Buch Wien 2013 – Das Fazit

DSC_0291Vor einer Woche schlossen sich die Tore der sechsten Internationalen Buchmesse „Buch Wien“ endgültig. Laut Veranstalter besuchten rund 34.000 Literaturinteressierte die Buchmesse und die begleitende Lesefestwoche. Flächenmäßig war die Messe auf 8.800 Quadratmeter gewachsen und bot mit 330 Ausstellern aus zehn Nationen und mehr als 400 Veranstaltungen ein breites Programm für Bücherfreunde.

Die Eröffnungsrednerin Sibylle Lewitscharoff hielt in ihrer Rede ein viel beachtetes Plädoyer für das gedruckte Buch und wetterte gegen den Online-Versandhändler Amazon und die Aufweichung des Urheberrechts:

„Ebenso katastrophal (…) sind tumbe neue politische Gruppierungen, deren oberstes Ziel es ist, die Urheberrechte zu schleifen und gleich alles kostenlos ins Netz zu stellen. Wir leben nun einmal in einer Gesellschaft, die ihre Anerkennung dadurch ausdrückt, dass für eine Leistung bezahlt werden muss. Dass es dabei oft eklatant ungerecht zugeht, ist klar. Aber es ist völlig unverantwortlich, von einzelnen Branchen zu fordern, dass in ihnen künftig unbezahlt gearbeitet werden soll.“

Die vollständige Eröffnungsrede ist hier abrufbar.

Für Andrang bei den Messebühnen und volle Säle bei den Abendveranstaltungen sorgten vor allem österreichische, aber auch internationale Autoren wie Leon de Winter, Per Olov Enquist, Viktor Jerofejew, Tanja Maljartschuk und Mahmud Doulatabadi. Aus Deutschland kamen unter anderem Ferdinand von Schirach, der mit seinem neuen Roman „Tabu“ die Lesefestwoche eröffnete, Brigitte Kronauer und Clemens Meyer.

Die österreichische Literaturszene war mit Peter Henisch, Austrofred und Michael Stavarič prominent vertreten, die Schweiz mit Peter Stamm. Ganz besonders genossen habe ich die Lesung von Nadine Kegele, der Publikumspreisträgerin des diesjährigen Bachmann-Preis-Wettbewerbs, die für mich eine Entdeckung war.

Dass die Buch Wien jedoch noch am Anfang einer Messe-Karriere steht, merkt man an einigen kleinen Stellen. Zwar gibt es ein gedrucktes Programmheft, das kostenlos ausliegt, es fehlt darin aber ein Autoren- und Ausstellerverzeichnis. Das Ausstellerverzeichnis gibt es extra als Faltplan, ist aber nicht in das Programmheft integriert. Außerdem fehlen im Programmheft leider Hinweise auf die Termine an den einzelnen Messeständen. Das ist etwa bei der Leipziger Buchmesse besser gelöst.

Es fällt außerdem auf, dass die Verlage bei Facebook und anderen sozialen Netzwerken zu wenig Werbung machen für die Buch Wien. Auch das ist bei den großen Messen in Leipzig und Frankfurt anders. Trotzdem ist auch die Buch Wien eine Messe, die sich zu besuchen lohnt. Sie ist klein, familiär und überschaubar. Und gerade das macht sie so interessant. An den Messeständen und bei den Lesungen kommen Leser, Autoren und Verlagsmitarbeiter ins Gespräch. Ein Gang über die Messe artet nicht in Stress und Geschiebe aus, sondern sorgt für einen guten Einblick in die aktuelle Buchlandschaft. Ich bin gespannt, wie sich die Messe in den nächsten Jahren weiterentwickelt.

Die nächste Gelegenheit, die Buch Wien zu besuchen, gibt es vom 13. bis 16. November 2014. Ob Seitengang daran teilnehmen kann, ist allerdings noch nicht klar. Alle Berichte von der Buch Wien sind hier nachzulesen.

Nadine Kegele oder: Eine Entdeckung am Abend

Nadine Kegele liest "Annalieder".
Nadine Kegele liest „Annalieder“.

