Luftballon-Sprache im Abendkleid

Im Suhrkamp-Verlag erscheint seit 2017 eine siebenbändige bibliophile Sonderausgabe von Büchern, die ihresgleichen sucht: die „Edition Suhrkamp Letterpress“. Die ersten drei Bücher sind bereits vergriffen, die nächsten und damit vorerst letzten vier kommen im März auf den Markt. Sie alle eint ein besonderer Reiz: jeder Einband wurde von einem Designer neu gestaltet, jedes Werk von renommierten Typografen neu gesetzt und dann im Buchdruckverfahren auf einer alten Zylinderpresse gedruckt. Was für eine Prachtidee!

Unter den ersten veröffentlichten Büchern (Walter Benjamins „Berliner Kindheit um neunzehnhundert“ sowie Thomas Bernhards „Watten: Ein Nachlaß“) befindet sich auch der erste und einzige Gedichtband der US-amerikanischen Dichterin Sylvia Plath, der schon zu ihren Lebzeiten erschienen ist: „Der Koloss“. Im Suhrkamp-Verlag war im August 2013, mehr als 50 Jahre nach dem Freitod Plaths, die erste deutsche Übersetzung des „Koloss“ erschienen, die große Beachtung fand. Die Schriftstellerin Judith Zander hatte die Gedichte behutsam ins Deutsche übertragen und ihre Frische und Sprachgenialität bewahrt. Nicht umsonst sagte John Updike über Plath, sie sei die „beste, aufregendste und maßgeblich rücksichtsloseste Dichterin ihrer Generation“. In ihren Gedichten beschäftigte sie sich nicht nur zeitkritisch mit den gesellschaftlichen Zwängen der Frau, sondern auch mit problembehafteten Beziehungen, Depressionen, dem frühen Tod des Vaters, Suizidgedanken und mit der Natur.

Mit der Wiederveröffentlichung in der Letterpress hat die zweisprachige „Koloss“-Ausgabe eine Aufwertung erfahren. Die Letterpress ist ein verlegerisches Konzept, dessen Idee ursprünglich durch ein Gespräch zwischen Suhrkamp-Verleger Jonathan Landgrebe und dem legendären Typographiker Erik Spiekermann entstanden ist: „Wir haben darüber geredet, wie es sich mit dem Buch verhält heutzutage, dass die Leute nicht mehr wissen, dass an einem Buch mehr Menschen beteiligt sind als der Autor und der Drucker“, erklärt Spiekermann im Trailer zum Projekt. Und das Ergebnis dieser Unterredung? Eine Gruppe von sieben deutschen Grafikdesignern (die sogenannte „Süpergrüp“), die zu den einflussreichsten ihrer Generation gehören, hat sieben ausgewählte Werke des 20. Jahrhunderts neu gestaltet und gesetzt. Anschließend werden die Bücher von digital belichteten Platten im Buchdruckverfahren auf einem Original Heidelberger Zylinder aus dem Jahr 1965 gedruckt.

Ein schwebender Stein-Luftballon

Die mehrfach ausgezeichnete Grafikdesignerin Sarah Illenberger war verantwortlich für die äußere Gestaltung des Plath-Bandes. Sie hat nach eigenen Angaben versucht, ein Bild zu kreieren, das in seiner Symbolik Plaths ganzes Werk und Schaffen umschreibt. Entstanden ist ein schwebender Luftballon in Form eines Steins, der nun den Buchdeckel ziert – der Stein für die schweren Themen, denen Plath sich widmet, der Luftballon für die leichte Sprache, die sie in ihren Gedichten verwendet.
Die kongeniale innere Gestaltung und den Satz des Gedichtbandes wiederum hat – wie bei allen anderen Bänden auch – Erik Spiekermann mit dem Typografen und Schriftforscher Ferdinand Ulrich besorgt.

Insgesamt sind die Bücher der Letterpress kleine Kunstwerke, wie man sie nur noch selten in der Hand halten darf. Der Buchblock ist ein anfangs starres Stück, das man sich erst gefügig lesen muss. Die Schrift ist durch den Buchdruck tiefschwarz und nicht blassschwarz wie im herkömmlichen Offset-Druckverfahren. Das 120 g/m² schwere Papier schmeichelt den Fingern beim Umblättern, das ebenfalls tiefschwarze Lesebändchen hilft bei der Orientierung.

