Leipziger Buchmesse 2014: Pankaj Mishra, Michael Tsokos und Hernando Calvo Ospina

DSC_0004-klDie Leipziger Buchmesse 2014 hat begonnen. Bis Sonntag berichtet Seitengang von den Ereignissen der Buchmesse, von Lesungen, Begegnungen, Entdeckungen und vor allem Büchern und Autoren.

Zur Eröffnung des “Café Europa” des Auswärtigen Amts und der Stadt Leipzig war am Donnerstagvormittag traditionell der Preisträger des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung zu Gast. Der indische Publizist und Historiker Pankaj Mishra hatte den mit 15.000 Euro dotierten Preis am Abend zuvor für sein Buch „Aus den Ruinen des Empires. Die Revolte gegen den Westen und der Wiederaufstieg Asiens“ bekommen. Das 2013 bei S. Fischer erschienene Werk handelt von der Suche asiatischer Intellektueller nach Antworten auf die Überwältigung durch den Westen, analysiert allerdings aus nicht-westlicher Sicht.

Eröffnung des "Café Europa": Ilija Trojanow (v. l.), Pankaj Mishra und seine Übersetzerin.
Eröffnung des „Café Europa“: Ilija Trojanow (v. l.), Pankaj Mishra und seine Übersetzerin.
„Am Beispiel dreier bahnbrechender Einflussfiguren und Wortführer stellt er die intellektuelle und politische Mobilisierung dar, die den Aufstieg Chinas und Indiens zu Weltmächten und den Erfolg des politischen Islam begründete. Es ist der nicht-europäische Blick auf den Westen, der Pankaj Mishras aufklärendes Werk
für die Selbstverständigung Europas über die eigene Rolle in der heutigen Welt
unentbehrlich macht“, erklärt die international besetzte Jury ihr Urteil.

Mishra stellte sich im „Cafe Europa“ den klugen Fragen des Schriftstellers Ilija Trojanow, der am Abend auch die Laudatio für den Preisträger gehalten hatte (hier als PDF zum Nachlesen). Trojanow rühmte Mishra als „brillanten, globalen Intellektuellen“, der sich mit asiatischer und indischer Geschichte auskenne. Und gerade dieser kosmopolitische Blick mache das Buch zu einem Lesevergnügen. „Ich wusste das alles nicht, bevor ich das las“, erklärte Trojanow. Deshalb könne er das Buch nur all jenen ans Herz legen, die noch etwas lernen wollen. Und: „Selten war lernen so billig wie heute.“

Lernen – das war schließlich auch der Grund, weshalb Mishra überhaupt dieses Buch geschrieben hat. „Ich hatte eine große Lücke in meinem eigenen Wissen, habe ich festgestellt, und ich kannte kein Buch, dass die asiatische Geschichte so beschreibt.“

Von Trojanow darauf angesprochen, erklärt Mishra, warum er drei literarische Figuren in seinem Buch agieren lässt. Vor allem habe er über Menschen schreiben wollen, die noch nicht in Geschichten gerühmt worden seien. „Es gibt Aspekte im Leben dieser drei Persönlichkeiten, die kaum bekannt sind.“ Die drei Figuren repräsentierten darüberhinaus Phasen von Austausch und intellektueller Dynamik. „Sie sollen Licht in das Geschichtsverständnis bringen.“

Pankaj Mishra: Aus den Ruinen des Empires. Die Revolte gegen den Westen und der Wiederaufstieg Asiens, S. Fischer Verlag, Frankfurt, 2013, 448 Seiten, gebunden, 26,99 Euro, ISBN 978-3100488381

Buchvorstellung: Die Rechtsmediziner Michael Tsokos (M.) und Saskia Guddat.
Buchvorstellung: Die Rechtsmediziner Michael Tsokos (M.) und Saskia Guddat.
Erheblichen Andrang gab es wenig später bei der Vorstellung des Buches „Deutschland misshandelt seine Kinder“. Das Buch – vielmehr: die Streitschrift – der beiden Rechtsmediziner Saskia Guddat und Michael Tsokos hatte bei Erscheinen Anfang Februar für Aufregung gesorgt. Nach den im Buch vorgelegten Zahlen werden jeden Tag in Deutschland mehr als 500 Kinder von Erwachsenen aus ihrem familiären Umfeld misshandelt. Und fast jeden Tag werde ein Kind durch körperliche Gewalt getötet.

