Die Schatzinsel? Pah!

Der Master von BallantraeFamos, ganz und gar famos! Seien Sie dem Mareverlag dankbar, dass er erneut einen literarischen Schatz gehoben hat. Mit der glänzenden und modernen Neuübersetzung von Robert Louis Stevensons „Master von Ballantrae“ ist der alte Klassiker über einen Bruderkampf im Schottland des 18. Jahrhunderts neu zu entdecken. Das sollte man nicht versäumen.

Die Geschichte beginnt im Jahr 1745. In Schottland zieht Bonnie Prince Charlie in den Zweiten Jakobitenaufstand. Unter seiner Fahne reitet auch James Durie, der Master von Ballantrae und einer der Söhne von Lord Durrisdeer, ein Hallodri, Raufbold und Weiberheld, unberechenbar, skrupellos und arrogant. Als der zurückgebliebenen Familie die Kunde vom Tod des Masters zugetragen wird, übernimmt der jüngere und anständige Bruder Henry die Geschäfte und heiratet die Frau, die einst dem Master zugesprochen war. Doch eines Tages kehrt der totgeglaubte James nach Hause zurück.

Das Sujet klingt altbekannt, fast trivial, und doch ist es geradezu meisterlich, was Stevenson daraus geschaffen hat. Gäbe es noch Kaminabende, an denen Freunde beisammen sitzen und sich die tollsten Geschichten erzählen, während Tabak geraucht wird und die Gläser klirren, es wäre diese Geschichte des „Masters von Ballantrae“, die die staunendsten Blicke ernten würde. Das Abenteuer führt durch Schottland, Frankreich, Indien und Amerika. Es gibt Piratengeschichten, Moorwanderungen und Schatzsuchen. Indianer skalpieren das eine oder andere Bleichgesicht, ein Inder versteht mehr Englisch, als er zugibt, und Piraten tun das, was sie eben tun.

Ein Pas de deux par excellence

Die Feindschaft der beiden Brüder findet seinen Höhepunkt in einem nur von Kerzen beleuchteten winterlichen Degen-Duell, das wie ein Tanztheater konzipiert ist. Das Bühnenbild von eindringlicher Qualität, die Requisiten spärlich, aber mit Bedacht gewählt, vollführen die handelnden Personen einen Pas de deux par excellence.

Der Winter spielt eine wichtige Rolle im „Master von Ballantrae“. Stevenson bezeichnete das Buch nicht als Roman, sondern als „Eine Wintergeschichte“ und verweist damit auf die Entstehung des Buches. Ende 1887 hielt sich Stevenson in einem Sanatorium in Saranac auf, um sich dort von einem Tuberkulosespezialisten behandeln zu lassen.

In einem Entwurf für ein Vorwort schreibt Stevenson: „Es war Winter; die Nacht war sehr finster; die Luft war außerordentlich klar und kalt und von köstlicher Waldesfrische. Weit unten hörte man den Fluss mit Eis und Felsbrocken kämpfen; einzelne Lichter waren zu sehen, ungleichmäßig in der Dunkelheit verstreut, doch so weit entfernt, dass sie den Eindruck der Einsamkeit nicht minderten. Das waren gute Voraussetzungen für das Verfassen einer Geschichte.“

„Seine einzige Geschichte in Schwarz und Weiß“

Obgleich der „Master von Ballantrae“ nicht notwendigerweise im Winter gelesen werden muss, sind es doch vor allem die winterlichen Szenen, die besonders wirkungsvoll und eindringlich sind, allen voran die schon erwähnte Duell-Szene. Gilbert Keith Chesterton schreibt in einem Essay aus dem Jahr 1927 über Stevenson: „Stevenson bewies seinen untrüglichen Instinkt, als er [das Buch] „Eine Wintergeschichte“ nannte. Es ist seine einzige Geschichte in Schwarz und Weiß, und ich kann mich keines Worts entsinnen, das ein Farbfleck wäre.“

Auch er lobt die Duell-Szene: „Das Haus Durrisdeer geht nicht unter wie das Haus Usher. Diese mörderische Szene ist durchdrungen von etwas unbenennbar Reinem, Salzigem, Gesundem, und allem zum Trotz ist der weiße Raureif für die Kerzen eine kalte Läuterung wie eine Art Lichtmess.“

Ganz vortrefflich ist sie, diese Ausgabe des Mareverlags. Melanie Walz hat den Text nicht nur brillant übersetzt und dabei alle bisherigen Übersetzungen außer Acht gelassen, sondern ihn auch noch kommentiert sowie ein aufschlussreiches Nachwort und Stevensons Entwürfe für ein Vorwort beigefügt.

