Mach’s noch einmal, Burkhard

Tand, Tand ist das Gebilde von MenschenhandEr hat es wieder getan: Zum zweiten Mal hat der Berliner Zeichner Burkhard Neie eine Balladensammlung des Insel Verlags veredelt. Und wie schon in dem Band „Und noch fünfzehn Minuten bis Buffalo“ hat er erneut mit seinen kongenialen Illustrationen ein Gesamtkunstwerk geschaffen, das die Balladen-Leselust neu entfacht.

„Tand, Tand ist das Gebilde von Menschenhand“, heißt es auf dem vorderen Buchdeckel, auf dem Neie bereits seine Kunstfertigkeit unter Beweis stellt. Schwarz, Grau, Blau und Gelb, mehr Farben braucht er nicht, um das erste eindrucksvolle Bild zu schaffen. Im Blauschwarz der Nacht fährt ein Dampfzug über eine Eisenbahnbrücke, die Lichter der Abteile sind erleuchtet und strahlen blassgelb in die Dunkelheit. Der Balladenneuling mag sich wundern, wie Text und Bild zusammenhängen, doch Balladenkenner und Fontane-Fans wissen längst Bescheid: Diese Fahrt nimmt ein böses Ende.

Es sind die drei Macbeth-Hexen, die in Theodor Fontanes Ballade „Die Brück am Tay“ beschließen, das Bauwerk zum Einsturz zu bringen und den Zug verunglücken zu lassen. Als historische Stoffgrundlage diente Fontane der Zusammenbruch einer Eisenbahnbrücke in Schottland, bei dem ein Zug ins Meer stürzte und 75 Menschen ihr Leben ließen. Seine Ballade war die deutliche Kritik an der Technik- und Fortschrittsgläubigkeit der damaligen Zeit. Bis heute haben die Verse nichts von ihrem Eindruck verloren.

Ein Könner, dieser Mann!

Das Zusammenspiel aus Ballade und Neies linolschnittartigen Illustrationen fesselt ungemein. Heines „Nixen“, Schillers „Taucher“, Wedekinds „Brigitte B.“, manche sind in der Lese-Erinnerung schon verblasst. Neie sorgt in dieser Sammlung für die farbenstarke und doch düstere Erinnerung an die Werke einstiger Dichterköniginnen und -könige. Wie schon im ersten Band führt der Berliner Illustrator auch hier seine Technik fort: Die Grundfarbe der Zeichnung fließt stets auf die Textseite über und vereinnahmt so den Text. Liegen sich zwei Textseiten gegenüber, läuft die Farbe aus dem Buchfalz und sucht auch so die Verbindung zum Text. Ein Könner, dieser Mann!

Der Insel Verlag hat bis jetzt zwei Balladen-Sammlungen veröffentlicht, beide von Burkhard Neie illustriert, beide eine absolute Wucht. Die erste war rot, die zweite ist blau – kündigt sich da eine Reihe an? Auf Lesungen nannte der Popliterat Benjamin von Stuckrad-Barre seine Bücher „Soloalbum“, „Livealbum“ und „Remix“ wegen der Farben auf den Buchcovern stets „das gelbe Album“, „das rote Album“, „das blaue Album“. Folgt im Insel Verlag also nach der roten und blauen Balladen-Sammlung auch bald eine gelbe? Es bleibt zu hoffen, dass die Zusammenarbeit zwischen Burkhard Neie und dem Insel Verlag noch nicht beendet ist. Mach’s noch einmal, Burkhard!

Matthias Reiner (Hg.): „Tand, Tand ist das Gebilde von Menschenhand“ – Deutsche Balladen, Insel Verlag, Berlin, 2014, 109 Seiten, mit farbigen Illustrationen von Burkhard Neie, gebunden, 16 Euro, ISBN 978-3458200116, Leseprobe

Ein Balladenschatz

Und noch fünfzehn Minuten bis BuffaloGenerationen von Schülern haben sie auswendig aufsagen müssen: Den „Erlkönig“, die „Bürgschaft“ oder „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“. Manch einem war die Pflicht ein Gräuel, Lyrikfreunden aber gehen die Zeilen noch heute mit Inbrunst von den Lippen. Jetzt ist im Insel Verlag eine herrliche Sammlung von 23 deutschen Balladen erschienen, die schon in ihrer literarischen Zusammenstellung prächtig geraten ist. Vor allem aber ist das Bändchen der Insel-Bücherei hervorragend illustriert. Eine selten gesehene Harmonie von Bild und Text!

Den Anfang macht natürlich der alte Goethe. „Sah ein Knab ein Röslein stehn,/ Röslein auf der Heiden…“ heißt es da, und später auch noch: „Walle! walle/ Manche Strecke,/ Dass, zum Zwecke,/ Wasser fließe…“. Vier Balladen steuert Goethe bei, vier an der Zahl sind’s auch bei Fontane. Schiller: drei. Heine: zwei. Droste-Hülshoffs „Der Knabe im Moor“ findet sich ebenso wie Conrad Ferdinand Meyers „Füße im Feuer“ oder Mörikes „Feuerreiter“. An der Auswahl hätte sicherlich auch Ernst Theodor Echtermeyer seine Freude gehabt.

Doch wirklich ausgezeichnet wird der Sammelband erst durch die kunstfertige Illustration von Burkhard Neie. Der Berliner Zeichner verschafft den oft dramatischen erzählenden Gedichten eine weitere Darstellungsebene. Interessant in dem Zusammenhang ist, dass eine Zeichnung nicht einfach einer Textseite gegenübergestellt wird, sondern die Farben schwach, aber deutlich genug auf die Textseite überlaufen und so Worte und Darstellung verbinden, ja, vereinnahmen. Liegen zwei Textseiten nebeneinander, fließt sogar ein wenig Farbe aus dem Buchfalz heraus, so dass jedwede Seite eingenommen wirkt.

Ach, es ist eine Lust und eine Freude, in diesem Band zu blättern, die Zeichnungen zu beschauen und die Balladen, obwohl man sie meist doch in- und auswendig kennt, immer wieder leise vor sich hinzumurmeln. Ein Buch zum Verschenken, zum Lyriklesen-Lustmachen, zum Selbstbesitzen. Zum Erinnern, Schwelgen, Gruseln und zum Vorlesen. Eine Wucht!

Matthias Reiner (Hg.): „Und noch fünfzehn Minuten bis Buffalo“ – Die schönsten Balladen, Insel Verlag, Berlin, 2013, 111 Seiten, mit farbigen Illustrationen von Burkhard Neie, gebunden, 16 Euro, ISBN 978-3458200062, Leseprobe

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