Das Buch deckt Missstände im deutschen Kinderschutzsystem auf und belegt es durch schockierende Fälle aus dem Alltag der beiden Rechtsmediziner der Berliner Charité. Zusammen fordern sie ein energisches Vorgehen gegen Kindesmisshandler – und gegen all jene, die die alltägliche Misshandlung von Kindern durch Wegschauen, Verharmlosen und Tabuisieren begünstigen.

Die Reaktion auf das Buch sei von seiten der Bürger sehr gut gewesen, erklärt Tsokos. Erstaunlicherweise aber habe sich die Politik „weggeduckt“. Nur die Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig habe sich geäußert, aber nur eine „Kultur des Hinsehens“ gefordert. „Das ist doch nur eine Politikerfloskel“, sagt Tsokos ernst. Ihm ist anzumerken, dass er sich gewünscht hätte, eine größere Debatte auszulösen.

„Wir sind sauer auf das System der Tolerierer und der Täter“, erklärt Tsokos weiter. Seit 20 Jahren sei er nun in der Rechtsmedizin tätig, und immer wieder erlebe er diese Fälle, die hätten verhindert werden können. „Da habe ich zu Saskia (Guddat, Co-Autorin) gesagt: Wir müssen ein Buch schreiben, auch wenn wir Gegenwind bekommen, aber ein totes Kind auf dem Sektionstisch, das ist jedes Mal ein Albtraum.“

(Ich belasse es bei diesen kurzen Anmerkungen, denn eine ausführliche Rezension des Buches folgt schon bald auf Seitengang!)

Michael Tsokos/Saskia Guddat: Deutschland misshandelt seine Kinder, Verlag Droemer Knaur, München, 2014, 256 Seiten, gebunden, 19,99 Euro, ISBN 978-3426276167

Im Gespräch: Der kolumbianische Schriftsteller und Journalist Hernando Calvo Ospina (l.).
Im Gespräch: Der kolumbianische Schriftsteller und Journalist Hernando Calvo Ospina (l.).
Im Sachbuchforum stellte der kolumbianische Journalist und Schriftsteller Hernando Calvo Ospina seine Autobiographie „Sei still und atme tief“ vor. Darin erzählt er von seinem Verschwinden in Ecuador und seinem späteren Wiederauftauchen in Europa. Dazwischen liegen Monate, in denen er verschleppt und gefoltert wurde, mit Schlafentzug, Schlägen und Elektroschocks.

Die Geschichte seiner plötzlichen Festnahme durch den kolumbianischen und ecuadorianischen Militärgeheimdienst im Jahr 1985 ist bekannt – er hat sie später vor Amnesty International und anderen internationalen Menschenrechtsorganisationen erzählt. Dennoch ist sie hier erstmalig in einem Buch veröffentlicht.

Auf der Leipziger Literaturmesse gibt Calvo einen ersten Einblick. Der Journalist erzählt trotz der Ernsthaftigkeit des Themas mit lakonischem Humor von seinen Erfahrungen im Gefängnis. „In Lateinamerika sind die Gefängnisse etwas grausamer, aber sonst sie sind wie überall.“ Wer als politischer Gefangener in Haft kommt, werde mit Respekt behandelt. Aber wie in jedem anderen Gefängnis tummeln sich dort auch die Diebe, Betrüger und Mörder.