Auch äußerlich ist der „Master von Ballantrae“ gelungen: In Leinen gebunden und mit zweifarbiger Prägung auf dem Titel und Rücken, mit einem farbigen Vorsatzpapier und einem Lesebändchen, steckt das Werk in einem von Simone Hoschack und Petra Koßmann gestalteten stabilen Schmuckschuber. Wahrlich eine Pracht. Der geneigte Leser sollte nicht lange zögern.

Robert Louis Stevenson: Der Master von Ballantrae, Mareverlag, Hamburg, 2010, 352 Seiten, gebunden, mit Lesebändchen, im Schmuckschuber, 29,90 Euro, ISBN 978-3866481206

Todesursache: Ertrunken an Selbstmitleid

Als Irene bemerkt, dass ihr Mann Gil heimlich ihr Tagebuch liest, heckt sie einen bitterbösen Plan aus. Fortan schreibt sie zwei Tagebücher: Das rote, das für die Augen ihres Mannes bestimmt ist, und ein blaues, dem sie ihre wirklichen Gedanken anvertraut. Eine Idee, aus der ein guter Roman hätte werden können. Die Amerikanerin Louise Erdrich aber verzettelt sich.

Gil und Irene – nach außen hin sind sie das perfekte Ehepaar. Er der erfolgreiche Maler, sie seine Muse, dazu drei Kinder und zwei Hunde. Doch innen gärt es. Irene ist unglücklich und will die Trennung. Da kommt ihr die Entdeckung, dass Gil ihr Tagebuch liest, gerade recht. In ihrem roten Tagebuch erfindet sie Affären mit anderen Männern und schreibt sogar, dass jedes ihrer drei Kinder von einem anderen Mann, aber keines von Gil stamme. Sie will ihn verletzen und vertreiben. Das wiederum notiert sie in ihrem echten Tagebuch, dem blauen, das sie in einer Bank schreibt und dort in einem Schließfach aufbewahrt.

Diese zwei parallelen Tagebuchwelten wären eine hervorragende Grundlage für einen tollen Roman über eine Ehe, die sich ausgelebt hat. Aber Erdrich lässt die Tagebuchwelten zu sehr in den Hintergrund treten. Stattdessen übernimmt der Erzähltext die Hauptrolle und erklärt dem Leser in teilweise schwülstigen Sätzen, was Irene bewegt. Das allerdings ist selten nachvollziehbar.

Irene trägt offenbar schwer an der Ehe mit Gil. Sie greift beherzt zur Weinflasche, auch ihren Kindern bleibt das nicht verborgen. Zu denen hat sie überhaupt eine besonders enge Bindung; Gil dagegen unterstellt sie Gleichgültigkeit. So trägt sie ihrem Mann immer noch nach, dass der die Fernsehbilder im Krankenhaus spannender fand als die Geburt seines jüngsten Sohnes, der am 11. September 2001 zur Welt kam. Und noch immer schäumt sie über vor Wut, wenn sie daran denkt, wie er immer wieder zum Fernseher ging, obwohl sie ihn bat, nicht zu gehen, weil sie jetzt seinen Sohn bekäme.

Ja, Irene und Gil leiden sehr in ihrer Ehe. Beide ertrinken geradezu in ihrem Selbstmitleid, wenn gerade kein Alkohol zur Hand ist. Ein Lichtblick in dieser Erzählung ist sicher der Besuch bei der Paartherapeutin, der zumindest komödiantische Anwandlungen hat und dem Leser ein Lächeln abringt. Denn über weite Strecken ist dieses Buch eher eine langweilige Mixtur aus unausgereiften Ideen.

Da hilft es auch nicht mehr, dass der Leser Einblick in die indianische Kultur erhält. Denn Irene und Gil stammen beide, wie auch die Autorin selbst, von Indianern ab. Es ist eines der wenigen Dinge, die Gil und Irene nach langen Jahren der hasserfüllten Liebe noch verbindet. Am Ende reicht es nicht, um das Buch lesenswert zu machen.

Schließlich, und soviel soll vorweggenommen werden dürfen, ertrinken beide tragisch an ihrem Selbstmitleid.

Louise Erdrich: Schattenfangen, Suhrkamp Verlag, Berlin, 2011, 239 Seiten, gebunden, 17,90 Euro, ISBN 978-3518422236

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