1950 erschien im schöngeistigen Südverlag ein Buch mit dem Titel „Das Lied des Pechvogels“. Heute, fast 70 Jahre später, legt der Verlag die lesenswerte Novelle wieder auf. Sie erzählt von der Wandlung einer stolzen Konzertpianistin zur engagierten Förderin eines unbekannten und mittellosen Komponisten.
Marina Lindo ist weltberühmt. Sie hat auf den großen Bühnen und in den wichtigsten Sälen den Flügel gespielt – und zwar stets beliebte Komponisten: Beethoven, Chopin, Debussy, Scarlatti, Reger und wie sie alle heißen. „Irgendwie erschien es ihr effekthascherisch, einen unbekannten Namen herauszubringen.“ Eines Abends jedoch begegnet sie bei einem Konzert ihres alten Musikprofessors dem mittel- und ruhmlosen Komponisten Valentin Quandt.
Zuvor hatte ihr Professor ein Stück von ihm gespielt, das ihr wie eine „Vergewaltigung des Publikums“ erschien. Sie verspottet es als Geklimper, nennt es grausam und fühlt sich geradezu erlöst, als es endlich beendet ist. Doch als sie gewahr wird, dass sie soeben dem Komponisten höchstselbst schonungslos die Meinung gegeigt hat, erschrickt sie und ist peinlich berührt. Sie folgt dem Mann, der seinen Wintermantel für Notenpapier und Lebensmittel verkauft hat, durch die Straßen Frankfurts.
Pianisten als Reproduktionskünstler
In der Tram entwickelt sich ein Gespräch über den Pianisten als Reproduktionskünstler, der oft nicht in der Lage sei, ein Stück so zu spielen, wie es der Komponist intendiert hat. Marinas Neugier ist geweckt, und sie bietet Valentin an, seiner Interpretation zu lauschen, um zu begreifen.
Es ist der Beginn einer seltsamen Beziehung zwischen zwei ungleichen Menschen. Marina Lindo, diese stolze, lebenslustige Frau, will nicht so recht zu dem bleichen, empfindlichen Jüngling passen, der mehr Todessehnsucht als Lebensfreude ausstrahlt. Ihre Liaison erwächst vor allem aus der gegenseitigen Liebe zur Musik. Und die bechreibt der Autor sprachlich so treffend, dass es zu Herzen geht.
Als Valentin Marina ein Klavierkonzert auf den Leib schreibt, folgt der Leser dem Gedankenspiel beim Schaffensprozess ganz unmittelbar:
„Der erste Satz war eine Ausdeutung des Stimmungsgehaltes, den er in dem Namen Marina entdeckte. Zunächst stieg das Bild einer Bucht auf Capri, der Piccola Marina, überraschend vor ihm auf (…). Auf den Schwingen des Lautes Marina ließ er sich hinaustragen in grenzenlose Schallfluten. Salzschaum sprühte in diesem Klang, ein Nachhall des Zeitalters der Weltumseglungen, des noch nicht Geographie gewordenen Abenteuers, das täglich neue Welten gebären konnte.“
Förderer und Freund
Als Leser sollte man über ein gewisses musikalisches Grundwissen verfügen, denn die Novelle ist mit Fachtermini gespickt und erfreut insgesamt wohl vor allem die Freunde der klassischen Musik. Dem Autor Stephan Lackner ist mit dem „Lied des Pechvogels“ nicht nur eine tragische Liebesgeschichte gelungen, sondern auch ein literarischer Verweis auf seine eigene Person. Denn Lackner ist nicht nur als Schriftsteller und Dramatiker bekannt geworden, sondern auch als Förderer und Freund des Malers Max Beckmann.
Schon als Primaner, kann der Leser dem aufschlussreichen Nachwort entnehmen, kaufte Lackner eine kleine Lithografie, nachdem der Maler ihn bei einer Begegnung beeindruckt hatte. Die Leidenschaft für die Kunst von Max Beckmann soll ein Leben lang halten. Stephan Lackner starb am 26. Dezember 2000, Beckmann fast auf den Tag genau 50 Jahre vor ihm.
Dem Südverlag ist es zu verdanken, dass Lackners „Lied des Pechvogels“ jetzt wieder erhältlich ist. Der Verlag eröffnet damit seine neue Linie „bibliophil“, die Werke ins Licht zurückbringt, die schon fast in Vergessenheit geraten sind. Außerdem in der Reihe erschienen ist der Gedichtzyklus „Berichte aus der Fremde“ des jüdischen Arztes und Schriftstellers Martin Gumpert.
Für das nächste Frühjahr sind bereits weitere Bücher angekündigt. Das gibt Lesern glücklicherweise die Chance, neben den diversen Novitäten auf dem Buchmarkt auch die alten Könner literarischen Schaffens wieder zu entdecken. Wohlan!
Stephan Lackner: Das Lied des Pechvogels, Südverlag, Konstanz, 2017, 104 Seiten, gebunden, erweiterte Neuausgabe, 12 Euro, ISBN 978-3878001102, Leseprobe