Belustigt hörte das Publikum Calvos Anekdote über einen wohlhabenden Niederländer, der die Zeche einer Prostituierten geprellt hatte und dafür eine Nacht im Gefängnis verbringen musste. „Als der auf die übrigen Insassen im Innenhof traf, gesellten sich rechts und links Kolumbianer zu ihm und nahmen ihn aus.“ Der Niederländer aber glaubte, sich wehren zu können und drohte an, er könne Karate. Calvo trocken: „Da haben sie ihm eine lange Machete gezeigt.“

Der arme Niederländer musste nun seine gesamte Kleidung abgeben. Schon als er den Innenhof betreten hatte, habe seine Kleidung eigentlich schon jemand anderem gehört, sagt Calvo. „Er musste aber nicht nackt zurück auf die Straße, die Kolumbianer haben ihm andere Häftlingskleidung gegeben.“ Und dann setzt er hinzu: „Er war allerdings ziemlich groß, und wir sind alle ziemlich klein.“ Als der Niederländer am nächsten Tag von dessen Frau aus dem Gefängnis abgeholt worden sei, habe sie also einen ziemlich unmöglich angezogenen Mann zurückbekommen.

Man könnte meinen, dieser Journalist der französischen Le Monde Diplomatique könne doch kaum einer Fliege etwas zu Leide tun. Aber manchmal sind es wohl doch Wörter, die gefährlich sind wie Schwertspitzen und deshalb ähnlich gefürchtet werden. Im Jahr 2009, als er für eine Reportage nach Mexiko fliegen musste, verweigerten die USA einer Maschine der Air France, in der er saß, den Weg durch den US-Luftraum.

„Ich erinnere mich noch daran, dass der Kapitän durchsagte, wir dürften nicht in den amerikanischen Luftraum einfliegen, weil an Bord jemand sei, der Amerika gefährde.“ An ihn selbst habe er dabei nicht gedacht, sagt Calvo. Erst nach der Landung habe der Kapitän ihn zur Seite genommen und ihn aufgeklärt, dass er offenbar auf der No-Fly-List der USA stehe.

Calvo hätte sicher noch mehr zu erzählen gehabt, aber seine Redezeit war leider auch begrenzt. Eine Rezension seines Buches wird beizeiten auf Seitengang folgen.

Hernando Calvo Ospina: Sei still und atme tief, Zambon Verlag, Frankfurt, 2013, 220 Seiten, broschiert, 12 Euro, ISBN 978-3889752215

Der Preis der Leipziger Buchmesse 2014: Die Gewinner

Alle Preisträger: Saša Stanišić (v. l.), Robin Detje  und Helmut Lethen. Foto: Leipziger Messe GmbH / Uli Koch
Alle Preisträger: Saša Stanišić (v. l.), Robin Detje und Helmut Lethen. Foto: Leipziger Messe GmbH / Uli Koch
Eine Dekade ist geschafft! Zum zehnten Mal ist am Donnerstagnachmittag in Leipzig der Preis der Leipziger Buchmesse verliehen worden. Der mit insgesamt 45.000 Euro dotierte Preis gilt mittlerweile als einer der renommiertesten Buchpreise im deutschsprachigen Raum. In diesem Jahr entschied sich die siebenköpfige Jury unter dem Vorsitzenden Hubert Winkels für:

Saša Stanišić (Kategorie Belletristik) mit seinem Roman „Vor dem Fest“, erschienen im Luchterhand Literaturverlag,

Helmut Lethen (Kategorie Sachbuch/Essayistik) mit seinem Buch „Der Schatten des Fotografen“, erschienen bei Rowohlt Berlin, und

Robin Detje (Kategorie Übersetzung) mit seiner Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von William T. Vollmanns „Europe Central“, erschienen im Suhrkamp Verlag.

Als Henry Hasenpflug, Staatssekretär für Wissenschaft und Kunst des Freistaates Sachsen, den Namen Saša Stanišić als Sieger des Buchpreises in der Kategorie Belletristik nennt, ist Jubel und Hochstimmung im Publikum. Stanišićs Roman über ein fiktives Dorf in der Uckermark ist erst am Anfang der Buchmesse-Woche erschienen und hat dennoch bereits begeisterten Anklang in den Feuilletons gefunden.

