autors, der laut Angaben des Verlags seit 2007 als Arzt in einer psychiatrischen Klinik arbeitet, sich für das alphabetische Einsortieren von Büchern, gelegentliches stressfreies Reisen und uneingängige Rockmusik interessiert. „Fledermausland“ ist sein erster Roman; mittlerweile liegt als zweites Werk der Roman „Fausto“ vor.
Oliver Dierssen: Fledermausland, Heyne Verlag, München, 2009, 448 Seiten, Taschenbuch, 12,95 Euro, ISBN 978-3453266636