Reif für die Insel

Der Mann der Inseln liebteAbgesehen vom „Mitternachtsweg“ (2014) ist es zuletzt ruhig geworden um Benjamin Lebert, den einstigen Shootingstar der jungen deutschen Literaturszene. Mit dem autobiografischen Internatsroman „Crazy“ ist er 1999 bekannt geworden, konnte aber nie wieder an diesen Erfolg anknüpfen. Jetzt hat Lebert D. H. Lawrences Erzählung „Der Mann, der Inseln liebte“ neu übersetzt und ein lesenswertes, kluges Vorwort dazu geschrieben. Bibliophil aufgemacht ist das Büchlein im August bei Hoffmann und Campe erschienen und trifft einen aktuellen Nerv.

Man ist reif für die Insel, wenn man Abstand braucht. Vom Arbeitsstress, vom Alltag, von alledem, was unsere moderne Welt so mit sich bringt. Auch die Forderung des Soziologen Hartmut Rosa nach Entschleunigung ist ein Indiz dafür. Die Neuübersetzung von „Der Mann, der Inseln liebte“ kommt deshalb zur rechten Zeit. Denn was der Inseln liebende Mann da treibt, möchte manch einer sicher auch tun: Ausbrechen und den Rückzug wagen, die Abkehr von der allumfassend vernetzten Welt.

Der namenlose Mann, von dem Lawrence erzählt, ist fasziniert von der Idee, eine Insel ganz für sich zu haben und sie seinen Vorstellungen entsprechend anzupassen. „Ist eine Insel groß genug, dann ist sie nicht besser als das Festland. Sie muss wirklich klein sein, damit sie sich auch wie eine Insel anfühlt; und diese Geschichte wird zeigen, wie winzig sie sein muss, bis man sich anmaßen kann, sie mit dem eigenen Wesen auszufüllen“, schreibt Lawrence.

Geister der Vergangenheit

Es ist eine Anti-Robinsonade, die Lawrence da verfasst hat. Zwar ist jede Insel für den Protagonisten zunächst so etwas wie ein Paradies. Er genießt die Abgeschiedenheit von der Welt, liebt den Geruch von Salzwasser, die unterschiedlichen Geräusche des Meeres und die teilweise üppige Flora. Auf der ersten Insel aber stören ihn bald die Geister der Vergangenheit, auf der nächsten sind es plötzliche Vaterfreuden und die ungebändigte Liebe und Bewunderung der Kindsmutter, die ihn förmlich zu Boden drücken und bewegungslos machen. Und so flüchtet er auf die nächste Insel, und die Suche nach der Stille entwickelt sich auch einer Geschichte der Vereinsamung.

D. H. Lawrence ist den meisten Lesern eher durch den skandalumwobenen Roman „Lady Chatterleys Liebhaber“ bekannt. Mit „Der Mann, der Inseln liebte“ gelingt ihm die bestechende Darstellung eines Mannes, der immer wieder versucht, zu sich selbst zu finden, und es doch nicht recht vermag, weil die Außenwelt seinem Plan stets etwas entgegenzusetzen hat. Lawrence zeigt feines Gespür, diesen Mann nicht der Lächerlichkeit preiszugeben. Auf der anderen Seite skizziert er dann und wann auch mit Humor jene Momente, in denen der Inselbewohner sich der störenden Einflüsse bewusst wird. So etwa das plötzliche Erkennen auf der dritten Insel, dass ein Schafblöken genügt, um Widerwillen zu erzeugen. „Er wollte nichts anderes hören als das Wispern des Ozeans und die spitzen Schreie der Möwen, die aus einer anderen Welt zu stammen schienen. Und am liebsten war es ihm, wenn absolute Stille herrschte.“

Lebert hat die Erzählung und Lawrences bildhafte, ausdrucksstarke Sprache sensibel und überzeugend ins Deutsche übertragen. Auch wenn „Der Mann, der Inseln liebte“ zum ersten Mal bereits 1927 erschienen ist, so bleibt der Text auch heute noch immer eine fesselnde Lektüre über das Spannungsverhältnis zwischen der Suche nach Freiheit und der Gefahr der Vereinsamung.

D. H. Lawrence: Der Mann, der Inseln liebte, Hoffmann und Campe, Hamburg, 2015, 80 Seiten, gebunden, 15 Euro, ISBN 978-3455405491

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