„Stanišić hat ein Dorf aus Sprache erfunden, ein Kaleidoskop, einen Kosmos aus vielen Stimmen, Klangfarben, Jargons, die Welt in nuce, magisch zusammengehalten von einem kollektiven Erzähler, der dazugehört, einem, der verschmitzt ist und gewitzt und klug und ein bisschen weise“, urteilt die Jury über den Roman des Mannes, der zuvor schon als Autor, Blogger und Kolumnist zahlreiche Preise und Stipendien erhalten hat.

Stanišić nimmt den Preis sichtlich überrascht entgegen. Er sei „wahnsinnig froh“ und erzählt, er habe auf dem Weg zur Preisverleihung ein Ei geschenkt bekommen. „Ich glaube, das ist aus der Uckermark.“ Er dankt dem Verlag, der Uckermark und seiner eigenen Freundin, die zuletzt auch zu seiner Lektorin geworden sei, erzählt er. So einsam sei das Schriftstellerleben also nicht.

In der Kategorie „Sachbuch/Essayistik“ kürte die Jury den Essay „Der Schatten des Fotografen“ des Literaturwissenschaftlers Helmut Lethen. Woher rührt die ungeheure Wirkung, die Fotos auf uns haben? Und wie viel Wirklichkeit steckt in oder hinter den Bildern? Lethen geht diesen Fragen auf einem Streifzug durch die Kunst- und Mediengeschichte des 20. Jahrhunderts nach.

Die Jury sagt: „Wenn man dieses Buch als Verhaltenslehre des Sehens bezeichnet – als nützliche, sinnliche, analytische Verhaltenslehre des Sehens –, dann nur, wenn man einen Aspekt noch ergänzt. Nichts Autoritäres gibt es hier, im Gegenteil. „Der Schatten des Fotografen“, das ist eine Lehre zum Mitdenken; anregend noch lange nach der Lektüre.“

Als Lethen ans Mikrofon tritt, ruft er als erstes aus: „Da ist ein Scheck!“ Das Publikum lacht. Dann grüßt er, so wie er es von der Oscar-Verleihung gelernt habe, seine Frau, seine fünf Kinder sowie seine Ex-Frau im Amsterdam und verlässt dann die Bühne.

In der Kategorie „Übersetzung“ wird Robin Detje für seine Übertragung von William T. Vollmanns “Europe Central” aus dem amerikanischen Englisch mit dem Leipziger Buchpreis prämiert. Das rund 1.000 Seiten umfassende Buch, in den USA bereits 2005 erschienen, ist ein historischer Roman über die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts in Mitteleuropa und Russland.

„Robin Detje schreibt seine Übersetzung stimmig am amerikanischen Original entlang. Immer wieder findet er überzeugende Entsprechungen für Töne, Bilder, Motivreihen. Mit diesem Sprachgefühl, Akribie und auf Augenhöhe mit dem Autor bringt er uns diese Hymne auf die Kunst des Erzählens, die dabei selbst die Grenzen klassischen Erzählens immer wieder durchbricht, auch musikalisch nah“, begründet die Jury ihre Entscheidung. Detje habe das Werk „eindrucksvoll übersetzt“, es seien Sätze „voller Schönheit und Abgründe, in denen Zynismus, Lakonie und Poesie aufeinander fallen“.

Insgesamt sind in diesem Jahr 410 Titel von 136 Verlagen für den Preis eingereicht worden. Daraus nominierte die Jury fünf Autoren oder Übersetzer in jeder Kategorie.

Nominierte Kategorie Belletristik:
Fabian Hischmann:
„Am Ende schmeißen wir mit Gold“ (Berlin Verlag)
Per Leo: „Flut und Boden: Roman einer Familie“ (Klett-Cotta)
Martin Mosebach: „Das Blutbuchenfest“ (Carl Hanser Verlag)
Katja Petrowskaja: „Vielleicht Esther“ (Suhrkamp Verlag)
Saša Stanišić: „Vor dem Fest“ (Luchterhand Literaturverlag)