Zwischen 40 und 50 Euro kostet ein Buch

So viel Handwerkskunst hat ihren Preis. Zwischen 40 und 50 Euro kostet ein Buch der Letterpress. Jedes Werk ist allerdings auch exklusiv limitiert auf 1.000 Exemplare, jedes Buch einzeln nummeriert. Da verwundert es nicht, dass die im September erschienenen Bücher beim Verlag bereits restlos vergriffen sind. Wer dennoch Interesse hat, grast regelmäßig die Antiquariate ab oder hat noch Glück beim Buchhändler seines Vertrauens.

Voraussichtlich am 12. März werden die nächsten und vorerst letzten vier Bücher in der Letterpress erscheinen: Bertolt Brechts „Leben des Galilei“, Max Frischs „Montauk“, Raymond Queneaus „Stilübungen“ sowie Ludwig Wittgensteins „Tractatus logico-philosophicus“.

Warum man so viel Geld für ein Buch ausgeben sollte? Weil es das wert ist. Weil es ein Buch ist. Weil es keine Massenware ist. Weil es das Herz wärmt. Weil es besonders gestaltet ist. Weil man nicht nur die Ware bezahlt, sondern die Arbeit jedes einzelnen, der daran mitgewirkt hat. Weil alle Sinne genießen. Weil es ein Buch ist, wie ein Buch sein sollte: Mit Liebe gemacht.

Sylvia Plath: Der Koloss, Suhrkamp Letterpress, Berlin, 2017, 160 Seiten, gebunden, mit Lesebändchen, auf 1.000 Exemplare limitiert, einzeln nummeriert, 44 Euro, ISBN 978-3518427491 (vergriffen)

Mach’s noch einmal, Burkhard

Tand, Tand ist das Gebilde von MenschenhandEr hat es wieder getan: Zum zweiten Mal hat der Berliner Zeichner Burkhard Neie eine Balladensammlung des Insel Verlags veredelt. Und wie schon in dem Band „Und noch fünfzehn Minuten bis Buffalo“ hat er erneut mit seinen kongenialen Illustrationen ein Gesamtkunstwerk geschaffen, das die Balladen-Leselust neu entfacht.

„Tand, Tand ist das Gebilde von Menschenhand“, heißt es auf dem vorderen Buchdeckel, auf dem Neie bereits seine Kunstfertigkeit unter Beweis stellt. Schwarz, Grau, Blau und Gelb, mehr Farben braucht er nicht, um das erste eindrucksvolle Bild zu schaffen. Im Blauschwarz der Nacht fährt ein Dampfzug über eine Eisenbahnbrücke, die Lichter der Abteile sind erleuchtet und strahlen blassgelb in die Dunkelheit. Der Balladenneuling mag sich wundern, wie Text und Bild zusammenhängen, doch Balladenkenner und Fontane-Fans wissen längst Bescheid: Diese Fahrt nimmt ein böses Ende.

Es sind die drei Macbeth-Hexen, die in Theodor Fontanes Ballade „Die Brück am Tay“ beschließen, das Bauwerk zum Einsturz zu bringen und den Zug verunglücken zu lassen. Als historische Stoffgrundlage diente Fontane der Zusammenbruch einer Eisenbahnbrücke in Schottland, bei dem ein Zug ins Meer stürzte und 75 Menschen ihr Leben ließen. Seine Ballade war die deutliche Kritik an der Technik- und Fortschrittsgläubigkeit der damaligen Zeit. Bis heute haben die Verse nichts von ihrem Eindruck verloren.

Ein Könner, dieser Mann!

Das Zusammenspiel aus Ballade und Neies linolschnittartigen Illustrationen fesselt ungemein. Heines „Nixen“, Schillers „Taucher“, Wedekinds „Brigitte B.“, manche sind in der Lese-Erinnerung schon verblasst. Neie sorgt in dieser Sammlung für die farbenstarke und doch düstere Erinnerung an die Werke einstiger Dichterköniginnen und -könige. Wie schon im ersten Band führt der Berliner Illustrator auch hier seine Technik fort: Die Grundfarbe der Zeichnung fließt stets auf die Textseite über und vereinnahmt so den Text. Liegen sich zwei Textseiten gegenüber, läuft die Farbe aus dem Buchfalz und sucht auch so die Verbindung zum Text. Ein Könner, dieser Mann!

