Die Leipziger Buchmesse 2014 hat begonnen. Bis Sonntag berichtet Seitengang von den Ereignissen der Buchmesse, von Lesungen, Begegnungen, Entdeckungen und vor allem Büchern und Autoren.
Zur Eröffnung des “Café Europa” des Auswärtigen Amts und der Stadt Leipzig war am Donnerstagvormittag traditionell der Preisträger des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung zu Gast. Der indische Publizist und Historiker Pankaj Mishra hatte den mit 15.000 Euro dotierten Preis am Abend zuvor für sein Buch „Aus den Ruinen des Empires. Die Revolte gegen den Westen und der Wiederaufstieg Asiens“ bekommen. Das 2013 bei S. Fischer erschienene Werk handelt von der Suche asiatischer Intellektueller nach Antworten auf die Überwältigung durch den Westen, analysiert allerdings aus nicht-westlicher Sicht.
für die Selbstverständigung Europas über die eigene Rolle in der heutigen Welt
unentbehrlich macht“, erklärt die international besetzte Jury ihr Urteil.
Mishra stellte sich im „Cafe Europa“ den klugen Fragen des Schriftstellers Ilija Trojanow, der am Abend auch die Laudatio für den Preisträger gehalten hatte (hier als PDF zum Nachlesen). Trojanow rühmte Mishra als „brillanten, globalen Intellektuellen“, der sich mit asiatischer und indischer Geschichte auskenne. Und gerade dieser kosmopolitische Blick mache das Buch zu einem Lesevergnügen. „Ich wusste das alles nicht, bevor ich das las“, erklärte Trojanow. Deshalb könne er das Buch nur all jenen ans Herz legen, die noch etwas lernen wollen. Und: „Selten war lernen so billig wie heute.“
Lernen – das war schließlich auch der Grund, weshalb Mishra überhaupt dieses Buch geschrieben hat. „Ich hatte eine große Lücke in meinem eigenen Wissen, habe ich festgestellt, und ich kannte kein Buch, dass die asiatische Geschichte so beschreibt.“
Von Trojanow darauf angesprochen, erklärt Mishra, warum er drei literarische Figuren in seinem Buch agieren lässt. Vor allem habe er über Menschen schreiben wollen, die noch nicht in Geschichten gerühmt worden seien. „Es gibt Aspekte im Leben dieser drei Persönlichkeiten, die kaum bekannt sind.“ Die drei Figuren repräsentierten darüberhinaus Phasen von Austausch und intellektueller Dynamik. „Sie sollen Licht in das Geschichtsverständnis bringen.“
Pankaj Mishra: Aus den Ruinen des Empires. Die Revolte gegen den Westen und der Wiederaufstieg Asiens, S. Fischer Verlag, Frankfurt, 2013, 448 Seiten, gebunden, 26,99 Euro, ISBN 978-3100488381
Das Buch deckt Missstände im deutschen Kinderschutzsystem auf und belegt es durch schockierende Fälle aus dem Alltag der beiden Rechtsmediziner der Berliner Charité. Zusammen fordern sie ein energisches Vorgehen gegen Kindesmisshandler – und gegen all jene, die die alltägliche Misshandlung von Kindern durch Wegschauen, Verharmlosen und Tabuisieren begünstigen.
Die Reaktion auf das Buch sei von seiten der Bürger sehr gut gewesen, erklärt Tsokos. Erstaunlicherweise aber habe sich die Politik „weggeduckt“. Nur die Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig habe sich geäußert, aber nur eine „Kultur des Hinsehens“ gefordert. „Das ist doch nur eine Politikerfloskel“, sagt Tsokos ernst. Ihm ist anzumerken, dass er sich gewünscht hätte, eine größere Debatte auszulösen.