Nominierte Kategorie Sachbuch/Essayistik:
Diedrich Diederichsen:
„Über Pop-Musik“ (Kiepenheuer&Witsch)
Jürgen Kaube: „Max Weber: Ein Leben zwischen den Epochen“ (Rowohlt Berlin)
Helmut Lethen: „Der Schatten des Fotografen“ (Rowohlt Berlin)
Barbara Vinken: „Angezogen: Das Geheimnis der Mode“ (Klett-Cotta)
Roger Willemsen: „Das Hohe Haus: Ein Jahr im Parlament“ (S. Fischer)

Nominierte Kategorie Übersetzung:
Paul Berf:
„Spielen“, aus dem Norwegischen, von Karl Ove Knausgård (Luchterhand Literaturverlag)
Robin Detje: „Europe Central“, aus dem amerikanischen Englisch, von William T. Vollmann (Suhrkamp Verlag)
Ursula Gräfe: „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“, aus dem Japanischen, von Haruki Murakami (Dumont Buchverlag)
Hinrich Schmidt-Henkel: „Jacques der Fatalist und sein Herr“ aus dem Französischen, von Denis Diderot (Matthes & Seitz Berlin)
Ernest Wichner: „Buch des Flüsterns“, aus dem Rumänischen, von Varujan Vosganian (Paul Zsolnay Verlag)

Seitengang fährt zur Leipziger Buchmesse 2014

Druck„Seitengang – Ein Literatur-Blog“ fährt auch in diesem Jahr wieder zur Leipziger Buchmesse. Vom 13. bis 16. März 2014 berichtet Seitengang direkt aus Leipzig über Lesungen, Autoren und Verlage sowie natürlich auch über die Sputnik LitPop 2014.

Zu den besonderen Höhepunkten in diesem Frühjahr zählen die Auftritte berühmter Autoren wie Margaret Atwood, Simon Beckett, Margriet de Moor, Arne Dahl, Håkan Nesser, Ingrid Noll, Frank Schätzing oder Friedrich Ani. Leipzig bereitet aber auch erneut die Bühne für politische Autoren und Themen: Pankaj Mishra etwa, Publizist und Historiker aus Indien, bekommt in diesem Jahr den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung.

Im Jahr 2006 ist der ukrainische Schriftsteller Juri Andruchowytsch mit diesem Preis geehrt worden – derzeit demonstriert er auf dem Majdan-Platz in Kiew und reist im März nach Leipzig, um unter anderem über die politischen Entwicklungen seines Landes zu informieren.

Vorstellung der Neuerscheinungen des Frühjahrs

Schwerpunkt der Leipziger Buchmesse ist neben der Vorstellung der Neuerscheinungen des Frühjahrs zum dritten Mal in Folge das Programm “tranzyt. Literatur aus Polen, der Ukraine und Belarus”. Dort präsentieren wie schon in den vergangenen beiden Jahren etablierte und aufstrebende Autoren aus Mittelosteuropa zum Teil noch unbekannte Literaturwelten. Eines der wichtigsten Themen wird dabei der Erste Weltkrieg sein. Polen, die Ukraine und Belarus waren wichtige Schauplätze des Krieges, der diese Länder mit all seinen Folgen heimsuchte.

Gastland der diesjährigen Buchmesse ist die Schweiz, die mit mehr als 80 Autorinnen und Autoren sowie vielen Aktionen nach Leipzig reist. Angekündigt haben sich unter anderem Milena Moser, Adolf Muschg, Peter Stamm und Martin Suter.

Außerdem wird am 13. März um 16 Uhr in der Glashalle der Messe der Preis der Leipziger Buchmesse für herausragende deutschsprachige Neuerscheinungen und Übersetzungen verliehen. Zum zehnten Mal ist das Rennen um den begehrten Preis eröffnet. Im Jubiläumsjahr reichten 136 Verlage insgesamt 410 Titel ein, die im Zeitraum bis zur Leipziger Buchmesse 2014 erscheinen werden. Unter der Leitung von Journalist und Literaturkritiker Hubert Winkels nominierte die siebenköpfige Jury jeweils fünf Autoren und Übersetzer in den Kategorien Belletristik, Sachbuch/Essayistik und Übersetzung.

Bis zum 6. März können Sie Ihren Favoriten in der Kategorie Belletristik wählen. Unter allen Teilnehmern wird ein Paket mit den nominierten Belletristiktiteln sowie Eintrittskarten zur Leipziger Buchmesse verlost.