Der Insel Verlag hat bis jetzt zwei Balladen-Sammlungen veröffentlicht, beide von Burkhard Neie illustriert, beide eine absolute Wucht. Die erste war rot, die zweite ist blau – kündigt sich da eine Reihe an? Auf Lesungen nannte der Popliterat Benjamin von Stuckrad-Barre seine Bücher „Soloalbum“, „Livealbum“ und „Remix“ wegen der Farben auf den Buchcovern stets „das gelbe Album“, „das rote Album“, „das blaue Album“. Folgt im Insel Verlag also nach der roten und blauen Balladen-Sammlung auch bald eine gelbe? Es bleibt zu hoffen, dass die Zusammenarbeit zwischen Burkhard Neie und dem Insel Verlag noch nicht beendet ist. Mach’s noch einmal, Burkhard!

Matthias Reiner (Hg.): „Tand, Tand ist das Gebilde von Menschenhand“ – Deutsche Balladen, Insel Verlag, Berlin, 2014, 109 Seiten, mit farbigen Illustrationen von Burkhard Neie, gebunden, 16 Euro, ISBN 978-3458200116, Leseprobe

Ein Balladenschatz

Und noch fünfzehn Minuten bis BuffaloGenerationen von Schülern haben sie auswendig aufsagen müssen: Den „Erlkönig“, die „Bürgschaft“ oder „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“. Manch einem war die Pflicht ein Gräuel, Lyrikfreunden aber gehen die Zeilen noch heute mit Inbrunst von den Lippen. Jetzt ist im Insel Verlag eine herrliche Sammlung von 23 deutschen Balladen erschienen, die schon in ihrer literarischen Zusammenstellung prächtig geraten ist. Vor allem aber ist das Bändchen der Insel-Bücherei hervorragend illustriert. Eine selten gesehene Harmonie von Bild und Text!

Den Anfang macht natürlich der alte Goethe. „Sah ein Knab ein Röslein stehn,/ Röslein auf der Heiden…“ heißt es da, und später auch noch: „Walle! walle/ Manche Strecke,/ Dass, zum Zwecke,/ Wasser fließe…“. Vier Balladen steuert Goethe bei, vier an der Zahl sind’s auch bei Fontane. Schiller: drei. Heine: zwei. Droste-Hülshoffs „Der Knabe im Moor“ findet sich ebenso wie Conrad Ferdinand Meyers „Füße im Feuer“ oder Mörikes „Feuerreiter“. An der Auswahl hätte sicherlich auch Ernst Theodor Echtermeyer seine Freude gehabt.

Doch wirklich ausgezeichnet wird der Sammelband erst durch die kunstfertige Illustration von Burkhard Neie. Der Berliner Zeichner verschafft den oft dramatischen erzählenden Gedichten eine weitere Darstellungsebene. Interessant in dem Zusammenhang ist, dass eine Zeichnung nicht einfach einer Textseite gegenübergestellt wird, sondern die Farben schwach, aber deutlich genug auf die Textseite überlaufen und so Worte und Darstellung verbinden, ja, vereinnahmen. Liegen zwei Textseiten nebeneinander, fließt sogar ein wenig Farbe aus dem Buchfalz heraus, so dass jedwede Seite eingenommen wirkt.

Ach, es ist eine Lust und eine Freude, in diesem Band zu blättern, die Zeichnungen zu beschauen und die Balladen, obwohl man sie meist doch in- und auswendig kennt, immer wieder leise vor sich hinzumurmeln. Ein Buch zum Verschenken, zum Lyriklesen-Lustmachen, zum Selbstbesitzen. Zum Erinnern, Schwelgen, Gruseln und zum Vorlesen. Eine Wucht!

Matthias Reiner (Hg.): „Und noch fünfzehn Minuten bis Buffalo“ – Die schönsten Balladen, Insel Verlag, Berlin, 2013, 111 Seiten, mit farbigen Illustrationen von Burkhard Neie, gebunden, 16 Euro, ISBN 978-3458200062, Leseprobe

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