„Wir sind sauer auf das System der Tolerierer und der Täter“, erklärt Tsokos weiter. Seit 20 Jahren sei er nun in der Rechtsmedizin tätig, und immer wieder erlebe er diese Fälle, die hätten verhindert werden können. „Da habe ich zu Saskia (Guddat, Co-Autorin) gesagt: Wir müssen ein Buch schreiben, auch wenn wir Gegenwind bekommen, aber ein totes Kind auf dem Sektionstisch, das ist jedes Mal ein Albtraum.“
(Ich belasse es bei diesen kurzen Anmerkungen, denn eine ausführliche Rezension des Buches folgt schon bald auf Seitengang!)
Michael Tsokos/Saskia Guddat: Deutschland misshandelt seine Kinder, Verlag Droemer Knaur, München, 2014, 256 Seiten, gebunden, 19,99 Euro, ISBN 978-3426276167
Die Geschichte seiner plötzlichen Festnahme durch den kolumbianischen und ecuadorianischen Militärgeheimdienst im Jahr 1985 ist bekannt – er hat sie später vor Amnesty International und anderen internationalen Menschenrechtsorganisationen erzählt. Dennoch ist sie hier erstmalig in einem Buch veröffentlicht.
Auf der Leipziger Literaturmesse gibt Calvo einen ersten Einblick. Der Journalist erzählt trotz der Ernsthaftigkeit des Themas mit lakonischem Humor von seinen Erfahrungen im Gefängnis. „In Lateinamerika sind die Gefängnisse etwas grausamer, aber sonst sie sind wie überall.“ Wer als politischer Gefangener in Haft kommt, werde mit Respekt behandelt. Aber wie in jedem anderen Gefängnis tummeln sich dort auch die Diebe, Betrüger und Mörder.
Belustigt hörte das Publikum Calvos Anekdote über einen wohlhabenden Niederländer, der die Zeche einer Prostituierten geprellt hatte und dafür eine Nacht im Gefängnis verbringen musste. „Als der auf die übrigen Insassen im Innenhof traf, gesellten sich rechts und links Kolumbianer zu ihm und nahmen ihn aus.“ Der Niederländer aber glaubte, sich wehren zu können und drohte an, er könne Karate. Calvo trocken: „Da haben sie ihm eine lange Machete gezeigt.“
Der arme Niederländer musste nun seine gesamte Kleidung abgeben. Schon als er den Innenhof betreten hatte, habe seine Kleidung eigentlich schon jemand anderem gehört, sagt Calvo. „Er musste aber nicht nackt zurück auf die Straße, die Kolumbianer haben ihm andere Häftlingskleidung gegeben.“ Und dann setzt er hinzu: „Er war allerdings ziemlich groß, und wir sind alle ziemlich klein.“ Als der Niederländer am nächsten Tag von dessen Frau aus dem Gefängnis abgeholt worden sei, habe sie also einen ziemlich unmöglich angezogenen Mann zurückbekommen.
Man könnte meinen, dieser Journalist der französischen Le Monde Diplomatique könne doch kaum einer Fliege etwas zu Leide tun. Aber manchmal sind es wohl doch Wörter, die gefährlich sind wie Schwertspitzen und deshalb ähnlich gefürchtet werden. Im Jahr 2009, als er für eine Reportage nach Mexiko fliegen musste, verweigerten die USA einer Maschine der Air France, in der er saß, den Weg durch den US-Luftraum.
„Ich erinnere mich noch daran, dass der Kapitän durchsagte, wir dürften nicht in den amerikanischen Luftraum einfliegen, weil an Bord jemand sei, der Amerika gefährde.“ An ihn selbst habe er dabei nicht gedacht, sagt Calvo. Erst nach der Landung habe der Kapitän ihn zur Seite genommen und ihn aufgeklärt, dass er offenbar auf der No-Fly-List der USA stehe.
Calvo hätte sicher noch mehr zu erzählen gehabt, aber seine Redezeit war leider auch begrenzt. Eine Rezension seines Buches wird beizeiten auf Seitengang folgen.
Hernando Calvo Ospina: Sei still und atme tief, Zambon Verlag, Frankfurt, 2013, 220 Seiten, broschiert, 12 Euro, ISBN 978-3889752215