Die drei Gewinner des Preises der Leipziger Buchmesse erfahren Sie am schnellsten, wenn Sie Seitengang bei Twitter folgen. Dort werden die Preisträger noch während der Preisvergabe bekannt gegeben, so schnell es möglich ist. Der ausführliche Text folgt dann selbstverständlich später hier im Blog.

Buch Wien 2013 – Das Fazit

DSC_0291Vor einer Woche schlossen sich die Tore der sechsten Internationalen Buchmesse „Buch Wien“ endgültig. Laut Veranstalter besuchten rund 34.000 Literaturinteressierte die Buchmesse und die begleitende Lesefestwoche. Flächenmäßig war die Messe auf 8.800 Quadratmeter gewachsen und bot mit 330 Ausstellern aus zehn Nationen und mehr als 400 Veranstaltungen ein breites Programm für Bücherfreunde.

Die Eröffnungsrednerin Sibylle Lewitscharoff hielt in ihrer Rede ein viel beachtetes Plädoyer für das gedruckte Buch und wetterte gegen den Online-Versandhändler Amazon und die Aufweichung des Urheberrechts:

„Ebenso katastrophal (…) sind tumbe neue politische Gruppierungen, deren oberstes Ziel es ist, die Urheberrechte zu schleifen und gleich alles kostenlos ins Netz zu stellen. Wir leben nun einmal in einer Gesellschaft, die ihre Anerkennung dadurch ausdrückt, dass für eine Leistung bezahlt werden muss. Dass es dabei oft eklatant ungerecht zugeht, ist klar. Aber es ist völlig unverantwortlich, von einzelnen Branchen zu fordern, dass in ihnen künftig unbezahlt gearbeitet werden soll.“

Die vollständige Eröffnungsrede ist hier abrufbar.

Für Andrang bei den Messebühnen und volle Säle bei den Abendveranstaltungen sorgten vor allem österreichische, aber auch internationale Autoren wie Leon de Winter, Per Olov Enquist, Viktor Jerofejew, Tanja Maljartschuk und Mahmud Doulatabadi. Aus Deutschland kamen unter anderem Ferdinand von Schirach, der mit seinem neuen Roman „Tabu“ die Lesefestwoche eröffnete, Brigitte Kronauer und Clemens Meyer.

Die österreichische Literaturszene war mit Peter Henisch, Austrofred und Michael Stavarič prominent vertreten, die Schweiz mit Peter Stamm. Ganz besonders genossen habe ich die Lesung von Nadine Kegele, der Publikumspreisträgerin des diesjährigen Bachmann-Preis-Wettbewerbs, die für mich eine Entdeckung war.

Dass die Buch Wien jedoch noch am Anfang einer Messe-Karriere steht, merkt man an einigen kleinen Stellen. Zwar gibt es ein gedrucktes Programmheft, das kostenlos ausliegt, es fehlt darin aber ein Autoren- und Ausstellerverzeichnis. Das Ausstellerverzeichnis gibt es extra als Faltplan, ist aber nicht in das Programmheft integriert. Außerdem fehlen im Programmheft leider Hinweise auf die Termine an den einzelnen Messeständen. Das ist etwa bei der Leipziger Buchmesse besser gelöst.

Es fällt außerdem auf, dass die Verlage bei Facebook und anderen sozialen Netzwerken zu wenig Werbung machen für die Buch Wien. Auch das ist bei den großen Messen in Leipzig und Frankfurt anders. Trotzdem ist auch die Buch Wien eine Messe, die sich zu besuchen lohnt. Sie ist klein, familiär und überschaubar. Und gerade das macht sie so interessant. An den Messeständen und bei den Lesungen kommen Leser, Autoren und Verlagsmitarbeiter ins Gespräch. Ein Gang über die Messe artet nicht in Stress und Geschiebe aus, sondern sorgt für einen guten Einblick in die aktuelle Buchlandschaft. Ich bin gespannt, wie sich die Messe in den nächsten Jahren weiterentwickelt.

