Sein Buch beginnt wie ein Krimi, und doch ist Hernando Calvo Ospinas Werk „Sei still und atme tief“ alles anderes als fiktionaler Stoff. Der kolumbianische Journalist, der seit 1986 als politischer Flüchtling in Paris im französischen Exil lebt, hat seinen Überlebenskampf niedergeschrieben. Es geht um Folter und politische Verfolgung. Calvo Ospina erzählt von seinen eigenen Erlebnissen und wie es ist, wenn das System die Kritik an sich als Terrorismus verfolgt – und politische Gegner brutal bekämpft und verschwinden lässt.
Calvo Ospina ist 1985 ein junger Kolumbianer, der an der Universidad Central del Ecuador in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito Journalismus studiert und sich nebenbei politisch engagiert – was in jenen Jahren ausgesprochen gefährlich sein kann, wenn man auf der vermeintlich falschen Seite kämpft. In Ecuador hat Präsident Léon Febres Cordero (1984-1988) eine Politik der beispiellosen Repression gegen alle politischen Gegner eingeleitet und in Calvo Ospinas Heimatland Kolumbien regiert seit Jahrzehnten der Terror.
In Quito hat sich eine Gemeinschaft von Kolumbianerinnen und Kolumbianern gefunden, die das Blutvergießen in ihrem Heimatland nicht mehr tatenlos hinnehmen, sondern publik machen wollen. Sie gründen das Centro de Estudios Columbianos (CESCO), das Zentrum für kolumbianische Studien, veröffentlichen heimlich die Zeitung „La Berraquera“ und wissen, dass sie unter Beobachtung stehen. Für die kolumbianischen sowie ecuadorianischen Sicherheitsdienste ist klar: Die Mitglieder des CESCO gehören zur kolumbianischen Guerilla, und sie unterstützen auch die Guerilla Ecuadors.
Ein untrügerisches Zeichen
Ein Jahr zuvor hatten die kolumbianischen Guerilla-Organisationen noch erreicht, die Regierung Kolumbiens zu einem Waffenstillstand zu bewegen und Friedensgespräche aufzunehmen. Sie glaubten daran, dass nur politische Verhandlungen ein Weg aus der Krise sein könnten. Die während des Waffenstillstands von der Guerilla M-19 („Movimiento 19 de Abril“ / „Bewegung 19. April“) gedruckten Bulletins wurden jedoch am selben Ort gedruckt wie die CESCO-Zeitung „La Berraquera“ – für die Sicherheitsdienste ein untrügerisches Zeichen dafür, dass die CESCO und die Guerilla-Organisation zusammengehören. In der Zeit des Waffenstillstands eigentlich kein Problem – der aber dauerte nicht mal ein Jahr: im Juni 1985 wurden die Gespräche abgebrochen, und die Guerilla wurde durch ein Regierungsdekret wieder zu Verbrechern und Terroristen und in diversen Ländern verfolgt.
Die brenzlige Lage verschärft sich zusehends, als im August 1985 ein Kommando zweier Guerilla-Organisationen einen bekannten Bankier entführen, was nicht ganz so endet, wie es geplant ist: Die Guerilleros werden ermordet, der Bankier bei der Befreiung von Kugeln so durchsiebt, dass er wenig später stirbt. Ab diesem Zeitpunkt wird nun endgültig jegliche oppositionelle Organisation verfolgt.
Und so gerät auch der junge Journalist Hernando Calvo Ospina ins Fadenkreuz. Eines Tages wird er mitten auf der Straße verhaftet und verschleppt. Was folgt, sind Qualen und Folter, die Calvo Ospina fast minutiös beschreibt. Für den Leser ist das nur schwer zu ertragen – kaum vorstellbar, wie Calvo Ospina die Schläge und Tritte, die Elektroschocks und den dauernden Schlafentzug stoisch über sich ergehen lassen kann. Er befindet sich ab sofort in den Händen der SIC, einer ecuadorianischen Polizei-Spezialeinheit, die von 1984 bis 1988, so weiß man heute, viele Menschen verschwinden ließ. Zwölf Tage später wird Calvo Ospina ins Gefängnis von Quito verlegt, wo zumindest die Folterungen ein Ende haben. Ein Prozess indes wird ihm nie gemacht.
Immer noch währender Einfluss auf sein Leben
Hernando Calvo Ospina erzählt in der Rückschau mit frechem Witz von seinen Erlebnissen. Die Wunden sind Narben geworden, auf die er nun mit historischem Interesse blickt, ohne zu verheimlichen, wer ihm diese tiefen Schnitte beigebracht hat. Gleichzeitig verschafft er dem Leser einen aufschlussreichen Einblick in die damalige politische Situation und den noch immer währenden Einfluss auf sein heutiges Leben.
Als er sein Buch im Jahr 2014 auf der Leipziger Buchmesse vorstellt, erzählt Calvo Ospina, der inzwischen für Zeitungen wie die „Le Monde Diplomatique“ schreibt, ein Erlebnis aus dem Jahr 2009. Als er für eine Reportage nach Mexiko fliegen musste, verweigerten die USA einer Maschine der Air France, in der er saß, den Weg durch den US-Luftraum. „Ich erinnere mich noch daran, dass der Kapitän durchsagte, wir dürften nicht in den amerikanischen Luftraum einfliegen, weil an Bord jemand sei, der Amerika gefährde.“ An sich selbst habe er dabei nicht gedacht, erinnert er sich. Erst nach der Landung habe der Kapitän ihn zur Seite genommen und aufgeklärt, dass er offenbar auf der No-Fly-List der USA stehe. Noch heute also muss Calvo Ospina Repressalien erdulden, weil er als Journalist zum Beispiel die Außenpolitik der USA gegen Lateinamerika anklagt und eine linksgerichtete, politische Haltung hat, die er auch nach Jahrzehnten nicht aufgegeben hat und nicht aufgeben wird.
Seit 2007 versucht eine sogenannte Wahrheitskommission, die Geschehnisse und Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren. Hernando Calvo Ospinas Buch ist dabei nur ein kleiner, aber wichtiger Mosaikstein in der politischen und juristischen Aufarbeitung, die kleine Früchte trägt. So berichtet das Lateinamerika-Nachrichtenportal „amerika21“ im Oktober 2017 davon, dass Ecuadors Präsident Lenín Moreno und Justizministerin Rosana Alvarado 24 Entschädigungsvereinbarungen für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen unterzeichnet haben. Bei dem Akt habe Moreno die Opfer und Angehörigen um Entschuldigung gebeten und daran erinnert, dass während der Regierungszeit von Ex-Präsident Febres Cordero die meisten Menschenrechtsverletzungen begangen wurden. Laut „amerika21“ sagte er wörtlich: „Wir müssen solche Taten sanktionieren. Die Erinnerung an sie soll dazu dienen, dass solche Fehler nicht wieder begangen werden und keine Straflosigkeit herrscht.“ Hernando Calvo Ospina hat seinen Teil dazu beigetragen.
Hernando Calvo Ospina: Sei still und atme tief, Zambon Verlag, Frankfurt am Main, 2014, 220 Seiten, Taschenbuch, 12 Euro, ISBN 978-3889752215