Fury, Black Beauty und der Kleine Onkel – alle tot

Der Schotte Greg Buchanan hat ursprünglich als Drehbuchautor für Videospiele gearbeitet. Unter anderem trug er zum Erfolg von „Metro: Exodus“ und „No Man’s Sky“ bei. Jetzt hat Buchanan seinen ersten Roman veröffentlicht, und er ist dunkel, verstörend, brillant – ein überzeugender Erstling.

„Sechzehn Pferde“ erzählt von einem mysteriösen und erschreckenden Fund auf einer Farm des englischen Küstenorts Ilmarsh. Dort entdeckt ein junges Mädchen auf einer morastigen Wiese sechzehn Pferdeköpfe, abgeschlachtet und kreisförmig zueinander vergraben bis auf jeweils ein Auge pro Kopf, das leer in den Himmel blickt.

Die marode Kleinstadt, die in ihrer Bruchbudenhaftigkeit – und der allgegenwärtig wehmütigen Reminiszenz an einst goldene Zeiten – an das „Joyland“ von Stephen King erinnert, erbebt unter dem Schrecken der offenbar tierquälerischen Grausamkeit.

Kein Mord, sondern allenfalls Sachbeschädigung

Detective Sergeant Alec Nichols ermittelt widerstrebend. Es sei ja eigentlich kein Mord, sondern Sachbeschädigung, sagt er. Andererseits kribbelt das detektivische Interesse. Wer würde 16 Pferde töten, und woher nehmen, wenn nicht stehlen? Waren hier Okkultisten am Werk? Ist es was Persönliches? Für die Obduktion und weitere Tataufklärung wird die Veterinärforensikerin Dr. Cooper Allen hinzugezogen. Vier Tage soll sie bleiben, dann, so die Hoffnung, sei das Verbrechen sicher aufgeklärt.

Doch davon sind Nichols und Allen weit entfernt. Die Ermittlungen ziehen sich hin, denn es bleibt nicht bei diesem einen Verbrechen. Es brennt, jemand hat einen Unfall, ein Junge verschwindet, eine abgetrennte Fingerkuppe findet sich, eine Mutter verlässt Mann und Tochter. Und dann, ja, dann werden die Menschen krank. Denn die Pferdeköpfe waren mit einer Anthrax-Variante verseucht. Sie meinen, jetzt kann es ja nicht noch ärger kommen? Doch.

Gehört zu den besten literarischen Krimis des Jahres

Was Greg Buchanan da komponiert hat, gehört zu den besten literarisch hochwertigen Kriminalromanen dieses Jahres. Obgleich es sich spannend liest, ist es kein Pageturner im eigentlichen Sinne einfach gestrickter Krimi-Massenware. Als Leser*in braucht es viel Konzentration und Aufmerksamkeit. An manchen Stellen ist es sperrig und unwirtlich wie der dort beschriebene düstere November an der englischen Ostküste. An anderen Stellen spielt der Autor mit den Ängsten und Erwartungen seiner Leser*innen, zieht sie an unsichtbaren Fäden mal in die eine Richtung, dann wieder abrupt in die andere, und oft ist es dort sehr, sehr dunkel.

Seine Figuren zeichnet er hervorragend. Er hat ein feinsinniges Gespür für Menschen, denen alles genommen wird, für die Abgehalfterten, Abgehängten, die Unsichtbaren. Seine beiden Hauptpersonen lässt er ungeschützt in die Welt. Beide ähneln sich, laufen aber auf unterschiedlichen Spuren und kollidieren manchmal. Nichols ist der knurrige Eigenbrötler, der sich nicht vom Krebs-Tod seiner Frau erholt hat. Allen ist den Menschen immerhin ein wenig zugewandt, aber wortkarg und reserviert. Humor suchen Sie in diesem Roman vergeblich, hier erstickt jede Fröhlichkeit.

Greg Buchanan, der 1989 geboren wurde und in Cambridge Englisch studiert hat, ist weltweit erfolgreich mit seinem Debüt. Der Roman wurde in 17 Sprachen verkauft, und auch die Film- und Fernsehrechte sind schon vergeben. Derzeit schreibt Buchanan an zwei weiteren Romanen, in mindestens einem davon wird Cooper Allen wieder auf der Bildfläche auftauchen.

Das Pferdegemetzel von Ilmarsh wird sicherlich auf Dauer einen Fixpunkt in der literarischen Arbeit von Greg Buchanan einnehmen. Alle Nachfolger werden sich daran messen lassen müssen. Denn den Schrecken des Höhepunkts vergisst niemand, der diesen Roman gelesen hat.