Die nächste Gelegenheit, die Buch Wien zu besuchen, gibt es vom 13. bis 16. November 2014. Ob Seitengang daran teilnehmen kann, ist allerdings noch nicht klar. Alle Berichte von der Buch Wien sind hier nachzulesen.

Die Vergessenen um Stauffenberg

Stauffenbergs GefährtenDer Widerstand gegen den Nationalsozialismus ist eng verknüpft mit dem Namen Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Unerwähnt bleiben oft all jene Verschwörer aus dem weiteren Umfeld. Die einstige Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags Antje Vollmer und der „Welt“-Redakteur Lars-Broder Keil haben jetzt zehn dieser nahezu unbekannten Widerstandskämpfer eindrucksvoll und sehr nahegehend porträtiert. Ein Buch, das Sie gelesen haben sollten.

Das Umschlagfoto des Buches „Stauffenbergs Gefährten“ zeigt einen jungen Mann, einsam und mit nachdenklichem Blick in verschneitem Gebirge sitzend, festgehalten auf einer Schwarz-Weiß-Fotografie. Der junge Mann ist Friedrich Karl Klausing, junger Offizier und späterer Hauptmann und Widerstandskämpfer. Beim Hochverratsprozess im August 1944 vor dem Volksgerichtshof wird er der mit Abstand jüngste Angeklagte aus dem Kreise Stauffenbergs sein. Sein kurzer Abschiedsbrief („So fragt nicht mehr nach mir, sondern laßt mich damit ausgelöscht sein“), mit dem er seine Familie zu schützen versucht und der in dem von Vollmer verfassten Porträt veröffentlicht ist, erreicht die Eltern erst, als der 24-Jährige bereits hingerichtet worden ist.

Berührend veranschaulicht Vollmer, wie gerade Klausing einen einsamen Weg als Verschwörer einschlug. Seine Familie hatte die nationalsozialistische Karriereleiter genutzt. Vor allem der Vater war ein überzeugter Nationalsozialist und Hitler-Verehrer, der unter der Besetzung Prags Rektor der Karls-Universität wurde. Im Elternhaus konnte der junge Klausing also nicht mit Verständnis rechnen. Umso beklemmender ist für den Leser ein vom Vater an den Sohn gerichteter Brief, den dieser nicht mehr erhält. Glücklicherweise, muss man sagen, denn er ist unbelehrbar ideologisch getränkt. Der Vater begeht schließlich Selbstmord, weil er glaubt, er müsse die Ehre der Familie retten.

„Einsam in der Familie, einsam unter Freunden“

Bei der Vorstellung des Buches auf der Leipziger Buchmesse 2013 erklärte Vollmer, warum sie sich bei der Foto-Auswahl für den Buchumschlag ausgerechnet für Klausings Foto entschieden haben: „Das Foto zeigt am besten die Einsamkeit der Verschwörer, denn wer zu so einer Gruppe gehörte, war einsam, einsam in der Familie, einsam unter Freunden – und so ein Attentat machte man auch nicht im Auftrag des deutschen Volkes.“

Es ist eine wichtige Sammlung von Porträts, die Vollmer und Keil vorgelegt haben. Sie räumt auch auf mit der umstrittenen Figur des Hans Bernd Gisevius. Er ist einer der Überlebenden des 20. Juli und Autor des Buches „Bis zum bitteren Ende“, das nach dem Krieg vernichtend und aus sehr subjektiver Sicht über den Stauffenberg-Kreis berichtete – ohne dass sich seine Mitstreiter gegen diese fatale Darstellung der Ereignisse noch hätten wehren können. Die Erklärung, die Vollmer findet, ist so nachvollziehbar wie bitter.

Die beiden Autoren sind bei ihrer Arbeit umfangreich unterstützt worden. „Wir haben teilweise sehr private Aufzeichnungen zu sehen bekommen, vor allem Briefe und Tagebücher, Dokumente also, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren, und das hat uns sehr dankbar gemacht“, erklärte Vollmer nachdrücklich im März 2013 in Leipzig. So konnte nicht nur eine Annäherung an die unbekannten Gefährten Stauffenbergs entstehen, sondern eine intensive Beschäftigung mit ihrem Handeln, ihren Beweggründen und dem Schicksal ihrer Familien.

