Lesen Sie Gasdanow!

Das Phantom des Alexander WolfEin junger Mann von 16 Jahren erschießt im russischen Bürgerkrieg einen Reiter. Noch Jahre später bedrückt ihn die Erinnerung daran. Doch eines Tages fällt ihm ein Buch in die Hände, in dem genau diese Szene beschrieben steht – aus der Sicht des vermeintlich Getöteten. Hat er überlebt? Der inzwischen erwachsen gewordene Erzähler macht sich auf die Suche nach dem Mann, der offenbar ihr gemeinsames Erlebnis aufgeschrieben hat.

„Das Phantom des Alexander Wolf“ ist eine Entdeckung für deutsche Leser. Der russische Schriftsteller Gaito Gasdanow war Ende der 20er Jahre in Paris einer der hoffnungsvollsten Prosaiker, die die aus Russland emigrierten Literaten zu bieten hatten. Neben Vladimir Nabokov war es der Name Gasdanow, der ähnlich häufig genannt wurde, erst recht nach seinem Debütroman „Abend bei Claire“. Bis heute gilt Gasdanow als einer der wichtigsten Exilautoren des 20. Jahrhunderts.

Allerdings ist er in Deutschland weitestgehend unbekannt geblieben. „Das Phantom des Alexander Wolf“ wurde zum ersten Mal 1947 bis 1948 in der New Yorker Zeitschrift „Nowy Schurnal“ veröffentlicht, ab 1950 erschienen europäische Übersetzungen. Deutschland aber musste bis zum Ende des Jahres 2012 warten, ehe der Hanser Verlag die glänzende Übersetzung von Rosemarie Tietze herausgab. Und zu Recht schreibt Tietze am Ende ihres aufschlussreichen Nachworts: „Höchste Zeit, dass auch für den deutschen Leser das Phantom des Gaito Gasdanow endlich reale Gestalt annimmt.“

„Arbeit von ermüdender Vielfalt“

Der Roman spielt im Paris des Jahres 1936. Der Ich-Erzähler ist russischer Emigrant, der als Journalist sein Geld verdient, obwohl er doch lieber Schriftsteller wäre: „Statt dass ich meine Zeit literarischer Tätigkeit widmete, zu der ich mich hingezogen fühlte, die jedoch gehörigen Zeitaufwand und uneigennützigen Einsatz verlangt hätte, gab ich mich mit Journalismus ab, einer sehr unregelmäßigen Arbeit von ermüdender Vielfalt.“

Seine Suche nach dem Schriftsteller Alexander Wolf gestaltet sich trotz intensiver Recherche schwierig. Erst als er Heiligabend in einem russischen Restaurant einen Mann namens Wladimir Petrowitsch Wosnessenski kennenlernt, kommt er dem Phantom auf die Spur. Denn durch einen wahrhaft erstaunlichen Zufall, den der Leser Gasdanow zu gerne verzeiht, kennt ausgerechnet Wosnessenski den geheimnisvollen Alexander Wolf.

Gasdanows Roman ermöglicht dem Leser eine bemerkenswerte Reise in die Welt des russischen Emigrantenmilieus kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Ganz offensichtlich hat Gasdanow von eigenen Erfahrungen gezehrt. Auch er meldete sich mit fast 16 Jahren freiwillig zum Militär, diente als Soldat auf einem Panzerzug und kam mit 23 Jahren nach Paris, wo er Taxi fuhr und schrieb.

Boxkampf im Halbschwergewicht

Sein Stil im „Phantom des Alexander Wolf“ ist sachlich prägnant, schnörkellos, berichtend, auch in Liebesdingen fast distanziert. Die Beschreibung eines Boxkampfes im Halbschwergewicht zwischen einem Franzosen und einem Amerikaner wird zum hervorragenden Beispiel einer guten Sportberichterstattung.

Gasdanow lässt seinen Erzähler über Leben und Tod, Liebe und Moral diskutieren. Und was ist das für eine herrliche Szene, als der Erzähler von seiner Geliebten aufgefordert wird, Konfekt an Prostituierte zu verteilen! Oft möchte man verzückt mit der Zunge schnalzen, so wunderbar allumfassend ist dieser Roman geraten.

Lesen Sie Gasdanow! Er ist eine Entdeckung, fürwahr.

Gaito Gasdanow: Das Phantom des Alexander Wolf, Hanser Verlag, München, 2012, 191 Seiten, gebunden, 17,90 Euro, ISBN 978-3446238534

Finnische Ganoven und eine Wodka-Tante

Die Geschichte ist skurril, überzeugen kann sie dennoch nicht: Finnische Gangster überfallen in Schweden einen Geldtransporter und erbeuten Säcke voller Geldscheine. Doch beim Wechseln des Fluchtautos wirbelt eine Windhose das Bargeld durch die Luft – fort ist der Mammon. Wie soll Obergangster Ernesto jetzt seinen Leuten erklären, wo das Geld geblieben ist? Ein neuer Überfall muss her.

Doch wenn der erste schon schief geht, steht dem zweiten nicht auch ein ähnliches Schicksal bevor? Ernesto, Sohn eines Exilchilenen, kehrt zurück in seine finnische Heimatstadt Hämeenlinna. Dort kennt er allerlei Kleinganoven und Kriminelle, die ihm möglicherweise bei seinem neuen Plan helfen können. Außerdem bietet ihm seine wodkasüchtige Tante Henna einen Unterschlupf vor der akribisch jeden Stein umdrehenden Polizei. Ernesto stellt aus allerlei bizarren Persönlichkeiten ein neues Team zusammen, eine finnische Crew, die letztendlich mit einem geklauten Panzer den ganzen großen Durchbruch wagen will.

Der Leser muss schon arg aufpassen, um die diversen Personen auseinanderzuhalten. Das liegt gewiss vor allem daran, dass finnische Namen zunächst gewöhnungsbedürftig sind. Goran, Rune, Jarra, Osmi, Erja, Hurme, Allu, Nikkilä und wie sie alle heißen. Dazu die diversen finnischen Straßennamen, denn natürlich sind die bösen Jungs viel unterwegs. Das aber kann man einem finnischen Autor wohl kaum ankreiden.

Was aber viel schwerer wiegt, ist die Jerry-Cotton-Schule, die der Autor Tapani Bagge durchlaufen hat. Nach Angaben des Suhrkamp Verlags begann Bagge seine schriftstellerische Laufbahn mit zwanzig Jahren als Verfasser von Jerry-Cotton-Romanen, „bevor er ins seriöse Fach wechselte“. Dieser Grundstein ist bei der reißerischen Darstellung dieser Ganovengeschichte unüberlesbar. Freunde amerikanischer Pulp-Unterhaltung werden daran aber sicher ihre Freude haben, wie auch an dem mitunter sehr schwarzen Humor. Für Liebhaber durchdachter Kriminalliteratur ist „Schwarzer Himmel“ indes nichts.

„Schwarzer Himmel“ wurde im Jahr 2007 mit dem Finnischen Krimipreis ausgezeichnet; in Deutschland ist es der erste Roman, der von Tapani Bagge erschienen ist. Für Oktober hat der Suhrkamp Verlag das zweite Buch angekündigt, in dem der Leser einigen Figuren aus „Schwarzer Himmel“ wiederbegegnen wird.

Tapani Bagge: Schwarzer Himmel, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Berlin, 2012, 272 Seiten, Taschenbuch, 8,99 Euro, ISBN 978-3518463192

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