Den zweiten Messetag der „Buch Wien“ habe ich überwiegend mit Schreiben verbracht. Erst am Abend besuchte ich eine Lesung im wunderschönen Buchladen-Café „phil“. Dort las Nadine Kegele, die Publikumspreisträgerin des diesjährigen Bachmann-Preis-Wettbewerbs, aus ihrem literarischen Debüt „Annalieder“. Eine wahrhaftige Entdeckung!

Die junge Vorarlberger Autorin kam mit 18 nach Wien und studierte nach dem Zweiten Bildungsweg Germanistik, Theaterwissenschaften und Gender Studies. Sie ist bereits mehrfach ausgezeichnet worden und hat vor ihrem Prosa-Debüt Texte in Anthologien und Zeitschriften veröffentlicht.

„Annalieder“ ist eine Sammlung von zwölf Erzählungen über zwölf Frauen, von denen Anna nur eine ist. Die österreichische Literaturwissenschaftlerin Daniela Strigl, die ins Werk einführte und die Lesung moderierte, sagte, es seien Lieder mit Misstönen, Geschichten, in denen Messer herumlägen und irgendwann auch benutzt werden.

Gespür für ihre eigene Sprache und ihr Sprechen

„Es geht darum, was Männer Frauen antun und was Eltern ihren Kindern antun“, erklärte Strigl. Kegele habe ein Gespür für Körper und ihre Sprache. „Das geht vom Stoffwechsel bis zum Sex.“ Kegele hat aber auch ein Gespür für ihre eigene Sprache und ihr Sprechen. Man möchte ihr den ganzen Abend zuhören, wie sie ihre Erzählungen vorliest, die den Kopf anstrengen, weil man zuhören muss.

Denn es gibt Sprünge, Überraschungen, Wendungen, die allzu rätselhaft bleiben, wenn man nicht aufpasst und aufmerksam hört oder liest. „Die Leserinnen und Leser fragen oft nach, ob sie es richtig verstanden haben, sie vergewissern sich bei mir“, sagte Kegele am Abend in Wien.

Im „phil“ stellte sie eineinhalb Erzählungen vor. In „Hinter Papa“, die sie nur zur Hälfte vorlas, sucht die Protagonistin nach dem richtigen Entwurf für ihr Leben, einem Plan, denn sie wählt sich stets nur Vaterfiguren zum Partner.

Die Worte wirken wie dahingeworfen

„Nachtheulen“ wiederum erzählt von einem Geschlechtertausch ohne Happy End und einer Vergewaltigung, die keine ist. Kegele schreibt in einer lapidaren Sprache. Die Worte wirken wie dahingeworfen, wie zwischen Tür und Angel erzählt, und doch mit Bedacht gewählt. Beeindruckend.

„Ich sehe die Frauen in meinen Erzählungen nicht als Opfer, sondern ich interessiere mich für ihre Gefangenheiten“, sagte sie. Gefangen, ja, das sind sie. Und sie versuchen aus ihren Rollen auszubrechen, in denen sie stecken oder in die sie gesteckt worden sind.

Es geht um Gleichberechtigung und den Geschlechterkampf. Oft auch um die Mutterschaft, um überforderte Mütter. „Mir tut es immer leid, wenn sichtlich schwangere Frauen im Publikum sitzen und ich diese Geschichten vortrage“, erklärte sie. Aber eine Mutterschaft sei etwas Schwieriges, wo Frauen viel abverlangt werde.

„Ich bin Ja und Nein“

In „Annalieder“ findet sich aber auch eine Geschichte über eine Prostituierte, die der illegalen Sexarbeit zu Hause nachgeht und „ökonomisch am Boden und allein“ ist. Im Rahmen der Debatte um ein Prostitutionsverbot ist die Erzählung hochaktuell. Aber Kegele machte am Freitagabend deutlich, dass sie nicht klar für etwa eintrete: „Ich bin Ja und Nein, und ich bin nicht für das Verbot.“ Das sei nun auch nicht die Aufgabe von Literatur, fügte Strigl hinzu und schloss damit den Leseabend.

Auf diesem Blog wird sicher bald die Rezension der „Annalieder“ folgen. Wer Nadine Kegele selbst folgen mag, kann das bei Twitter tun. Auch ein Blick auf ihre Homepage lohnt sich.

Nadine Kegele: Annalieder, Czernin Verlag, Wien, 2013, 112 Seiten, gebunden, 17,90 Euro, ISBN 978-3707604467

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