Interesse in der Nachkriegszeit gering

„Uns ging es weniger um eine Neuschreibung des Staatsstreichversuchs, sondern vielmehr darum, das Handeln der Beteiligten erlebbarer, verständlicher, emotionaler zu zeichnen – ohne dabei das historische Geschehen aus den Augen zu verlieren“, heißt es im Vorwort. Den Autoren gelingt es damit auch, den Hinterbliebenen endlich zu ermöglichen, woran sie lange Zeit gehindert waren: über ihre Ehemänner und Väter zu sprechen. Denn das Interesse an den Widerstandskämpfern und ihrer Geschichte war in der Nachkriegszeit mehr als gering.

Als Gastautorin konnten Vollmer und Keil die Historikerin Elisabeth Raiser, geb. von Weizsäcker, gewinnen, die ein berührendes Porträt über Margarethe von Oven verfasste. Von Oven arbeitete im Sommer 1943 als Büroleiterin im Heeresamt und tippte die Worte „Der Führer Adolf Hitler ist tot“, mit denen die Aktion „Walküre“ ausgelöst werden sollte. Das Porträt beleuchtet auch sehr eindrucksvoll, woher sie den Mut nahm und unter welcher Anspannung sie bis zum 20. Juli lebte.

Diese Porträts sind vortrefflich geschrieben. Ihre Emotionalität ist derart nahegehend, dass man sich immer wieder mit der Frage konfrontiert sieht: Hätte ich auch so gehandelt? Hätte ich selbst diesen Mut aufgebracht, nicht nur mein Leben zu riskieren, sondern auch das meiner Familie, meiner Freunde und Mitverschwörer?

„Zivilcourage noch immer etwas Notwendiges“

Karl Heinz Bohrer, Professor für Literaturwissenschaft und ehemaliger Herausgeber der Kulturzeitschrift „Merkur“, hielt am 20. Juli 2013 in Berlin die zentrale Gedenkrede zur Erinnerung an die Widerstandskämpfer. In seinem außergewöhnlichen Text zum Thema „Warum wir die Helden des 20. Juli nicht verstehen“ sagte er:

„Je länger die Zeit wird, in der wir uns von dem Tag, der als 20. Juli 1944 auf unserem historischen Kalender steht, zeitlich entfernen, desto mehr ist das Beispielhafte der Verschwörer jenes Tages zu begründen und zu erinnern. Sie selbst verstanden ihr Beispiel noch im Sinne eines symbolischen Ehrenkodex – sei er christlich-humanistisch oder preußisch-aristokratisch gewesen. (…) In einer so gefahrlosen, aber auch den Konformismus begünstigenden Gesellschaft wie der unseren – seit dem Attentat so friedfertigen Epochen –, ist die Zivilcourage noch immer etwas Notwendiges, wenn auch inzwischen Außergewöhnliches geworden. Um wie viel mehr die existentielle.“

Dem ist nichts hinzuzufügen. (Die Rede ist hier online abrufbar.)

Beide Autoren, sowohl Antje Vollmer als auch Lars-Broder Keil, haben sich wiederholt mit dem Widerstand gegen das Nazi-Regime auseinandergesetzt. Von Vollmer erschien zuvor eine von der Kritik begeistert aufgenommene Doppelbiografie über das Paar Heinrich und Gottliebe von Lehndorff, das ebenfalls zu den Mitwissern im Stauffenberg-Kreis gehörte.

Vollmers und Keils erstes gemeinsames Buch ist unbestreitbar eines der wichtigsten Bücher des Jahres 2013. Lesen Sie es!

Antje Vollmer / Lars-Broder Keil: Stauffenbergs Gefährten. Das Schicksal der unbekannten Verschwörer, Hanser Verlag, Berlin, 2013, 256 Seiten, gebunden, 19,90 Euro, ISBN 978-3446241565