Greg Buchanan: Sechzehn Pferde, Fischer-Verlag, Frankfurt am Main, 2022, 444 Seiten, gebunden, 22 Euro, ISBN 978-3103974881, Leseprobe

Terror-Thriller auf Verlangen

Deutschland, Griechenland, Zypern, Großbritannien, USA, Afghanistan und Pakistan – das sind die Schauplätze des vielschichtigen und sorgfältig recherchierten Terrorismus-Thrillers „Talib – der Schüler“. Er führt direkt in die Welt eines Mannes, der die Angst des Terrors in Europa verbreiten soll – und in die eines anderen, der den Terror stoppen will. Frank Hartmann hat mit seinem Debütroman eine kluge Analyse der Strukturen und Rekrutierungsmechanismen von Organisationen wie Al-Kaida und dem IS geschrieben, die den Leser packt und teilweise raffiniert in die Zwiespältigkeit führt. Ganz nebenbei hat Hartmann mit Vangélis Tsakátos einen griechischen Geheimdienstler erfunden, mit dem man zu gern mal die Kneipen von Athen unsicher machen würde.

Tsakátos (nicht etwa Tsakatós, darauf legt der Mann wert) ist Analyst des US-Geheimdienstes National Security Worldwide (NSW) und gerade nach Athen versetzt worden. Dort soll er die griechischen Behörden bei der Bekämpfung der nationalen Terrorgruppe „Widerstand Hellas“ unterstützen. Die treibt seit Jahrzehnten ihr Unwesen in Griechenland und hat dabei Unterstützer aus allen Bereichen der Gesellschaft.

Schmutzige Bombe bei den Olympischen Spielen

Gleichzeitig gerät rund 6.000 Kilometer entfernt ein junger Mann namens Basim Atwa in Afghanistan in das ausgeklügelte Rekrutierungssystem von Al-Kaida. Wir befinden uns im Jahr 2002, rund ein Jahr nach den verheerenden Terroranschlägen von 9/11 in den USA. Der 23-jährige Basim soll der Welt der Ungläubigen den nächsten Schock verpassen und bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen eine schmutzige Bombe zünden.

Mit welchen zum Teil perfiden und manipulativen Methoden Menschen zu Gotteskriegern gemacht werden, welche persönlichen Erfahrungen einen jungen Menschen aber auch in die Fänge von Terrororganisationen treiben, das schildert Hartmann besonders eindrücklich auf den ersten rund 100 Seiten. Basim verliert mit neun Jahren nicht nur seinen geliebten Vater, sondern auch seine Beine und muss fortan im Rollstuhl sitzen.

Über verschlungene Wege und verschiedenste Orte kommen sich beide Protagonisten immer näher, begegnen und verpassen einander, jeder unterwegs in eigener Mission. Diese unterschiedlichen Lebenslinien, die sich unaufhaltsam aufeinander zubewegen, sind spannend konstruiert, obgleich sie nie konstruiert wirken.

Jahrzehntelange journalistische Erfahrung

Auch sprachlich bewegt sich der Roman auf einem hohen Niveau. Nicht nur hier merkt man dem Werk die jahrzehntelange journalistische Erfahrung des Autors an. Hartmann, dessen halbe Familie aus Griechen besteht und der selbst fünf Jahre in der Nähe von Athen gelebt hat, ist seit 35 Jahren Journalist. Seine Reportagen für große deutschsprachige Tageszeitungen und Magazine führten ihn nach Alaska, Afrika, Indien, Indonesien – und auch Afghanistan. Dort, in der Hauptstadt Kabul, ist vor Jahren die Grund-Idee zu „Talib“ entstanden.

„Talib – der Schüler“ ist derzeit nur als „Book on demand“ erhältlich – einen Verlag für seinen Erstling hat Hartmann bislang nicht gefunden. Viele bekannte Autorinnen und Autoren haben in ihren Anfängen ähnlich gearbeitet, nur für die Schublade oder Freunde geschrieben.

Die Bestsellerautorin Nele Neuhaus zum Beispiel hat 500 Exemplare ihres Erstlings „Unter Haien“ auf eigene Kosten drucken lassen, in der Garage gelagert und dann nach und nach im Kofferraum in die Buchhandlungen gefahren und unter die Leser gebracht. Durch Zufall wurde nach zwei weiteren Büchern „on demand“ eine Vertreterin des Ullstein-Verlags auf ein Buch von ihr aufmerksam. Heute haben die Bücher von Nele Neuhaus allein in Deutschland eine Gesamtauflage von rund fünf Millionen verkauften Exemplaren. Ähnlich ging es E.L. James, der Autorin von „50 Shades of Grey“ (Rezension) oder Lena Späth mit „Beyond Curtains“ (Rezension).

Auch Hartmann hat seine Erfahrungen gemacht. 20 Literaturagenten hat er kontaktiert, nur vier haben sich überhaupt zurückgemeldet. Interesse von Verlagen? Fehlanzeige. Hartmann lässt sich davon nicht beirren. Er sitzt mittlerweile an der Fortsetzung von „Talib“ und macht sich nebenbei im Land mit Lesungen bekannt. Möge an irgendeinem Ort, in irgendeiner Lesung zufällig eine Verlagsvertreterin sitzen und spitze Ohren kriegen. Vangélis Tsakátos muss weiterleben!

Frank Hartmann: Talib – der Schüler, Books on Demand, Norderstedt, 2019, 384 Seiten, gebunden, 22,99 Euro, ISBN 978-3748110354, Leseprobe

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